Entscheidungsstichwort (Thema)
Straftatbestand der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO 1977 genügt dem Bestimmtheitsgebot
Leitsatz (redaktionell)
1. Art. 103 Abs. 2 GG verbietet den Gerichten eine strafbegründende Analogie. Unter diesem Aspekt kommt es für die Auslegung und Anwendung von Straftatbeständen auf deren für den Adressaten erkennbaren und verstehbaren Wortlaut maßgebend an; er bildet die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation.
2. Die fachgerichtliche Auslegung, in der Freistellung von weiteren Beitreibungsmaßnahmen durch die Steuerverwaltung aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen über die Vermögensverhältnisse der Eltern einen Steuervorteil zu sehen, verstößt nicht gegen das Analogieverbot und ist vom Wortlaut des § 370 AO 1977 gedeckt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1; AO 1977 § 370 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 20.04.1994; Aktenzeichen 2 Ws 275/94) |
LG Landshut (Entscheidung vom 23.02.1994; Aktenzeichen Qs 46/94) |
AG Landshut (Entscheidung vom 03.02.1994; Aktenzeichen Gs 90/94) |
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft im wesentlichen die Auslegung und Anwendung des § 370 AO (Steuerhinterziehung) im Zusammenhang mit einem Verzicht auf weitere Beitreibungsmaßnahmen.
Für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen die Voraussetzungen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Eine verfassungsrechtliche Frage, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten läßt oder noch nicht hinreichend durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluß vom 8. Februar 1994 – 1 BvR 1693/92 –, NJW 1994, S. 993 f.), ist nicht aufgeworfen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO (früher § 392 RAO) festgestellt, daß der Begriff „Steuerverkürzung” selbst unter dem Gesichtspunkt einer blankettartigen Verweisung auf Einzelsteuergesetze den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 und des Art. 104 Abs. 1 GG genügt (vgl. BVerfGE 37, 201 ≪208 f.≫). Um so weniger kann die Bestimmtheit der aus sich heraus verständlichen Begriffe der „steuerlich erheblichen Tatsachen” und der „Steuervorteile” verfassungsrechtlich zweifelhaft sein. Unbeachtlich ist dabei, daß die Abgrenzung des Begriffs der Steuervorteile zu dem der Steuerverkürzung in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und in der Fachliteratur unterschiedlich beurteilt wird.
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. hierzu BVerfG Beschluß vom 8. Februar 1994 a.a.O.).
a) Art. 103 Abs. 2 GG verbietet den Gerichten eine strafbegründende Analogie. Unter diesem Aspekt kommt es für die Auslegung und Anwendung von Straftatbeständen auf deren für den Adressaten erkennbaren und verstehbaren Wortlaut maßgebend an; er bildet die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. BVerfGE 87, 209 ≪224≫; st. Rspr.). Es ist nicht erkennbar inwiefern das Oberlandesgericht dieses verfassungsrechtliche Verbot verletzt haben könnte.
aa) Der Wortlaut des Straftatbestandes des § 370 Abs. 1 AO läßt es zu, daß das Oberlandesgericht den Stand des Vermögens der Eltern des Beschwerdeführers zum 31. Dezember 1987 als steuerlich erhebliche Tatsache für das Steuerbeitreibungsverfahren bewertet. Die Angaben hierzu boten der Steuerverwaltung die Grundlage für den Verzicht auf weitere Beitreibungsmaßnahmen.
bb) Das Oberlandesgericht hat in der Freistellung der Eltern des Beschwerdeführers von weiteren Beitreibungsmaßnahmen ohne Verstoß gegen das Analogieverbot einen Steuervorteil gesehen. Der Wortlaut des § 370 AO deckt eine solche fachgerichtliche Auslegung (vgl. dazu BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Ob darüber hinaus auch der Beschwerdeführer selbst einen Steuervorteil dadurch erlangt hat, daß er als möglicher künftiger Erbe für die Steuerschulden seiner Eltern nicht mehr in Anspruch genommen werden sollte, mag dahinstehen.
b) Es ist nicht erkennbar, inwiefern die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf einem Verstoß gegen das dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu entnehmende Willkürverbot beruhen könnte (zum Maßstab vgl. BVerfGE 18, 85 ≪96≫; 74, 102 ≪127≫; st. Rspr.).
aa) Es ist einleuchtend, keinesfalls aber willkürlich, daß das Oberlandesgericht die dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen gemachten Angaben über den Vermögensstand der Eltern des Beschwerdeführers diesem mit zugerechnet hat. Der Beschwerdeführer selbst hat dem Finanzministerium gegenüber zum Bericht des Finanzamts Passau vom 25. Juni 1986 unter Berücksichtigung des Vermögensstatus zum 31. Dezember 1987 Stellung genommen. Ob die Vermögensaufstellung vom 11. Januar 1988 von ihm herrührt und/oder von ihm dem Finanzministerium übergeben worden ist, erweist sich in diesem Zusammenhang als unerheblich.
bb) Es ist auch nachvollziehbar, keineswegs willkürlich, daß das Oberlandesgericht von einer Feststellung der Steuerschulden der Eltern des Beschwerdeführers im einzelnen abgesehen hat. Das Oberlandesgericht hat zum Ausdruck gebracht, daß es von Steuerschulden in Höhe von mindestens 22 Millionen DM ausgehe. Diese Annahme stützt sich auf die Ermittlungen zur Begründung des dringenden Tatverdachts. Sie ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
c) Soweit der Beschwerdeführer Art und Höhe der Sicherheitsleistung für unverhältnismäßig hält, ist die auf eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG zielende Rüge unzulässig. Denn der Beschwerdeführer hat keinerlei Angaben zu seiner Vermögenssituation gemacht, die die Prüfung erlaubten, ob Art und Höhe der Sicherheitsleistung angemessen waren. Die Verfassungsbeschwerde genügt daher insoweit nicht dem Begründungserfordernis des § 92 BVerfGG.
Im übrigen wird von einer Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen