Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer begehrt höhere Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 2. Januar 1995 unter Außerachtlassung des Solidaritätszuschlags und des Beitrags zur Pflegeversicherung bei der Berechnung dieser Sozialleistung.
Die Bundesanstalt für Arbeit gewährte dem Beschwerdeführer für die Zeit ab 10. August 1993 Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 16. Januar 1995 setzte sie die Arbeitslosenhilfe mit Wirkung zum 2. Januar 1995 herab. Zur Begründung nahm sie auf die Verordnung über die Leistungssätze u.a. der Arbeitslosenhilfe für das Jahr 1995 (AFG-LeistungsVO 1995) vom 19. Dezember 1994 (BGBl I S. 3852) Bezug und verwies auf den Anstieg der Sozialabgaben und Steuern, insbesondere durch die Einführung des Beitrags zur Pflegeversicherung sowie des Solidaritätszuschlags und die dadurch bedingte Minderung des Nettoeinkommens. Daraus ergäben sich ab Januar 1995 niedrigere Leistungssätze. Das Sozialgericht wies die Klage ab und ließ die Sprungrevision zu (Urteil vom 15. Februar 1995 – S 4 Ar 341/93 –). Das Bundessozialgericht (BSG) wies die Revision des Beschwerdeführers zurück (Urteil vom 3. August 1995 – 7 RAr 28/95 –; BSGE 76, 207). Der Beschwerdeführer hat gegen diese Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde eingelegt, diese fristgemäß begründet und eine Verletzung der Art. 1, 2, 3, 14 und 80 GG gerügt.
Entscheidungsgründe
II.
Soweit die Verfassungsbeschwerde in einer Weise begründet worden ist, die den Anforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügt, liegen Annahmegründe nicht vor. Die hier mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen zu Art. 1, 2, 3, 14 und 80 GG sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; zu den Annahmevoraussetzungen vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zu Grunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen der § 136 Abs. 1 und 3, § 111 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) sind insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu beanstanden.
- Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, daß Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Das Parlament soll sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, daß es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, daß schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (vgl. BVerfGE 58, 257 ≪277≫m.w.N.). Das Handeln der Verwaltung muß meßbar und in gewissem Ausmaß für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar sein. Der Bestimmtheitsgrundsatz verbietet es dem Gesetzgeber indessen nicht, Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden (vgl. BVerfGE 56, 1 ≪12≫). Es genügt, daß sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte des Gesetzes (vgl. BVerfGE 80, 1 ≪20 f.≫m.w.N.).
- Das Bundesverfassungsgericht hat zur Funktion des Arbeitslosengeldes darauf hingewiesen, daß es dem Arbeitslosen angemessenen Ersatz für den Ausfall leisten soll, den er dadurch erleidet, daß er keinen Arbeitsplatz findet. Da das Arbeitslosengeld kein steuerpflichtiges Einkommen ist und von ihm auch keine Sozialabgaben abzuziehen sind, ist es sachgerecht, für seine Bemessung grundsätzlich an den Nettolohn anzuknüpfen, den der Arbeitnehmer vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zuletzt bezogen hat. Einerseits nimmt das Arbeitslosengeld an der allgemeinen Entwicklung der Arbeitsentgelte dadurch teil, daß das seiner Berechnung zugrunde liegende Bemessungsentgelt (jährlich) nach Maßgabe des § 112a AFG angepaßt (“dynamisiert”) wird. Andererseits müssen aber bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes, das – wie ausgeführt – einen (Teil-) Ersatz entgangenen (aktuellen) Arbeitsentgeltes darstellt, auch die auf den Löhnen und Gehältern ruhenden steuer- und beitragsrechtlichen Belastungen Berücksichtigung finden, und zwar selbst dann, wenn diese auf gesetzlichen Neuregelungen beruhen, die erst nach Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld rechtswirksam wurden. Der Arbeitslose nimmt dadurch sowohl an Erhöhungen als auch an Belastungen der Arbeitsentgelte entsprechend der allgemeinen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt teil. Dabei kann der Gesetzgeber sich aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität für eine Pauschalierung entscheiden, die eine zügige Feststellung der Leistungshöhe ermöglicht. Es ist deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden, daß die Lohnabzüge für die Berechnung des Nettolohnes nicht individuell ermittelt werden, sondern der individuelle Bruttolohn um die durch Rechtsverordnung konkretisierten “gewöhnlich” anfallenden Abzüge zu vermindern ist. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wäre es jedoch nicht mehr vereinbar, wenn der Gesetzgeber die Höhe des Arbeitslosengeldes auf einen bestimmten Prozentsatz des Nettolohnes festlegte, die Berechnung des Nettolohnes aber so regeln würde, daß dieser auch bei typisierter Betrachtung nicht mehr dem um die “gewöhnlich” anfallenden Abzüge vom Mindestarbeitsentgelt entspräche (vgl. BVerfGE 90, 226 ≪237≫). Für die Arbeitslosenhilfe gilt dies entsprechend.
Das Bundessozialgericht ist in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, daß der Begriff der gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzüge einer Auslegung zugänglich ist und hierzu nicht nur Abgaben zählen, die in § 111 Abs. 2 AFG (ausdrücklich) genannt sind, und daß es sich sowohl beim Solidaritätszuschlag als auch bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung um Abzüge handle, bei denen es der Festlegung weiterer Maßstäbe im Sinne des § 111 Abs. 2 AFG nicht bedurft habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts obliegen nämlich nicht nur die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, sondern auch die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklichen einfachen Rechts auf den einzelnen Fall den dafür allgemein zuständigen Fachgerichten; deren Entscheidung ist einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung nur in engen Grenzen zugänglich. Das Bundesverfassungsgericht kann erst dann eingreifen, wenn die fachgerichtliche Entscheidung Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einiger Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 71, 162 ≪177≫). Anhaltspunkte für eine gegen diese Grundsätze verstoßende Auslegung des Bundessozialgerichts sind nicht ersichtlich; insbesondere hat es die vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 23. März 1994 (BVerfGE 90, 226) aufgezeigten Anhaltspunkte zur Auslegung des Begriffs der gewöhnlich anfallenden Abzüge seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Von einer weiteren Begründung dieser Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Steiner
Fundstellen
Haufe-Index 1084341 |
NJW 1997, 516 |
NZA 1997, 118 |