Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Urteil vom 28.09.2000; Aktenzeichen 8 U 977/99) |
BayObLG (Beschluss vom 08.12.1999; Aktenzeichen 5St RR 213/99 b) |
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 26.05.1999; Aktenzeichen 2 Ns 407 Js 44671/1997) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26. Mai 1999 – 2 Ns 407 Js 44671/1997 – sowie der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 8. Dezember 1999 – 5St RR 213/99 a, b – verletzen die Beschwerdeführer zu 1 und 2 in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit sie wegen einer Beleidigung der Klinikträgerin verurteilt worden sind. Die Entscheidungen werden in diesem Umfang aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern zu 1 und 2 die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 28. September 2000 – 8 U 977/99 – verletzt den Beschwerdeführer zu 3 in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit das Gericht die Klaganträge zu 2 und 3 der Unterlassungsklage abgewiesen hat. Es wird in diesem Umfang aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 3 nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer zu 3 zwei Drittel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfahren betreffen die Strafbarkeit einer drastischen Kritik an der Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sowie zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung dieser Kritik.
A.
I.
Verfahren 1 BvR 49/00 und 1 BvR 55/00
1. Die Beschwerdeführer zu 1 und 2 lehnen Schwangerschaftsabbrüche aus religiöser Überzeugung ab. Am 8. Oktober 1997 verteilten sie Flugblätter auf dem Gelände des Klinikums N. Auf der Vorderseite des Flugblatts wurde Dr. F., ein Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der seine auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisierte Praxis als rechtlich selbständigen Betrieb auf dem Gelände des Klinikums führt, namentlich benannt und als „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder” bezeichnet. Auf der Rückseite des Flugblatts findet sich folgender Text:
„Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem
Gelände des Klinikum N.
damals: Holocaust
heute: Babycaust
Wer hierzu schweigt, wird mitschuldig!”
Im Innenteil des vier Blätter umfassenden Flugblatts finden sich eine Darstellung medizinisch üblicher Vorgehensweisen bei Abtreibungen sowie folgende Aufforderung:
„Bitte, helfen Sie uns im Kampf gegen die straflose Tötung ungeborener Kinder !”
In dem diese Aufforderung begleitenden Text des Innenteils wird unter anderem ausgeführt:
„Ein Staat, der das Töten des ungeborenen Lebens zulässt, verlässt den Boden der Menschenrechte. Er stellt seine Demokratie in Frage, weil er eine bestimmte Menschengruppe vom strafrechtlichen Schutz ausschließt. Abtreibung ist und bleibt Tötung eines ungeborenen Menschen, der das Recht zu leben hätte ! Deshalb: Abtreibung Nein !”
Dr. F. sowie die Gemeinde als Rechtsträgerin des Klinikums stellten aufgrund dieses Vorfalls Strafantrag gegen die Beschwerdeführer zu 1 und 2 wegen Beleidigung.
2. Nach vorherigem Freispruch wurden die Beschwerdeführer auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin mit Urteil des Landgerichts Nürnberg jeweils wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Gegen die Beschwerdeführerin zu 1 wurde eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen, gegen den Beschwerdeführer zu 2 eine solche von 30 Tagessätzen verhängt. Zur Begründung führte das Landgericht im Wesentlichen aus:
Es liege neben einer Beleidigung des Dr. F. auch eine Beleidigung des Klinikums N. vor. Dieses sei als Körperschaft des öffentlichen Rechts beleidigungsfähig. Die Äußerung habe sich auf die im Klinikum tätigen Personen und damit einen überschaubaren und individualisierbaren Personenkreis bezogen. Es sei anerkannt, dass auch eine solche Personenmehrheit unter einer Kollektivbezeichnung beleidigt werden könne, falls die Beziehung der Missachtung auf sie erkennbar sei. Hier sei ein solcher Bezug auf das Klinikum durch die Formulierung „Kinder-Mord … auf dem Gelände des Klinikums N.” auch erkennbar zum Ausdruck gebracht worden.
Zwar liege keine Beleidigung in der Äußerung „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder”; dies sei eine zwar einseitige, aber zutreffende Tatsachenbehauptung. Hinsichtlich der Textpassage „Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums N.” sei der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens mit der Benutzung des Wortes „Kindermord” nicht verbunden, da allgemein bekannt sei, dass die hier in Betracht kommende Abtreibung nicht unter das Strafgesetz falle. Die Äußerung sei demnach so aufzufassen, dass die Abtreibung als besonders verwerfliche, vorsätzliche, jedoch nicht strafbare Tötung ungeborener Kinder eingestuft werde. Hinsichtlich dieser Äußerungen liege eine Schmähung nicht vor und die Güterabwägung ergäbe, dass das Interesse an der Meinungsäußerung überwiege. Die Äußerungen müssten nach § 193 StGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG von den Betroffenen hingenommen werden.
Eine Beleidigung der Anzeigeerstatter stelle es jedoch dar, dass die Beschwerdeführer die Formulierung „damals: Holocaust – heute: Babycaust” verwandt hätten. Diese Äußerung lasse sich auch bei Würdigung ihres Gesamtzusammenhangs nur dahin verstehen, dass Dr. F. aus besonders verwerflichem Beweggrund Kinder töte und die Klinikträgerin dies zumindest toleriere. Durch die von den Beschwerdeführern gewählten Formulierungen sei das legale Verhalten des Arztes mit dem Holocaust als Synonym für die abscheulichsten und durch nichts zu rechtfertigenden Verbrechen der Menschheit gleichgesetzt worden. Dies gehe über eine regelmäßig hinzunehmende polemische und überspitzte Kritik hinaus. Die Beschwerdeführer hätten eine Gleichsetzung legaler Abtreibungshandlungen mit dem millionenfachen Judenmord vorgenommen und somit die Tätigkeit des Arztes mit der willkürlichen Tötung von Menschen durch ein Unrechtsregime in eine Reihe gestellt, den Arzt somit einem Handlanger staatlich geplanter Ausrottung von Teilen der Bevölkerung gleichgesetzt. Wenn der Arzt und damit verbunden die Klinikträgerin in dieser Weise als Massenmörder vorgeführt würden, sei dies als unzulässige Schmähung zu werten. Der mit der Verwendung des Begriffs „Holocaust” einhergehende Assoziationsgehalt könne auch nicht als plakative Überspitzung gebilligt werden; diese Aussage sei nicht mehr erforderlich gewesen, um das Grundanliegen der Beschwerdeführer zum Ausdruck zu bringen.
3. Die Revisionen der Beschwerdeführer gegen dieses Urteil wurden mit Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 8. Dezember 1999 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben habe.
4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass die kritische Haltung der Beschwerdeführer gegenüber dem geltenden Abtreibungsrecht in ihren religiösen Überzeugungen wurzele. Ferner sei ihr Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Entgegen der von den Strafgerichten zu Grunde gelegten Deutung habe die Formulierung „damals: Holocaust – heute: Babycaust” nicht auf den Arzt Dr. F. oder die Klinikträgerin gezielt. Werde die räumliche Trennung von Vorder- und Rückseite des verteilten Flugblatts berücksichtigt, so könne diese Äußerung allein als genereller Vergleich zwischen der heutigen Abtreibungspraxis und der unter dem Begriff des „Holocaust” gefassten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung verstanden werden. Eine konkrete Bezugnahme auf das Verhalten des Arztes oder der Trägerin des Klinikums sei damit jedoch nicht verbunden. Auch könne ein unpersönlich gefasster Vergleich zweier geschichtlicher Vorgänge, wie er hier zwischen der heutigen Abtreibungspraxis und dem nationalsozialistischen Holocaust gezogen worden sei, unter keinen Umständen als allein auf eine konkrete Person bezogene Diffamierung bewertet werden. Die unzutreffende Wertung der Äußerung der Beschwerdeführer als Schmähkritik habe dazu geführt, dass das Landgericht nicht in die erforderliche Abwägung mit den Belangen der Meinungsäußerungsfreiheit eingetreten sei. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe habe das Landgericht schließlich auch dadurch verfehlt, dass es darauf abgestellt habe, ob die Beschwerdeführer ihr Anliegen auch zurückhaltender hätten formulieren können. Von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sei die Freiheit zu überzogenen oder drastischen Wertungen umfasst. Diese Freiheit ermögliche einen Vergleich gegenwärtiger gesellschaftlicher oder politischer Zustände und Vorgänge mit dem Holocaust als dem nach allgemeiner Anschauung am schwersten wiegenden Unrechtsgeschehen der Geschichte. Ob ein solcher Vergleich passend oder verfehlt und geschmacklos erscheine, habe dabei nach Art. 5 Abs. 1 GG außer Betracht zu bleiben.
Keinesfalls habe das Landgericht auch zu einer Verurteilung der Beschwerdeführer wegen Beleidigung zum Nachteil der kommunalen Klinikträgerin gelangen dürfen. Diese werde in dem durch die Beschwerdeführer verteilten Flugblatt an keiner Stelle erwähnt. Auch das Klinikum selbst werde nur zur Beschreibung des Orts der Tätigkeit von Dr. F. benannt, ohne dass damit aber eine erkennbare Abwertung des Klinikums oder seiner Rechtsträgerin verbunden worden sei. Das Landgericht bleibe zudem jeden Nachweis schuldig, inwiefern durch die Äußerung der Beschwerdeführer die Erfüllung der Funktionen der Gemeinde oder des in ihrer Trägerschaft stehenden Klinikums beeinträchtigt worden sei oder es zu greifbaren Beeinträchtigungen der staatlichen Autorität habe kommen können. Das aber sei Voraussetzung für die Annahme eines zum Nachteil von Hoheitsträgern begangenen Beleidigungsdelikts.
Auch fehle es an ausreichenden Feststellungen der Strafgerichte zum subjektiven Tatbestand der Beleidigung. Hierdurch seien die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liege schließlich darin, dass der Beschwerdeführer zu 2 trotz gleichrangigen Tatbeitrags allein wegen seiner Stellung als presserechtlich Verantwortlicher strenger als die Beschwerdeführerin zu 1 bestraft worden sei.
II.
Verfahren 1 BvR 2031/00
Anlass dieses Verfahrens ist derselbe Vorfall vom 8. Oktober 1997. Er war hier allerdings im Rahmen eines zivilgerichtlichen Rechtsstreits zu beurteilen. Der Arzt Dr. F., der Beschwerdeführer zu 3, nahm Frau H. und Herrn A. – die Beschwerdeführer zu 1 und 2 – (im Folgenden: Beklagte) zivilrechtlich auf Unterlassung der Verbreitung von drei namentlich bezeichneten Aussagen aus dem Flugblatt in Anspruch. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg, durch die dem Unterlassungsanspruch des Beschwerdeführers zu 3 nicht stattgegeben wurde.
1. Die Unterlassungsklage des Beschwerdeführers hatte vor dem Landgericht noch Erfolg gehabt. Auf die Berufung der Beklagten wies das Oberlandesgericht Nürnberg die Klage jedoch ab. Die Äußerung „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder Dr. F.” sei eine zutreffende Tatsachenbehauptung. Die Textpassage „Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums N.” sei eine wertende Meinungsäußerung. Angesichts der Mehrdeutigkeit der gewählten Formulierung sei der rechtlichen Beurteilung diejenige Deutung zu Grunde zu legen, die dem auf Unterlassung in Anspruch Genommenen günstiger sei und den Betroffenen weniger beeinträchtige. Dies führe vorliegend dazu, dass der Ausdruck „Mord” nicht im rechtstechnischen Sinne, sondern im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs aufzufassen sei und den Vorwurf strafbaren Verhaltens nicht erhebe. Die Äußerung sei so aufzufassen, dass die Abtreibungen als besonders verwerfliche, vorsätzliche, nicht strafbare Tötung ungeborener Kinder eingestuft würden. Eine Güterabwägung ergebe, dass das Interesse der Beklagten an der Äußerung über eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit ungeachtet dessen vorgehe, dass die Ehre des Arztes durch den erhobenen Vorwurf eine schwere Kränkung erfahre. Als Schmähung sei sie jedoch nicht einzuordnen.
Hinsichtlich der Äußerung „damals: Holocaust – heute: Babycaust” gebe der Senat seine in einem früheren, auf eine Klage der Klinikbetreiberin hin ergangenen Urteil vertretene Auffassung auf und folge nunmehr der Beurteilung des Bundesgerichtshofs, der aus Anlass eines anderen Verfahrens in der Äußerung keine Beleidigung der Klinikbetreiberin gesehen habe. Die Begründung des Oberlandesgerichts beschränkt sich auf ein Teilzitat aus diesem Urteil vom 30. Mai 2000 – VI ZR 276/99 – (NJW 2000, S. 3421). In diesem Auszug führt der Bundesgerichtshof aus, dass der beanstandeten Äußerung eine Gleichsetzung der angeprangerten Vorgänge auf dem Klinikgelände mit dem Holocaust des Nationalsozialismus in seinem geschichtlichen Sinne nicht zu entnehmen sei. Die Verfasser des Flugblatts versuchten in erster Linie, in provokativer Weise Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erzielen. Dem interessierten Leser des Flugblatts werde sofort deutlich, dass es sich um einen Protest von Abtreibungsgegnern gegen die auf dem Klinikgelände von Dr. F. vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche handele und dass die Verfasser die Meinung vermittelten, die auf Grund der bestehenden Gesetzeslage herrschende Abtreibungspraxis stelle eine verwerfliche Massentötung (werdenden) menschlichen Lebens dar. Als Meinungsäußerung im Rahmen eines Beitrags zur politischen Willensbildung in einer die Öffentlichkeit sehr bewegenden, fundamentalen Frage, bei der es um den Schutz des Lebensrechts Ungeborener gehe, müsse diese Äußerung von der Klinikträgerin auch in der vorliegenden Form nach Art. 5 Abs. 1 GG hingenommen werden.
Die Revision ließ das Oberlandesgericht nicht zu. Die maßgeblichen Rechtsfragen seien durch das Urteil des Bundesgerichtshofs hinreichend geklärt. Unerheblich sei, dass der Bundesgerichtshof die Zulässigkeit der inkriminierten Flugblatttextpassagen im Verhältnis zwischen den Beklagten und der Trägerin des Klinikums zu beurteilen gehabt habe; die Beurteilung treffe auch im Verhältnis zum Kläger, hier: dem Beschwerdeführer zu 3, zu. Zwar werde dieser durch die beanstandeten Äußerungen in seinem Persönlichkeitsrecht und somit spürbarer als ein öffentlich-rechtlicher Klinikträger berührt, dem nur der Gesichtspunkt des Funktionsschutzes zugute komme. Andererseits habe der Beschwerdeführer die Abtreibungen selbst vorgenommen, während der Klinikträger ihre Vornahme nur geduldet habe. Insgesamt sei deshalb kein strengerer Maßstab anzulegen als im Verhältnis zur Klinikträgerin.
2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Zwar sei die Deutung, welche das Berufungsgericht dem verwendeten Begriff des „Mordes” gegeben habe, möglicherweise noch vertretbar. Bei der Deutung der übrigen Äußerungen habe es jedoch nahe gelegen, sie dahingehend zu verstehen, der Tötungs-Spezialist Dr. F. begehe im Klinikum Kindermorde, die mit dem Holocaust gleichzusetzen seien. Aber auch wenn die vom Berufungsgericht vorgenommene Interpretation noch hinzunehmen sei, enthalte das Flugblatt eine schwere Kränkung. Das Berufungsgericht habe die Äußerungen deshalb als zulässig angesehen, weil die Schwelle zur Schmähkritik nicht überschritten sei. Das Gericht habe damit verkannt, dass auch eine nicht als Schmähkritik zu wertende Äußerung unzulässig sei, wenn es sich um eine gezielt gegen den Betroffenen gerichtete schwere Persönlichkeitsverletzung handle. Hier werde die Menschenwürde des Beschwerdeführers beeinträchtigt. Aus diesem Grund müsse die Meinungsfreiheit zurücktreten.
Auch habe das Berufungsgericht die Formulierung „damals: Holocaust – heute: Babycaust” im Hinblick auf den Beschwerdeführer nicht als zulässig ansehen dürfen. Das Berufungsgericht habe nicht zutreffend gewürdigt, dass der Bundesgerichtshof in der vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung ausdrücklich auf das geringere Gewicht abgestellt habe, das Belangen des Funktionsschutzes von Hoheitsträgern bei der Abwägung mit der Meinungsfreiheit im Vergleich zu dem Schutzanspruch des Persönlichkeitsrechts zukommt. Der Beschwerdeführer werde durch den gegen ihn gerichteten Vergleich einem Handlanger staatlich geplanter Ausrottung von Teilen der Bevölkerung gleichgestellt. Bei einem so schwerwiegenden Angriff gebiete es der Schutz der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen, die Belange der Meinungsfreiheit zurücktreten zu lassen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden an und gibt ihnen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang statt.
I.
Verfahren 1 BvR 49/00 und 1 BvR 55/00
1. Die Beschwerdeführer zu 1 und 2 werden durch die angegriffenen strafgerichtlichen Verurteilungen in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verletzt, soweit sie wegen einer Beleidigung auch der Klinikträgerin verurteilt worden sind. Im Übrigen sind ihre Verfassungsbeschwerden unbegründet.
a) Grundlage der Verurteilung wegen Beleidigung ist nur die Äußerung „damals: Holocaust – heute: Babycaust”. Diese Äußerung enthält eine Wertung, die in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fällt. Selbst eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung nicht dem Schutzbereich der Grundrechtsnorm (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪289 f.≫).
b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gilt allerdings nicht schrankenlos. Vielmehr findet es seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Hierzu zählt namentlich der hier angewandte § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪290 ff.≫).
Die Auslegung und Anwendung der Strafrechtsnormen ist Sache der Fachgerichte. Bei einer Verurteilung wegen Beleidigung haben sie das dadurch eingeschränkte Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten, damit seine wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt.
aa) Den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht die Verurteilung der Beschwerdeführer wegen Beleidigung des Dr. F.
Die Bestrafung ist nicht darauf gestützt worden, dass die Beschwerdeführer mit drastischen Worten öffentliche Kritik an Abtreibungen geübt haben. Das bleibt ihnen unbenommen. Die Verurteilung beruht vielmehr auf dem Umstand, dass sie die von ihnen gewählten Formulierungen nicht als allgemeine Kritik vorgebracht, sondern speziell gegen Dr. F. gerichtet haben. Die Gerichte haben die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts in dieser direkten Bezugnahme gesehen. Das ist verfassungsrechtlich ebenso wenig zu beanstanden wie die Annahme der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung.
(1) Das Flugblatt – und damit auch die inkriminierte Äußerung – hat einen eindeutigen Bezug auf Dr. F. Der Text bezieht sich auf der Vorderseite des Flugblatts namentlich und unter graphischer Hervorhebung auf Dr. F. und bezeichnet ihn zugleich als „Tötungs-Spezialisten”; ferner wird als Tätigkeitsort das „Gelände des Klinikums N.” benannt. Diese Ortsbeschreibung wird auf der Rückseite des Flugblatts wörtlich wiederholt. Zugleich wird mit der Umschreibung „Kinder-Mord im Mutterschoß” auf den auf der Vorderseite des Flugblatts verwendeten Begriff des „Tötungs-Spezialisten für ungeborene Kinder” inhaltlich Bezug genommen. Hieran schließt sich der für die Verurteilung maßgebend gewordene Vorwurf eines „Babycaust” unmittelbar an. Für einen Leser des Flugblatts kann deshalb nicht zweifelhaft sein, dass der auf der Vorderseite des Flugblatts ausdrücklich erwähnte Arzt als Verantwortlicher für das auf dem Gelände des Klinikums N. erfolgende Geschehen benannt werden soll und sich dessen Einstufung als „Babycaust” und der Vergleich mit dem Holocaust somit auch auf seine Tätigkeit bezieht. Dass das in Frage stehende Flugblatt auf dem Gelände des Klinikums und damit im Bereich der dort von Dr. F. genutzten Räume verteilt wurde, vertieft diesen Bezug.
Diese gezielte Bezugnahme auf Dr. F. entfällt nicht allein dadurch, dass die Beschwerdeführer sich erkennbar mit ihrem Flugblatt auch generell gegen Abtreibungen wenden und die Wiederherstellung der ausnahmslosen Strafbarkeit anstreben. Zur Verfolgung dieses allgemeinen Anliegens wird Dr. F. gezielt aus der Gruppe der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, herausgegriffen und sein Tun als „Babycaust” gekennzeichnet, der dem Holocaust gegenübergestellt wird. Der Gesamtkontext einer politischen Auseinandersetzung um Abtreibung lässt die Zielrichtung auf Dr. F. nicht in den Hintergrund treten und rechtfertigt es auch nicht, das Flugblatt nur als „Denkanstoß” zu werten, der an der Arztpraxis und Person des Dr. F. anknüpft (so aber OLG Karlsruhe, NJW 2003, S. 2029 ≪2030 f.≫ für einen ähnlichen Fall).
(2) Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Gerichte eine schwer wiegende Persönlichkeitsverletzung des Dr. F. bejaht haben.
Das Landgericht und ihm folgend das Oberlandesgericht sind davon ausgegangen, dass die von den Beschwerdeführern gewählte Formulierung „damals: Holocaust – heute: Babycaust”) als eine Gleichsetzung der Schwangerschaftsabbrüche mit dem nationalsozialistischen Holocaust zu deuten sei. Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof in dem oben (A II 1) erwähnten, auf ein anderes Verfahren bezogenen, Urteil im Hinblick auf das identische Flugblatt angenommen (BGH, NJW 2000, S. 3421 ≪3423≫), dass durch den Vergleich nur zum Ausdruck gebracht werde, die von Dr. F. vorgenommenen Abtreibungen stellten eine verwerfliche Massentötung menschlichen Lebens dar. Diese vom Bundesgerichtshof bevorzugte Deutungsvariante, die ja nichts daran ändert, dass die Beschwerdeführer in dem Flugblatt eine Verbindung zwischen dem „Holocaust” und dem „Babycaust” hergestellt haben, enthält aber ebenfalls einen äußerst schwer wiegenden Vorwurf und damit eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts.
(3) Im Ergebnis ist die Annahme der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
(a) Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arztes lässt sich allerdings entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht mit der Bewertung des Flugblatts als Schmähkritik begründen, also als eine Äußerung, die primär auf eine Herabsetzung der Person, nicht auf eine Auseinandersetzung in der Sache zielt (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪283 f.≫; 85, 1 ≪16≫; 93, 266 ≪294, 303≫). Ein greifbarer Sachbezug, nämlich die Ausrichtung an dem Ziel, die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen wiederherzustellen, kann dem Flugblatt nicht abgesprochen werden.
Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlich für eine Schmähung, so ist dies nur dann ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn das Gericht aus diesem Grund eine Abwägung unterlässt oder fehlerhaft vornimmt und die Entscheidung hierauf beruht (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪281≫; 93, 266 ≪294≫). Ist das Gericht jedoch erkennbar in eine Abwägung eingetreten und sind die hierbei angestellten Erwägungen für sich genommen verfassungsrechtlich tragfähig, so wird das Ergebnis dieser Abwägung nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Fachgericht unzutreffend das Vorliegen von Schmähkritik bejaht hat (vgl. BVerfGK 4, 54 ≪59≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Juli 2003 – 1 BvR 1172/99 –, NJW 2004, S. 277 ≪279≫).
(b) So liegt es hier. Das Landgericht, dessen Begründung das Bayerische Oberste Landesgericht sich angeschlossen hat, ist im Zuge einer Abwägung mit der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführer in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass die schwere Ehrverletzung des Arztes nicht gerechtfertigt ist. Dabei hat es insbesondere berücksichtigt, dass Dr. F. im Rahmen der geltenden Gesetze tätig geworden ist und sich seinerseits nicht aktiv in die öffentliche Auseinandersetzung um Abtreibung eingeschaltet hat. Das Landgericht durfte im Übrigen auch darauf abstellen, dass es für die Beschwerdeführer, denen es um eine allgemeine Kritik an der Möglichkeit der Abtreibung ging, keine unzumutbare Beeinträchtigung ihrer Meinungsfreiheit dargestellt hätte, eine solche allgemeine Kritik ohne eine derartige Zuspitzung auf Dr. F. und damit die massive Verletzung seines Persönlichkeitsrechts in die Öffentlichkeit zu tragen.
bb) Nicht tragfähig sind jedoch die Erwägungen des Gerichts dazu, dass neben einer Beleidigung zum Nachteil des Dr. F. auch eine Beleidigung zum Nachteil der Klinikträgerin verwirklicht worden sei.
Das Landgericht hat in dem Flugblatt eine Beleidigung des Klinikums N. als einer beleidigungsfähigen Institution gesehen, dies aber mit Erwägungen begründet, die auf eine Beleidigung Einzelner in Form einer Kollektivbezeichnung zugeschnitten sind. Die Äußerungen hätten sich auf die im Klinikum tätigen Personen bezogen. Bei ihnen handele es sich um einen überschaubaren und individualisierbaren Personenkreis. Demgegenüber führen die Beschwerdeführer aus, das Klinikum sei in der Form der Formulierung „auf dem Gelände des Klinikums N.” allein als Ortsangabe, nicht jedoch zur Bezeichnung einer Institution verwendet worden. Der Bundesgerichtshof hat das Flugblatt in dem erwähnten zivilrechtlichen Urteil wieder anders gedeutet und in ihm eine Herabsetzung des verantwortlichen Trägers des Klinikums N. gesehen (BGH, NJW 2000, S. 3421 ≪3422≫).
Bei der Erfassung des Sinns einer Äußerung haben fern liegende Deutungen außer Ansatz zu bleiben (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪296≫). Um eine solche handelt es sich bei der Deutung der Beschwerdeführer, sie hätten das Klinikum nur als Ortsangabe bezeichnet. Dagegen spricht schon, dass die Worte „Klinikum N.” beziehungsweise „Klinikum N. in N.” im Flugblatt jeweils mit Fettdruck und großen Buchstaben deutlich von der Bezugnahme auf das „Gelände” des Klinikums abgehoben worden sind. Aber auch dann, wenn diese Deutungsvariante ausscheidet, bleiben die beiden anderen Deutungen im Raum.
Die strafrechtliche Einordnung des Flugblatts hängt davon ab, ob die Äußerung sich als Beleidigung einer juristischen Person auf die Klinikträgerin als kommunale Gebietskörperschaft oder als so genannte Kollektivbeleidigung auf die im Klinikum tätigen Einzelpersonen bezog. Beide Formen der Beleidigung unterliegen unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen. Im Hinblick auf Hoheitsträger kann die Anwendbarkeit der Ehrenschutzvorschriften der §§ 185 ff. StGB nicht auf das natürlichen Personen zustehende Persönlichkeitsrecht gegründet werden. Strafrechtlicher Ehrenschutz kann hier allerdings das Ziel verfolgen, dasjenige Mindestmaß an öffentlicher Anerkennung zu gewährleisten, das erforderlich ist, damit die betroffenen staatlichen Einrichtungen ihre Funktion erfüllen können. Tritt dieser Schutzzweck in einen Konflikt mit der Meinungsfreiheit, so ist deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen, als das Grundrecht gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪291≫). Wollen die Gerichte dagegen von einer Beleidigung Einzelner durch Verwendung einer Kollektivbezeichnung ausgehen, so haben sie dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds umso schwächer wird, je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht. Sie haben deshalb bei einer herabsetzenden Äußerung über eine Institution oder Personengesamtheit besondere Umstände für eine Deutung anzuführen, nach denen mit der Verwendung der Bezeichnung einer Institution nicht diese selbst, sondern ihre Mitglieder herabgewürdigt werden sollen (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪300 f.≫).
Wegen der Unterschiedlichkeit der Maßstäbe bedurfte der Klärung, ob die Äußerung hinsichtlich des Adressatenkreises mehrdeutig ist. Diese Klärung hat das Landgericht unterlassen und das Bayerische Oberste Landesgericht hat darin keinen Rechtsverstoß gesehen. Hätten die Gerichte Mehrdeutigkeit angenommen und – wie der Bundesgerichtshof – die Möglichkeit einer Deutung bejaht, nach der die Äußerung sich nur gegen das Klinikum als Einrichtung wende, das auf seinem Gelände die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Dr. F. zulasse, hätten sie diese den Beschwerdeführern günstigere Deutung der strafrechtlichen Beurteilung zu Grunde legen müssen.
Da entsprechende Ausführungen fehlen, ist die Verurteilung der Beschwerdeführer wegen Beleidigung der Klinikträgerin nicht tragfähig begründet.
2. Die Rüge einer Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG wegen des fehlenden Nachweises einer Beleidigungsabsicht greift demgegenüber nicht durch. Die Beschwerdeführer machen geltend, das Gericht habe keine ausreichenden Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des § 185 StGB getroffen. Es fehle an Ausführungen dazu, woraus ein Wille der Beschwerdeführer zu einem Ehrangriff zu entnehmen sei.
Verfassungsrechtlich findet der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld” seine Grundlagen in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der von Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Menschenwürde sowie dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfGE 95, 96 ≪140≫). Dem Täter muss über die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes hinaus auch die Schuld nachgewiesen werden (vgl. BVerfGE 9, 167 ≪169≫). Es ist Sache des Gesetzgebers, die äußeren Voraussetzungen zu umschreiben, auf die sich das Verschulden des Täters beziehen muss. Welche konkreten Anforderungen sich hieraus für die Verwirklichung eines Straftatbestandes ergeben, ist eine Frage der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts.
Nach der hierfür maßgeblichen und verfassungsrechtlich unbedenklichen Vorschrift des § 15 StGB genügt für die Verwirklichung der im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs näher umschriebenen Straftatbestände vorsätzliches Handeln, somit die wissentliche und willentliche Verwirklichung des äußeren Tatbestands. Dass die Beschwerdeführer in dem von § 185 StGB vorausgesetzten Sinne vorsätzlich gehandelt haben, hat das Gericht ausdrücklich festgestellt. Eine gesonderte Beleidigungsabsicht wird von dem Tatbestand des § 185 StGB nicht vorausgesetzt; ihre Feststellung durch das Fachgericht ist mithin entbehrlich.
3. Die Rüge des Beschwerdeführers zu 2, es sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil das Gericht für ihn eine um zehn Tagessätze höhere Geldstrafe als für die Beschwerdeführerin zu 1 ausgeworfen und dies mit seiner Stellung als presserechtlich Verantwortlichem begründet habe, greift ebenfalls nicht durch. Wer nach außen als presserechtlich Verantwortlicher hervortritt, gibt damit zu verstehen, dass er in besonderer Weise die inhaltliche Verantwortung für eine von ihm verbreitete Äußerung übernehmen will. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dies bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.
4. Ebenfalls geht die Rüge einer Verletzung des Art. 4 Abs. 1 GG fehl. Die Verurteilung beeinträchtigt das Recht der Beschwerdeführer, nach ihren religiösen Überzeugungen zu handeln und Abtreibungen abzulehnen sowie öffentlich zu kritisieren, nicht.
5. Die Entscheidungen von Landgericht und Bayerischem Obersten Landesgericht beruhen hinsichtlich der Annahme einer Beleidigung der Klinikträgerin auf den dargestellten verfassungsrechtlichen Mängeln. Es ist nicht auszuschließen, dass sie bei zutreffender Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 1 GG insoweit anders ausgefallen wären. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
II.
Verfahren 1 BvR 2031/00
Die von dem Beschwerdeführer zu 3 – dem Arzt Dr. F. – angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts über den von ihm geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch auf Unterlassung von drei in dem Flugblatt enthaltenen Äußerungen hält einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung nur begrenzt stand.
1. Nicht zu beanstanden ist es, dass das Oberlandesgericht einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagten – die Beschwerdeführer zu 1 und 2 aus den Verfahren zu 1 BvR 49/00 und 1 BvR 50/00 – insoweit abgelehnt hat, als sich der Beschwerdeführer zu 3 gegen die Aussage „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder Dr. F.” gewendet hat.
Das Oberlandesgericht hat diese Äußerung als Tatsachenbehauptung eingeordnet, die in erheblichem Maße geeignet sei, den Beschwerdeführer in seiner Ehre und seinem Persönlichkeitsrecht zu verletzen. Sie sei aber inhaltlich zutreffend und trotz der damit verbundenen Abwertung von dem Beschwerdeführer hinzunehmen.
Dass die auf den Beschwerdeführer gemünzte Bezeichnung „Tötungs-Spezialist” als Tatsachenaussage zutrifft, wenn sie als wertneutrale Beschreibung seiner Tätigkeit verstanden wird, akzeptiert auch der Beschwerdeführer. Er bestreitet aber die Wertneutralität der Aussage und wendet sich gegen die in ihr zum Ausdruck gebrachte, gezielt gegen ihn gerichtete Abwertung seiner Tätigkeit.
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Oberlandesgericht die in der verwendeten Formulierung anklingende Wertung als hinnehmbar beurteilt hat. Die gegen den Beschwerdeführer gerichteten Äußerungen betreffen eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende umstrittene Angelegenheit, die mit großer Leidenschaft diskutiert wird. Dabei hängt die jeweilige Bewertung – wie das Oberlandesgericht festgestellt hat – davon ab, ob der straffreie Schwangerschaftsabbruch in erster Linie als Hilfe für die Schwangere gedeutet oder als Abtötung menschlichen Lebens eingeordnet wird. Für die Beklagten des Ausgangsverfahrens stand der Aspekt der Tötung im Vordergrund. Es entspricht den Wesensbedingungen einer Demokratie, dass die Bürger Partei ergreifen und sich auf eine von mehreren Sichtweisen beschränken dürfen. Dieses Recht nimmt auch der Beschwerdeführer für sich in Anspruch, wenn er darauf verweist, dass er in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs eindeutig Position bezogen habe, nämlich für dessen Zulässigkeit. Bei wertenden Äußerungen in solchen Auseinandersetzungen treten die Belange des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit zurück, es sei denn die in Frage stehende Äußerung stelle sich als Schmähkritik oder Formalbeleidigung dar oder enthalte einen Angriff auf die Menschenwürde des Betroffenen. In anderen Fällen bedarf es einer abwägenden Prüfung im Einzelfall, ob die Vermutung für die Freiheit der Rede durch gegenläufige Belange des Persönlichkeitsschutzes überwunden wird (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪294≫).
Für das Vorliegen einer Schmähkritik, einer Formalbeleidigung oder einer Beeinträchtigung der Menschenwürde sind hier weder Gesichtspunkte ersichtlich, noch hat der Beschwerdeführer sie aufgezeigt. Er hat auch nicht dargelegt, dass das Oberlandesgericht bei der Einordnung der Äußerung über den „Tötungs-Spezialisten Dr. F.” einen Abwägungsfehler begangen hat.
2. Verfassungsrechtlich nicht tragfähig begründet ist es jedoch, wenn das Oberlandesgericht die von den Beklagten verwendete Formulierung „Kinder-Mord im Mutterschoß” als zulässiges Werturteil über die Tätigkeit des Beschwerdeführers angesehen hat.
a) Das Gericht hat bereits bei der Deutung der Äußerung verfassungsrechtliche Anforderungen außer Acht gelassen.
Die zutreffende Deutung von Äußerungen ist bei der Prüfung von Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit und des Persönlichkeitsrechts von weichenstellender Bedeutung. Durch eine unzutreffende Deutung von Äußerungen darf weder die Meinungsfreiheit noch der grundrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts verkürzt werden (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. August 1998 – 1 BvR 1435/98 –, NJW 1999, S. 483 ≪484≫). Die Regeln zur Behandlung mehrdeutiger Äußerungen sind unterschiedlich, je nachdem, ob über eine strafrechtliche Sanktion für die erfolgte Äußerung zu entscheiden ist oder ob – wie hier – über einen Anspruch auf deren zukünftige Unterlassung entschieden wird (vgl. BVerfG, NJW 2006, S. 206 ≪208 f.≫).
Das Oberlandesgericht sieht in der Äußerung nachvollziehbar eine mehrdeutige Aussage. Bei deren Deutung geht es davon aus, der Begriff des „Mordes” sei hier in einem umgangssprachlichen Sinne dahin zu verstehen, dass damit (nur) die vorsätzliche Tötung eines Menschen unter besonderer Hervorhebung ihrer Verwerflichkeit gemeint sei. Zwar könne die in Frage stehende Äußerung auch dahin verstanden werden, dass damit eine Handlung umschrieben werden solle, welche die besonderen Tatbestandsmerkmale des § 211 StGB erfüllt. Die gegen den Beschwerdeführer gerichtete Äußerung sei insoweit mehrdeutig. Sei eine Äußerung mehreren Deutungen zugänglich, die sich nicht gegenseitig ausschlössen, sei der rechtlichen Beurteilung diejenige Deutung zugrunde zu legen, welche dem auf Unterlassung in Anspruch Genommenen günstiger sei und den Betroffenen weniger beeinträchtige. Dies sei hier die minder schwerwiegende Deutung des Begriffs des „Mordes” als vorsätzliche Tötung.
Hierfür bezieht sich das Oberlandesgericht allerdings auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 139, 95), die ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die zutreffende Auslegung von mehrdeutigen Äußerungen für Unterlassungsansprüche, wie sie auch hier in Frage stehen, nicht ausreichend Rechnung trägt und deshalb zwischenzeitlich aufgehoben worden ist (BVerfG, NJW 2006, S. 207). Allein für nachträglich an eine Äußerung anknüpfende rechtliche Sanktionen – wie eine strafrechtliche Verurteilung oder die zivilgerichtliche Verurteilung zum Widerruf oder zum Ersatz materieller und immaterieller Schäden – gilt im Interesse der Meinungsfreiheit, insbesondere zum Schutz vor Einschüchterungseffekten bei mehrdeutigen Äußerungen, der Grundsatz, dass die Sanktion nur in Betracht kommt, wenn die dem Äußernden günstigeren Deutungsmöglichkeiten mit hinreichender Begründung ausgeschlossen worden sind (dazu vgl. BVerfGE 82, 43 ≪52≫; 93, 266 ≪295 ff.≫, 94, 1 ≪9≫). Steht demgegenüber ein zukunftsgerichteter Anspruch auf Unterlassung künftiger Persönlichkeitsbeeinträchtigungen in Frage, wird die Meinungsfreiheit nicht verletzt, wenn von dem Betroffenen im Interesse des Persönlichkeitsschutzes anderer verlangt wird, den Inhalt seiner mehrdeutigen Aussage gegebenenfalls klarzustellen. Geschieht dies nicht, sind die nicht fern liegenden Deutungsmöglichkeiten zu Grunde zu legen und es ist zu prüfen, ob die Äußerung in einer oder mehrerer dieser Deutungsvarianten zu einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts führt (vgl. BVerfG, NJW 2006, S. 207 ≪208 f.≫). Diese Grundsätze sind nicht auf Tatsachenaussagen begrenzt, sondern ebenso maßgeblich, wenn wie vorliegend ein das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigendes Werturteil in Frage steht.
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Deutung mehrdeutiger Tatsachenbehauptungen oder Werturteile unterscheiden sich somit grundlegend, je nachdem, ob die nachträgliche Sanktionierung schon erfolgter Äußerungen oder allein deren zukunftsgerichtete Abwehr in Frage steht. Es kann deshalb zwar verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden, wenn die Strafgerichte die Möglichkeit bejaht und ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt haben, dass der hierbei verwendete Begriff des „Mordes” nicht nur im rechtstechnischen Sinne, sondern auch in einem abgeschwächt-umgangssprachlichen Sinn zu verstehen sei, und auf der Grundlage dieser Deutungsmöglichkeit das Vorliegen einer Beleidigung verneint haben (s. o. A I 2). Doch durfte das Oberlandesgericht dieses Auslegungsergebnis der Strafgerichte vorliegend nicht ohne weiteres für die Prüfung des von dem Beschwerdeführer wegen der Äußerung geltend gemachten Unterlassungsanspruchs heranziehen.
Es musste vielmehr im Rahmen des Unterlassungsbegehrens auch die andere mögliche und durchaus nahe liegende Auslegung zu Grunde legen, nämlich die, dass „Mord” im rechtstechnischen Sinne zu verstehen war. Insoweit war ferner zu prüfen, ob die Beklagten nur allgemeine Kritik an Abtreibungen üben wollten oder ob der Mordvorwurf gezielt gegen den Beschwerdeführer erhoben wurde. Das Gericht nimmt zwar an, dass der Vorwurf des Kindermordes gegen den Beschwerdeführer erhoben worden ist, meint aber, das Gewicht der Persönlichkeitsverletzung sei dadurch geprägt, dass im Flugblatt eine entpersonalisierte Bezeichnung gewählt wurde, welche eine unmittelbare Gleichstellung des Beschwerdeführers, der (nur) als „Tötungs-Spezialist” bezeichnet wurde, mit einem Mörder nicht vornehme. Auch insoweit legt das Gericht die den Beklagten günstigere Deutungsvariante zu Grunde, also nicht die nach dem Text auch mögliche, zu einer schwer wiegenderen Persönlichkeitsverletzung führende, nach der dem Beschwerdeführer Mord vorgeworfen wird. Für diese zweite Deutungsvariante spricht, dass der Beschwerdeführer auf der Vorderseite des in Frage stehenden Flugblatts namentlich angesprochen und als „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder” charakterisiert worden ist, der seine Tätigkeit auf dem Gelände des Klinikums entfalte. Hierbei ist der Name des Beschwerdeführers auf der Vorderseite durch Einrahmung besonders hervorgehoben. Der optischen Aufmachung wie dem Inhalt nach schließt die auf der Rückseite des Flugblatts verwendete Formulierung „Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums N.” hieran unmittelbar an. Dies legt für den Leser nahe, dass auch dem Beschwerdeführer eine unmittelbare Beteiligung an dem als „Kinder-Mord im Mutterschoß” umschriebenen Geschehen angelastet werden soll. Das Oberlandesgericht hätte diese Deutungsvariante der Abwägung zu Grunde legen müssen. Das ist nicht geschehen.
b) Verfassungsrechtlich zu beanstanden sind auch die weiteren Erwägungen des Gerichts zur Abwägung zwischen dem Schutzanspruch des Persönlichkeitsrechts und der Meinungsfreiheit. Die Begründung des Gerichts dafür, dass den Belangen der Meinungsfreiheit der Vorrang zukomme, erschöpft sich in der Feststellung, eine Schmähkritik liege nicht vor. Das trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht hinreichend Rechnung. Wie erwähnt kann die gegen den Beschwerdeführer gerichtete Äußerung als ein schwer wiegender und gegen ihn persönlich gerichteter Vorwurf verstanden werden. Wird dem Beschwerdeführer in gegen ihn als Einzelperson gerichteter Weise ein „Kinder-Mord im Mutterschoß” vorgehalten, so wird er bereits durch den darin enthaltenen Vorwurf eines moralisch verwerflichen Handelns erheblich in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen.
Es ist den Beklagten zuzumuten, die darin liegende Persönlichkeitsverletzung des Beschwerdeführers mit Wirkung für die Zukunft durch eine Klarstellung zukünftiger Formulierungen auszuräumen, wenn sie ihre Äußerung nicht so gedeutet wissen wollen. Das haben sie nicht getan. Fehlt es an einer Bereitschaft, der Aussage eindeutig einen anderen Inhalt zu geben, besteht kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulässt, darunter auch solche, die zu keiner oder nur einer geringeren Persönlichkeitsverletzung führen (vgl. BVerfG, NJW 2006, S. 207 ≪209≫).
Nicht tragfähig ist ferner die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung des Gerichts, der Beschwerdeführer habe Angriffe gegen ihn selbst veranlasst, indem er sich gegen Begrenzungen der Zahl der in seiner Praxis zulässigen Abtreibungen gewehrt habe und damit als Verfechter eines möglichst ungehinderten Zugangs zu seiner Abtreibungspraxis bekannt geworden sei. In einem Rechtsstaat, der den Bürgern die Verfolgung ihrer Rechte garantiert, darf die Inanspruchnahme von Rechtsschutz nicht zum Anknüpfungspunkt für eine Minderung der Belange des Persönlichkeitsrechts gewählt werden. Davon, dass der Beschwerdeführer die von ihm ausgegangenen Bemühungen zur Abwehr von Begrenzungen der Zahl möglicher Abtreibungen absichtlich in die Öffentlichkeit gebracht habe, ist das Gericht selbst nicht ausgegangen.
Es fehlt deshalb insgesamt an einer tragfähigen Begründung dafür, warum die Belange des Persönlichkeitsrechts hier hinter die Freiheit der Meinungsäußerung zurücktreten sollen.
3. Verfassungsrechtlich nicht tragfähig ist auch die Verneinung des Anspruchs auf Unterlassung des gegen den Beschwerdeführer gerichteten Vergleichs zwischen nationalsozialistischem Holocaust und dem ihm angelasteten „Babycaust”.
Das Gericht schließt sich zur Begründung seiner Auffassung hier weitgehend wörtlich den Erwägungen des schon mehrfach erwähnten Urteils des Bundesgerichtshofs an (BGH, NJW 2000, S. 3421). Das Oberlandesgericht stützt seine rechtliche Bewertung auf die Annahme des Bundesgerichtshofs, der Vergleich enthalte lediglich den Vorwurf, die Abtreibungspraxis stelle eine verwerfliche Massentötung menschlichen Lebens dar. Der Bundesgerichtshof hat sich bei dieser Einordnung insbesondere auf den von ihm in seiner zwischenzeitlich aufgehobenen Entscheidung vom 16. Juni 1998 (BGHZ 139, 95) aufgestellten Auslegungsgrundsatz gestützt, wonach bei mehrdeutigen Äußerungen von der dem Äußernden günstigeren Deutung auszugehen sei. Dies trifft nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für Unterlassungsansprüche nicht zu.
Die Äußerung der Beklagten zum Vergleich von Holocaust und „Babycaust” war mehrdeutig. Sie konnte auch im Sinne einer unmittelbaren Gleichsetzung von nationalsozialistischem Holocaust und der als „Babycaust” umschriebenen Tätigkeit des Beschwerdeführers verstanden werden. Dass auch dieses Verständnis nicht zwingend ist, bleibt unbeachtlich, wenn – wie vorliegend – allein ein gegen den Äußernden gerichteter Unterlassungsanspruch in Frage steht.
4. Die angegriffene Entscheidung beruht auf den festgestellten Verfassungsverstößen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 5 Abs. 1 GG für die Deutung und Abwägung ergebenden Anforderungen zu anderen Ergebnissen gekommen wäre. Die Sache ist an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückzuverweisen.
III.
In den Verfahren 1 BvR 49/00 und 1 BvR 50/00 hat der Freistaat Bayern den Beschwerdeführern zu 1 und 2 die Hälfte der notwendigen Auslagen gemäß § 34 a Abs. 2 BVerfGG zu erstatten.
Im Verfahren 1 BvR 2031/00 sind dem Beschwerdeführer zu 3 nach § 34 a Abs. 2 BVerfGG zwei Drittel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Verfassungsbeschwerde war im Hinblick auf zwei von drei Äußerungen erfolgreich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen