Verfahrensgang
OVG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 19.09.2009; Aktenzeichen 3 M 155/09) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigen sich zugleich die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht gegeben ist. Ihnen kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer angezeigt.
1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer zu 1. als einen an der Bundestagswahl beteiligten Kreisverband einer Partei nicht in seinem durch Art. 21 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung im Bundestagswahlkampf. Das Oberverwaltungsgericht hat unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts den Antrag des Beschwerdeführers zu 1. auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Untersagungsverfügung des Landkreises U., im dortigen Gebiet bestimmte Wahlplakate zu verwenden, abgelehnt. Die Wahlplakate tragen die Aufschrift „Polen-Invasion stoppen!” und sind versehen mit einer graphischen Darstellung von drei Krähen im Zusammenhang mit einem Bündel Euro-Geldscheine, nach dem eine der Krähen mit dem Schnabel pickt.
a) Die textliche und bildliche Aussage auf den Wahlplakaten stellt ungeachtet ihres möglichen ehrverletzenden Gehalts ein vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasstes Werturteil dar. Diese Verfassungsnorm gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪289≫). Jedermann hat insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Juli 1992 – 2 BvR 1802/91 –, NJW 1992, S. 2750). Dass eine Aussage scharf und übersteigert formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪7 f.≫; 93, 266 ≪289≫).
b) Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt unter anderem im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht. Die Untersagungsverfügung wurde auf § 13 SOG M-V gestützt. Danach haben die Ordnungsbehörden und die Polizei im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.
Das Vorliegen einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit wurde hier mit einem Verstoß gegen § 130 StGB begründet. Bei § 130 StGB handelt es sich um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, das dem Schutz der Menschlichkeit dient und seinen verfassungsrechtlichen Rückhalt letztlich in Art. 1 Abs. 1 GG findet (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪251≫).
c) Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB insbesondere die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪292≫; 94, 1 ≪8≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. September 2000 – 1 BvR 1056/95 –, NJW 2001, S. 61 ≪62≫).
aa) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist (vgl. BVerfGE 94, 1 ≪9≫). Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪295≫). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Der objektive Sinn wird vielmehr auch vom Kontext und den Begleitumständen der Äußerung bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪295≫). Die Notwendigkeit der Berücksichtigung begleitender Umstände ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Formulierung – wie hier – ersichtlich ein Anliegen nur in schlagwortartiger Form zusammenfasst (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. Dezember 2007 – 1 BvR 3041/07 –, juris).
bb) Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen (vgl. BVerfGE 82, 43 ≪52≫; 85, 1 ≪13 f.≫; 93, 266 ≪295 f.≫; 94, 1 ≪9≫; 114, 339 ≪349≫; stRspr). Gründe dieser Art können sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Äußerung gefallen ist (vgl. BVerfGE 82, 43 ≪52≫). Frühere eigene Kundgebungen kommen in Betracht, wenn zu ihnen ein eindeutiger Bezug hergestellt wird (vgl. BVerfGE 82, 43 ≪52 f.≫).
cc) Die Wahrung der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit erfordert im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des einfachen Rechts zudem regelmäßig eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsguts. Das Ergebnis dieser Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 –, juris).
d) Gemessen hieran begegnet die Auslegung und Anwendung des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch das Oberverwaltungsgericht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
aa) Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, das in der Verwendung der Wahlplakate einen Angriff auf die Menschenwürde der in Deutschland lebenden Bevölkerungsgruppe der Polen sieht, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Ein solcher Angriff auf die Menschenwürde liegt nach dem – verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. September 2000 – 1 BvR 1056/95 –, NJW 2001, S. 61 ≪63≫) und vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegten – Normverständnis des Bundesgerichtshofs vor, wenn den angegriffenen Personen ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten abgesprochen und sie als minderwertige Wesen behandelt werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 1994 – 1 StR 179/93 –, NStZ 1994, S. 390).
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Oberverwaltungsgericht im Rahmen einer Gesamtwürdigung von textlicher und bildlicher Ausgestaltung der Wahlplakate willkürfrei angenommen. Insbesondere ist es nicht abwegig, sondern liegt nahe, in der Kombination von Bild und Text einen Vergleich der in Deutschland lebenden Polen mit krähenartigen Vögeln, „die sich über Geld hermachen”, und hierdurch die oben genannten Voraussetzungen eines Angriffs auf die Menschenwürde erfüllt zu sehen.
Das Oberverwaltungsgericht hat der ihm obliegenden Tatsachenwürdigung die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Ermittlung des objektiven Sinngehalts und Behandlung mehrdeutiger Äußerungen zugrunde gelegt.
bb) Es ist auch nicht fern liegend, anzunehmen, dass die Verwendung der Wahlplakate geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören, zumal es nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts in der Bevölkerung des Landkreises U. Proteste gegen die Plakate gegeben hatte. Insoweit genügt es nach dem vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegten Normverständnis des Bundesgerichtshofs, dass berechtigte Gründe für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern, sei es auch nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die er sich richtet (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 4 StR 283/05 –, NStZ-RR 2006, S. 305 ≪306≫).
cc) Auch die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur inneren Tatseite begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
dd) Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht bei der Entscheidung, ob der von ihm ohne Willkür angenommene Verstoß gegen § 130 StGB die Untersagungsverfügung nach § 13 SOG M-V rechtfertigt, auch eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsguts vorgenommen und ist zu dem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt, dass die ordnungsrechtliche Berechtigung zum staatlichen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht zurückzustehen hat. Da die Menschenwürde im Verhältnis zur Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293≫), können die Belange der Meinungsfreiheit nach Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht mehr berücksichtigt werden. Diesen die Belange der Meinungsfreiheit verdrängenden Effekt müssen die Gerichte beachten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. März 2008 – 1 BvR 1753/03 –, NJW 2008, S. 2907 ≪2909≫).
2. Aus denselben Gründen verletzt der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts auch den Beschwerdeführer zu 2. als Direktkandidaten und Vorsitzenden des Beschwerdeführers zu 1. nicht in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung im Wahlkampf. Es kann daher dahinstehen, ob die nur hilfsweise erhobene Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2. überhaupt zulässig ist.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
4. Durch die Nichtannahme erledigen sich die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen
NJW 2009, 3503 |
DÖV 2009, 956 |
JA 2010, 234 |