1. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Nürnberg/Fürth vom 30. März 1992 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Auslöser für die Tat des Beschwerdeführers, dem der psychiatrische Sachverständige bei gewissen Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen und im Zusammenhang mit der Akzeptanz von Regeln des sozialen Zusammenlebens volle Schuldfähigkeit bescheinigte, war der Umstand, daß sich seine damalige Lebensgefährtin von ihm ab- und einem anderen Mann, dem späteren Tatopfer, zugewandt hatte. Die Freiheitsstrafe verbüßt der Beschwerdeführer zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Straubing; zwei Drittel der Strafe waren am 6. Mai 1998 verbüßt; das Strafende ist für den 6. Mai 2002 vorgemerkt.
2. a) Mit Beschluß vom 27. Juli 1998 lehnte die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzung zur Bewährung ab, weil das Vollzugsverhalten des Beschwerdeführers nicht beanstandungsfrei sei, Vollzugslockerungen nicht gewährt worden seien und bis auf den Besuch eines ehrenamtlichen Betreuers keine sozialen Kontakte nach außen bestünden. Außerdem hätten drei längerfristige Freiheitsstrafen – zuletzt im Jahre 1987 – gegen ihn bereits vollständig vollstreckt werden müssen.
b) Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 28. August 1998 als unbegründet. Es könne nicht in erhöhtem Maße als wahrscheinlich angesehen werden, daß es zu keiner Wiederholungstat komme. Ein Strafeindruck sei beim Beschwerdeführer, dem durch das Tatgericht bei der Begehung des ihm zur Last gelegten Totschlags erhebliche kriminelle Energie bescheinigt worden sei, nicht erkennbar; ferner sei sein Vollzugsverhalten nicht einwandfrei. Außerdem hätten drei längerfristige Freiheitsstrafen – wenn auch nicht wegen einschlägiger Delikte – gegen ihn bereits vollständig vollstreckt werden müssen.
c) Eine gegen diese Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluß vom 3. März 1999 – 2 BvR 1768/98 – nicht zur Entscheidung an.
3. a) Die Strafvollstreckungskammer lehnte mit Beschluß vom 20. Mai 1999 erneut die von dem Beschwerdeführer beantragte Strafaussetzung zur Bewährung ab und bezog sich zur Begründung auf die “nach wie vor zutreffenden Gründe” der Entscheidungen der Kammer und des Oberlandesgerichts im vorangegangenen Prüfungsverfahren. Auch nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Anhörung habe sich seit der Entscheidung des Oberlandesgerichts nichts geändert. Eine irgendwie geartete Wahrscheinlichkeit, daß der Verurteilte keine neuen Straftaten mehr begehen werde, sei nicht ersichtlich.
b) Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 29. Juni 1999 als unbegründet. Bei einer solchen Vortat, wie sie der Beschwerdeführer begangen habe, könne eine Strafaussetzung nur verantwortet werden, wenn es in erhöhtem Maße als wahrscheinlich anzusehen wäre, daß es zu keiner Wiederholungstat mehr komme. Dies sei aber nicht der Fall. Umstände, die in einer Gesamtschau das Aussetzungsrisiko vertretbar erscheinen ließen, könne der Senat nicht erkennen. Das von der Justizvollzugsanstalt bescheinigte beanstandungslose Verhalten des Beschwerdeführers im Vollzug sei ebenso wie der Umstand, daß er seiner Arbeitspflicht nachkomme, für diese Prognose weitgehend ohne Bedeutung. Dem Beschwerdeführer seien bislang keine Vollzugslockerungen gewährt worden, so daß auch nicht erkennbar sei, ob sich die Wahrscheinlichkeit zukünftigen straffreien Verhaltens verbessert habe. Auch die weitere strafrechtliche Vergangenheit des Verurteilten, der sich durch frühere Strafvollstreckungen nicht zu einem straffreien Leben habe anhalten lassen, spreche gegen die Verantwortbarkeit einer Aussetzung. Auch sei der Senat der Überzeugung, daß sich Konfliktsituationen, wie sie der von dem Beschwerdeführer begangenen Tat zugrundegelegen hätten, jederzeit in Freiheit wiederholen könnten.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG), die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 2 GG.
1. Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 104 Abs. 1 und 2 GG) darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪307≫). Daraus ergeben sich für die Strafgerichte Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung, die nicht nur im strafprozessualen Hauptverfahren, sondern auch bei den im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten sind. Sie setzen unter anderem Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage richterlicher Entscheidungen. Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, daß Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE a. a. O.).
2. Um eine diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegende Entscheidung im strafprozessualen Vollstreckungsverfahren handelt es sich, wenn darüber zu befinden ist, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird.
a) Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn zwei Drittel der verhängten Strafe verbüßt sind, der Verurteilte einwilligt und dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB sind bei der danach anstehenden Prüfung, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, namentlich seine Persönlichkeit, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Damit ist den Strafvollstreckungsrichtern eine prognostische Gesamtwürdigung abverlangt.
b) Bei der nach § 57 Abs. 1 StGB zu treffenden Entscheidung handelt es sich zunächst um die Auslegung und Anwendung von Gesetzesrecht, die Sache der Strafgerichte ist. Sie wird vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin nachgeprüft, ob das Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts – hier insbesondere des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 2 GG verbürgten Freiheitsrechts – verkannt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 72, 105 ≪113 ff.≫).
Die aus dem Freiheitsrecht abzuleitenden Anforderungen an die richterliche Aufklärungspflicht richten sich insbesondere an die Prognoseentscheidung. Für ihre tatsächlichen Grundlagen gilt von Verfassungs wegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Es verlangt, daß der Richter die Grundlagen seiner Prognose selbständig bewertet, verbietet mithin, daß er die Bewertung einer anderen Stelle überläßt. Darüber hinaus fordert es vom Richter, daß er sich ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschafft (vgl. BVerfGE a. a. O. S. 310 f.; ferner Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1997 – 2 BvR 517/97 –, in JURIS veröffentlicht).
3. Diesem Maßstab genügen die angegriffenen Beschlüsse nicht.
Beide Vollstreckungsgerichte vernachlässigen die Auseinandersetzung mit der Frage, ob von dem Beschwerdeführer zum jetzigen Zeitpunkt noch die Begehung rechtswidriger Taten droht, in einer Weise, die dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers nicht die hinreichende Beachtung schenkt.
a) Das Landgericht stützt die Annahme seiner negativen Sozialprognose allein auf die nach wie vor zutreffenden Gründe zweier vorangegangener Entscheidungen, mit denen dem Beschwerdeführer fast acht bzw. neun Monate vorher Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden war. Dabei übersieht es den Umstand, daß sich gegenüber der Entscheidung aus dem Jahre 1998 Änderungen ergeben haben, die bei der Entscheidung hätten berücksichtigt werden müssen. Wenn die Strafvollstreckungskammer nicht darauf eingeht, daß dem Beschwerdeführer jetzt beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug bescheinigt worden ist, hat sie entweder den dadurch begründeten Widerspruch zur gegenteiligen Feststellung in der früheren Entscheidung übersehen oder – wie auch das Oberlandesgericht – dem Umstand für die Entscheidung keine Bedeutung beigemessen. In jedem Fall aber hat sie damit Gesichtspunkte außer Betracht gelassen, die gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB als “Verhalten im Vollzug” bei der prognostischen Gesamtwürdigung nicht außer Betracht gelassen werden durften.
b) Das Oberlandesgericht hat seine Feststellung, es sei nicht in erhöhtem Maß als wahrscheinlich anzusehen, daß es zu keiner Wiederholungstat des Beschwerdeführers mehr komme, ebenfalls nicht ausreichend mit Tatsachen und nachvollziehbaren Erwägungen belegt.
Es ist zwar verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Gericht mit Blick auf die im einzelnen dargelegten Umstände der von dem Beschwerdeführer begangenen Tat grundsätzlich davon ausgeht, daß seine Entlassung nur in Betracht kommt, wenn eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für künftige Straffreiheit besteht. Bereits vor der Änderung des § 57 Abs. 1 StGB durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 ( BGBl I S. 160) bestand in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit, daß bei Tätern, die besonders gefährliche Taten begangen haben, der Versuch, sie probeweise zu entlassen, weniger leicht zu verantworten sei als bei anderen Verurteilten (vgl. KG, JR 1970, S. 428; OLG Düsseldorf, NJW 1973, S. 2255; ferner: Stree in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 57, Rn. 16 m. w. N.). Insoweit ist auch die Ansicht der Strafvollstreckungsgerichte, es handele sich bei der gesetzlichen Änderung lediglich um eine Klarstellung, daß es von dem Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit abhänge, welches Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Aussetzung des Strafrestes zu fordern sei, verfassungsrechtlich unbedenklich.
Verfassungsrechtlich zu beanstanden jedoch sind die Erwägungen, mit denen das Oberlandesgericht im konkreten Fall eine belegbare Chance dafür, daß sich der Beschwerdeführer in Freiheit bewähren werde, verneint. Es beschränkt sich bei seiner Würdigung im wesentlichen auf eine starke Gewichtung der die Tat des Beschwerdeführers begleitenden Umstände und seiner strafrechtlichen Vorvergangenheit, ohne konkret auf die entscheidende Frage einzugehen, ob und wenn ja welche Gefahren von dem Beschwerdeführer heute noch – mehr als neun Jahre nach dem Beginn der Freiheitsentziehung – ausgehen. Zwar gibt es – auch von Verfassungs wegen – keine festen Regeln darüber, welchen der in § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Umstände Vorrang vor anderen einzuräumen wären. Doch läßt sich festhalten, daß bei einem lang dauernden Vollzug von Strafe den Umständen der Tat nur noch eine eingeschränkte Aussagekraft zukommen kann; mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung gewinnen dagegen die Umstände für die Prognose an Bedeutung, die – wie das Verhalten im Vollzug oder die augenblicklichen Lebensverhältnisse des Verurteilten – Erkenntnisse über das Erreichen des Vollzugsziels gemäß § 2 StVollzG und damit wichtige Informationen für die Kriminalprognose vermitteln.
Mit diesen Grundsätzen ist es nicht in Einklang zu bringen, daß für das Oberlandesgericht das von der Justizvollzugsanstalt bescheinigte beanstandungslose Verhalten des Beschwerdeführers im Vollzug ebenso wie die Erfüllung der Arbeitspflicht weitgehend ohne Bedeutung sind. Es zeigt deutlich auf, daß das Gericht sich bei seiner Beurteilung einseitig von den die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers in der Vergangenheit prägenden Umständen hat leiten lassen und deshalb nicht zu einer auf einer umfassenden Tatsachengrundlage beruhenden realen Einschätzung der von dem Beschwerdeführer heute ausgehenden Gefahren gelangt ist. Solche Schlußfolgerungen setzen regelmäßig differenzierte Erkenntnisse über die Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen und deren Entwicklung im Vollzug voraus, die darüber hinaus meist nur mit Hilfe eines Sachverständigen zu gewinnen sein werden. Fehlen wie in dem den Beschwerdeführer verurteilenden Erkenntnis des Landgerichts eingehende Ausführungen zu den die Tat auslösenden psychischen Faktoren und ihrer dauerhaften Verankerung in der Persönlichkeit des Täters und verfügt das Gericht – wie auch das Oberlandesgericht – auch sonst über solche Informationen nicht, fehlt einer darauf gestützten Sozialprognose insoweit die Überzeugungskraft. Dies gilt im konkreten Fall um so mehr, als der in der Hauptverhandlung gehörte psychiatrische Sachverständige dem seelisch gesunden Beschwerdeführer uneingeschränkte Schuldfähigkeit bescheinigt und auch ansonsten – abgesehen von gewissen Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen und im Zusammenhang mit Regeln des sozialen Zusammenlebens – keine Besonderheiten festgestellt hat.
Auch soweit das Oberlandesgericht zur weiteren Begründung das bloße Fehlen von Vollzugslockerungen anführt, ist dies nicht unbedenklich. Zwar wird – wie das Oberlandesgericht zu Recht ausführt – die Basis der prognostischen Beurteilung schmaler, wenn dem Gefangenen keine Vollzugslockerungen gewährt werden. Doch darf sich ein Vollstreckungsgericht nicht mit dem Hinweis auf die dadurch begrenzte Tatsachengrundlage begnügen; es hat vielmehr im Sinne der von Verfassungs wegen gebotenen umfänglichen Sachaufklärung auch danach zu fragen, aus welchen Gründen Vollzugslockerungen bisher versagt worden sind (vgl. Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1998, NJW 1998, S. 2202). Nur wenn sich herausstellt, daß die Versagung auf einer tragfähigen Begründung beruht, darf auch die Nichtgewährung von Lockerungen in vollem Umfang zum Nachteil des Beschwerdeführers verwertet werden. Fehlen dagegen trotz Hinweisen auf die Versagung von Lockerungen Ausführungen zu den tragenden Gründen, ist dies ein Anhaltspunkt für eine nicht auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhende Entscheidung.
c) Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben, die Sache ist an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.