Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob der rückwirkende Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit eines Kindes infolge erfolgreicher Anfechtung der Vaterschaft (§ 1599 BGB) eine nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit ist.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist im Juni 1998 in Hamburg geboren. Seine Mutter besitzt die albanische Staatsangehörigkeit und war zum Zeitpunkt seiner Geburt seit dem 26. August 1997 mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Mit rechtskräftigem Urteil vom 17. November 1999 gab das Amtsgericht Hamburg der Vaterschaftsanfechtungsklage des Ehemannes der Mutter statt und stellte fest, dass der Beschwerdeführer nicht von diesem abstammt. Die Ehe wurde kurz darauf geschieden.
Mit Verfügung vom 30. November 2000 zog die Freie und Hansestadt Hamburg, da der Beschwerdeführer nicht mehr im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit sei, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung seinen Kinderausweis ein. Nachdem der Beschwerdeführer sich vergeblich um Eilrechtsschutz hiergegen bemüht hatte, erhob er Klage auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit. Er machte geltend, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG erworben habe, da er während der Ehe seiner Mutter mit einem deutschen Staatsangehörigen geboren sei. Seine deutsche Staatsangehörigkeit habe er auch nicht infolge des auf die Anfechtung der Vaterschaft hin ergangenen Urteils wieder verloren. Einer solchen Rechtsfolge stehe Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG entgegen. Das Verwaltungsgericht wies mit dem angegriffenen Urteil die Klage ab. Art. 16 Abs. 1 GG schütze die durch Geburt erworbene Staatsangehörigkeit nur, soweit und solange die von § 4 Abs. 1 StAG geforderten Erwerbsvoraussetzungen vorlägen und insbesondere nicht durch eine erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft nachträglich rückwirkend entfielen.
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg; auch das Oberverwaltungsgericht (InfAuslR 2004, S. 398 ff.) verneinte eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 1 GG. Der Beschwerdeführer habe die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG in der zum Zeitpunkt seiner Geburt gültigen Fassung nicht erworben, weil es an der Voraussetzung der deutschen Staatsangehörigkeit eines Elternteils fehle. Der geschiedene Ehemann der Mutter, von dem der Beschwerdeführer seinen Staatsangehörigkeitserwerb ableite, sei nicht Elternteil im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG, weil mit der erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft gemäß § 1599 Abs. 1 BGB in der Fassung des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16. Dezember 1997 das Kindschaftsverhältnis zu diesem mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Beschwerdeführers entfallen sei. Dies bedeute, dass die Erwerbsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG für den Beschwerdeführer schon im Zeitpunkt der Geburt nicht vorgelegen hätten. Die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung führe somit weder zu einer Entziehung noch zu einem Verlust einer erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 GG, sondern zu der Feststellung ex post, dass ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit in Wahrheit nicht stattgefunden habe. Der Beschwerdeführer habe zwar – aus der Sicht ex ante – zunächst die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG erworben. Bis zur rechtskräftigen Feststellung der fehlenden Vaterschaft sei auch der Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG eröffnet gewesen. Mit der erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft sei der geschützte Status aber entfallen. Mit der Schwäche, dass er mit der Feststellung fehlender biologischer Abstammung hinfällig werde, sei dieser nur vorläufige Status von vornherein behaftet; die deutsche Staatsangehörigkeit sei daher, solange die Vaterschaft angefochten werden könne, nicht vollgültig erworben.Verwirkliche sich diese immanente Wirksamkeitsschwäche, so sei der Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG nicht berührt.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts. Da der Beschwerdeführer die deutsche Staatsangehörigkeit mit der Geburt erworben habe, stelle der anfechtungsbedingte Fortfall dieser Staatsangehörigkeit eine grundgesetzwidrige Entziehung dar. Eine Einteilung von Erwerbsfällen in durch Art. 16 GG geschützte „vollgültige” und nicht geschützte „nicht vollgültige” sei weder einfachgesetzlich noch in der Verfassung vorgesehen. Ein lediglich bedingter Staatsangehörigkeitserwerb und eine Staatsangehörigkeit zweiter Klasse seien dem deutschen Recht fremd.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), liegen nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) nicht zu (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 f.≫; 96, 245 ≪248≫). Die aufgeworfene verfassungsrechtliche Frage kann für den hier zu entscheidenden Fall anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 – www.bverfg.de = NVwZ 2006, S. 807 ff.) beantwortet werden.
Es ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen; denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
2. Die geltend gemachte Verletzung von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG liegt nicht vor.
Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden. Dieses Verbot gilt ausnahmslos; der vorliegende Fall unterfällt ihm jedoch nicht.
a) Es handelt sich zwar bei der Rechtsfolge, die sich aus der erfolgreichen Anfechtung einer Vaterschaft für die Staatsangehörigkeit des betroffenen Kindes ergibt, wenn dieses seine deutsche Staatsangehörigkeit allein vom Anfechtungskläger herleitet, um einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, der an Art. 16 Abs. 1 GG zu messen ist. Denn die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft, an der der Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes hängt, beseitigt eine zuvor bestehende deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes und nicht etwa, wie vereinzelt angenommen worden ist (vgl. VG Gießen, Urteil vom 8. November 1999 – 10 E 960/99 – juris, Rn. 17), nur den Schein einer solchen.
Im zeitlichen Anwendungsbereich der geltenden Fassung des § 1592 BGB, die mit dem Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (vom 16. Dezember 1997, BGBl I S. 2942) am 1. Juli 1998 in Kraft getreten ist, ergibt sich dies bereits aus dem klaren Wortlaut der maßgebenden einfachgesetzlichen Vorschriften. Nach § 1592 Nr. 1 BGB ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes mit dessen Mutter verheiratet ist, Vater dieses Kindes. Bis zur Rechtskraft eines etwaigen auf Anfechtung hin ergehenden Urteils, in dem das Nichtbestehen der Vaterschaft festgestellt wird, besteht danach im Rechtssinne die Vaterschaft – nicht nur der Rechtsschein einer Vaterschaft – des zum Geburtszeitpunkt mit der Kindesmutter verheirateten Mannes auch dann, wenn dies dem tatsächlichen biologischen Abstammungsverhältnis nicht entspricht. Haftet demnach der in dieser Weise bestimmten Vaterschaft als Vaterschaft im Rechtssinne kein Scheincharakter an, so kann schon aus diesem Grund auch die nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG oder des § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG von ihr abgeleitete deutsche Staatsangehörigkeit keine bloße Schein-Staatsangehörigkeit sein.
Im Falle eines Kindes, das vor dem 1. Juli 1998 geboren ist und für das daher hinsichtlich der Vaterschaft das vor diesem Datum geltende Kindschaftsrecht anzuwenden ist (Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB), gilt jedenfalls hinsichtlich der Staatsangehörigkeit im Ergebnis nichts anderes. Nach dem insoweit noch maßgeblichen früheren Recht gründet sich zwar die Ehelichkeit des in der Ehe geborenen Kindes und demgemäß auch die Vaterschaft für dieses Kind auf Rechtsvermutungen (siehe insbesondere § 1591 Abs. 2 BGB a.F.; näher Mutschler, in: Münchener Kommentar, BGB, Bd. 8, 3. Aufl. 1992, Rn. 16 ff. zu §§ 1591, 1592; Böckermann, in: BGB-RGRK, Bd. IV/3, 12. Aufl. 1999, Rn. 3 ff. zu §§ 1591, 1592). Daraus folgt jedoch nicht, dass eine deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes, soweit sie auf dieser Vaterschaft beruht, mit einem unter Umständen fiktiven Charakter der zugrundeliegenden Vermutungen mittelbar infiziert und insoweit selbst als nur scheinbare dem Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG von vornherein entzogen wäre. Mit der rechtskräftigen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft soll eine auf ihr beruhende deutsche Staatsangehörigkeit entfallen, von der nach den maßgebenden einfachgesetzlichen Vorschriften zunächst auszugehen war. Jedenfalls aus der verfassungsrechtlich maßgeblichen Perspektive (vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 – www.bverfg.de, Rn. 54 = NVwZ 2006, S. 807 ≪809 f.≫) handelt es sich daher um einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, der dem Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG unterfällt (vgl. auch Silagi, IPRax 1986, S. 291).
b) Der Staatsangehörigkeitsverlust, von dem der Beschwerdeführer aufgrund der getroffenen gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft des (früheren) Ehemannes seiner Mutter betroffen ist, stellt jedoch keine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit dar.
aa) Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung das Elternschaftsverhältnis und damit die rechtliche Voraussetzung des Staatsangehörigkeitserwerbs mit Rückwirkung (vgl. BGHZ 57, 229 ≪235≫; 158, 74 ≪79≫) beseitigt. Nach der für den 1998 geborenen Beschwerdeführer anwendbaren Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG (jetzt § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG) erwirbt ein Kind durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Hat ein Kind gemäß dieser Vorschrift in Verbindung mit den für die Elternschaft maßgebenden zivilrechtlichen Bestimmungen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, so ist es gegen den Verlust dieser Staatsangehörigkeit nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 1 GG geschützt. Gesetzliche Vorschriften oder sonstige Rechtsakte, die eine einmal wirksam erworbene deutsche Staatsangehörigkeit in Wegfall zu bringen beanspruchen, entgehen der Prüfung am Maßstab des Art. 16 Abs. 1 GG nicht dadurch, dass der Wegfall rückwirkend zum Erwerbszeitpunkt vorgesehen ist und die Staatsangehörigkeit danach von einem ex-post-Standpunkt aus als nie erworben erscheint (vgl. Urteil vom 24. Mai 2006, a.a.O., Rn. 54 = NVwZ 2006, S. 807 ≪809 f.≫).
bb) Ein einfachgesetzlich vorgesehener Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit fällt aus dem Anwendungsbereich des Entziehungsbegriffs auch nicht deshalb heraus, weil der Erwerb der Staatsangehörigkeit durch einfachgesetzliche Regelungen, die unter bestimmten Voraussetzungen zu dem Wegfall führen, unter einen Vorbehalt gestellt wäre, der ohne weiteres auch die Reichweite des Entziehungsverbots nach Art. 16 Abs. 1 GG entsprechend begrenzte. Es entspricht allerdings allgemeiner Rechtsüberzeugung, wenn das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG, der den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit an die Abstammung von einem Elternteil mit deutscher Staatsangehörigkeit knüpft, im Zusammenwirken mit den gesetzlichen Vorschriften über die Vaterschaftsanfechtung, die das Kindschaftsverhältnis anerkanntermaßen mit Rückwirkung beseitigen, den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit unter den Vorbehalt stellt, dass die Vaterschaft nicht erfolgreich angefochten wird (vgl. Anlage 1 Nr. 2 zur Denkschrift zum Europäischen Übereinkommen vom 6. November 1997 über die Staatsangehörigkeit, BTDrucks 15/2145, S. 31). Das Oberverwaltungsgericht hat insoweit im Rahmen der fachgerichtlichen Primärzuständigkeit für die Auslegung des einfachen Rechts (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫) die einfachgesetzlichen Grundlagen für den Staatsangehörigkeitsverlust festgestellt, gegen den der Beschwerdeführer sich wendet. Der Vorbehalt, unter den danach der Staatsangehörigkeitserwerb gestellt ist, führt jedoch nicht dazu, dass der anfechtungsbedingte Verlust aus dem Anwendungsbereich des Verbots der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit herausfiele. Die Reichweite des Entziehungsverbots wird nicht durch einfachgesetzliche Regelungen begrenzt, die zu einem Wegfall der Staatsangehörigkeit führen; vielmehr bestimmt umgekehrt das Entziehungsverbot die Grenzen der Zulässigkeit solcher Regelungen.
c) Diese Grenzen sind jedoch hier nicht überschritten.
Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ist jede und nur die Verlustzufügung, die die Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt (vgl. Urteil vom 24. Mai 2006, a.a.O., Rn. 49 = NVwZ 2006, S. 807 ≪809≫).
Der Wegfall der Staatsangehörigkeit, der als Rechtsfolge eintritt, wenn ein Gericht auf Anfechtung hin das Nichtbestehen der Vaterschaft feststellt, von der ein Kind den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ableitet, stellt eine solche Beeinträchtigung jedenfalls dann nicht dar, wenn das betroffene Kind sich in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt haben.
aa) Die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ordnen, was die Vaterschaft angeht, das in einer Ehe geborene Kind grundsätzlich dem Ehemann der Mutter zu, eröffnen aber mit den Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft die Möglichkeit einer rückwirkenden Beseitigung dieses Kindschaftsverhältnisses (vgl. Wellenhofer-Klein, in: Münchener Kommentar, BGB, 2002, § 1599 Rn. 19 f.; Staudinger/Rauscher, BGB, 2004, § 1599 Rn. 3, 25, 43) mit Wirkung für und gegen alle (§ 640 h Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Bestimmungen über die Anfechtung der Vaterschaft ermöglichen in diesem familienrechtlichen Zusammenhang eine Korrektur der kindschaftsrechtlichen Zuordnung des in einer Ehe geborenen Kindes dort und nur dort, wo sie dem biologischen Abstammungsverhältnis nicht entspricht; sie sind allgemeiner Natur, frei von irgendeinem diskriminierenden Gehalt und betreffen in ihren Auswirkungen die Staatsangehörigkeit – soweit diese überhaupt betroffen ist – nur als eines von vielen an die Elternschaft anknüpfenden Rechtsverhältnissen. Die Verbindung, die das Staatsangehörigkeitsrecht zu diesen Regelungen mittelbar herstellt, indem es, seinerseits diskriminierungsfrei, den Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit an die deutsche Staatsangehörigkeit mindestens eines Elternteils knüpft, läuft von daher dem Sinn und Zweck des Entziehungsverbots des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. Urteil vom 24. Mai 2006, a.a.O., Rn. 36 ff., 49) nicht zuwider. Insbesondere wird die für die Integrationsfunktion der Staatsangehörigkeit zentrale gesicherte Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus aller Staatsangehörigen in keiner Weise in Frage gestellt.
Im Ergebnis ist denn auch, bei im Einzelnen unterschiedlichen Begründungen, in der fachgerichtlichen Rechtsprechung unumstritten und wird auch in der Literatur ganz überwiegend angenommen, dass der Wegfall der Staatsangehörigkeit, der als Folge rechtskräftiger Feststellung des Nichtbestehens der die Staatsangehörigkeit vermittelnden Vaterschaft eintritt, grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet (vgl. neben den hier angegriffenen Entscheidungen: VG Düsseldorf, NJW 1986, S. 676 ≪677≫; VG Gießen, Urteil vom 8. November 1999 – 10 E 960/99 – juris, Rn. 17 f.; OVG Hamburg, NordÖR 2003, S. 213 ≪214≫; VG Berlin, Urteil vom 27. Februar 2003 – 29 A 237.02 – juris, Rn. 44; OVG Sachsen-Anhalt, InfAuslR 2006, S. 56 ≪57≫; Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Stand Dezember 1997, Art. 16 GG Rn. 8; Marx, GK-StAR, Stand Mai 2006, § 4 Rn. 27 und 149.1 ff.; zweifelnd Silagi, IPRax 1986, S. 291 ≪292≫).
bb) Eine Beeinträchtigung der deutschen Staatsangehörigkeit in ihrer Bedeutung als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit kommt nicht in Betracht, wenn Staatsangehörige in einem Alter, in dem sie normalerweise noch kein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt haben, nach Maßgabe der geltenden einfachgesetzlichen Vorschriften von einem durch erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung bedingten Wegfall der Staatsangehörigkeit betroffen werden oder betroffen werden können.
So verhält es sich im Fall des Beschwerdeführers, der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft des damaligen Ehemannes seiner Mutter etwa eineinhalb Jahre alt war. Bei dieser Ausgangslage ist der Grundsatz, wonach es darauf ankommt, ob der Betroffene selbst den Verlust der Staatsangehörigkeit beeinflussen kann, zwangsläufig nicht anwendbar.
Die geltenden einfachgesetzlichen Bestimmungen schließen allerdings einen durch erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft bedingten Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auch in einem Alter, in dem sich die Frage stellt, ob die Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus beeinträchtigt sein könnte, nicht aus. Die zweijährige Frist für eine Anfechtung der Vaterschaft beginnt erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen (§ 1600 b Abs. 1 Satz 2 BGB), und setzt damit eine Altersgrenze für die Vaterschaftsanfechtung nicht fest.
Eine zeitliche Grenze für den Verlust einer kraft Gesetzes erworbenen Staatsangehörigkeit wegen Nicht(mehr)vorliegens der Erwerbsvoraussetzungen sieht nur das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 (ETS Nr. 166; vgl. Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. November 1997 über die Staatsangehörigkeit, BGBl 2004 II S. 578) vor; es gestattet einen solchen Verlust nur während der Minderjährigkeit des Betroffenen (Art. 7 Abs. 1 Buchstabe f). Zu diesem Übereinkommen, das für die Bundesrepublik Deutschland – nach Ratifikation am 11. Mai 2005 – zum 1. September 2005 in Kraft getreten ist, hat allerdings die Bundesrepublik Deutschland unter anderem einen Vorbehalt betreffend Art. 7 Abs. 1 Buchstabe f erklärt, wonach der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auch nach Eintritt der Volljährigkeit eintreten kann, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht erfüllt waren (http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeDeclarations.asp?NT=166&CM=8&DF=8/22/2006&CL=GER&VL=1).
Auf die Frage, welche Bedeutung diesem Übereinkommen und den dazu erklärten Vorbehalten – die nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 GG gemacht worden sind (vgl. aber den Hinweis in der Denkschrift zum Regierungsentwurf des Gesetzes, BTDrucks 15/2145, S. 22, 31) – im innerstaatlichen Recht zukommt (zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit vgl. BTDrucks 15/2145, S. 22; Kempen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, 2005, Art. 59 Abs. 2 Rn. 95; zur Bedeutung des Art. 59 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit Vorbehalten zu völkerrechtlichen Verträgen vgl. Pernice, in: Dreier, GG Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 59 Rn. 39, m.w.N.), kommt es für die Beurteilung des vorliegenden Falles nicht an. Unabhängig davon, inwieweit Art. 16 Abs. 1 GG dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch gerichtliche Feststellung des Nichtbestehens einer Vaterschaft zeitliche Grenzen setzt und ob das geltende einfache Recht dem ausreichend Rechnung trägt, ist jedenfalls dessen Anwendung in Fällen, die ein Problem der Überschreitung zeitlicher Grenzen des anfechtungsbedingten Staatsangehörigkeitsverlusts offensichtlich nicht aufwerfen, durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG nicht gehindert.
Es gibt keinen Verfassungsgrundsatz, nach dem die Anwendung gesetzlicher Regelungen auch in materiell-verfassungsrechtlich eindeutig unproblematischen Fällen allein deshalb ausgeschlossen wäre oder gesetzliche Regelungen allein deshalb insgesamt verfassungswidrig wären, weil eine verfassungsrechtliche Grenze, die die Anwendung in besonderen Einzelfällen ausschließen kann, nicht durch die Regelungen selbst ausdrücklich bestimmt ist (vgl. auch Urteil vom 24. Mai 2006, a.a.O., Rn. 87 = NVwZ 2006, S. 807 ≪813≫).
cc) In dem derzeitigen Fehlen einer einfachgesetzlichen Regelung, die für den anfechtungsbedingten Wegfall der Staatsangehörigkeit eine Altersgrenze setzt, liegt auch kein Bestimmtheitsmangel, der die zu diesem Wegfall führenden gesetzlichen Vorschriften insgesamt verfassungswidrig und einer verfassungskonform begrenzenden Auslegung im Bedarfsfall unzugänglich machte. Die gesetzlichen Regelungen zur Anfechtung der Vaterschaft (§§ 1599 ff. BGB, §§ 640 ff. ZPO; zur Anwendbarkeit der §§ 1599 ff. BGB n.F. auch auf die Anfechtung in Fällen, in denen die Vaterschaft sich gemäß Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB nach den vor dem 1. Juli 1998 geltenden Vorschriften richtet, s. Art. 224 § 1 Abs. 2 EGBGB) und zu den Voraussetzungen des Geburtserwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit (§ 4 Abs. 1 StAG und zuvor § 4 Abs. 1 RuStAG) weisen weder nach ihrem Wortlaut noch hinsichtlich ihres Zwecks (zur Bedeutung der Erkennbarkeit des Zwecks für die Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung bei grundrechtseingreifenden Vorschriften siehe BVerfGE 107, 104 ≪128 f.≫) eine besondere Unbestimmtheit auf. Die Frage, welche verfassungsrechtlichen Grenzen Art. 16 Abs. 1 GG in Fällen erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des betroffenen Kindes setzt, tritt nur in Fällen auf, in denen das Kind seine deutsche Staatsangehörigkeit ausschließlich vom Vater ableitet. Auch hier stellt sie sich ernsthaft nur in dem – ausweislich der vorliegenden Rechtsprechung atypischen – Fall, in dem die Anfechtung ungeachtet der Zweijahresfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB jenseits eines relativ frühen Kindesalters (vgl. oben c) aa)) erfolgt.
Von dem Fall der Mitbetroffenheit von Kindern durch die Rücknahme einer durch Täuschungshandlungen der Eltern erwirkten Einbürgerung, für den das Bundesverfassungsgericht angesichts wesentlicher ungeregelter Fragen der sachlichen und zeitlichen Reichweite der Rücknehmbarkeit die Notwendigkeit einer spezielleren als der bislang mit § 48 der Landesverwaltungsverfahrensgesetze vorhandenen gesetzlichen Grundlage festgestellt hat (Urteil vom 24. Mai 2006, a.a.O., Rn. 89 = NVwZ 2006, S. 807 ≪813≫), unterscheidet sich die hier vorliegende Fallkonstellation in entscheidenden Hinsichten. Anders als dort ist hier nicht eine ganze Reihe wesentlicher Fragen offen, und es bietet sich nicht eine Vielzahl schon im Ansatz unterschiedlicher möglicher Lösungswege an, zwischen denen auszuwählen und die im Einzelnen auszugestalten Sache des Gesetzgebers ist (vgl. BVerfG, a.a.O.). Anders als bei der Rücknahme von Einbürgerungen nach § 48 der Landesverwaltungsverfahrensgesetze geht es auch nicht um eine den Staatsangehörigkeitsverlust bewirkende Ermessensentscheidung der Verwaltung. Vielmehr liegt hier nach dem oben Ausgeführten nur eine Randunbestimmtheit vor, die bei Bedarf ohne Übergriff in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers im Wege verfassungskonformer Auslegung ausgeräumt werden kann. Die Verfassungskonformität der geltenden Vorschriften und ihrer Anwendung im typischen Fall wird dadurch nicht in Frage gestellt.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
NJW 2007, 425 |
FamRZ 2007, 21 |
NVwZ 2007, 801 |
ZAP 2007, 8 |
FPR 2007, 422 |
InfAuslR 2007, 79 |
JuS 2007, 476 |
ZAR 2007, 150 |
BayVBl. 2007, 175 |
FamRBint 2007, 26 |
NJW-Spezial 2007, 59 |
FuBW 2007, 363 |
FuHe 2007, 334 |