Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 15.11.2006; Aktenzeichen 2 StE 6/05-8 (3)) |
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 02.10.2006; Aktenzeichen III-VI 10/05) |
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 19.09.2006; Aktenzeichen III-VI 10/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Zeugnisverweigerungsrecht eines katholischen Gefängnisseelsorgers.
I.
1. Der Beschwerdeführer, ein – nicht zum Priester geweihter – katholischer Gemeindereferent, ist hauptamtlich als Seelsorger in einer Haftanstalt tätig. In dieses Amt wurde er durch den Erzbischof des Bistums eingesetzt. In seiner Funktion als Seelsorger führte der Beschwerdeführer Gespräche mit dem Untersuchungshäftling Y. Dieser ist angeklagt, in betrügerischer Absicht auf seinen Namen zahlreiche Lebensversicherungen abgeschlossen zu haben, deren Versicherungssummen nach einem vorgetäuschten tödlichen Unfall zunächst an seinen Bruder ausgeschüttet werden sollten, um dann zur Finanzierung des Terrornetzwerks Al Qaeda weitergeleitet zu werden.
Y. befindet sich seit dem 25. Januar 2005 in Untersuchungshaft. Nach Erhebung der Anklage übersandte seine Verteidigerin am 16. Dezember 2005 dem Gericht 22 unfrankierte, jeweils auf den 22. Januar 2005 datierte und an Versicherungsgesellschaften adressierte Briefe, in denen Y. als neuen Bezugsberechtigten ein Tumorforschungszentrum bestimmte. Die Verteidigerin erklärte, ihr Mandant habe die Briefe vor seiner Inhaftierung nicht mehr abschicken können. Weitere Ermittlungen bekräftigten den Verdacht, dass die Briefe erst in der Haftanstalt gefertigt und rückdatiert worden waren.
Da Y. gegenüber Dritten geäußert hatte, „den Pfarrer schon mehrmals um einige Gefallen gebeten” zu haben, wurde der Beschwerdeführer zur Klärung der Frage der Rückdatierung polizeilich vernommen. Dabei berief er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO. Für die Hauptverhandlung erteilte ihm das Generalvikariat, dem er dienstlich unterstellt ist, eine Aussagegenehmigung über solche Tatsachen, von denen er Kenntnis nicht in seiner Eigenschaft als Seelsorger erlangt habe. In der Hauptverhandlung berief sich der Beschwerdeführer hinsichtlich der Fragen, ob er für Y. im Internet Versicherungsadressen recherchiert und für ihn Briefe aus der Haftanstalt herausbefördert habe, erneut auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Nachdem der Beschwerdeführer auf die gerichtlichen Feststellungen, dass ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO hinsichtlich der genannten Fragen nicht zustehe, da die erfragte Tätigkeit keine seelsorgerischen oder klerikalen Belange betreffe, und er nicht – wie von ihm beansprucht – als Berufshelfer im Sinne des § 53 a StPO anzusehen sei, weiterhin das Zeugnis verweigerte, legte ihm das Gericht zunächst die durch seine Weigerung verursachten Kosten auf, verhängte ein Ordnungsgeld und ordnete dann gegen ihn Beugehaft an.
2. Die hiergegen eingelegte Beschwerde verwarf der Bundesgerichtshof als unbegründet. Da der Beschwerdeführer selbständig Tätigkeiten wahrnehme, die zum unmittelbaren Bereich seelsorgerischer Tätigkeit gehörten, habe er über die Ausübung eines etwaigen Zeugnisverweigerungsrechts eigenverantwortlich zu entscheiden und könne sich nicht auf einen Status als Berufshelfer und die Erforderlichkeit einer Entscheidung seines Dienstvorgesetzten berufen. Für seine Einordnung als „Geistlicher” im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO sei sein kirchenrechtlicher Status als Laie unerheblich; maßgeblich sei die Übertragung von Aufgaben der Seelsorge zur selbständigen Wahrnehmung, durch die ein eigenständiges Vertrauensverhältnis zu den betreuten Gefangenen begründet werde. Bei den in Rede stehenden Internetrecherchen handele es sich um eine Tätigkeit des Beschwerdeführers, nicht um Inhalte aus Gesprächen mit einem betreuten Gefangenen. Der Rückschluss, dass die Recherche von Versicherungsadressen Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem Beschwerdeführer und Y. gewesen sei, betreffe ebenfalls keinen Aspekt der Seelsorge, die im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO als „eine von religiösen Motiven und Zielsetzungen getragene Zuwendung, die der Fürsorge für das seelische Wohl des Beistandssuchenden, der Hilfe im Leben oder Glauben benötigt, dient” zu verstehen sei. Ein Zusammenhang eines möglichen Gesprächs über Internetrecherchen mit dem so verstandenen Bereich der Seelsorge erscheine ausgeschlossen, zumal der Beschwerdeführer nicht den Versuch unternommen habe, einen solchen Zusammenhang plausibel zu machen. Das Tatgericht habe nachvollziehbar dargelegt, dass auf die Beantwortung der an den Beschwerdeführer gestellten Frage für die Klärung der Schuld des Y. und seiner Mitangeklagten und für die Strafzumessung nicht verzichtet werden könne.
II.
Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, die Anordnung der Beugehaft und die Nichtabhilfe und Verwerfung seiner hiergegen eingelegten Beschwerde verstießen gegen Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1, Art. 4, Art. 12 und Art. 19 Abs. 4 GG. Die Fachgerichte hätten verkannt, dass er Gespräche mit Y. nur in seiner Eigenschaft als Seelsorger geführt habe und sich solche Gespräche nicht in rein seelsorgerische und nichtseelsorgerische Gesprächsteile aufspalten ließen. Der Schutz des ihm entgegengebrachten Vertrauens sei eine elementare Berufspflicht des Seelsorgers, deren Verletzung eine weitere Berufsausübung beeinträchtige. Als kirchlich bestellter Seelsorger gerate er durch eine Pflicht zur Aussage in Gewissensnöte und sei durch die drohende Verletzung der durch die Kirche auferlegten Verschwiegenheitspflicht in seiner Religionsausübung betroffen. Das Tatgericht habe keine überprüfbaren Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Beugehaft gemacht und damit den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Tatsächlich sei die Anordnung der Beugehaft vor dem Hintergrund der bereits durchgeführten Ermittlungen unverhältnismäßig.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 12 Abs. 1 GG. Anhaltspunkte für die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts bei der Anwendung des Strafprozessrechts durch die Fachgerichte sind nicht hervorgetreten (I.). Die Voraussetzungen eines verfassungsrechtlich gebotenen Zeugnisverweigerungsrechts sind nicht gegeben (II.). Die Anordnung der Beugehaft ist nicht unverhältnismäßig (III.). Ihre Begründung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen (IV.).
I.
Die Auferlegung der Zeugnispflicht, deren Erfüllung die Anordnung der Beugehaft erzwingen soll, verstößt nicht gegen Grundrechte des Beschwerdeführers.
1. Die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften, aus denen sich ein gesetzlicher Grund für die Verweigerung des Zeugnisses ergeben könnte, ist Sache der Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zu überprüfen, es sei denn, spezifisches Verfassungsrecht sei verletzt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1990 – 2 BvR 761/90 –, juris). Dem Bundesverfassungsgericht obliegt dabei insbesondere die Kontrolle, ob die Fachgerichte das Willkürverbot missachtet haben (vgl. BVerfGE 62, 338 ≪343≫). Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt vor, wenn die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Vorwurf. Willkürlich im objektiven Sinne ist eine Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (vgl. BVerfGE 80, 48 ≪51≫; 83, 82 ≪84≫; 86, 59 ≪63≫; stRspr).
2. Nach diesem Prüfungsmaßstab ist die Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO durch die Fachgerichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO gewährt Geistlichen ein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich solcher Tatsachen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden sind. Zu der Frage, ob Geistliche im Sinne der Vorschrift auch Seelsorger sind, die keine Priesterweihe erhalten haben, hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung – soweit ersichtlich – noch nicht verhalten. Von weiten Teilen des Schrifttums wird diese Frage bejaht, wenn dem Seelsorger seine Tätigkeit von der Kirche nach deren eigenem Dienstrecht als Hauptamt übertragen wurde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 53 Rn. 12; Radtke, ZevKR 2003, S. 385 ≪395≫; Ling, GA 2001, S. 325 ≪330 ff.≫; v. Campenhausen/Christoph, Göttinger Gutachten. Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren 1980-1990, 1994, S. 271 ff.; Baumann, JuS 1991, S. 466 ≪467≫; Peters, Strafprozess, 4. Aufl. 1985, S. 350; Stein, ZevKR 1976, S. 418 ≪419≫; a.A. Rogall, in: Systematischer Kommentar, StPO, Stand: Oktober 2002, § 53 Rn. 68; Bernsmann, KuR 640, S. 23 ≪27 f., 30≫). Verfassungsrechtlich ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass – aufgrund des Ausnahmecharakters von Zeugnisverweigerungsrechten – Voraussetzung für ihre Zuerkennung ein hinreichend konkretes Berufsbild der privilegierten Personengruppe ist (vgl. BVerfGE 33, 367 ≪379 ff.≫; 38, 312 ≪324≫). Ob dies für Seelsorger generell zutrifft, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls bei einer hauptamtlichen Beauftragung nach den durch das kirchliche Dienstrecht vorgesehenen Voraussetzungen ist eine angemessene Umgrenzung des Zeugnisverweigerungsrechts kirchlicher Seelsorger, die keine Kleriker sind, sichergestellt, zumal der Körperschaftsstatus der Kirche eine Gewähr dafür bietet, von dem Zeugnisverweigerungsrecht nicht unangemessen Gebrauch zu machen (vgl. BVerfGE 33, 367 ≪383 f.≫; Ling, GA 2001, S. 325 ≪326≫).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Dem Beschwerdeführer wurde durch den Erzbischof das Amt des Seelsorgers übertragen; dienstrechtlich untersteht der Beschwerdeführer, der seine Tätigkeit im Hauptamt ausübt, dem Landesdekan für die seelsorgerische Gefangenenbetreuung in Justizvollzugsanstalten. Da der Beschwerdeführer die konkrete seelsorgerische Tätigkeit selbständig wahrnimmt und weder dargelegt noch ersichtlich ist, dass der Landesdekan durch seine Aufsichtsfunktion ein – für das Entstehen des Zeugnisverweigerungsrechts maßgebliches – seelsorgerisches Vertrauensverhältnis zu den Gefangenen begründe, ist auch die Würdigung der Fachgerichte, der Beschwerdeführer sei nicht Berufshelfer im Sinne des § 53 a StPO und habe über die Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts selbst zu entscheiden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
b) Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist nach den von der Rechtsprechung aufgestellten und von der überwiegenden Auffassung im Schrifttum vertretenen Maßstäben objektiv und in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der Gewissensentscheidung des Geistlichen zu beurteilen (vgl. BGHSt 37, 138 ≪140≫; Dahs, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 1999, § 53 Rn. 25 f. m.w.N.; a.A. Baumann, JuS 1991, S. 466 ≪467 f.≫). Diese Auslegung und die Auffassung der Fachgerichte, das Gesetz gehe von einer Unterscheidbarkeit seelsorgerischer und nichtseelsorgerischer Teile eines Gesprächs aus, sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine inhaltliche Unterscheidbarkeit nach schutzwürdigen und nichtschutzwürdigen Äußerungen hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach angenommen und für notwendig erachtet, etwa bei heimlichen Tonbandaufnahmen (vgl. BVerfGE 34, 238 ≪248≫), Tagebuchaufzeichnungen (vgl. BVerfGE 80, 367 ≪375≫) und Gesprächen, die Gegenstand einer technischen Überwachungsmaßnahme sind (vgl. BVerfGE 109, 279 ≪314, 320 ff., 330 ff.≫). Auf diese Weise wird dem Spannungsverhältnis zwischen den schutzwürdigen Belangen der Gesprächspartner und dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung in angemessener Weise Rechnung getragen. Die Einschätzung der Fachgerichte, der Austausch über das Recherchieren von Versicherungsadressen zähle objektiv nicht zur Seelsorge, ist danach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
II.
Dem Beschwerdeführer steht kein über die strafprozessualen Vorschriften hinausreichendes verfassungsrechtliches Zeugnisverweigerungsrecht zu.
1. Ungeachtet seiner prozessualen Funktion als Beweismittel darf der – grundsätzlich der Aussage- und Wahrheitspflicht unterstehende (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪113≫) – Zeuge nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden und müssen seine Persönlichkeitsrechte angemessen Berücksichtigung finden (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪114≫). Im Einzelfall und unter strengen Voraussetzungen können sich Beweisverbote – denen die Zeugnisverweigerungsrechte zugerechnet werden können – unmittelbar aus der Verfassung ergeben. Ein Verzicht auf das Beweismittel kann unter anderem geboten sein, wenn durch seine Herbeiziehung der Kernbereich privater Lebensgestaltung verletzt (vgl. 32, 373 ≪380≫; 34, 238 ≪245 f.≫; 80, 367 ≪373 ff.≫; 109, 279 ≪318 f., 324, 328, 331 f.≫) oder wegen der Eigenart des Beweisthemas in grundrechtlich geschützte Bereiche unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingegriffen würde (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 2003 – 2 BvR 2211/00 –, NStZ-RR 2004, S. 83 ≪84≫; BGHSt 43, 300 ≪303≫; speziell zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vgl. BVerfGE 20, 162; 25, 296; 36, 193; 38, 103; 77, 65; 107, 299; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1982 – 2 BvR 1112/81 –, NStZ 1982, S. 253; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. August 2000 – 1 BvR 77/96 –, NStZ 2001, S. 43). Die Rücksichtnahme auf die Subjektstellung des Zeugen und seine Grundrechte begründet allerdings keinen generellen Anspruch des Zeugen, vor Konflikten und Beeinträchtigungen bewahrt zu werden, die aus seiner Zeugnispflicht herrühren können (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪115 ff.≫; 57, 250 ≪284 ff.≫). Diese müssen vielmehr in einem der Bedeutung des beeinträchtigten Grundrechts angemessenen Verhältnis zu dem mit der Zeugnispflicht verfolgten Ziel stehen.
2. Die aus der Beantwortung der an den Beschwerdeführer gestellten Frage zu erwartenden Erkenntnisse sind nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen.
a) Das Bundesverfassungsgericht anerkennt einen Kernbereich privater Lebensgestaltung, in den einzugreifen dem Staat verwehrt ist (vgl. BVerfGE 6, 32 ≪41≫; 27, 1 ≪6≫; 32, 373 ≪379≫; 34, 238 ≪245≫; 80, 367 ≪373≫; 109, 279 ≪313≫). Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung umfasst auch bestimmte Formen der Kommunikation mit Personen des besonderen Vertrauens (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪260≫). Hierzu zählt unter anderem das seelsorgerische Gespräch mit einem Geistlichen. Der Schutz der Beichte und der Gespräche mit Beichtcharakter zählt zum verfassungsrechtlichen Menschenwürdegehalt der Religionsausübung (vgl. BVerfGE 109, 279 ≪322≫).
b) Eine Berührung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung liegt hier nicht vor. Die Frage, deren Beantwortung der Beschwerdeführer unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Seelsorger verweigert, zielt nicht auf das Erlangen von Kenntnissen über ein seelsorgerisches Gespräch, sondern über eine Tätigkeit – das Recherchieren von Versicherungsadressen –, die der Beschwerdeführer nur außerhalb eines solchen Gesprächs wahrgenommen haben könnte. Die Tatsache, dass sich aus der Beantwortung der Frage möglicherweise Rückschlüsse darauf ziehen lassen, das Recherchieren von Versicherungsadressen könnte in einem Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und seinem inhaftierten Gesprächspartner thematisiert worden sein, ändert daran nichts.
3. Eine Berücksichtigung der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Belange der Glaubensfreiheit begründet kein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers.
a) Die Glaubensfreiheit schützt neben der inneren Freiheit, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu bilden und zu haben, die äußere Freiheit, diese Überzeugungen zu bekennen und zu verbreiten und sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln (vgl. BVerfGE 32, 98 ≪106 f.≫; 33, 23 ≪28≫; 41, 29 ≪49≫; 69, 1 ≪33 f.≫). Jedenfalls für die Angehörigen der katholischen Kirche und der evangelischen Großkirchen verbürgt Art. 4 Abs. 2 GG auch das Recht auf ungestörte karitative Tätigkeit, soweit diese dem christlichen Gebot tätiger Nächstenliebe entspringt (vgl. BVerfGE 24, 236 ≪247 ff.≫). Andererseits wird nicht jede Handlung, die im weitesten Sinne auf religiöse Ansichten zurückgeführt werden kann, durch die Glaubensfreiheit geschützt. Erforderlich ist – ähnlich wie bei der Ausübung der Gewissensfreiheit (vgl. BVerfGE 12, 45 ≪55≫; 48, 127 ≪173≫) –, dass es sich um eine zwingende Verhaltensregel handelt, von der der Betroffene nicht ohne innere Not absehen kann (vgl. BVerfGE 32, 98 ≪109≫; BVerwGE 112, 227 ≪235≫). Ob dies der Fall ist, hängt auch vom Selbstverständnis der betroffenen Religionsgemeinschaft ab (vgl. BVerfGE 24, 236 ≪247 f.≫), wobei den Betroffenen im Zweifelsfall eine Darlegungslast trifft (vgl. BVerfGE 83, 341 ≪353≫; BVerwGE 94, 82 ≪87≫).
b) Nach diesen Maßstäben ist die Glaubensfreiheit, auf die sich der Beschwerdeführer zur Rechtfertigung seiner Zeugnisverweigerung beruft, nicht berührt. Der Beschwerdeführer hat nicht substantiiert dargelegt, dass ihm sein Glaube die Beantwortung der in Rede stehenden Frage verbiete und er durch die Missachtung dieses Verbots in eine innere Not gerate. Auch die Tatsache, dass dem Beschwerdeführer durch das Generalvikariat eine Aussagegenehmigung hinsichtlich solcher Fragen erteilt worden ist, die nicht den seelsorgerischen Teil der Gespräche betreffen, spricht dafür, dass sich die Verschwiegenheitspflicht nach den Lehren der katholischen Kirche auf die Beichte und das seelsorgerische Gespräch – die sich nach christlichem Verständnis als „Gespräche des Betroffenen mit Gott vor einem menschlichen Zeugen” charakterisieren lassen (vgl. Radtke, ZevKR 2003, S. 385 ≪387≫) – beschränkt. Um Inhalte eines seelsorgerischen Gesprächs ging es hier – wie dargelegt wurde – nicht. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Aussageverpflichtung behindere die Wahrnehmung seiner ihm durch den Glauben gebotenen seelsorgerischen Fürsorge, erschließt sich nicht, wie die Preisgabe von Erkenntnissen über eine Tätigkeit, die nicht aus sich heraus Züge eines aus Nächstenliebe gebotenen karitativen Handelns erkennen lässt, die Ausübung des seelsorgerischen Auftrags beeinträchtigen könnte. Es mag zwar zutreffen, dass die Vornahme solcher über den Bereich der Seelsorge hinausgehenden Tätigkeiten teilweise erforderlich ist, um das Vertrauen des zu Betreuenden zu gewinnen. Diese praktische Ausrichtung auf die Seelsorge und der Wunsch des zu Betreuenden nach Geheimhaltung verleihen der Tätigkeit und dem Umgang mit Wissen darüber aber nicht das für die Zuordnung zur Glaubensfreiheit notwendige Maß an religiöser Gebotenheit.
4. Eine Abwägung mit den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belangen der Berufsausübungsfreiheit begründet kein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers.
a) Die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit schützt die gesamte berufliche Tätigkeit, insbesondere in ihren zeitlichen, örtlichen, organisatorischen und inhaltlichen Dimensionen (vgl. Tettinger, in: Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 12 Rn. 57 m.w.N.). Diese Gewährleistung kann durch den Gesetzgeber gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG eingeschränkt werden. Eine solche Einschränkung sieht § 53 StPO durch die Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts auf bestimmte, eng umgrenzte Personengruppen vor (vgl. BVerfGE 38, 312 ≪323≫). Auch soweit Betroffenen nach der gesetzlichen Regelung im konkreten Fall kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, sind ihre schutzwürdigen beruflichen Belange im Rahmen der Abwägung angemessen zu berücksichtigen. Den beeinträchtigten beruflichen Interessen steht dabei die Bedeutung der Zeugnispflicht für die Wahrheitserforschung im Strafverfahren gegenüber. Die Zeugnispflicht dient der Gewährleistung einer wirksamen Strafverfolgung. Die wirksame Aufklärung von Straftaten stellt einen wesentlichen Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens dar (vgl. BVerfGE 33, 367 ≪383≫; 77, 65 ≪76≫; 80, 367 ≪375≫; 100, 313 ≪389≫; 107, 299 ≪316≫; 109, 279 ≪336≫). Den Zeugen trifft daher grundsätzlich die Pflicht, vor Gericht über ihm bekannte Tatsachen, die für die Aufklärung und Verfolgung einer Straftat von Bedeutung sind, wahrheitsgemäß auszusagen (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪113≫).
b) Die Verpflichtung des Beschwerdeführers, die an ihn gerichtete Frage vor Gericht zu beantworten, betrifft die organisatorische und inhaltliche Seite seiner Berufsausübungsfreiheit. Durch die Preisgabe von Wissen über eine dem betreuten Gefangenen erwiesene Gefälligkeit kann das Vertrauensverhältnis zu diesem und zu anderen Gefangenen beeinträchtigt werden, und zwar mit Folgewirkungen auf die Möglichkeit zur Wahrnehmung der seelsorgerischen Aufgabe.
Eine Abwägung des schutzwürdigen Interesses des Beschwerdeführers an der Vermeidung einer Beeinträchtigung der seelsorgerischen Vertrauensstellung mit den Belangen der Strafrechtspflege ergibt hier ein Überwiegen der letzteren. Dass ein Gefangener von der vertraulichen Behandlung einer an seinen Seelsorger gerichteten Bitte ausgeht, die ersichtlich nicht den seelsorgerischen Bereich betrifft, sondern darauf abzielt, Beweisgegenstände zu verfälschen, und für den Seelsorger sogar die Gefahr eigener Strafbarkeit begründet, ist eher fernliegend, zumal der Gefangene damit rechnen muss, dass die erbetene Tätigkeit – zum Beispiel mittels der bei einer Recherche im Internet erzeugten Datenspuren – auch anderweitig Dritten zur Kenntnis gelangen kann. Bei der Bewertung einer möglichen Vertrauenseinbuße ist auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer entsprechendes Wissen nicht eigenmächtig offenbaren würde, sondern aufgrund der ihm obliegenden, mit Zwangsmitteln durchsetzbaren Zeugenpflicht. Die danach verbleibende Bedeutung eines Verzichts auf die Aussage des Beschwerdeführers für das Vertrauensverhältnis zu den von ihm betreuten Gefangenen erscheint gering und tritt angesichts der erheblichen hier in Rede stehenden Strafvorwürfe gegenüber dem Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit zurück.
III.
Die Anordnung der Beugehaft ist nicht unverhältnismäßig.
1. Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGK 1, 145 ≪149 f.≫). Da § 70 StPO keine speziellen materiellen Voraussetzungen zum Schutz des Freiheitsgrundrechts vorsieht, kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Ausprägung, die er durch die Rechtsprechung erfahren hat, als Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Beugehaftanordnung besondere Bedeutung zu. Danach muss die Beugehaft nach den Umständen des Falles unerlässlich sein und darf zur Bedeutung der Strafsache und der Aussage für den Ausgang des Verfahrens nicht außer Verhältnis stehen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. September 2005 – 2 BvR 431/02 –, NJW 2006, 40 ≪41≫; BGH, NStZ-RR 2005, S. 316 ≪317≫). Bei seiner Abwägung muss das Gericht auch die Bedeutung besonderer grundrechtlicher Gewährleistungen, die im Einzelfall berührt sein können, berücksichtigen (vgl. BVerfGE 15, 223 ≪225≫).
2. Hier betrifft die zu erzwingende Aussage ein Strafverfahren, das im Zusammenhang mit der Unterstützung des internationalen Terrorismus steht. Die Angeklagten haben in diesem Verfahren nach Einschätzung der Fachgerichte hohe Haftstrafen zu erwarten. Das Verfahren wird zudem mit erheblichem Aufwand geführt. Der Beschwerdeführer teilt mit, der Vorsitzende habe erklärt, mit einem Abschluss der Hauptverhandlung könne nicht vor Ende 2007 gerechnet werden. Nach diesen Gesichtspunkten ist von einer erheblichen Bedeutung der Strafsache auszugehen. Die Aussage des Beschwerdeführers ist einerseits für die Klärung der Frage von Bedeutung, ob Y. die beschlagnahmten Briefe erst nach seiner Inhaftierung – unter etwaiger Mithilfe des Beschwerdeführers – verfasst hat, und andererseits für die Frage der Strafzumessung. Es liegen zwar gewichtige Indizien dafür vor, dass die Briefe rückdatiert wurden. Es ist aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Tatgericht auf dieser Grundlage noch nicht zu einer Überzeugung zu gelangen vermag, sondern weitere erreichbare Beweismittel als unverzichtbar erachtet, zumal wenn es die Frage der Rückdatierung für die Schuldfrage als von zentraler Bedeutung ansieht. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, ob und in welchem Maße grundrechtlich geschützte Interessen des Beschwerdeführers durch seine Pflicht zur Aussage verletzt werden. Insofern wird auf die Ausführungen unter II.4. verwiesen. Danach sind die beruflichen Interessen des Beschwerdeführers nicht in so erheblichem Maße beeinträchtigt, dass dies einen Verzicht auf die Durchsetzung der Zeugnispflicht rechtfertigen könnte.
IV.
Soweit der Beschwerdeführer die Entscheidung des Oberlandesgerichts unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Begründung der Beugehaftanordnung angreift, ist sein Freiheitsgrundrecht ebenfalls nicht verletzt.
1. Der hohe Rang des Freiheitsgrundrechts verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, sich mit den Voraussetzungen der Haft auseinanderzusetzen und seine Entscheidung zu begründen. Handelt es sich bei dem über die Haftfrage entscheidenden Gericht um die einzige fachgerichtliche Instanz oder hat sich im Rahmen eines zweigliedrigen Instanzenzugs eine vorangegangene richterliche Entscheidung gegen das Vorliegen der Voraussetzungen der Freiheitsbeschränkung ausgesprochen oder ergeht die Entscheidung über die Freiheitsbeschränkung ohne vorherige Anhörung des Betroffenen, so sind an die Begründung der Entscheidung hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. August 2000 – 2 BvR 1372/00 –, NJW 2000, S. 3775 ≪3776≫).
2. Hier hat sich das Oberlandesgericht eingehend mit der Frage, ob der Beschwerdeführer ein Zeugnisverweigerungsrecht für sich in Anspruch nehmen kann, auseinandergesetzt. Diese Frage wurde in zwei Hauptverhandlungsterminen unter allen relevanten rechtlichen Gesichtspunkten erörtert. Das Gericht hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es die Beantwortung der in Rede stehenden Frage für den Fortgang des Verfahrens als von zentraler Bedeutung erachte. Die Haftentscheidung begründet das Gericht unter diesem Gesichtspunkt damit, dass die Aussage des Beschwerdeführers „zumindest für die Frage einer etwaigen Strafzumessung unter dem Aspekt einer möglichen Schadensbegrenzung von erheblicher Bedeutung” sei. Da es sich bei der Bedeutung der Aussage des Beschwerdeführers für das Strafverfahren um eine Frage der Beweiswürdigung handelt, die nur in eingeschränktem Maße der revisionsrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Überprüfung offensteht (vgl. BVerfGK 1, 145 ≪150 ff.≫), ist die vom Oberlandesgericht angegebene Begründung vor diesem Hintergrund als ausreichend anzusehen, zumal die Voraussetzungen erhöhter Begründungsanforderungen hier nicht gegeben sind.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1974870 |
NJW 2007, 1865 |
ZAP 2007, 453 |
JA 2007, 470 |
JA 2007, 472 |
JuS 2007, 584 |
ZevKR 2007, 221 |
NJW-Spezial 2007, 329 |
NPA 2008 |
StRR 2007, 64 |
AfkKR 2007, 242 |
www.judicialis.de 2007 |