Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Vorlage des FG Köln zur Zinsbesteuerung im Zusammenwirken mit dem Strafbefreiungserklärungsgesetz
Leitsatz (redaktionell)
Mangels hinreichender Darlegung, ob hinsichtlich der Besteuerung von Zinseinkünften für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002, trotz der nach dem Zinsurteil von 1991 (BVerfGE 84, 239) zahlreich in Kraft getretenen Gesetzesänderungen ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand und ob eine relative Schlechterstellung steuerehrlicher Steuerpflichtiger gegenüber der Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte, ist die Vorlage der Fragen des FG Köln, ob § 20 Abs. 1 und Abs. 1 Nr. 7, § 32a EStG in der für o.g. Veranlagungszeiträume maßgeblichen Fassung im Zusammenwirken mit den ergänzenden Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes vom 23.12.2003 verfassungsgemäß sind, unzulässig.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, § 32a; StraBEG; AO §§ 30a, 93 Abs. 7, § 93b; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe
Die Vorlage betrifft zum einen die Frage, ob die Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1, § 32a des Einkommensteuergesetzes (EStG) insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt, als steuerehrlichen Steuerpflichtigen gleichheitswidrig die Begünstigungen des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung (Strafbefreiungserklärungsgesetz – StraBEG – vom 23. Dezember 2003, BGBl I S. 2928) vorenthalten werden und zum anderen die Frage, ob die Zinsbesteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aufgrund eines strukturellen Vollzugsdefizits gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Zur Überprüfung gestellt sind die vorgelegten Normen in der jeweils für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 geltenden Fassung.
I.
1. a) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 (BVerfGE 84, 239) festgestellt, dass bei der Besteuerung von Zinseinkünften nach § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG (1979) seit dem Veranlagungszeitraum 1981 ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand und den Gesetzgeber aufgefordert, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 1993 durch hinreichende gesetzliche Vorkehrungen die Besteuerungsgleichheit zu gewährleisten. Um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, hat der Gesetzgeber am 9. November 1992 das Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz, BGBl I S. 1853) erlassen, durch das er den Sparerfreibetrag verzehnfachte, eine anrechenbare “Zinsabschlagsteuer” (Kapitalertragsteuer) in Höhe von 30 % (für Tafelgeschäfte 35 %) auf Kapitalerträge sowie eine Mitteilungspflicht für Freistellungsaufträge (§ 45d EStG) einführte.
Es folgten weitere gesetzliche Änderungen mit Auswirkungen auf die Zinsbesteuerung durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I S. 402), das zur Halbierung der Sparerfreibeträge und zur Erweiterung der Mitteilungspflicht gemäß § 45d EStG sowie zum Wegfall der Verwendungsbeschränkung für die mitgeteilten Daten führte, und durch das Steueränderungsgesetz 2003 vom 15. Dezember 2003 (BGBl I S. 2645), das seit 2004 die Jahressteuerbescheinigung gemäß § 24c EStG einführte.
Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2928) wollte der Gesetzgeber einen Anreiz für steuerunehrliche Steuerpflichtige schaffen, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Gleichzeitig sollten die Überprüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung maßvoll verbessert werden, um Steuerhinterziehungen in der Zukunft zu erschweren. Der verbesserte Gesetzesvollzug sollte nach dem Willen des Gesetzgebers einen “Beitrag zum Rechtsfrieden” leisten (BTDrucks 15/1309, S. 1). Diesem Ziel dienten die mit Art. 1 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit eingeführten Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes, das am 30. Dezember 2003 in Kraft trat. Durch die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung und Entrichtung einer pauschalen, als Einkommensteuer geltenden Abgabe konnte Strafbefreiung oder die Befreiung von Geldbuße für die in den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 2002 erzielten Einnahmen, die zu Unrecht nicht der Besteuerung zugrunde gelegt worden waren, erlangt werden. Die derart nacherklärten Einnahmen wurden zur pauschalen Abgeltung aller denkbaren Abzüge lediglich in Höhe von 60 % der Abgabe unterworfen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG). Die Höhe der Abgabe belief sich auf 25 % der Bemessungsgrundlage, wenn die Nacherklärung vor dem 1. Januar 2005 erfolgte und die Abgabe spätestens bis zum 31. Dezember 2004 entrichtet wurde (§ 1 Abs. 1 StraBEG), und 35 %, wenn die Erklärung nach dem 31. Dezember 2004 und vor dem 1. April 2005 erfolgte und die Abgabe spätestens bis zum 31. März 2005 entrichtet wurde (§ 1 Abs. 6 StraBEG). Unmittelbar nach dem Auslaufen der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes trat am 1. April 2005 das neu geschaffene Kontenabrufverfahren nach § 93 Abs. 7, § 93b der Abgabenordnung (AO) in Kraft (Art. 2 und 4 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003, BGBl I S. 2928). Durch die enge Verzahnung der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes mit dem neu geschaffenen Kontenabrufverfahren sollte die Steuerehrlichkeit nachhaltig gefördert werden (BTDrucks 15/1309, S. 12). Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit des Kontenabrufverfahrens, das zu einer Effektivierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten führe, bestätigt (BVerfGE 118, 168; vgl. zuvor BVerfGE 112, 284 ≪294 f.≫).
b) Der Bundesfinanzhof hat die Verfassungsmäßigkeit der vom Finanzgericht Köln zur Prüfung gestellten Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, die in ihrer in den Streitjahren des Ausgangsverfahrens 2000 bis 2002 gültigen Fassung den Vorjahren bis einschließlich 1993 entspricht, bislang bejaht (für den Veranlagungszeitraum 1993 z.B. BFH BStBl II 1997, S. 499 = BFHE 183, 45; BStBl II 1999, S. 138 = BFHE 187, 302; für die Veranlagungszeiträume seit 1994 BFH BStBl II 2006, S. 61 = BFHE 211, 183).
2. Die Kläger des Ausgangsverfahrens erklärten im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2000 bis 2002 unter anderem Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG, darin enthalten insbesondere auch Zinseinnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Diese wurden vom Finanzamt erklärungsgemäß der Besteuerung zugrunde gelegt. Mit ihrer Klage vor dem Finanzgericht Köln begehrten sie, auch ohne Steuerverkürzung nach den Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes besteuert zu werden. Zudem machten sie geltend, die vom Finanzamt der Besteuerung zugrunde gelegte Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG sei wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig.
3. Mit Beschluss vom 22. September 2005 – 10 K 1880/05 – (EFG 2005, S. 1878) hat der 10. Senat des Finanzgerichts Köln das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Vorschriften der § 20 Abs. 1, § 32a Einkommensteuergesetzes in der für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 maßgeblichen Fassung des Einkommensteuergesetzes mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar seien, als sie im Zusammenwirken mit den ergänzenden Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes steuerehrliche Steuerpflichtige einer höheren Steuer unterwerfen als steuerunehrliche Steuerpflichtige, und ob, sinngemäß bezogen auf dieselben Veranlagungszeiträume, die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig sei, als die Durchsetzung des aus dem Bezug von Zinseinkünften erwachsenden Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt werde.
Das Finanzgericht Köln ist der Auffassung, dass die zur Prüfung gestellten entscheidungserheblichen Rechtsnormen verfassungswidrig seien:
a) Das Strafbefreiungserklärungsgesetz verstoße gegen das Gebot der Folgerichtigkeit und das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Der pauschale Abschlag in Höhe von 40 % der nacherklärten Einnahmen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG führe zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden gleichheitswidrigen Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger, da steuerehrlichen Steuerpflichtigen bei den Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 9a EStG lediglich ein Werbungskostenpauschbetrag in Höhe von 51 € (bei zusammen veranlagten Ehegatten in Höhe von 102 €) gewährt und der 40 %-Abschlag nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz vorenthalten werde. Das Finanzgericht bezweifelt zudem, dass das Strafbefreiungserklärungsgesetz zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels, einen Anreiz für die freiwillige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit zu setzen, geeignet sei. Verfassungsrechtliche Voraussetzung einer Amnestie sei die notwendige Korrektur der Rechtslage durch einen “Schlussstrich” und einen “Neuanfang”. Dies sei jedoch ausgeblieben. Mit der Einführung des Kontenabrufverfahrens gemäß § 93 Abs. 7 und § 93b AO seien lediglich einige “Reparaturen” durchgeführt worden. Von einem Neuanfang könne jedoch nicht gesprochen werden, da mit § 30a AO unverändert die Vorschrift fortbestehe, die bisher im Wesentlichen für die Korrekturbedürftigkeit der Rechtslage verantwortlich gewesen sei.
Die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung dadurch beseitige, dass er den Steuerehrlichen nunmehr auch die Vergünstigungen gewähre, die er dem Steuerunehrlichen zugestehe, scheine im Streitfall nicht gänzlich “unvorstellbar”, da es dem gesetzlichen Ziel – der Förderung der Steuerehrlichkeit – langfristig entgegenstehe, wenn Steuerehrliche von Vergünstigungen ausgeschlossen würden, die der Gesetzgeber Steuerunehrlichen gewähre.
b) Darüber hinaus verstoße die Besteuerung von Zinseinkünften gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aufgrund eines nach wie vor bestehenden strukturellen Vollzugsdefizits gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Da das Einkommensteuergesetz auch nach der Einführung der Zinsabschlagsteuer an der Quelle die Besteuerung der Zinseinkünfte mit dem persönlichen Steuersatz fordere, habe der Gesetzgeber auch dafür zu sorgen, dass der Steueranspruch nicht nahezu allein von der Erklärung durch den Steuerpflichtigen abhänge. Die Erhöhung der Freibeträge befreie den Gesetzgeber nicht davon, für den weiterhin steuerpflichtigen Teil der Zinseinkünfte die Belastungsgleichheit herzustellen und durch Kontrollmöglichkeiten im Besteuerungsverfahren abzusichern. Die Kontrollmöglichkeit über die Erteilung von Freistellungsaufträgen nach § 45d EStG greife nicht, wenn keine Freistellungsaufträge erteilt worden seien. Der Einsatz der Steuerfahndung zur Aufdeckung hinterzogener Zinseinkünfte sei kein hinreichender Ersatz für Prüfungsmöglichkeiten im Vorfeld. Die ab dem 1. April 2005 geltende Erweiterung der Kontrollmaßnahmen in der Abgabenordnung führe zu keiner Änderung der Bewertung für die Streitjahre, da der Gesetzgeber wegen der nicht nachvollziehbaren Beibehaltung des § 30a AO, dessen uneingeschränkte Anwendung das strukturelle Vollzugsdefizit begründe, die Verantwortung für “Friktionen” in diesem Bereich trage.
4. Zu der Vorlage hat sich für die Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen geäußert. Der Präsident des Bundesfinanzhofs hat die Stellungnahme des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs übermittelt.
a) Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig. Jedenfalls könne der in der Vorlage vertretenen Auffassung des Finanzgerichts Köln nicht gefolgt werden.
aa) Die Vorlagefrage zur Verfassungsmäßigkeit des Strafbefreiungserklärungsgesetzes sei für das Ausgangsverfahren nicht entscheidungserheblich. Es sei ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber bei einer Verfassungswidrigkeit des Strafbefreiungserklärungsgesetzes eine Regelung treffe, die zu einer Begünstigung der Kläger führen würde.
bb) Das Strafbefreiungserklärungsgesetz verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Ziel des Strafbefreiungserklärungsgesetzes sei es gewesen, Personen, die sich bislang erfolgreich der Besteuerung entzogen hätten, zu veranlassen, freiwillig in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Zugleich sollte durch das im April 2005 eingeführte Kontenabrufverfahren gemäß § 93 Abs. 7, § 93b AO die gleichmäßige Besteuerung für die Zukunft sichergestellt werden. Die Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger gegenüber steuerehrlichen Steuerpflichtigen sei gerechtfertigt, da der Erfolg einer Amnestie im Wesentlichen auch von der Höhe der steuerlichen Belastung abhänge. Danach müsse die Regelung wirtschaftlich günstiger als eine Selbstanzeige nach § 371 AO sein, um Wirkung zu erzielen. Diesbezüglich sei dem Gesetzgeber eine Abgabe in Höhe von 25 % bzw. 35 % der Bemessungsgrundlage als sachgerecht erschienen. Da die Nachversteuerung der bisher verschwiegenen Zinseinkünfte primäres Ziel des Strafbefreiungserklärungsgesetzes gewesen sei, sei bei der Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage die Entrichtung einer Abzugssteuer zu berücksichtigen gewesen. Anderenfalls wäre zusätzlich zu dem Zinsabschlag in Höhe von 30 % die pauschale Abgabe nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz in Höhe von 25 % getreten. Eine strafbefreiende Erklärung wäre bei einer danach bestehenden Abgabenhöhe von insgesamt 55 % der Bruttoeinnahmen unattraktiv gewesen. Der Minderungsbetrag gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG stelle somit keinen Werbungskostenpauschbetrag dar, als den ihn das vorlegende Gericht offenbar verstehe. Die Minderung habe vielmehr alles abgelten sollen, was wirtschaftlich gesehen bei einer regulären Besteuerung rechtlich zu berücksichtigen gewesen wäre.
cc) Ein die Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG begründendes strukturelles Vollzugsdefizit liege in den Streitjahren 2000 bis 2002 nicht vor. Selbst wenn in der Vorschrift des § 30a AO noch eine die Besteuerung beeinträchtigende Erhebungsregelung gesehen werden könnte, habe der Gesetzgeber zwischenzeitlich – unter anderem mit dem Zinsabschlaggesetz – hinreichende Ausgleichsmaßnahmen getroffen. Insbesondere durch die Einführung des Kontenabrufverfahrens gemäß § 93 Abs. 7, § 93a AO im April 2005, durch das für die Finanzverwaltung die Möglichkeit geschaffen worden sei, Erkenntnisse auch für frühere Jahre zu erlangen, sei einem strukturellen Vollzugsdefizit entgegen gewirkt worden.
b) Auch nach Auffassung des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs ist die Vorlage unzureichend begründet. Das Finanzgericht habe nicht ausreichend in Erwägung gezogen, ob die Nachbesserungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Ermittlungs- und Kontrollmöglichkeiten objektiv geeignet gewesen seien, ein eventuell bestehendes Vollzugsdefizit zu beseitigen. Allein auf die Beibehaltung des § 30a AO könne die Feststellung eines strukturellen Vollzugsdefizits nicht gestützt werden.
II.
Die Vorlage ist unzulässig.
1. Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 ≪76 f.≫; 105, 48 ≪56≫). Das vorlegende Gericht muss sich zur Begründung seiner Überzeugung mit allen nahe liegenden tatsächlichen Gründen und rechtlichen Gesichtspunkten befassen, gegebenenfalls die Erwägungen des Gesetzgebers berücksichtigen und sich mit in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 76, 100 ≪104≫; 79, 240 ≪243 f.≫; 86, 71 ≪77 f.≫; 92, 277 ≪312≫; 105, 48 ≪56≫).
2. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage weder hinsichtlich der Vorlagefrage Nr. 1 noch hinsichtlich der Vorlagefrage Nr. 2:
a) Hinsichtlich der Vorlagefrage Nr. 1 kann offen bleiben, ob das vorlegende Finanzgericht die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Normen ausreichend dargelegt hat (vgl. BVerfGE 74, 182 ≪195 f.≫). Jedenfalls fehlt es an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine relative Schlechterstellung steuerehrlicher gegenüber der Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfGE 98, 365 ≪385≫). Er verbietet sowohl ungleiche Belastungen wie auch ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 ≪17≫). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt wird, einem anderen Personenkreis die Begünstigung aber vorenthalten bleibt, ohne dass sich ausreichende Gründe für die gesetzliche Differenzierung finden lassen (vgl. BVerfGE 93, 386 ≪396 f.≫; 112, 164 ≪174≫; 116, 164 ≪180≫). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfGE 110, 274 ≪291≫; 112, 164 ≪174≫ m.w.N.). Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (vgl. BVerfGE 105, 73 ≪110≫; 107, 27 ≪45 f.≫; 112, 268 ≪279≫).
Hier sind zunächst die Fachgerichte berufen, die Grundlagen zu ermitteln und darzustellen, die für die Beantwortung der Frage erheblich sind, ob die unterschiedliche Besteuerung steuerehrlicher und steuerunehrlicher Steuerpflichtiger, die durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz bewirkt wird, verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte. Das vorlegende Finanzgericht hat sich jedoch mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu dieser Frage nicht ausreichend auseinandergesetzt:
aa) Das Finanzgericht hat bei seiner Prüfung wesentliche rechtliche Gesichtspunkte außer Betracht gelassen (vgl. BVerfGE 105, 48 ≪56≫). Es hat bei dem von ihm angestellten Vergleich des Werbungskostenpauschbetrags für Zinseinkünfte nach § 9a EStG mit den Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Abschlag in Höhe 40 % der Bruttoeinnahmen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG – zur Vermeidung aufwendiger Ermittlungen und Prüfungen durch den Steuerpflichtigen –, der pauschalen Abgeltung aller denkbaren im regulären Besteuerungsverfahren steuermindernd zu berücksichtigenden Abzüge dient (BTDrucks 15/1309, S. 9). Hierunter fallen nicht nur – wie vom Finanzgericht unterstellt – Werbungskosten für Zinseinkünfte, sondern beispielsweise auch der Sparerfreibetrag und bereits einbehaltene Abzugssteuern, die nicht von den Einnahmen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 StraBEG abzuziehen sind (s. Merkblatt des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung des Strafbefreiungserklärungsgesetzes vom 3. Februar 2004 – IV A 4-S 1928 – 8/04, BStBl I S. 225 ff.).
bb) Das Finanzgericht hat sich darüber hinaus nicht ausreichend mit der Frage auseinandergesetzt, welche sachlichen Gründe für eine Steueramnestie sprechen könnten. Es verkennt, dass das Strafbefreiungserklärungsgesetz nicht das Ziel hatte, die Steuerhinterziehung zu belohnen; es sollte vielmehr einen Anreiz für eine freiwillige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit setzen (BTDrucks 15/1309, S. 9). Unerörtert bleibt in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz die tatsächliche Erhebungssituation bei den Zinseinkünften auch positiv beeinflusst worden sein könnte. Hinsichtlich der bezweifelten Eignung einer Steueramnestie zur Förderung der Steuerehrlichkeit hätte das Finanzgericht zumindest dazu näher Stellung nehmen müssen, dass der Gesetzgeber durch die enge Verzahnung des Strafbefreiungserklärungsgesetzes mit dem neu geschaffenen Kontenabrufverfahren nach § 93 Abs. 7, § 93b AO, das parallel zu dem Auslaufen der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes am 1. April 2005 in Kraft trat, bewusst eine Regelung geschaffen hat, die Steuerverkürzungen in der Zukunft erschweren und die Steuerehrlichkeit nachhaltig fördern sollte (BTDrucks 15/1309, S. 12).
Nicht hinreichend ist insbesondere die einfache These des Finanzgerichts, mit der Einführung des Kontenabrufverfahrens nach § 93 Abs. 7, § 93b AO seien “lediglich einige Reparaturen” und keine “grundlegende Renovierung des Systems” durchgeführt worden, so dass im Hinblick auf die Weitergeltung des § 30a AO kein “Neuanfang” vorliege, der eine Steueramnestie rechtfertige. Die Vorlage lässt insoweit (auch) schon bei der Würdigung der Steueramnestie eine sorgfältige Verarbeitung und Diskussion der seit dem Jahr 1993 und insbesondere seit dem Jahr 1998 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen vermissen (u.a. die Erweiterung der Mitteilungspflicht gemäß § 45d EStG und der Wegfall der Verwendungsbeschränkung für die mitgeteilten Daten, die Einführung der Jahressteuerbescheinigung seit 2004 gemäß § 24c EStG und des Kontenabrufverfahrens nach § 93 Abs. 7, § 93b AO). Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2005 (BVerfGE 112, 284), die dem Finanzgericht bei seiner Beschlussfassung jedenfalls aufgrund einer Pressemitteilung vom 23. März 2005 hätte bekannt sein können, setzt sich die Vorlage nicht auseinander. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Effektivierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten durch die Kontenabfrage gemäß § 93 Abs. 7, § 93b AO (BVerfGE 112, 284 ≪294 f.≫) greift das Finanzgericht nicht auf. Allein der Verweis auf die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zu § 30a AO in seinem Urteil zur Zinsbesteuerung betreffend den Veranlagungszeitraum 1981 (BVerfGE 84, 239) und in seinem Urteil zur Besteuerung von privaten Wertpapiergeschäften betreffend die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 (BVerfGE 110, 94) kann eine fundierte Prüfung der sachlichen und rechtlichen Ausgangssituation der Besteuerung von Kapitaleinkünften in den vorliegend streitigen Veranlagungszeiträumen 2000 bis 2002 im Hinblick auf eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Steueramnestie nicht ersetzen.
cc) Auch mit der Rechtsprechung und Literatur zur grundsätzlichen Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Steueramnestie setzt sich die Vorlage nicht hinreichend auseinander. Zwar führt das Finanzgericht zahlreiche Aufsätze an, die zur Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Steueramnestie veröffentlicht worden sind. Eine fundierte Erörterung der Argumente, die in der Literatur für und gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Steueramnestie vorgebracht worden sind, erfolgt jedoch nicht. Unerörtert lässt das Finanzgericht auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni 1991 (BVerfGE 84, 233) und das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. Juni 1989 (BFH BStBl II 1989,S. 836 = BFHE 156, 543). Gegenstand dieser Urteile war die Amnestieregelung des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen (StrbEG) vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, S. 1093). Eine Auseinandersetzung mit den in diesen Entscheidungen angestellten Überlegungen zur Ausdehnung eines Amnestiegesetzes auf steuerehrliche Steuerpflichtige hätte Anlass zu entsprechenden Überlegungen des Finanzgerichts für das Strafbefreiungserklärungsgesetz geben können.
b) Hinsichtlich der Vorlagefrage Nr. 2 hat das vorlegende Finanzgericht zwar nachvollziehbar und deshalb für das Bundesverfassungsgericht bindend dargelegt, dass es bei der Gültigkeit oder Ungültigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu jeweils unterschiedlichen Entscheidungen kommen müsse. Die Vorlage ist jedoch unzulässig, da es an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der Frage fehlt, ob hinsichtlich der Besteuerung von Zinseinkünften ein strukturelles Vollzugsdefizit besteht, das dem Gesetzgeber zurechenbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
aa) Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Die Frage, ob der Gesetzgeber von ihm erstrebte Ziele – im Steuerrecht die Erzielung von Einnahmen oder auch Lenkungsziele – faktisch erreicht, ist rechtsstaatlich allein noch nicht entscheidend. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (vgl. BVerfGE 84, 239 ≪268 ff.≫; 110, 94 ≪112 ff.≫; vgl. auch BVerfGE 96, 1 ≪6 ff.≫).
Für die Beantwortung der Frage, ab welchem Kalenderjahr ein Verstoß gegen die tatsächliche Belastungsgleichheit vorliegt und dem Steuergesetzgeber zuzurechnen ist mit der Folge, dass die materiellrechtliche Grundlage für die Steuererhebung selbst verfassungswidrig wird, lassen sich keine allgemein gültigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe entwickeln, da die für die Verfassungswidrigkeit maßgebliche veränderbare Relation zwischen realen und normativen Einflussfaktoren auf die Vollzugsrealität stets neu konkret zu würdigen ist. Die Entscheidung hängt maßgeblich auch von Tatsachen ab, die für jeden möglichen Fall einer gleichheitswidrig vollzogenen Steuernorm gesondert festzustellen und zu bewerten sind. In verschiedenen Veranlagungszeiträumen können unterschiedliche Tatsachen von Bedeutung sein oder die gleichen Tatsachen unterschiedlich zu gewichten sein (vgl. BVerfGE 110, 94 ≪140≫; BVerfGK 8, 46 ≪47≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 294/06 –, DStR 2008, S. 197 ff.).
Bei der Beurteilung der Frage, ob für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 hinsichtlich der Besteuerung von Zinseinkünften ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand, sind danach alle faktischen und normativen Veränderungen zu berücksichtigen, die nach Ablauf der in dem “Zinsurteil” des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber bis zum 1. Januar 1993 eingeräumten Übergangsfrist eingetreten sind. In zeitlicher Hinsicht sind dabei grundsätzlich alle solche Veränderungen in die Betrachtung einzubeziehen, die sich typischerweise auf den Vollzug innerhalb der allgemeinen vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) auswirken konnten, denn regelmäßig müsste ein hinreichend effektiver Vollzug innerhalb dieser Frist gelingen (vgl. BVerfGE 110, 94 ≪139≫). Der Lauf der Festsetzungsfrist in Veranlagungsfällen beginnt in der Regel mit der Abgabe der Steuererklärungen (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Da die Verlängerung der gesetzlichen Abgabefrist von fünf Monaten (vgl. § 149 Abs. 2 Satz 1 AO) für die Erklärungen grundsätzlich bis zum Februar des zweiten dem Veranlagungszeitraum folgenden Jahres möglich war (vgl. § 109 Abs. 1 Satz 1 AO; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder über Steuererklärungsfristen) und solche Verlängerungen auch verbreitet in Anspruch genommen wurden, kommt es für die Würdigung der für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 maßgeblichen Vollzugspraxis auch auf solche Veränderungen der gesetzlichen Ermittlungsinstrumente an, die erst nach Ablauf der Erklärungsfristen im Februar 2002 für den Veranlagungszeitraum 2000, aber noch innerhalb der danach laufenden allgemeinen Festsetzungsfrist bis zum Ablauf des Jahres 2006 geschaffen wurden und die sich deshalb auf die Veranlagungspraxis für das Jahr 2000 und die Folgejahre auswirken konnten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 294/06 –, DStR 2008, S. 197 ff.).
bb) Mit der Frage, ob die im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1991 zum Veranlagungszeitraum 1981 (BVerfGE 84, 239) in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in ihrem Zusammenwirken gegenüber den Vorjahren erhebliche Verbesserungen der Vollzugsbedingungen herbeigeführt haben, so dass ein dem Gesetzgeber zurechenbares strukturelles Vollzugsdefizit in den Veranlagungszeiträumen 2000 bis 2002 nicht mehr angenommen werden kann, setzt sich die Vorlage nicht hinreichend auseinander. Insoweit fehlt die erforderliche eigenständige und fundierte Erörterung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfGE 105, 48 ≪56≫). Hierzu genügt nicht der jeweilige Hinweis des Gerichts, die einzelnen vom Gesetzgeber getroffenen Maßnahmen seien für sich genommen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ungeeignet, das vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1991 für den Veranlagungszeitraum 1981 festgestellte Vollzugsdefizit bei der Zinsbesteuerung zu beseitigen. Zwar ist das Urteil des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs vom 7. September 2005 (BFH BStBl II 2006, S. 61 = BFHE 211, 183) zur Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG seit 1994, das sich eingehend mit der geänderten Rechtslage auseinandersetzt, erst nach dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Köln veröffentlicht worden. Die vom Bundesfinanzhof vorgenommene Erörterung der vom Gesetzgeber kontinuierlich vorgenommenen Erweiterung des Ermittlungsinstrumentariums der Finanzämter zeigt jedoch, dass sich auch das vorlegende Finanzgericht hätte veranlasst sehen können und müssen, in dieser Hinsicht eigene Überlegungen anzustellen.
Dieses beschränkt sich in seinem Vorlagebeschluss jedoch darauf, pauschal und ohne weitere Begründung festzustellen, dass die ab dem 1. April 2005 geltende Erweiterung der Kontrollmaßnahmen in der Abgabenordnung keine Änderung der Bewertung für die Streitjahre gebracht habe. Infolgedessen setzt sich das Finanzgericht auch nicht hinreichend mit der Frage auseinander, ob das Kontenabrufverfahren, das auch die Abfrage steuerlich relevanter Daten früherer Veranlagungszeiträume zulässt, zur Herstellung der steuerlichen Belastungsgleichheit in den Veranlagungszeiträumen seit 2000 geeignet sein könnte (vgl. auch BVerfGE 112, 284 ≪294 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 294/06 –, DStR 2008, S. 197 ff.).
Für die Darlegung eines dem Gesetzgeber zurechenbaren strukturellen Vollzugsdefizits reicht es insbesondere nicht aus, wenn das Finanzgericht seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aufrechterhaltung des § 30a AO stützt. Die Beibehaltung der Norm mag dem Finanzgericht “nicht nachvollziehbar” erscheinen. Vor dem Hintergrund der Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten für die Finanzämter kann jedoch allein der Umstand, dass § 30a AO unverändert geblieben ist, ein die Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm begründendes strukturelles Vollzugsdefizit als ganz außergewöhnliche Rechtsfolge mangelnder Effektivität des Rechts nicht herbeiführen, unbeschadet der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 30a AO.
Im Ergebnis enthält die Vorlage keine erschöpfende Darlegung und Prüfung der sachlichen und rechtlichen Ausgangslage der streitigen Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002, die eine Verfassungswidrigkeit der zur Überprüfung gestellten Norm begründen könnte.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1975491 |
BFH/NV Beilage 2008, 247 |
DStRE 2008, 1067 |
HFR 2008, 756 |
WPg 2008, 424 |
NWB 2008, 1402 |
AO-StB 2008, 154 |
DVBl. 2008, 652 |
NWB direkt 2008, 12 |
BFH/NV-Beilage 2008, 247 |