1. Die Antragstellerin ist eine nicht im Deutschen Bundestag vertretene politische Partei, die sich am Wahlkampf für die Bundestagswahl 1998 beteiligt. Sie hatte bereits am 25. März 1998 für den 18. Juli 1998 eine Demonstration angemeldet, die am 23. Juni 1998 von der zuständigen Behörde verboten wurde. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der Regierungspräsident einen Tag vor der geplanten Veranstaltung zurück. Die Anträge der Veranstalter auf Eilrechtsschutz blieben vor den Verwaltungsgerichten erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht konnte in der Kürze der verbliebenen Zeit über einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht mehr entscheiden.
Noch am selben Tag, dem 18. Juli 1998, meldete die Antragstellerin erneut einen Aufzug durch die Stadt T.… mit anschließender Kundgebung zur Bundestagswahl an. Diese Versammlung wurde mit Verfügung der zuständigen Behörde vom 24. Juli 1998 unter Bezug auf § 15 Abs. 1 VersG verboten. Dabei stützte sich die Behörde auf Aussagen des Parteiprogramms der Antragstellerin, auf die Feststellung, daß diese sich zunehmend dem rechtsextremen Spektrum öffne, sowie – ausschlaggebend – darauf, daß die beiden Versammlungsleiter aufgrund früherer Vorfälle im Zusammenhang mit Versammlungen als unzuverlässig anzusehen seien und daher den Anforderungen an eine Versammlungsleitung nicht gerecht würden. Bei einer von diesen Personen geleiteten Versammlung sei mit der Begehung von Straftaten zu rechnen.
2. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz am 24. Juli 1998 abgelehnt. Die angegriffene Verfügung erweise sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Zwar könnten die Zielsetzungen der Partei wegen Art. 21 GG nicht ohne weiteres ein Versammlungsverbot rechtfertigen. Doch ergebe sich eine das Verbot rechtfertigende Gefahr im Sinn von § 15 Abs. 1 VersG aus der Unzuverlässigkeit der Versammlungsleiter. Frühere Verstöße gegen das Versammlungsgesetz seien geeignet, eine solche Beurteilung zu tragen. Die Prognose, daß die Versammlungsleiter einen gewalttätigen Verlauf der Versammlung billigen würden, sei nicht zu beanstanden.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag auf Zulassung der gegen diesen Beschluß gerichteten Beschwerde am selben Tag abgelehnt. Zulassungsgründe im Sinn von § 124 Abs. 2 VwGO n.F. seien nicht hinreichend dargelegt. Da dieser Mangel innerhalb der Frist noch behoben werden könne, werde der Antrag aber auch der Sache nach behandelt. Er habe keinen Erfolg. Die Gefahrenprognose sei nicht zu beanstanden. Dabei habe das frühere Verhalten der Versammlungsleiter zur Beurteilung ihrer Zuverlässigkeit herangezogen werden dürfen, auch wenn es noch nicht zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen sei.
3. Die Antragstellerin beantragt, die sofortige Vollziehbarkeit der Verbotsverfügung bis zur Entscheidung über die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG lägen nicht vor. Die angenommene generelle Unzuverlässigkeit der Versammlungsleiter könne eine konkrete Gefahrenprognose nicht ersetzen. Für eine konkrete Gefahr sei in den Entscheidungen nichts dargetan. Damit verstoße das Versammlungsverbot gegen Art. 8 GG. Bliebe es bei der sofortigen Vollziehbarkeit, drohten ihr nicht wiedergutzumachende Nachteile im Wahlkampf. Außerdem werde das Verbot Fernwirkungen auf weitere von der Antragstellerin geplante Kundgebungen haben.
4. Die zuständige Behörde hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des (möglichen) Verfassungsbeschwerdeverfahrens muß das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 ≪186≫; 91, 252 ≪257 f.≫; stRspr).
2. Der Antrag ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere ist ungewiß und gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu klären, ob die Gefahrenprognose, auf die die Entscheidungen der Behörde und der Verwaltungsgerichte gestützt worden sind, den Anforderungen von Art. 8 GG in materiellrechtlicher und prozeduraler Hinsicht (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪353 f., 363 f.≫) genügt.
3. Demnach kommt es für die Entscheidung auf eine Beurteilung und Abwägung der Folgen an, die im Fall des Erfolgs oder Mißerfolgs des Antrags einträten.
a) Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit des Verbots der Demonstration bestehen, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so wäre die Antragstellerin um die Möglichkeit, von dem ihr zustehenden Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen, gebracht worden. Eine spätere Nachholung der Versammlung vermöchte die mit dem Verbot verbundenen Nachteile nicht mehr zu beseitigen. Versammlungen sind regelmäßig auf bestimmte Zeitpunkte und bestimmte Umstände bezogen. Die Wirkungen, die sie zur geplanten Zeit entfalten sollen, werden endgültig vereitelt. Eine zeitnahe Nachholung der Veranstaltung erscheint im übrigen auch deswegen gefährdet, weil die Behörde von der Notwendigkeit eines landesweiten Verbots von Veranstaltungen der Antragstellerin ausgeht. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, daß die untersagte Versammlung im Rahmen des nur wenige Wochen dauernden Bundestagswahlkampfes stattfinden und zur Werbung für die politischen Ziele der Antragstellerin, zur Kritik der Vorstellungen ihrer Gegner und zur Mobilisierung ihres Anhangs dienen soll. Auf die Frage, wie die politischen Ziele einer Partei zu beurteilen sind und ob sie gegebenenfalls die Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erfüllten, kommt es dabei nicht an, solange kein Parteiverbot ergangen ist. Die Behinderung einer Partei im Wahlkampf ist stets als schwere Einbuße anzusehen. In diesem Zusammenhang fallen nicht nur die Wettbewerbsnachteile für die betroffene Partei, sondern auch das öffentliche Interesse an einem unverzerrten Parteienwettbewerb insgesamt ins Gewicht, der die Wähler erst in Stand setzt, eine kompetente Wahlentscheidung zu treffen.
b) Könnte die Versammlung wie geplant stattfinden, erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, so wäre die Versammlung durchgeführt worden, obwohl die Voraussetzungen für ein Verbot vorlagen. Da die Voraussetzungen für das Verbot ihrerseits aber auf einer Prognose beruhen, steht damit nicht fest, daß die für wahrscheinlich gehaltenen Gefahren tatsächlich eingetreten wären. Unter diesen Umständen kann bei der Folgenabwägung nicht gänzlich von der Art der befürchteten Gefahren und dem Grad an Eintrittswahrscheinlichkeit, der der Prognose zugrundeliegt, abgesehen werden. Im vorliegenden Fall rechnet die Behörde mit Straftaten gemäß §§ 85, 86, 86a, 125 und 131 StGB sowie Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Dabei handelt es sich überwiegend um Delikte von nicht unerheblichem Gewicht. Mit Ausnahme des § 125 StGB, der Gewalttaten zum Gegenstand hat, beziehen sich die Strafdrohungen jedoch auf Vorgänge, die ungeachtet ihrer Gemeinschädlichkeit jedenfalls keinen unmittelbaren Schaden für Personen oder Sachen verursachen. Im übrigen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß den befürchteten Gewalttaten nicht durch einen entsprechenden Einsatz von Ordnungskräften entgegengewirkt werden könnte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß es sich nach den Angaben der Antragstellerin, der die Behörde nicht entgegengetreten ist, um eine vergleichsweise kleine Versammlung handelt. Es kommt hinzu, daß die Prognose, nach der die Gefahr der Begehung dieser Straftaten besteht, sich allein auf die angenommene Unzuverlässigkeit der Versammlungsleiter zu stützen vermag, die ihrerseits wiederum lediglich aus deren Verhalten bei früheren Versammlungen erschlossen wird, während Tatsachen, die sich auf die angemeldete Versammlung selbst beziehen, weder in der Verfügung noch in den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte genannt sind.
c) Unter diesen Umständen überwiegen diejenigen Gefahren, die bei einem Verbot der Versammlung für die betroffene Partei und den Parteienwettbewerb insgesamt eintreten, diejenigen, welche bei Durchführung der Versammlung als möglich erscheinen, aber durch geeignete Gegenmittel begrenzt oder ausgeschaltet werden können.