Entscheidungsstichwort (Thema)

Versammlungsverbot. Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 25.07.1998; Aktenzeichen 1 BvQ 11/98)

 

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,00 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Antragstellerin, eine zugelassene Partei, wendet sich gegen eine auf Versammlungsrecht gestützte Verfügung des Antragsgegners, mit der dieser der Antragstellerin eine im Hinblick auf die Bundestagswahl für den 25. Juli 1998 in … an gemeldete Wahlkampfveranstaltung mit dem Thema: … verboten hat.

Mit Schreiben vom 18. Juli 1998 meldete die Antragstellerin bei der Stadt … für den 25. Juli 1998 (Sonnabend) ab 12.30 Uhr einen beabsichtigten Aufzug durch die Stadt … mit anschließender Kundgebung an. Der Aufzug soll in der … beginnen und über die … Straße und die … zum Platz des … führen. Dort soll eine abschließende Kundgebung durchgeführt werden. Dabei soll es sich um eine Wahlkampfveranstaltung der … handeln. Veranstalter ist die … Als Versammlungsleiter wird Herr … und als sein Stellvertreter wird …, der Landesvorsitzende des Landesverbandes … der …, benannt. Sowohl … als auch Herr … sollen als Redner bei dieser Veranstaltung auftreten. Erwartet werden etwa 150 Teilnehmer.

Mit Bescheid vom 24. Juli 1998 verbot der Antragsgegner die beabsichtigte Wahlveranstaltung und ordnete für dieses Verbot die sofortige Vollziehung an. Das Verbot erstreckt sich auch auf jede Ersatzveranstaltung in … Zur Darlegung der Gründe im einzelnen wird auf den Inhalt der Verbotsverfügung vom 24. Juli 1998 verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 24. Juli 1998 legte die Antragstellerin gegen den Bescheid Widerspruch ein und hat am selben Tage um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Die Verbotsverfügung sei nicht geeignet, eine konkrete Gefahrenlage zu begründen. Vorfälle in der Vergangenheit seien strafrechtlich bereits geahndet worden und seien unter dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr nicht geeignet, die Verbotsverfügung zu tragen.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 24. Juli 1998 gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom selben Tage wiederherzustellen.

Der Antragsgegner ist telefonisch über die Einreichung des vorläufigen Rechtsschutzantrages informiert worden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, aber nicht begründet.

Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden Entscheidung des Gerichts über eine Anordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist abzuwägen zwischen dem Interesse der Antragstellerin, bis zu einer Entscheidung über ihren Widerspruch von dem Verbot der Wahlkampfveranstaltung einschließlich des Marsches zum Ort der Kundgebung verschont zu werden und dem Interesse der Allgemeinheit an einer unverzüglichen von der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nicht gehinderten Durchsetzung des Bescheides vom 24. Juli 1998.

Dabei überwiegt das private Interesse vom Sofortvollzug einer angefochtenen Verfügung bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben regelmäßig dann, wenn bereits bei der hier erforderlichen summarischen Prüfung sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig erweist. Andererseits überwiegt das öffentliche Interesse, wenn sich der Bescheid als rechtmäßig erweist. Kann die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Bescheides im Eilverfahren nicht festgestellt werden, ist eine Interessenabwägung hinsichtlich der von den Beteiligten geltend gemachten Interessen durchzuführen.

Hiernach erweist sich der Bescheid vom 24. Juli 1998 bereits bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, da er von den Vorgaben des § 15 Abs. 1 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (VersG) gedeckt ist.

Ausgangspunkt der rechtlichen Würdigung ist Art. 8 Abs. 1 GG, der das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, als unentbehrliches Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens grundgesetzlich schützt. Dies ist grundlegend in dem sog. „Brokdorf-Beschluß” des Bundesverfassungsgerichts (B. v. 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81 –, NJW 1985, 2395) geklärt worden.

Aus der Qualität des Art. 8 GG als „politisches Grundrecht” (vgl. Ott/Wächtler, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 6. Auflage, 1996, S. 27 Rdnrn. 10 ff.) nämlich dem Recht, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß teilzunehmen, folgt aber auch zugleich, daß das Parteienprivileg des Art. 21 GG und die danach den Parteien bezüglich der politischen Meinungs- und Willensbildung gewährte Chancengleichheit insbesondere im Wahlkampf vor einer Wahl (zumal bezüglich der größeren und finanzkräftigeren Parteien nicht benachteiligt zu werden) nur im Verhältnis zwischen den Parteien Geltung erlangt, nicht aber zusätzlich den Grundrechtsschutz im Rahmen des Art. 8 GG erweitert...

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