Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Beschluss vom 09.11.2005; Aktenzeichen 2 Ws 246/05) |
LG Regensburg (Beschluss vom 18.08.2005; Aktenzeichen StVK 114/2005) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 18. August 2005 – StVK 114/2005 – verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 sowie Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, soweit das Gericht die Anträge des Beschwerdeführers auf Aufhebung des von der Justizvollzugsanstalt Straubing für ihn erstellten Vollzugsplans und auf Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Erstellung eines neuen, den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Vollzugsplans zurückgewiesen hat. In diesem Umfang wird der Beschluss aufgehoben und die Sache an das Landgericht Regensburg zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 9. November 2005 – 2 Ws 246/05 – ist damit insoweit gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. Olaf Heischel.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anforderungen an die Vollzugsplanung für einen Strafgefangenen.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt seit 1993 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Im Urteil wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Am 30. August 2004 erfolgte die bislang letzte Fortschreibung des im Jahre 1994 durch die Justizvollzugsanstalt für den Beschwerdeführer erstellten Vollzugsplans.
2. Mit Schreiben vom 1. Februar 2005 beantragte der Beschwerdeführer die Eröffnung der im August 2004 erfolgten Fortschreibung des Vollzugsplans sowie die Gewährung von Akteneinsicht unter Aushändigung einer Kopie der Vollzugsplanfortschreibung. Außerdem beantragte er die Aushändigung eines über die Vollzugsplankonferenz angefertigten Protokolls, aus dem sich Ort und Zeit, der Teilnehmerkreis, die diskutierten Inhalte und seine vom Gesetz vorgesehene Beteiligung ergäben.
3. Die Justizvollzugsanstalt teilte durch Bescheid vom 21. Februar 2005 mit, das Ergebnis der Vollzugsplanfortschreibung sei dem Beschwerdeführer inzwischen eröffnet und es sei ihm Gelegenheit gegeben worden, die durch die Fortschreibung eingetretenen Änderungen auf einer ihm bereits im März 2004 ausgehändigten Kopie des Vollzugsplans nachzutragen. Ein Protokoll über die unter Beteiligung aller an der Behandlung des Beschwerdeführers maßgeblich beteiligten Personen durchgeführte Konferenz sei nicht erstellt worden.
4. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er die Aufhebung der Vollzugsplanung und sämtlicher Fortschreibungen begehrte. Weiter beantragte er die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt, einen ordnungsgemäßen Vollzugsplan unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen zu erstellen, ihm eine Abschrift oder Kopie dieses Plans auszuhändigen und ihn über Zeitpunkt und Teilnehmerkreis der neuen Vollzugsplankonferenz zu informieren. Der aus Datumsstempeln und Kurznotizen über Geschehenes – nicht hingegen über Geplantes – bestehende Vollzugsplan genüge nicht den Mindestanforderungen des § 7 Abs. 2 StVollzG und sei im August 2004 ohne seine mehrfach angemahnte Beteiligung fortgeschrieben worden. Unter anderem würden ihm nach wie vor die günstigeren Bedingungen des „Erstvollzugs” verweigert, obwohl ein Angehöriger des Opfers, mit Rücksicht auf den seine Verlegung in die Abteilung für den Erstvollzug bislang abgelehnt worden sei, sich seit 1996 nicht mehr in der Justizvollzugsanstalt befinde. Zu bemängeln seien auch unsorgfältige, zum Teil falsche Angaben zu einzelnen Punkten des Vollzugsplans, etwa zur Frage des „Abbruchs” einer Berufsausbildung, die er gar nicht erst angetreten habe. Genauere Auskünfte zum Zustandekommen der letzten Vollzugsplanfortschreibung habe die Anstalt trotz mehrfacher Nachfrage nicht erteilt. In der Gesamtschau zeige die Dürftigkeit, Zusammenhanglosigkeit und Planlosigkeit sämtlicher Eintragungen der Vollzugsplanung, dass eine Auseinandersetzung mit seiner Person nicht ansatzweise stattgefunden habe; stattdessen werde ein Verwahrvollzug ohne Zukunftsperspektive betrieben. Das Auskunftsbegehren sei notwendig und begründet, da ihm die Überprüfung des ordnungsgemäßen Zustandekommens des Vollzugsplans auch hinsichtlich der genannten zeitlichen und personalen Kriterien ermöglicht werden müsse.
5. In ihrer mehrfach ergänzten Stellungnahme teilte die Justizvollzugsanstalt mit, der Beschwerdeführer sei für einen Haftraum in der Abteilung für Erstvollzug vorgemerkt gewesen, habe jedoch im Mai 2005 auf diesen verzichtet. Der Eintrag im Vollzugsplan zum „Abbruch” einer Berufsausbildung durch den Beschwerdeführer im Jahre 1995 sei auf dessen Wunsch mittlerweile dahingehend abgeändert worden, dass der Beschwerdeführer eine „Lehrausbildung nicht angetreten” habe.
6. Mit Beschluss vom 18. August 2005 wies das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung zurück. Der auf die Benennung der Konferenzteilnehmer gerichtete Antrag sei bereits unzulässig, da die Vollzugsplankonferenz keine Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzugs sei, sondern lediglich der Vorbereitung und Meinungsbildung für derartige Maßnahmen diene. Im Übrigen sei der Antrag jedenfalls unbegründet, da der Personenkreis, der an der Vollzugsplankonferenz teilnehme, im Gesetz nicht bestimmt und ein Anspruch auf Benennung der Teilnehmer nicht ersichtlich sei. Die übrigen Anträge seien unbegründet, da der Vollzugsplan rechtliche Mängel nicht erkennen lasse und den Beschwerdeführer infolgedessen nicht in seinen Rechten verletze. Der Plan sei verfahrensfehlerfrei zustandegekommen und erfülle die in § 7 Abs. 2 StVollzG aufgestellten Mindestanforderungen.
7. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 9. November 2005 als unzulässig; die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG seien nicht gegeben. Das Landgericht habe rechtsfehlerfrei ein formell ordnungsgemäßes Zustandekommen der auch inhaltlich den Mindestanforderungen des § 7 Abs. 2 StVollzG genügenden Vollzugsplanfortschreibung festgestellt. Insbesondere sei die Fortschreibung nach Angaben der Justizvollzugsanstalt aus der von § 159 StVollzG geforderten Konferenz unter Teilnahme aller an der Behandlung des Beschwerdeführers maßgeblich beteiligten Personen hervorgegangen. Ein Protokoll hierüber habe nicht gefertigt werden müssen; um Auskunft im Sinne des § 185 StVollzG über einen gemäß § 18 Abs. 2 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern möglicherweise verfassten Aktenvermerk habe sich der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer nicht bemüht. Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz ergebe sich auch keine Verpflichtung des Landgerichts, das Verfahren bei der Erstellung des Vollzugsplans ohne konkrete Rügen des Beschwerdeführers auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Aufgrund seiner Kenntnis von der jährlichen Fortschreibung des Vollzugsplans habe der Beschwerdeführer zudem die Gelegenheit gehabt, durch rechtzeitig vorgebrachte Anträge oder Anregungen auf die inhaltliche Ausgestaltung der Fortschreibung Einfluss zu nehmen. Der Vollzugsplan enthalte schließlich seinem Gesamtinhalt nach Eintragungen zu sämtlichen in § 7 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 StVollzG vorausgesetzten Punkten und beschränke sich insoweit auch keineswegs auf Leerformeln oder dürftige Umschreibungen der Mindestvoraussetzungen. Rechtsfehler bei der Ausübung des inhaltlichen Gestaltungsermessens durch die Justizvollzugsanstalt seien nicht ersichtlich.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG. Er beantragt, die Justizvollzugsanstalt zur Erstellung einer ordnungsgemäßen Vollzugsplanung und zur Erteilung der im fachgerichtlichen Verfahren begehrten Auskünfte zu verpflichten, wenigstens jedoch die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen aufzuheben.
Die Verweigerung der zu Zeitpunkt und Teilnehmerkreis zurückliegender Vollzugsplanfortschreibungen begehrten Informationen vereitele sein Recht auf Überprüfung der Vollzugsplanung und verletze daher seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG. Die von Justizvollzugsanstalt und Gerichten geteilte Annahme, ein Antrag auf Aushändigung des Protokolls über die Vollzugskonferenz könne bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil die Erstellung eines derartigen Protokolls gesetzlich nicht vorgeschrieben sei, stehe im Widerspruch zum Wortlaut der §§ 159, 185 StVollzG und verletze seine Rechte aus Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG. Gleiches gelte im Hinblick auf die Auffassung des Oberlandesgerichts, er hätte vorab Auskunft oder Akteneinsicht gemäß § 185 StVollzG bezüglich eines etwa existierenden Aktenvermerks beantragen müssen – gerade dies habe er ausweislich der Verfahrensakten über ein Jahr lang immer wieder getan. Weiterhin verstoße das Fehlen amtlicher Dokumentation zur Vollzugsplankonferenz gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) im Hinblick auf die Subjektstellung des Einzelnen (Art. 1 Abs. 1 GG). Schließlich verletze die angegriffene Vollzugsplanung seinen aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Resozialisierungsanspruch, da jedenfalls bei länger währendem Freiheitsentzug in der Regel sowohl komplexere, aufeinander aufbauende Behandlungsmaßnahmen vorzusehen seien, als auch den negativen Auswirkungen des Strafvollzugs und der Entfremdung von den allgemeinen Lebensverhältnissen tätig entgegengewirkt werden müsse.
2. Dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Es erachtet die Verfassungsbeschwerde als unzulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Rechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG rügt, und als unbegründet, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Resozialisierungsgebotes geltend macht. Der angegriffene Vollzugsplan enthalte die erforderlichen Mindestangaben und gehe über eine pauschale Umschreibung der gesetzlichen Inhalte hinaus. Es sei als ausreichend anzusehen, wenn im Vollzugsplan die jeweiligen Ergebnisse der Erwägungen der Vollzugsplankonferenz festgehalten würden, nicht hingegen die Erwägungen selbst. Die im August 2004 durchgeführte Vollzugsplanfortschreibungskonferenz habe ebenfalls den gesetzlichen Anforderungen entsprochen.
3. Der Beschwerdeführer hat ergänzend mitgeteilt, durch Beschluss des Landgerichts vom 16. März 2006 sei die Mindestverbüßungsdauer für ihn auf 18 Jahre festgesetzt worden.
III.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie die Zurückweisung der Anträge des Beschwerdeführers auf Aufhebung des von der Justizvollzugsanstalt für ihn erstellten Vollzugsplans und auf Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Erstellung eines neuen, den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Vollzugsplans durch Beschluss des Landgerichts vom 18. August 2005 betrifft, gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Insoweit liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde in dem genannten Umfang offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Der Vollzug von Freiheitsstrafen ist nicht nur kraft einfachen Gesetzesrechts (§ 2 Satz 1 StVollzG), sondern von Verfassungs wegen auf das Ziel der Resozialisierung verpflichtet (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪235 f.≫; 45, 187 ≪238 f.≫; 74, 102 ≪122 f.≫; 98, 169 ≪200≫; Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006 – 2 BvR 1673/04, 2 BvR 2402/04 –, Umdruck, S. 25).
Die Arbeit am Vollzugsziel erfordert ein konzentriertes Zusammenwirken aller Beteiligten, also sowohl die Mitwirkung des Gefangenen als auch die der Vollzugsbehörde. Die erforderlichen Maßnahmen müssen von Beginn des Aufenthaltes in der Vollzugsanstalt an aufeinander abgestimmt und veränderten Verhältnissen immer wieder angepasst werden. Dies setzt eine gewisse Planung voraus (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 1993 – 2 BvR 594/92 –, StV 1994, S. 93 ≪94≫).
Der Vollzugsplan, zu dessen Aufstellung und kontinuierlicher Fortschreibung § 7 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StVollzG die Vollzugsbehörde verpflichtet, ist daher zentrales Element eines am Resozialisierungsziel ausgerichteten Vollzuges (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 1993 – 2 BvR 594/92 –, a.a.O., S. 94, und vom 21. Januar 2003 – 2 BvR 406/02 –, NStZ 2003, S. 620). Er dient der Konkretisierung des Vollzugsziels im Blick auf den einzelnen Gefangenen und bildet mit richtungsweisenden Grundentscheidungen zum Vollzugs- und Behandlungsablauf einen Orientierungsrahmen für den Gefangenen wie für die Vollzugsbediensteten (vgl. BVerfG, a.a.O.; Feest/Joester, in: Feest ≪Hrsg.≫, AK-StVollzG, 5. Auflage 2006, § 7 Rn. 1; Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5. Auflage 2002, § 7 Rn. 15; Mey/Wischka, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. Auflage 2005, § 7 Rn. 1). Dies setzt voraus, dass der Plan auf die Entwicklung des Gefangenen und die in Betracht kommenden Behandlungsansätze in zureichender, Orientierung ermöglichender Weise eingeht. Eine Vollzugsplanung, die die diesbezüglichen Mindestanforderungen nicht erfüllt, genügt auch den grundrechtlichen Anforderungen nicht (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 1993 – 2 BvR 594/92 –, StV 1994, S. 93 ≪95≫; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Februar 2004 – 1 Ws 165/03 –, StV 2004, S. 555 ≪556≫; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Auflage 2005, § 7 Rn. 1).
Dies gilt angesichts der Verpflichtung, auch dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten eine Chance zur Wiedererlangung seiner Freiheit zu eröffnen (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪238 f.≫; 64, 261 ≪271 f.≫; 98, 169 ≪200≫), auch in den Fällen lebenslanger Freiheitsstrafe (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 1993 – 2 BvR 594/92 –, StV 1994, S. 93 ≪95≫). In diesen Fällen muss jedenfalls bei schon länger andauerndem Vollzug unabhängig davon, ob ein Entlassungszeitpunkt sich bereits konkret abzeichnet, die Vollzugsplanung besonders auch auf die Vermeidung schädigender Auswirkungen lang dauernden Freiheitsentzuges als ein wesentliches Teilelement des Resozialisierungsauftrages (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪238 f.≫; 98, 169 ≪200≫) ausgerichtet sein.
Das Strafvollzugsgesetz fordert für die Aufstellung des Vollzugsplans, dass der Anstaltsleiter hierzu und zur Überprüfung des Vollzugsplans Konferenzen mit den an der Behandlung maßgeblich Beteiligten durchführt (§ 159 StVollzG). Die Vollzugsplankonferenz bildet den Rahmen für die zur Erstellung und periodischen Fortschreibung des Vollzugsplans erforderliche umfassende Sammlung von Informationen über den Gefangenen und die Diskussion der auf dieser Grundlage einzuleitenden Behandlungsschritte. Aus diesem Grunde kommt der in § 159 StVollzG vorgesehenen gemeinsamen Beratung aller an der Behandlung des Betroffenen maßgeblich beteiligten Personen – die nicht durch ein ausschließlich schriftliches, auf den Austausch entsprechender Aktenvermerke beschränktes Verfahren ersetzt werden darf (vgl. KG, Beschluss vom 20. Februar 1995 – 5 Ws 471/94 Vollz –, NStZ 1995, S. 360; Arloth/Lückemann, StVollzG, § 159 Rn. 2; Feest/Joester, a.a.O., § 7 Rn. 2) – große Bedeutung zu.
Wegen seiner zentralen Bedeutung für die Realisierung des Vollzugsziels muss der Vollzugsplan nicht nur für den Gefangenen verständlich sein und ihm als Leitlinie für die Ausrichtung seines künftigen Verhaltens dienen können, sondern es muss auch eine den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügende gerichtliche Kontrolle daraufhin möglich sein, ob die Rechtsvorschriften für das Aufstellungsverfahren beachtet wurden und das inhaltliche Gestaltungsermessen der Behörde rechtsfehlerfrei ausgeübt worden ist (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 1993 – 2 BvR 594/92 –, a.a.O., S. 94, und vom 21. Januar 2003 – 2 BvR 406/02 –, a.a.O., S. 620; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Februar 2004, – 1 WS 165/03 –, a.a.O., S. 556). Dies erfordert Nachvollziehbarkeit der rechtserheblichen Abläufe und Erwägungen, die durch geeignete Dokumentation sicherzustellen ist (zu entsprechenden Vorwirkungen des Art. 19 Abs. 4 GG vgl. BVerfGE 65, 1 ≪70≫; 103, 142 ≪160≫; vgl. außerdem Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83 und 310/83 –, NJW 1983, S. 2135; Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 157; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 255; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Auflage 2004, Art. 19 Abs. 4 Rn. 88). Der Vollzugsplan muss daher erkennen lassen, dass neben einer Beurteilung des bisherigen Behandlungsverlaufs auch eine Auseinandersetzung mit den zukünftig erforderlichen Maßnahmen stattgefunden hat. Hierzu sind wenigstens in groben Zügen die tragenden Gründe darzustellen, welche die Anstalt zur Befürwortung oder zur Verwerfung bestimmter Maßnahmen veranlasst haben (ebenso OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Februar 2004 – 1 Ws 165/03 –, a.a.O.; Calliess/Müller-Dietz, a.a.O., § 7 Rn. 3; Feest/Joester, a.a.O., § 7 Rn. 9; zurückhaltender Arloth/Lückemann, a.a.O., § 7 Rn. 7). Zudem sind Zeit, Ort und Teilnehmer sowie der wesentliche Inhalt der Vollzugsplankonferenz aktenkundig zu machen. Dabei kann dahinstehen, ob es der Anfertigung eines gesonderten Konferenzprotokolls bedarf (in diesem Sinne Arloth/Lückemann, a.a.O., § 159 Rn. 2; Feest/Joester, a.a.O., § 159 Rn. 5); jedenfalls müssen die für den Gefangenen einsehbaren Unterlagen eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Person des Betroffenen im Rahmen der seiner Vollzugsplanung gewidmeten Konferenz erkennen lassen.
b) Diesen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.
Der Vollzugsplan in der Fassung seiner Fortschreibung vom 30. August 2004 gibt weder über die zur Verwirklichung des durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresses des Beschwerdeführers für erforderlich gehaltenen Entwicklungsschritte Aufschluss, noch ermöglicht er – allein oder in Verbindung mit zugänglichen Dokumentationen – eine den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügende gerichtliche Kontrolle daraufhin, ob er das Resultat des in § 159 StVollzG vorausgesetzten Zusammenwirkens der an der Behandlung des Beschwerdeführers maßgeblich Beteiligten ist.
Die von der Justizvollzugsanstalt dem Beschwerdeführer ausgehändigten Aufzeichnungen erschöpfen sich in einer lückenhaften und zusammenhanglosen Akkumulation rudimentärer Einträge und lassen die Erarbeitung eines Behandlungskonzepts nicht im Ansatz deutlich werden. Die vom Landgericht im Verfahren gemäß §§ 109 ff. StVollzG festgestellten Änderungen und Nachträge der Justizvollzugsanstalt vermögen an diesem Befund nichts zu ändern.
Seit dem Erstvermerk vom 31. August 1994 finden sich in
den einzelnen Rubriken des Vollzugsplans (1. Unterbringung, 2. Arbeitseinsatz, … etc.) nur – zumeist mit Namenskürzeln versehene – knappe handschriftliche Ergänzungen sowie Datumsstempel, die großenteils keinem inhaltlichen Nachtrag zuzuordnen sind und offenbar nur den Sinn haben, eine Befassung mit der betreffenden Planrubrik zu dokumentieren, ohne dass aber im Hinblick auf das Wie der Befassung irgendetwas ersichtlich würde. So finden sich zum Beispiel in der Rubrik 6 „Besondere Hilfsmaßnahmen”; Formularmäßige Unterrubriken: „6.1 Behandlungsgruppe, 6.2 Einzeltherapie, 6.3 Sozialtherapeutische Anstalt, 6.4 besondere ärztliche Maßnahmen, 6.5 besondere Maßnahmen der sozialen Hilfe, 6.6 sonstige Maßnahmen”) nach dem Erstvermerk vom August 1994 die folgenden handschriftlichen Eintragungen:
„Wg. der Strafzeit derzeit nichts zu veranlassen (Namenskürzel) 21.8.96
Weiterhin keine Initiativen notwendig da 15 Jhr. = 2006 (Namenskürzel) 5.8.97
98/99 z.Zt. nichts zu veranlassen (Namenskürzel) 5.99
02/03 Keine Entwicklung zu beobachten 22.8.03 (Namenskürzel)
04 „ „ „ „ 30.8.04 (Namenskürzel)”
Auf dem rechts neben diesen unmittelbar untereinander stehenden Eintragungen noch freiem Platz sind auf der Höhe der handschriftlichen Eintragungen von 1996 und 1997 zwei Datumsstempel – „30.08.01” und „09.09.02” – gesetzt.
Unter der Rubrik „Berufliche Bildungsmaßnahmen” hält bereits der Erstvermerk vom 31. August 1994 das Interesse des Beschwerdeführers an einer Lehre als Elektriker oder als Radio- und Fernsehtechniker fest. In den darauf folgenden Jahren sind jedoch fördernde Maßnahmen oder Planungen der Anstalt in diese Richtung kaum erkennbar; die Einträge beschränken sich insoweit auf den erwähnten „Abbruch” bzw. „Nichtantritt” einer angebotenen Lehrausbildung sowie die vom 22. August 2003 stammende Feststellung, die Justizvollzugsanstalt Kaisheim lehne angesichts des Vollstreckungsstandes des Beschwerdeführers eine Ausbildung ab.
Abgesehen von seiner Arbeit in der Druckerei, einer elfmonatigen, inzwischen beendeten Teilnahme am Schach sowie der mehrmaligen Teilnahme am Malen/Zeichnen ist eine Einbindung des Beschwerdeführers in anstaltsseitig angebotene Betätigungen ebensowenig verzeichnet wie irgendeine diesbezügliche konkrete Planung. Zu dem Punkt „Lockerungen des Vollzuges und Urlaub” enthält der Plan trotz eines deutlichen Überschreitens des 10-Jahres-Zeitpunktes gemäß § 13 Abs. 3 StVollzG lediglich den als Hinweis auf die Festsetzung der Mindestverbüßungsdauer zu verstehenden Eintrag, der Gefangene solle „ermuntert” werden, die „Schwere der Schuld” feststellen zu lassen; vorher seien keine Planungen möglich.
Der Umstand, dass mehr als zehn Jahre nach der erstmaligen Erstellung des Vollzugsplans nicht ersichtlich ist, was zur Erarbeitung einer Wiedereingliederungsperspektive für den Beschwerdeführer unternommen werden soll, lässt sich auch nicht durch den Hinweis darauf rechtfertigen, dass angesichts der getroffenen Feststellung besonderer Schwere der Schuld der Entlassungszeitpunkt zum Zeitpunkt der letzten Vollzugsplanfortschreibung im August 2004 nicht näher habe bestimmt werden können. Die Äußerung der Justizvollzugsanstalt im fachgerichtlichen Verfahren, es habe die gemäß § 159 StVollzG erforderliche Konferenz aller an der Behandlung des Beschwerdeführers maßgeblich beteiligten Vollzugsbediensteten stattgefunden, ist einer Bestätigung oder Widerlegung anhand der schriftlichen Aufzeichnungen, die dem Landgericht vorlagen, nicht zugänglich. Außer der erwähnten Stellungnahme der Anstalt findet sich in den Gerichtsakten kein Hinweis darauf, dass es in der Vergangenheit jemals zu einem organisierten Austausch über die Person des Beschwerdeführers und zu einer hierauf basierenden Planung der Vollzugsperspektiven gekommen wäre.
c) Ob durch die Entscheidung des Landgerichts weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt worden sind, kann angesichts des festgestellten Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 19 Abs. 4 GG offen bleiben.
d) Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Sie ist daher aufzuheben, soweit das Gericht die Anträge des Beschwerdeführers auf Aufhebung des von der Justizvollzugsanstalt S. für ihn erstellten Vollzugsplans und auf Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Erstellung eines neuen, den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Vollzugsplans zurückgewiesen hat. In diesem Umfang ist die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Entscheidung des Oberlandesgerichts wird damit insoweit gegenstandslos.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Justizvollzugsanstalt vom 21. Februar 2005 wendet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls mangels Rechtswegerschöpfung im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unzulässig. Der Beschwerdeführer hat die Versagung von Auskünften über die nach Angaben der Anstalt im August 2004 durchgeführte Vollzugsplanfortschreibungskonferenz zwar zur Begründung seines Antrages gemäß §§ 109 ff. StVollzG angeführt; der Antrag selbst war jedoch ausschließlich auf die Ersetzung der existierenden durch eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Vollzugsplanung sowie auf die Erteilung von Auskünften über die zu diesem Zweck gemäß § 159 StVollzG erst noch durchzuführende Konferenz gerichtet. Einen auf Informationen über das Zustandekommen der im August 2004 erfolgten Vollzugsplanfortschreibung gerichteten Antrag hat der Beschwerdeführer demgegenüber im fachgerichtlichen Verfahren nicht gestellt.
2. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Zurückweisung seines Antrages, die Justizvollzugsanstalt S. zur Gewährung von Informationen über Zeitpunkt und Teilnehmerkreis der neuen Vollzugsplankonferenz zu verpflichten, durch Beschluss des Landgerichts vom 18. August 2005 wendet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil dem Beschwerdeführer hierdurch angesichts der im Übrigen getroffenen Entscheidung jedenfalls kein besonders schwerer Nachteil (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) entsteht.
3. Soweit der Beschwerdeführer die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Erstellung einer ordnungsgemäßen Vollzugsplanung und zur Erteilung der im fachgerichtlichen Verfahren begehrten Auskünfte beantragt, wird die Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht zur Entscheidung angenommen; ein Entscheidungsausspruch dieses Inhalts liegt außerhalb der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts (§ 95 Abs. 1 und 2 BVerfGG; vgl. BVerfGE 7, 99 ≪105 f.≫).
4. Die Entscheidung über die Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 86, 90 ≪122≫). Damit erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. Heischel.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen