Verfahrensgang

OLG Koblenz (Beschluss vom 01.08.2002; Aktenzeichen 3 U 253/02)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie unzulässig ist. Der Beschwerdeführer hat vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht erschöpft.

  • Der Rechtsweg ist nicht erschöpft, wenn er nicht beschritten wurde oder mangels rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels die Entscheidung Rechtskraft erlangt hat (vgl. BVerfGE 1, 12 ≪13≫; 34, 204 ≪205≫). Gegen den angegriffenen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eröffnet, §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dieses Rechtsmittel hat der Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht eingelegt.
  • Die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG liegen nicht vor. Diese Ausnahmevorschrift ermächtigt das Bundesverfassungsgericht nicht, von dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs schlechthin abzusehen; sie greift vielmehr grundsätzlich nur ein, wenn der Rechtsweg bereits beschritten ist oder noch beschritten werden kann, jedoch aus den im zweiten Halbsatz genannten Gründen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtswegs in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 22, 349 ≪354≫; 56, 54 ≪68 f.≫). Daran fehlt es hier. Die Rechtsbeschwerde wurde nicht eingelegt und kann auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr eingelegt werden, weil die Monatsfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO bereits am 9. September 2002 abgelaufen war.
  • Die Einlegung der Rechtsbeschwerde war dem Beschwerdeführer auch zumutbar.

    Nach dem Sinn des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist die Erschöpfung des Rechtswegs objektiv nicht geboten und einem Beschwerdeführer subjektiv nicht zuzumuten, wenn er im Hinblick auf eine gefestigte, jüngere und einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung auch im konkreten Einzelfall kein von dieser Rechtsprechung abweichendes Ergebnis erwarten kann (vgl. BVerfGE 9, 3 ≪7 f.≫; 18, 224 ≪231≫).

    Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO insbesondere dann erforderlich, wenn das Beschwerdegericht Verfahrensgrundrechte, wie zum Beispiel die Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), verletzt hat, weil hier über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt werden. Der Bundesgerichtshof sieht sich hier ausdrücklich dazu berufen, im Rahmen seiner Möglichkeiten die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten und einen Grundrechtsverstoß der Vorinstanz zu beseitigen. Dabei nimmt er Bezug auf die Begründung der Bundesregierung zu § 574 ZPO im Gesetzentwurf: Bereits hier wird darauf hingewiesen, dass eine Rechtssache auch dann grundsätzliche Bedeutung haben kann, wenn materielle oder formelle Fehler bei der Auslegung oder Anwendung des revisiblen Rechts über den Einzelfall hinaus allgemeine Interessen nachhaltig berühren und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Dazu werden vor allem Fälle gezählt, in denen Verfahrensgrundrechte verletzt sind (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 – V ZB 16/02 –, abgedruckt in: NJW 2002, S. 3029 ≪3030≫; BTDrucks 14/4722, S. 104, 116; Lipp, NJW 2002, S. 1700 ≪1701≫; Baumbach/Lauterbach/Albers, Zivilprozessordnung, 60. Aufl., 2002, § 543 Rn. 8; Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 23. Aufl., 2002, Einl. Rn. 103).

    Aufgrund dieser zu § 574 ZPO vom Bundesgerichtshof vertretenen Ansicht war die Einlegung der Rechtsbeschwerde für den Beschwerdeführer zumutbar. Im Rahmen dieses Rechtsbeschwerdeverfahrens hätte er die behauptete Verletzung seiner Verfahrensgrundrechte, insbesondere seines aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden Rechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 85, 337 ≪345≫), geltend machen können.

  • Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

    Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Steiner, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 874995

NJW 2003, 1176

www.judicialis.de 2002

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