Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 13.07.2005; Aktenzeichen 1 StR 239/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet, denn die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass jemand dadurch seinem gesetzlichen Richter entzogen werden kann, dass der Senat eines obersten Bundesgerichts die Verpflichtung zur Vorlage an den Großen Senat außer acht lässt, selbst wenn der Große Senat nur über eine bestimmte Rechtsfrage zu entscheiden hat (vgl. BVerfGE 3, 359 ≪363≫; 9, 213 ≪215 f.≫; 13, 132 ≪143≫; 19, 38 ≪43≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1992 – 2 BvR 972/92 –, NStZ 1993, S. 90; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. August 1994 – 2 BvR 647/93 –, NStZ 1995, S. 76; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Februar 1995 – 2 BvR 1406/94 –, NJW 1995, S. 2914; stRspr). Allerdings bietet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur Schutz gegen Willkür, nicht gegen Irrtum (vgl. BVerfGE 6, 45 ≪53≫).
Nach § 132 Abs. 2 GVG entscheidet der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Strafsenats abweichen will. Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn ein Strafsenat dieselbe Rechtsfrage anders als ein anderer Strafsenat beantworten möchte und die divergierenden Rechtsauffassungen entscheidungserheblich sind. Dieselbe Rechtsfrage liegt immer dann vor, wenn wegen der Gleichheit des Rechtsproblems die Entscheidung ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Fälle oder der anwendbaren Vorschriften nur einheitlich ergehen kann. An der Identität der Rechtsfrage kann es hingegen fehlen, wenn die den voneinander abweichenden Entscheidungen zu Grunde liegenden Sachverhalte im Tatsächlichen wesentlich anders gelagert sind. Denn ein von einem Revisionsgericht zur Beurteilung des ihm unterbreiteten Falles aufgestellter Rechtssatz gilt für andere Fälle nur, wenn diese der entschiedenen Sache in den wesentlichen Beziehungen gleichkommen. Eine Revisionsentscheidung kann nur eine einzige Antwort auf den zu entscheidenden Fall geben. Er bestimmt auch da, wo es dem Revisionsgericht nicht gelingt, sich in seiner Ausdrucksweise auf ihn zu beschränken, die Tragweite des Urteils für künftige Fälle (vgl. Hannich, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, Rn. 34 zu § 121 GVG und Rn. 3 f. zu § 132 GVG, jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
2. Im Fall des Beschwerdeführers sind der Entscheidung des Bundesgerichtshofs keine Gründe und damit auch keine Erwägungen zur Notwendigkeit einer Divergenzvorlage beigefügt. Diese Praxis begegnet als solche – anders als der Beschwerdeführer insinuiert – keinen rechtsstaatlichen Bedenken (vgl. Bundesverfassungsgericht ≪Vorprüfungsausschuss≫, Beschluss vom 22. Januar 1982 – 2 BvR 1506/81 –, NJW 1982, S. 925). Das Grundgesetz enthält keine unbedingte Verpflichtung der Gerichte, ihre Erkenntnisse mit Gründen zu versehen. Die Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO darf nur auf einen begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft hin ergehen, zu dem der Revisionsführer Stellung nehmen kann (§ 349 Abs. 3 StPO).
3. Eine Divergenzvorlage nach § 132 Abs. 2 GVG war nicht erforderlich, so dass der Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist.
a) Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs konnte ohne Willkür davon ausgehen, dass er mit seiner Entscheidung nicht von früheren Entscheidungen anderer Senate abweicht. Legt man die Antragsschrift des Generalbundesanwalts zu Grunde, ergibt sich, dass sich der Senat in der Bewertung des landgerichtlichen Urteils in einer aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandenden Weise an den rechtlichen Grundsätzen der Entscheidung des 5. Strafsenats vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04 – (BGHSt 49, 239 ff.) orientiert hat. Hiernach kommt für den Fall, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit beruht, in der Regel eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht in Betracht, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht hat.
b) Bei der durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgearbeiteten Sach- und Rechtslage war es nicht willkürlich, dass der 1. Strafsenat die Sache nicht dem Großen Senat für Strafsachen im Wege der Divergenzvorlage vorgelegt hat. Lag in der Entscheidung des Landgerichts bereits keine Abweichung von den Grundsätzen der Entscheidung des 5. Strafsenats in BGHSt 49, 239 ff., so gab es auch keine Rechtsfrage, die der 1. Strafsenat dem Großen Senat zur Entscheidung hätte vorlegen müssen. Das Unterlassen der Vorlage war vielmehr konsequent, so dass sich die vom Beschwerdeführer angestellten Vermutungen zur Motivation des 1. Strafsenats, eine Vorlage zu unterlassen, als nicht belegte Unterstellung erweisen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen