Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Verfahrensgang
Tenor
Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Lübeck vom 13. Juli 2004 – 6 KLs 12/04 – wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers in der Hauptsache ausgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Vollziehung eines rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Lübeck, durch das der Beschwerdeführer wegen Betruges in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde. Nach Ablehnung seines Antrags auf Gewährung von Strafaufschub hat ihn die Staatsanwaltschaft bis spätestens zum 28. April 2005 zum Strafantritt geladen.
Die Verfassungsbeschwerde stellt unter anderem die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Auslegung und Anwendung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (Begründungsanforderungen an Verfahrensrügen) durch das Revisionsgericht.
Der Beschwerdeführer trägt vor, der Bundesgerichtshof habe einen einheitlichen Vorgang in der Hauptverhandlung willkürlich in zwei Teile aufgespalten und den Verfahrensverstoß in dem einen Teil nicht als gerügt, den gerügten Verfahrensverstoß nicht als hinreichend ausgeführt angesehen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 ≪172≫; 91, 328 ≪332≫; stRspr).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die danach gebotene Folgenabwägung lässt die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.
3. Die Folgenabwägung ergibt, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen.
a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als begründet, so kann in der Zwischenzeit die erkannte Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten vollstreckt werden. Dabei handelt es sich um einen erheblichen, nicht wieder gutzumachenden Eingriff in das Recht auf die Freiheit der Person (vgl. BVerfGE 22, 178 ≪180≫), das unter den grundrechtlich verbürgten Rechten besonderes Gewicht hat (vgl. BVerfGE 65, 317 ≪322≫).
b) Erginge die einstweilige Anordnung, wird die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet zurückgewiesen, so wiegen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. In diesem Fall kann zwar die rechtskräftig erkannte Freiheitsstrafe vorübergehend nicht vollstreckt werden. Ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit ist durch das Zurücktreten des öffentlichen Interesses an einer alsbaldigen Vollstreckung einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe hier jedoch nicht zu besorgen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen