Widersprüchliche Gerichtsentscheidungen zum Genesenenstatus

Nachdem eine ganze Reihe von Verwaltungsgerichten die Verkürzung der Dauer des Genesenenstatus auf drei Monate durch das RKI für verfassungswidrig erklärt hat, schert das VG Koblenz nun aus und weist Eilanträge ab.

Nach einer aktuellen Entscheidung des VG Koblenz haben die Antragstellerinnen von zwei Eilverfahren keinen Anspruch auf eine vorläufige Feststellung des Gerichts, dass die ihnen ausgestellten Genesenennachweise für die Dauer von sechs Monaten Gültigkeit haben.

Genesenennachweis lässt Rückschluss auf Testzeitpunkt zu

Die Antragstellerinnen waren im Besitz von im Dezember 2021 ausgestellten Nachweisen über ihren Genesenenstatus, in denen bescheinigt wurde, dass die maßgeblichen Testungen, bei denen eine Infektion mit dem Coronavirus festgestellt wurde, am 24. bzw. 26. Mai 2022 sechs Monate zurückliegen.

Gericht soll Gültigkeitsdauer der Genesenenachweise festlegen

Infolge einer vom RKI zum 15.1.2022 vorgenommenen Änderung wurde der Genesenenstatus auf 90 Tage verkürzt. Die Antragstellerinnen befürchteten aufgrund dessen, dass ihre Genesenenachweise nun bereits 90 Tage früher ihre Gültigkeit verlieren und sie deshalb von den für Genesene geltenden Ausnahmen von den Coronabeschränkungen vorzeitig ausgenommen würden. Sie beantragten daher den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Feststellung, dass die ihr Genesenenstatus sechs Monate ab dem Tag der Testung gilt.

Entscheidung über Genesenenstatus liegt nicht beim Landkreis

Das VG lehnte die Eilanträge aus mehreren Gründen ab. So besitze der von den Antragstellerinnen in Anspruch genommene Landkreis als Antragsgegner schon nicht die Kompetenz, über den Genesenenstatus zu entscheiden. Der Landkreis habe lediglich den Zeitpunkt der Testung bzw. den Zeitpunkt des Ablaufs der ursprünglich für Genesene geltenden Sechsmonatsfrist bescheinigt. Über die Dauer der Gültigkeit dieses Nachweises habe der Landkreis nicht zu befinden. Deshalb sei der Landkreis schon nicht der richtige Antragsgegner.

Im Eilverfahren nur Folgenabwägung möglich

Das VG bewertete die Anträge allerdings auch als unbegründet. Das Gericht wollte sich auf eine Bewertung der Verfassungsgemäßheit der Verkürzung des Genesenenstatus nicht einlassen. Diese Frage sei mit schwierigen, in einem Eilverfahren nicht zu klärenden Rechtsproblemen verbunden. Dies müsse einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Im Rahmen eines Eilverfahrens sei daher lediglich eine Folgenabwägung vorzunehmen, d.h. es seien die für die Antragstellerinnen einerseits und die Gesellschaft andererseits eintretenden Folgen zu beurteilen, die bei einer Antragsstattgabe bzw. bei einer Ablehnung der Eilanträge eintreten würden.

Geringe Nachteile für Antragstellerinnen

Diese Abwägung fällt nach Einschätzung des Gerichts eindeutig zu Lasten der Antragstellerinnen aus. Selbst wenn sich in einem Hauptsacheverfahren herausstellen würde, dass die Verkürzung des Genesenenstatus rechtswidrig war, seien die damit verbundenen Nachteile für die Antragstellerinnen überschaubar. Sie hätten ohne weiteres die einfache Option, sich gegen das SARS-Cov-2-Virus impfen zu lassen und könnten auf diese Weise problemlos in den Genuss der für Geimpfte und Genesene geltenden Vergünstigungen kommen.

Erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit

Demgegenüber seien das Ausmaß und die Schwere der Nachteile bei einer gerichtlich verfügten Verlängerung des Genesenenstatus erheblich. Bei Kontakt mit vulnerablen Gruppen und einer daraus resultierenden Ansteckung drohten erhebliche Gesundheitsgefahren mit schweren körperlichen Folgen für den von einer solchen Ansteckung betroffenen Personenkreis. Aus diesem Grund seien die gestellten Anträge im Rahmen einer Folgenabwägung zurückzuweisen.


(VG Koblenz, Beschluss v. 23.2.2022, 3 L 150/22 und 3 L 169/22)


Hintergrund

Mit seiner aktuellen Entscheidung schert das VG Koblenz aus einer inzwischen langen Reihe von Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte aus, die die Verkürzung des Genesenenstatus von ursprünglich 180 Tagen auf seit dem 15.1.2022 geltende 90 Tage als mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig eingestuft und in vergleichbaren Eilverfahren zugunsten der Antragsteller entschieden haben (VG Berlin, Beschluss 16.2.2022, 14 L 24/22; VG Hamburg, Beschluss v. 14.2.2022, 14 E 414/22; VG München, Beschluss v. 22.2.2022, M 26a E 22.662; VG Osnabrück, Beschluss v. 4.2.2022, 3 B 4/22; VG Ansbach, Beschluss v. 11.2.2022, 18 S 22.00234; VG Magdeburg, Beschluss v. 22.2.2022, 1B 26/22 MD).

Genesenenstatus vom RKI ohne Vorwarnung auf 90 Tage verkürzt

In § 2 Nr. 5 der „Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19“ (SchAusnahmVO) in der Fassung vom 8.5.2021 war der mit den allgemein bekannten Erleichterungen bei den Coronabeschränkungen verbundene Genesenenstatus an einen Zeitraum von 180 Tagen beginnend 28 Tage nach einer positiven PCR-Testung, also der Feststellung einer Covid-19-Erkrankung, geknüpft. Infolge einer vom RKI auf seiner Internetseite am 14.1.2022 vorgenommenen Änderung wurde der Genesenenstatus zum 15.1.2022 ohne Vorankündigung auf 90 Tage verkürzt.

Gesetzliche Regelungstechnik wahrscheinlich rechtswidrig

Der Großteil der Verwaltungsgerichte schätzte im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung die unvermittelte Änderung der Rechtsposition der Antragsteller als mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ein, da sie auf einer voraussichtlich verfassungsrechtlich unzulässigen Regelungstechnik des Gesetzgebers beruhe:
 

  • Die Regelung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmVO verstoße gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG, wonach der Gesetzgeber wesentliche, insbesondere grundrechtsrelevante Sachverhalte selbst regeln muss. Die Vorschrift verweise hinsichtlich des Genesenenstatus, der für die Betroffenen eine erhebliche Grundrechtsrelevanz besitze, schlicht auf die Vorgaben des RKI, das damit als ein zur Exekutive gehörendes Organ faktisch einseitig über erhebliche Grundrechtseingriffe entscheiden könne.
     
  • Beim Verweis auf die Vorgaben des RKI handele es sich um eine unzulässige Subdelegation. Die einschlägige infektionsrechtliche Ermächtigungsvorschrift des § 28c IfSG enthalte lediglich eine Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung und die Landesregierungen, nicht aber für das RKI.
     
  • Darüber hinaus verstoße der Verweis auf die Internetseite des RKI auch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG. Eine Verordnung, die Betroffene darauf verweise, ständig die Internetseite des RKI daraufhin zu überprüfen, ob sich die für sie bestehende Rechtslage geändert hat, sei eine unzumutbare Überforderung für den Normadressaten und mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht vereinbar.

Auch das BVerfG äußert Zweifel an der gesetzlichen Regelungstechnik

In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht äußerte auch das BVerfG deutliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der ähnlich gestalteten Regelungstechnik des § 20a IfSG. Auch diese Vorschrift enthalte eine rechtlich zweifelhafte doppelte dynamische Verweisung, dort zur Konkretisierung der Anforderungen an den vorzulegenden Impf- und Genesenennachweis. Die Verfassungsrichter äußerten Zweifel, ob die Weiterverweisung auf namentlich in Bezug genommene Regelwerke diverser Bundesinstitute im Gesetz eine hinreichende Grundlage findet (BVerfG, Beschluss v. 10.2.2022, 1 BvR 2649/21).

 Beim Genesenenstatus droht bundesweiter Flickenteppich

Nach dem entstandenen Chaos um den Genesenenstatus will Bundesgesundheitsminister Lauterbach dem RKI die Entscheidung über diese Frage wieder entziehen. Die Länder haben dieser Absicht inzwischen zugestimmt. Das RKI selbst hat kürzlich nachjustiert. Hiernach gilt die Verkürzung des Genesenenstatus auf drei Monate nur für „ausschließlich vor und nach der durchgemachten Infektion nicht geimpfte Personen“. Geimpfte gelten also weiterhin sechs Monate als genesen. Eine bundesweit einheitliche Regelung und Klarstellung wäre nach den divergierenden Gerichtsentscheidungen dringend erforderlich.


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