Tenor
- Das Urteil des Landesberufsgerichts für Architekten in Stuttgart vom 24. Oktober 2002 – LBG 1/02 – und das Urteil des Berufsgerichts für Architekten in Stuttgart vom 6. Dezember 2001 – BG 43/01 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Berufsgericht für Architekten in Stuttgart zurückverwiesen.
- Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Unterschreitung des in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vorgesehenen Mindesthonorars bei einem Architektenwettbewerb.
I.
1. Gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und Ingenieure (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – im Folgenden: HOAI) richtet sich die Vergütung eines Architekten nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen. Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist, gelten die jeweiligen Mindestsätze als vereinbart (§ 4 Abs. 4 HOAI). § 4 Abs. 2 HOAI erlaubt, “in Ausnahmefällen” die Mindestsätze durch schriftliche Vereinbarung zu unterschreiten.
Architekten mit Wohnsitz oder Niederlassung in Baden-Württemberg sind nach Maßgabe des landesrechtlichen Architektengesetzes (GBl 1999, S. 411 – im Folgenden: ArchG BW) Mitglieder der Architektenkammer. Nach § 17 Satz 1 ArchG BW sind die Kammermitglieder verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, wobei das Nähere die Berufsordnung regelt (§ 17 Satz 2 ArchG BW). Wegen berufswidriger Handlungen haben sich Kammermitglieder nach § 18 Abs. 1 ArchG BW in einem berufsgerichtlichen Verfahren zu verantworten. Berufswidrig ist nach § 18 Abs. 2 ArchG BW ein Verhalten, “das gegen die Pflichten verstößt, die einem Architekten … zur Wahrung des Ansehens seines Berufes obliegen”.
Die Berufsordnung der Architektenkammer Baden-Württemberg (im Folgenden: BO-ArchK BW) verlangt in Nr. 2 Abs. 7 von freien Architekten, dass jede Leistung auf der Grundlage der jeweils gültigen Gebührenordnung vertraglich vereinbart und abgerechnet wird. Nr. 1 Abs. 4 BO-ArchK BW verpflichtet die Kammermitglieder, sich nur an solchen Architektenwettbewerben zu beteiligen, die einen fairen Leistungswettbewerb sicherstellen “und in ausgewogener Weise den partnerschaftlichen Belangen der am Wettbewerb Beteiligten Rechnung tragen”. Beispielhaft werden hierfür Wettbewerbe genannt, denen die “Grundsätze und Richtlinien für Wettbewerbe auf den Gebieten der Raumplanung, des Städtebaues und des Bauwesens (GRW 77)” zugrunde liegen.
2. Der Beschwerdeführer ist Architekt in Baden-Württemberg. Er wurde gemeinsam mit einem Partner und neben einigen weiteren Architekten aufgefordert, im Rahmen eines Wettbewerbs näher spezifizierte Entwürfe für eine Schwimmbadanlage einzureichen. Den Teilnehmern des Wettbewerbs wurde dabei eine “Aufwandsentschädigung” von 12.000 DM netto zugesagt. Der Gewinner sollte den Auftrag für die Leistungsphasen 1 bis 4 erhalten. Es handelte sich nicht um einen Wettbewerb nach den “Grundsätzen und Richtlinien für Wettbewerbe auf den Gebieten der Raumplanung, des Städtebaues und des Bauwesens” (im Folgenden: Grundsätze und Richtlinien für Wettbewerbe), einer Verwaltungsvorschrift des Bundes.
Der Beschwerdeführer und sein Partner reichten den geforderten Entwurf ein. Den Wettbewerb gewann jedoch ein anderer Architekt.
3. Das Berufsgericht für Architekten verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Geldbuße von 3.000 DM. Seine Berufung vor dem Landesberufsgericht für Architekten blieb erfolglos. Er habe berufswidrig im Sinne von § 18 Abs. 2 ArchG BW gehandelt, weil er bei einem Wettbewerb, der nicht den Grundsätzen und Richtlinien für Wettbewerbe entsprochen habe, entgegen § 4 Abs. 2 HOAI die Mindestsätze der Honorarordnung unterboten habe. Dadurch habe er gegen Nr. 2 Abs. 7 BO-ArchK BW verstoßen. Bei Anwendung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure hätte sich ein um ein Vielfaches höheres Honorar ergeben.
4. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Im Ergebnis werde ihm die Teilnahme an Wettbewerben verboten, die nicht den Grundsätzen und Richtlinien für Wettbewerbe folgten. Dies sei unverhältnismäßig. Wenn der Sieger des Wettbewerbs mit einem nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vergüteten Auftrag prämiert werde, sei das Ziel der Beschränkung der Mindestsatzunterschreitung in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, die Vermeidung eines ruinösen Preiswettbewerbs unter Architekten, nicht berührt. Es gehe nicht darum, den Teilnehmer mit dem billigsten Angebot auszuwählen, sondern um die beste Lösung der gestellten Aufgabe.
5. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft für die Bundesregierung und die Bundesarchitektenkammer inhaltlich Stellung genommen.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung eines der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
1. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet dem Einzelnen die Freiheit der Berufsausübung als Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung. Das Grundrecht umschließt auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln (vgl. BVerfGE 101, 331 ≪346 f.≫). Die berufsgerichtlichen Entscheidungen greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein, weil sie an das Verhalten des Beschwerdeführers im Schutzbereich des Grundrechts Sanktionen knüpfen.
2. Eingriffe in das Recht der Berufsausübungsfreiheit bedürfen nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, die den Anforderungen der Verfassung entspricht (vgl. BVerfGE 111, 10 ≪28≫; 111, 191 ≪214≫). Gesetzliche Grundlage für die berufsgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ist in erster Linie das grundsätzliche Verbot des Unterschreitens der Mindestvergütungssätze in § 4 Abs. 2 HOAI, das durch § 18 Abs. 1 und 2, § 19 Satz 1 ArchG BW in Verbindung mit Nr. 2 Abs. 7 BO-ArchK BW sanktioniert wird.
a) Zweifelhaft ist bereits, ob § 18 Abs. 2 Satz 1 ArchG BW dem – auch für berufsgerichtliche Sanktionen geltenden (vgl. BVerfGE 26, 186 ≪203 f.≫; 60, 215 ≪233 f.≫) – Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG genügt. Als berufswidrig definiert § 18 Abs. 2 Satz 1 ArchG BW ein Verhalten, “das gegen die Pflichten verstößt, die einem Architekten … zur Wahrung des Ansehens seines Berufes obliegen”. Es ist nicht klar, welches Verhalten damit gemeint ist. Berufspflichten sind zwar in der Berufsordnung der Architektenkammer Baden-Württemberg geregelt, aber es bleibt die Frage offen, welche Bedeutung dem Zusatz “zur Wahrung des Ansehens seines Berufes” zukommt. Diese Formulierung könnte im Verhältnis zu den in der Berufsordnung der Architektenkammer Baden-Württemberg normierten Berufspflichten lediglich deklaratorische Bedeutung haben; denkbar ist aber auch, dass mit ihr eine Erweiterung oder umgekehrt eine Einschränkung dieser Pflichten beabsichtigt ist. Dies bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Verfassungsbeschwerde mit Blick auf die Bindung an die Mindestvergütungssätze (§ 4 Abs. 2 HOAI) aus anderen Gründen Erfolg hat.
b) Hierbei kann ohne weitere Prüfung die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 2 HOAI unterstellt werden; denn die Gerichte im Ausgangsverfahren haben § 4 Abs. 2 HOAI jedenfalls in einer Weise ausgelegt, die mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist. Entgegen ihrer Auffassung ist bei einem Architektenwettbewerb eine Unterschreitung der Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nicht zu beanstanden, gleichgültig, ob der Wettbewerb nach den Grundsätzen und Richtlinien für Wettbewerbe durchgeführt wird oder nicht. Eine grundrechtsgeleitete Auslegung des § 4 Abs. 2 HOAI führt zu einer entsprechenden Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift.
aa) Nach der Rechtsprechung der Fachgerichte ist die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure nur dann anwendbar, wenn über die Leistungen des Architekten ein Vertrag geschlossen worden und nicht lediglich eine Auslobung (§§ 657 ff. BGB) erfolgt ist (vgl. BGH, NJW 1997, S. 2180 ≪2181≫). Die Gerichte im Ausgangsverfahren sind davon ausgegangen, dass zwischen dem Beschwerdeführer und der Veranstalterin des Wettbewerbs ein Vertrag zustande kam. Ob dies zutrifft, ist eine unter Würdigung der tatsächlichen Geschehnisse zu beurteilende Frage des einfachen Rechts, deren Beantwortung das Bundesverfassungsgericht nicht überprüft.
bb) Die Beschränkung der Unterschreitung der Mindestsätze in § 4 Abs. 2 HOAI greift in die in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit ein, weil sie die Architekten daran hindert, die Honorare frei zu vereinbaren.
Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure als Rechtsverordnung beruht auf dem Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (GIA). Zweck des § 4 Abs. 2 HOAI ist ausweislich der Gesetzesmaterialien zu der gleichlautenden Norm des § 2 Abs. 3 Nr. 1 GIA die Vermeidung eines ruinösen Preiswettbewerbs zwischen Architekten, der die Qualität der Planungstätigkeit gefährden würde (vgl. BTDrucks 10/543 ≪neu≫, S. 4; BTDrucks 10/1562, S. 5; Plenarprotokoll des 10. Deutschen Bundestages vom 21. September 1984, S. 6286 ff.). Die Sicherung und Verbesserung der Qualität der Tätigkeit der Architekten stellt ein legitimes Ziel dar. Zu seiner Herbeiführung sind verbindliche Mindesthonorarsätze geeignet, da sie den Architekten jenseits von Preiskonkurrenz den Freiraum schaffen, hochwertige Arbeit zu erbringen, die sich im Leistungswettbewerb der Architekten bewähren muss.
cc) Die Gefahr der Qualitätsminderung durch Preiswettbewerb, der die Mindesthonorarregelung entgegenwirken will, kann bei einem Architektenwettbewerb jedoch vernachlässigt werden.
Architektenleistungen von geringer Qualität sind nur in Form der zum Wettbewerb eingereichten Vorschläge zu befürchten. Die Realisierung solcher Vorschläge ist jedoch nicht zu erwarten; denn es ist gerade Ziel des Wettbewerbs, aus der Anzahl der Vorschläge den besten zu ermitteln und zu verwirklichen. Die Gefahr, dass die Wettbewerbsteilnehmer weniger Aufwand in ihren Beitrag investieren, wenn ihre Aufwandsentschädigung geringer ausfällt, ist nahezu auszuschließen. Ohne entsprechenden Einsatz besteht keine Möglichkeit, den Wettbewerb zu gewinnen. Wer sich zur Teilnahme entschließt, wird nicht durch die Aufwandsentschädigung, sondern durch die Aussicht auf den Gewinn des Wettbewerbs und die damit verbundenen Vorteile angespornt, sein Bestes zu geben.
Dies gilt für jede Form des Architektenwettbewerbs, auch für solche, die nicht den Grundsätzen und Richtlinien für Wettbewerbe entsprechen. Insbesondere wird die Qualität der Leistung der Architekten auch im Interesse des jeweiligen Bauherren geschützt. Die Qualität erleidet keine Einbuße, wenn der Bauherr als Veranstalter eines Architektenwettbewerbs, anders als in den Grundsätzen und Richtlinien für Wettbewerbe vorgesehen, statt eines unabhängigen Preisgerichts selbst über den seinen Bedürfnissen am besten entsprechenden Entwurf entscheiden will.
dd) Da die Vorschrift des § 4 Abs. 2 HOAI in den Fällen von Architektenwettbewerben den Zweck verfehlt, durch den allein sie vor dem Schutz der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden kann, muss eine grundrechtsgeleitete Interpretation der Norm zu dem Ergebnis führen, dass das Verbot der Unterschreitung der Mindestsätze grundsätzlich nicht für die Vergütung von Wettbewerbsbeiträgen gilt. Es handelt sich dabei nicht um einen in § 4 Abs. 2 HOAI geregelten “Ausnahmefall”, vielmehr ist die Norm in diesem Bereich von vornherein nicht anwendbar. Diese am Normzweck ausgerichtete Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 4 Abs. 2 HOAI hätten die Gerichte im Ausgangsverfahren durch restriktive Auslegung oder teleologische Reduktion der Norm herbeiführen können.
ee) Diese Auslegung führt nicht dazu, dass § 4 Abs. 2 HOAI auch dann unanwendbar wäre, wenn der Bereich des Wettbewerbs verlassen wird. Kommt es zur Weiterführung und Umsetzung der mit dem Wettbewerb geforderten Planung, so muss der Architekt, dessen Planung weitergeführt wird, für seine Tätigkeit nach den Bestimmungen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vergütet werden.
Dies kann erreicht werden, indem – wie im Ausgangsfall – dem Sieger des Wettbewerbs der vollumfängliche Auftrag, also zumindest einschließlich seiner schon im Rahmen des Wettbewerbs erbrachten Planungsleistung, zugesagt wird. Dieser Auftrag ist dann entsprechend der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure zu vergüten, wobei eine bereits gezahlte Aufwandsentschädigung angerechnet werden kann. Wird eine solche Zusage nicht erteilt, so muss sichergestellt sein, dass der Veranstalter des Wettbewerbs die eingereichten Planungen nicht fortführt und umsetzt, ohne das für die umgesetzten Planungen nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure anfallende Honorar zu zahlen. Gewöhnlich wird einer solchen Umsetzung das Urheberrecht des Architekten entgegenstehen. Sollten allerdings Nutzungsrechte übertragen werden, so begründet dies die konkrete Möglichkeit der Fortführung und Umsetzung, so dass dann § 4 Abs. 2 HOAI eingreift.
3. Hiernach sind die Entscheidungen des Landesberufsgerichts und des Berufsgerichts gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache selbst ist an das Berufsgericht zurückzuverweisen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
NJW 2006, 495 |
BauR 2005, 1946 |
IBR 2005, 688 |
WM 2005, 2298 |
NJW-Spezial 2006, 121 |
NZBau 2006, 121 |
FSt 2006, 308 |
FuBW 2006, 201 |
FuHe 2006, 269 |
FuNds 2006, 719 |