Verfahrensgang
Tenor
Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Köln vom 18. Mai 2001 – 2 Ws 213/01 – und des Landgerichts Köln vom 26. April 2001 – 108 – 38/00 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des vorübergehenden Vollzugs der so genannten “Organisationshaft”.
1. Die “Organisationshaft” bezieht sich auf die Organisation des Vorwegvollzugs einer in einem rechtskräftigen Urteil gemäß §§ 63, 64 StGB angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung. Unter “Organisationshaft” ist die Freiheitsentziehung in einer Justizvollzugsanstalt zu verstehen, die gegen einen rechtskräftig Verurteilten bis zu dem Zeitpunkt seiner Überstellung in die zuständige Maßregeleinrichtung – psychiatrisches Krankenhaus oder Entziehungsanstalt – vorübergehend vollzogen wird.
2. a) Der Beschwerdeführer wurde vom Landgericht Köln am 16. Februar 2001, rechtskräftig seit dem 24. Februar 2001, wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zugleich wurde gemäß § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Eine Anordnung, wonach die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sei, enthält das Urteil nicht. Das schriftliche Urteil ging am 1. März 2001 bei der Geschäftstelle des Landgerichts ein. Die Urkundsbeamtin fertigte am 12. März 2001 die für die Strafvollstreckung vorausgesetzte beglaubigte Abschrift der Urteilsformel.
b) Gegen den Beschwerdeführer war Untersuchungshaft vollzogen worden. Auch nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils verblieb er zunächst in der Justizvollzugsanstalt Köln.
c) Am 15. März 2001 verfügte der Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft ein Aufnahmeersuchen an den für den Maßregelvollzug zuständigen Landschaftsverband Rheinland. Die Wiedervorlage des Vorgangs verfügte der Rechtspfleger – mit einem Klammerzusatz “Ablauf Organisationsfrist” – auf den 21. Mai 2001. Die Verfügung wurde am 26. März 2001 in der Kanzlei gefertigt. Das Aufnahmeersuchen ging am 2. April 2001 beim Landschaftsverband Rheinland ein. Am 4. April 2001 teilte der Direktor des Landschaftsverbands Rheinland der Staatsanwaltschaft mit, er könne aufgrund der angespannten Belegungssituation nicht sofort einen Behandlungsplatz für den Verurteilten zur Verfügung stellen, habe ihn aber auf der entsprechenden Warteliste vorgemerkt. Mit Schreiben vom 5. April 2001 wies das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen den Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug darauf hin, dass der Beschwerdeführer voraussichtlich aus der Haft entlassen werden müsste, falls nicht bis spätestens 24. Mai 2001 dessen Aufnahme im Maßregelvollzug erfolge. In einer am 18. April 2001 von der Staatsanwaltschaft eingeholten Mitteilung wurde seitens des Landschaftsverbands Rheinland eine Aufnahme des Verurteilten bis zum 24. Mai 2001 in Aussicht gestellt. Die Staatsanwaltschaft verfügte hierauf eine Wiedervorlagefrist von einem Monat. Am 22. Mai 2001 wurde der Beschwerdeführer schließlich in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Am 9. September 2001 nutzte der Beschwerdeführer einen genehmigten Ausgang zur Flucht.
d) Der Beschwerdeführer beantragte am 13. April 2001, mithin vor seiner späteren Verlegung in die Entziehungsanstalt, beim Landgericht Köln, die weitere Vollstreckung der “Organisationshaft” für unzulässig zu erklären und seine sofortige Entlassung aus der Haft anzuordnen. Die Fortdauer der “Organisationshaft” verletze den therapiewilligen und therapiebereiten Beschwerdeführer wegen des Fehlens einer darauf bezogenen gesetzlichen Regelung in seinem Grundrecht aus Art. 104 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG. Während des Wartens auf das Freiwerden eines Platzes im Maßregelvollzug dürfe er nicht in Haft gehalten werden.
e) Der Antrag des Beschwerdeführers sowie eine gegen den zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Köln vom 26. April 2001 gerichtete sofortige Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer auf die staatliche Verantwortung für die Bereitstellung der erforderlichen Maßregelplätze sowie auf den Vorbehalt des förmlichen Gesetzes für jede Form der Freiheitsbeschränkung hingewiesen hatte, blieben ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht Köln verwarf die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 18. Mai 2001. Die Gerichte vertraten übereinstimmend die Auffassung, der Vollstreckungsbehörde müsse für die unverzüglich eingeleitete Vorbereitung des Maßregelvollzugs eine angemessene Übergangsfrist zugebilligt werden, innerhalb welcher sie einen – bis zum Eintritt der Rechtskraft in Untersuchungshaft befindlichen – Verurteilten weiterhin in Haft halten könne. Diese Frist sei jedenfalls innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten noch gewahrt. Ohne Zubilligung einer Übergangsfrist lasse sich der Maßregelvollzug nicht vorbereiten und organisieren. Die unmittelbare Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug mit Rechtskraft der Verurteilung scheitere daran, dass der Tag des Eintritts der Rechtskraft nicht vorhersehbar sei, da der Eingang und die Bearbeitung von Rechtsmitteln sich nicht kalkulieren ließen. Zum anderen würden die Suche eines Unterbringungsplatzes und die Überführung des Verurteilten dorthin regelmäßig einige Zeit erfordern. Der gesetzliche Vorwegvollzug der Maßregel setze gerade voraus, dass dieser vorbereitet werden könne. Dies bedeute vor allem, dass ein Unterbringungsplatz gefunden werden müsse. In einer Vielzahl der Fälle würde eine Freilassung der inhaftierten Verurteilten die Durchführung des Maßregelvollzugs vereiteln.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Es bestehe trotz der zwischenzeitlichen Unterbringung in der Entziehungsanstalt ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Beschlüsse. Eine grundsätzliche Klärung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der “Organisationshaft” sei geboten.
b) Es fehle an einer gesetzlichen Bestimmung (“förmliches Gesetz”), die die “Organisationshaft” gestatte oder die es der Vollstreckungsbehörde abweichend von § 67 Abs. 1 StGB erlaube, zunächst eine “andere Freiheitsentziehung” zu vollstrecken. Eine richterrechtliche Rechtsfortbildung, dergemäß eine “Organisationshaft” bis zu drei Monaten statthaft sei, sei verfassungsrechtlich unhaltbar. Die Umkehrung der in § 67 Abs. 1 StGB regelmäßig vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge bedürfe einer – hier nicht vorliegenden – vorherigen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nach § 67 Abs. 3 StGB und sei ohnehin nur statthaft, wenn Umstände in der Person des Verurteilten hierfür maßgebend seien. Das Fehlen eines Maßregelvollzugsplatzes sei ein solcher Grund nicht. Dem im Urteil der Strafkammer vom 16. Februar 2001 umgesetzten Gesetzesbefehl sei nicht zeitnah nachgekommen worden. Jedenfalls während der Zeit, in der lediglich auf das Freiwerden eines Platzes im Maßregelvollzug gewartet werde, dürfe der Verurteilte nicht in Haft gehalten werden. Die nach Rechtskraft bis zum 22. Mai 2001 fortdauernde Inhaftierung ohne Möglichkeit der Suchttherapie laufe § 137 StVollzG zuwider und stelle sich als bloße Verwahrung des Beschwerdeführers dar. Der Staat könne sich nicht auf das Fehlen von ausreichenden Einrichtungen berufen. Es sei die Aufgabe des Staates, die für einen Maßregelvollzug erforderlichen personellen wie sächlichen Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen.
2. Der Bundesregierung, allen Landesregierungen, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs sowie dem Generalbundesanwalt wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hiervon haben namens der Landesregierung das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, der Generalbundesanwalt sowie für die Bundesregierung das Bundesministerium der Justiz Gebrauch gemacht. Die Stellungnahmen befassen sich unter anderem mit den praktischen Problemen des Vorwegvollzugs der angeordneten Maßregeln und der Bereitstellung geeigneter Maßregelplätze. In rechtlicher Hinsicht wird die “Organisationshaft” für zulässig gehalten. Die verfassungsrechtlich noch zulässige Dauer der “Organisationshaft” könne nur im Einzelfall bestimmt werden. Auf der einen Seite seien die dem Beschleunigungsgebot unterliegenden Bemühungen der Vollstreckungsbehörden zu berücksichtigen. Andererseits seien insbesondere das öffentliche Interesse an der Sicherung des Vollzugs von Freiheitsstrafe und Maßregel sowie die Gefährdung der Bevölkerung bei einer zwischenzeitlichen Freilassung von Bedeutung.
3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Straf- und Vollstreckungsakten vorgelegen.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht beantwortet. Danach ist die zulässige (1.) Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet (2.).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Obgleich der Beschwerdeführer wenige Tage nach der abschließenden fachgerichtlichen Entscheidung und noch vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde in eine Entziehungsanstalt überstellt wurde, hat er ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung, ob die gegen ihn vollzogene “Organisationshaft” grundrechtswidrig war.
a) Das Bundesverfassungsgericht geht insbesondere in den Fällen tief greifender, schon im Grundgesetz unter einen Richtervorbehalt gestellter Grundrechtseingriffe (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪40≫; 104, 220 ≪232 f.≫) trotz deren Erledigung von einem Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Verfassungsbeschwerde aus, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen kann; der Grundrechtsschutz der Betroffenen würde ansonsten in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 34, 165 ≪180≫; 41, 29 ≪43≫; 49, 24 ≪51 f.≫; 81, 138 ≪140≫; ebenso – unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG – BVerfGE 104, 220 ≪233≫, für die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses nach Erledigung der Eingriffe im fachgerichtlichen Verfahren).
b) Es würde der Bedeutung des Schutzes der persönlichen Freiheit, wie ihn das Grundgesetz garantiert, regelmäßig nicht entsprechen, wenn das Recht auf die verfassungsrechtliche Klärung einer Freiheitsverletzung durch eine – nach der Behauptung des Beschwerdeführers – gesetzlich nicht vorgesehene Freiheitsentziehung mit deren Beendigung entfiele (vgl. BVerfGE 65, 317 ≪321≫). Ob sich die Gesamtdauer der Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers durch den vorliegenden Vollzug der “Organisationshaft” verlängert hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person.
a) Den verfassungsrechtlichen Maßstab für die “Organisationshaft” bilden Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG sowie Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG.
aa) Danach darf die Freiheit der Person nur aus besonders gewichtigen Gründen und nur unter strengen formalen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe stellt stets einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Person dar (vgl. BVerfGE 29, 312 ≪316≫). Dabei gilt auch für die Strafvollstreckung, dass der Gesetzgeber in Ausfüllung des Gesetzesvorbehalts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG die materiellen Maßstäbe für die Art und Dauer der Vollstreckung festzulegen hat (vgl. BVerfGE 86, 288 ≪326≫).
bb) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des förmlichen Gesetzes (vgl. BVerfGE 83, 24 ≪32≫ zu dem hiermit verbundenen Analogieverbot) und den zur Verfassungspflicht erhobenen freiheitsschützenden Formen gemäß Art. 104 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative GG (vgl. hierzu BVerfGE 58, 208 ≪220≫; 65, 317 ≪321 f.≫) den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪323≫). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. BVerfGE 105, 239 ≪248≫). Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG gibt aber lediglich eine Voraussetzung für die Entscheidung über die Zulässigkeit und Dauer der Freiheitsentziehung an. Auf die Form des Vollzugs der Freiheitsstrafe bezieht sich die Bestimmung nicht (vgl. BVerfGE 64, 261 ≪280≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1993 – 2 BvR 213/93 –, NJW 1994, S. 1339, für den Arrest im Rahmen einer Freiheitsentziehung).
cc) Die Freiheitsstrafe und die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verfolgen verschiedene Zwecke. Sie können deshalb auch nebeneinander angeordnet werden. Beide staatliche Reaktionen auf eine Tat sind indes mit Freiheitsentziehung verbunden. Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG erfordert es deshalb, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dabei in das Freiheitsrecht des einzelnen Betroffenen mehr als notwendig einzugreifen (vgl. BVerfGE 91, 1 ≪31≫).
dd) In dem durch den Schuldausgleich vorgegebenen Rahmen sieht das Bundesverfassungsgericht auch die Prävention sowie die Resozialisierung des Täters als verfassungsrechtlich geboten an (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪253 f.≫ m.w.N.). Da der Freiheitsstrafe vom Schuldprinzip her Grenzen gesetzt sind, reicht sie indes – ungeachtet der Ausrichtung des Vollzugs auf das Resozialisierungsziel (§ 2 Satz 1 StVollzG; vgl. auch BVerfGE 45, 187 ≪238 f.≫) – vielfach nicht aus, den erforderlichen Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen rechtswidrigen Taten rauschmittelabhängiger Straftäter zu verwirklichen. Dieser Schutz soll durch die Behandlung der Rauschmittelabhängigkeit in Vollzug der zusätzlich zur Strafe verhängten Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erreicht werden.
ee) Die mit der “Organisationshaft” verbundene Problematik der Vollstreckungsreihenfolge berührt die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Person. Dieses Freiheitsrecht beeinflusst als objektive, für alle Bereiche des Rechts geltende Wertentscheidung (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪322≫) auch die Auslegung und Anwendung von Vorschriften, die auf die rechtstechnische Umsetzung und die Kontrolle freiheitsentziehender Maßnahmen gerichtet sind (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Januar 2005 – 2 BvR 1825/03 –, juris, zur Veröffentlichung in BVerfGK vorgesehen).
b) Die angegriffenen Entscheidungen haben diesen Anforderungen nicht hinreichend Rechnung getragen.
aa) Der vom Oberlandesgericht Köln in Bezug genommene Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juni 1997 (2 BvR 2422/96, NStZ 1998, S. 77) befasst sich in entscheidungserheblicher Weise alleine mit der Anrechnung der “Organisationshaft” bei der Strafzeitberechnung. Danach darf die “Organisationshaft”, soweit die Strafzeitberechnung betroffen ist, dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen.
bb) Der vorübergehende Vollzug der “Organisationshaft” verlängert die Gesamtdauer der Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers nicht.
(1) Die zur Vorbereitung der Durchführung der vorweg zu vollziehenden Maßregel vollzogene “Organisationshaft” führt regelmäßig – wie auch hier – zu keiner effektiven Verlängerung der Freiheitsentziehung des hiervon Betroffenen. Jedenfalls die Dauer der tatsächlichen Strafvollstreckung entspricht hier der richterlichen, auf einem Gesetz beruhenden und freiheitsentziehenden Entscheidung des Hauptsachegerichts. Im Rahmen der Strafzeitberechnung kann durch eine Anrechnung der “Organisationshaft” auf die Freiheitsstrafe sichergestellt werden, dass der Beschwerdeführer keinen Nachteil erleiden muss. Dies ist wegen der besonderen Bedeutung des Freiheitsgrundrechts von Verfassungs wegen geboten (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juni 1997 – 2 BvR 2422/96 –, NStZ 1998, S. 77).
(2) Ob unter dem Gesichtspunkt der Gesamtdauer der Freiheitsentziehung eine andere Beurteilung in den hier nicht zu überprüfenden Fällen angezeigt ist, in denen eine vollständige Anrechnung der “Organisationshaft” auf die weitere Freiheitsentziehung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist, bedarf keiner Entscheidung.
cc) Die unterschiedlichen Zwecke der Maßregel der Besserung und Sicherung einerseits und der Freiheitsstrafe andererseits finden unter anderem in der Regelreihenfolge des Vorwegvollzugs der Maßregel einen gesetzlichen Ausdruck. Die “Organisationshaft” bereitet zum Zweck der Nutzung der “therapeutisch fruchtbaren” Zeit (vgl. BTDrucks V/4095, S. 31; Wolf, in: Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 7. Aufl., § 44a Rn. 2) die nach der gesetzlichen Regelreihenfolge und dem richterlichen Erkenntnis vorweg zu vollziehende Maßregel vor. Von einer unter dem Gesichtspunkt des Freiheitsgrundrechts unmaßgeblichen bloßen Form des Vollzugs der Freiheitsstrafe oder der Maßregel kann wegen deren unterschiedlicher Zwecke jedenfalls bei einer Umkehrung des Vollzugs nicht ausgegangen werden.
dd) Eine gesetzeswidrige und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechende Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge liegt bei der “Organisationshaft” aber dann vor, wenn die Vollstreckungsbehörde in Umsetzung des gerichtlichen Rechtsfolgenausspruchs nicht unverzüglich die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug einleitet und herbeiführt (vgl. hierzu Branden-burgisches OLG, StV 2001, S. 23 ≪25≫).
(1) In der Strafprozessordnung ist aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen eine durch Anrechnung auszugleichende zeitliche Verzögerung der Vollstreckung eines Strafurteils angelegt. Der Beginn der Vollstreckung setzt neben der Rechtskraft des Urteils die vom hierfür zuständigen Vollsteckungsrechtspfleger (vgl. § 31 Abs. 2 RPflG) zu erstellende Bescheinigung der Vollstreckbarkeit voraus. Etwaige Vollstreckungshindernisse gemäß §§ 455 ff. StPO müssen geprüft werden. Ungeachtet der Frage, ob zum Zeitpunkt des Vollstreckungsbeginns überhaupt ein für den Verurteilten geeigneter Therapieplatz vorhanden ist, bedarf es zudem eines verwaltungstechnischen Vollzugs der Überstellung des Verurteilten in die Maßregeleinrichtung. Bei den hierfür erforderlichen Abläufen ist in Rechnung zu stellen, dass die Maßregeleinrichtungen nicht der für die Strafvollstreckung zuständigen Justizverwaltung unterstellt sind. In Nordrhein-Westfalen sind die der Aufsicht des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales unterworfenen Landschaftsverbände zuständig.
(2) Da die durch die Maßregelanordnung bezweckte, sowohl der Resozialisierung des Verurteilten als auch der Sicherheit der Allgemeinheit dienende Behandlung des Verurteilten (vgl. § 137 StVollzG) in der Justizvollzugsanstalt nicht gewährt werden kann, kann die “Organisationshaft” mit wachsender Dauer einer der Gesetzeslage und der richterlichen Anordnung widersprechenden Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge mit dem Risiko von deren Zweckverfehlung nahe kommen. Die von Verfassungs wegen noch vertretbare Organisationsfrist kann daher nur im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Bemühungen der Strafvollstreckungsbehörde um eine beschleunigte Unterbringung des Verurteilten im Maßregelvollzug bestimmt werden.
(3) Einem eindeutigen Gesetzesbefehl darf die Gefolgschaft nicht deshalb versagt werden, weil die Exekutive nicht die zu seiner Durchführung erforderlichen Mittel bereit hält (vgl. BGHSt 28, 327 ≪329≫). Von Verfassungs wegen geboten ist es aber im Hinblick auf das Freiheitsgrundrecht nicht, dass bereits zum Zeitpunkt des im Einzelfall nicht vorhersehbaren Vollstreckungsbeginns ein für den jeweiligen Verurteilten geeigneter Platz in einer Maßregeleinrichtung vorgehalten wird. Von den Vollstreckungsbehörden sowie den Landschaftsverbänden kann der auf den konkreten Einzelfall bezogene Behandlungsbedarf nicht ohne weiteres antizipiert werden.
(4) Verfassungsrechtlich geboten ist es indes, dass die Vollstreckungsbehörden auf den konkreten, von der Rechtskraft des jeweiligen Urteils abhängigen Behandlungsbedarf unverzüglich reagieren und in beschleunigter Weise die Überstellung des Verurteilten in eine geeignete Einrichtung, welche sich unter Umständen auch außerhalb des jeweiligen Bundeslandes befinden kann, herbeiführen (zur restriktiven, auf das Beschleunigungsgebot und den Einzelfall abstellenden Tendenz in der obergerichtlichen Rechtsprechung vgl. OLG Dresden, NStZ 1993, S. 511 f.; Brandenburgisches OLG, StV 2001, S. 23 ff.; OLG Celle, StV 2003, S. 32 f.; OLG Celle, NStZ-RR 2003, S. 316 f.; OLG Hamm, NStZ-RR 2004, S. 381 ff.).
(5) Diesen Anforderungen haben die angegriffenen Entscheidungen nicht Rechnung getragen. Die Fachgerichte haben die ersichtlich auf eine dreimonatige Organisationsfrist ausgerichtete Praxis der Staatsanwaltschaft Köln bestätigt. Die Gerichte haben nicht in hinreichender Weise in den Blick genommen, dass die Vollstreckungsbehörde unverzüglich die Überstellung des Beschwerdeführers in den Maßregelvollzug hätte herbeiführen müssen. Auf die Überstellung gerichtete Tätigkeiten der Staatsanwaltschaft haben die Fachgerichte daher nicht gewürdigt. Auf der Grundlage der Annahme einer festen Zeitspanne für die Organisation der Unterbringung haben die Gerichte im Ergebnis lediglich deren Einhaltung, nicht aber die Umstände für das Zustandekommen einer nahezu dreimonatigen Organisationsfrist geprüft. Die fachgerichtliche Behauptung, die Vollstreckungsbehörde habe sich in der gebotenen Zeit und mit der gebotenen Intensität um einen Unterbringungsplatz gekümmert, wird in den Beschlussgründen nicht erläutert und deckt sich nicht mit dem tatsächlichen Ablauf der Organisation der Unterbringung des Beschwerdeführers.
Bei der erforderlichen Einzelfallprüfung hätten die Fachgerichte feststellen müssen, dass die Vollstreckungsbehörde erst knapp drei Wochen nach Rechtskraft des Urteils das Aufnahmeersuchen verfügte. Ein von Verfassungs wegen vertretbarer Grund für diese Verzögerung ist schon deswegen nicht erkennbar, weil der zum Zeitpunkt des Urteils absehbare Zeitpunkt der Rechtskraft von der Staatsanwaltschaft spätestens nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim Landgericht hätte erfragt werden können. Ungeachtet der erforderlichen Prüfung sämtlicher Vollstreckungsvoraussetzungen hätte die Staatsanwaltschaft schon mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft bei den für den Maßregelvollzug zuständigen Stellen den konkreten Unterbringungsbedarf – auch fernmündlich oder per Telefax – anmelden können.
Zudem hätten die Fachgerichte feststellen müssen, dass auch für weitere Verzögerungen keine nachvollziehbaren Umstände erkennbar waren. Es ist offen, weswegen das Aufnahmeersuchen erst mehr als einen Monat nach Rechtskraft der Entscheidung in der Kanzlei gefertigt wurde. Erst eine weitere Woche später datiert der Eingang des Ersuchens bei dem Landschaftsverband. Eine Sachstandnachfrage der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2001 diente, als Reaktion auf den Antrag des Beschwerdeführers auf sofortige Haftentlassung, ersichtlich alleine dem Zweck, die Unterbringung binnen eines Dreimonatszeitraums vom Landschaftsverband Rheinland bestätigt zu bekommen. Auch aus den Wiedervorlagefristen ergibt sich, dass die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft nur auf die Unterbringung des Beschwerdeführers binnen der genannten Frist gerichtet war. Von Verfassungs wegen gebotene Bemühungen der Staatsanwaltschaft, eine frühzeitige Unterbringung des Beschwerdeführers im Maßregelvollzug – unter Umständen auch in Maßregeleinrichtungen außerhalb des Landschaftsverbands Rheinland – herbeizuführen, sind nicht ersichtlich.
IV.
Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1479226 |
NJW 2006, 427 |
NStZ 2006, 136 |
Rpfleger 2006, 284 |
NJW-Spezial 2006, 136 |
StV 2006, 420 |
StraFo 2005, 499 |
Polizei 2006, 32 |