Tenor
Der Antrag wird verworfen.
Tatbestand
A.
Das Organstreitverfahren betrifft einen Verfassungsstreit innerhalb Schleswig-Holsteins gemäß Art. 99 GG, § 13 Nr. 10 BVerfGG. Der Antragsteller war von 1998 bis zum Ende der 15. Legislaturperiode im Jahre 2005 Abgeordneter des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Er wendet sich im Wesentlichen dagegen, dass es der Landtag im Jahre 2003 unterließ, das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Abgeordnetenentschädigung zum Abschluss zu bringen, mit dem eine höhere Entschädigung der Abgeordneten und die Beschränkung der Funktionszulagen geregelt werden sollte.
I.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung galt das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Schleswig-Holsteinischen Landtages in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Februar 1991 (GVOBl Schl.-H. 1991 S. 100), zuletzt geändert mit Gesetz vom 16. Dezember 2002 (GVOBl Schl.-H. 2002 S. 269) – SH AbgG a.F. In § 6 Abs. 1 SH AbgG a.F. war die Entschädigung der Abgeordneten auf 3.926,72 Euro festgesetzt, nach § 6 Abs. 2 SH AbgG a.F. erhielten zahlreiche Funktionsträger Zulagen, namentlich die Präsidentin oder der Präsident, die Vizepräsidenten, die Ausschussvorsitzenden, die Fraktionsvorsitzenden, eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter der dänischen Minderheit, die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen, deren Stellvertreter sowie die Vorsitzenden der Fraktionsarbeitskreise.
Zur Vorbereitung einer Reform der Abgeordnetenentschädigung berief der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages im Einvernehmen mit allen Fraktionen im Januar 2001 eine unabhängige Sachverständigenkommission ein. Die sogenannte Benda-Kommission legte am 19. Dezember 2001 ihre Empfehlungen zur Abgeordnetenentschädigung vor. Sie schlug unter anderem vor, die Gewährung von Funktionszulagen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000 (BVerfGE 102, 224) auf wenige Spitzenpositionen zu beschränken. Außerdem sollten die steuerpflichtige Grundentschädigung der Abgeordneten deutlich auf etwa 7.000 Euro erhöht und die steuerfreien Leistungen auf ein Minimum reduziert werden. Dafür sollten die Abgeordneten ihre Kranken- und Altersversicherungen eigenverantwortlich tragen.
In seiner Sitzung vom 2. April 2003 nahm der Schleswig-Holsteinische Landtag einen Gesetzentwurf an, mit dem diese Änderungsvorschläge umgesetzt werden sollten (LT Schl.-H. Drucks. 15/2516). Der Gesetzentwurf wurde von der Ministerpräsidentin unterzeichnet. Daraufhin rief die Bild-Zeitung unter der Überschrift “Bild-Leser stoppen Diäten-Wahnsinn” ihre Leser dazu auf, mit einem “Bild-Wut-Brief” den “Diäten-Abzockern die Meinung” zu sagen. Unter der Überschrift “Das sind die Diäten-Abzocker” druckte die Bild-Zeitung die Fotos und Namen der Abgeordneten ab, die dem Gesetzentwurf zugestimmt hatten.
In der Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 7. Mai 2003 (LT Schl.-H. Plenarprot. 15/86) brachten die Fraktionen von CDU und SPD als Dringlichkeitsantrag den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzesbeschlusses zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Abgeordnetengesetzes ein (LT Schl.-H. Drucks. 15/2650). Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei nicht gelungen, deutlich zu machen, dass es im Landtag um eine Diätenstrukturreform mit vielen Bestandteilen und nicht nur um eine bloße Diäten-Erhöhung gegangen sei (LT Schl.-H. Plenarprot. 15/86 S. 6482). In seiner Sitzung vom 9. Mai 2003 (LT Schl.-H. Plenarprot. 15/88 S. 6698) verabschiedete der Landtag das Gesetz zur Aufhebung des Gesetzesbeschlusses zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Abgeordnetengesetzes, dessen Artikel 1 wie folgt lautet (LT Schl.-H. Drucks. 15/2650):
Der Gesetzesbeschluss des Landtages vom 2. April 2003 zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Abgeordnetengesetzes (Drucksachen 15/1953 und 15/2516) wird aufgehoben und ist nicht zu verkünden.
Dieses Aufhebungsgesetz wurde am 13. Mai 2003 im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet und trat einen Tag später in Kraft (GVOBl Schl.-H. 2003 S. 226).
II.
Am 6. Oktober 2003 hat der Antragsteller beantragt, festzustellen, dass das Aufhebungsgesetz gegen Art. 11 Abs. 3 LVerf SH in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1, Art. 48 Abs. 3 Satz 1 und Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG verstößt. Er trägt vor, mit dem Aufhebungsgesetz habe der Antragsgegner seinen Auftrag missachtet, auch bei Widerständen eine verfassungsrechtlich gebotene gesetzliche Entschädigungsregelung herbeizuführen. Das Abgeordnetengesetz a.F. widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 102, 224), wonach das Gebot der formalen Gleichstellung der Abgeordneten nach Position und Entschädigung nur wenige Ausnahmen erlaube. Außerdem entspreche die Grundentschädigung nicht einer angemessenen Entschädigung im Sinne des Art. 11 Abs. 3 LVerf SH.
In der 16. Legislaturperiode hat der Antragsgegner das Reformvorhaben wieder aufgenommen. Mit Gesetz vom 20. Juni 2006 (GVOBl Schl.-H. 2006 S. 128) hat er die Entschädigungsregelungen des Schleswig-Holsteinischen Abgeordnetengesetzes geändert. Das Änderungsgesetz knüpft an die Reformbestrebungen im Jahre 2003 an und beruht ebenfalls auf den Empfehlungen der Benda-Kommission (LT Schl.-H. Plenarprot. 16/29 S. 2052 sowie 16/32 S. 2255, 2263). Nunmehr beträgt die Grundentschädigung gemäß Art. 1 Nr. 4 lit a des Änderungsgesetzes 6.700 Euro. Die Zahl der Funktionsträger, die eine Zulage erhalten, ist gemäß Art. 1 Nr. 4 lit b des Änderungsgesetzes beschränkt auf die parlamentarischen Funktionen des Präsidenten oder der Präsidentin, der Vizepräsidenten, der Fraktionsvorsitzenden sowie eines oder einer Abgeordneten der dänischen Minderheit, sofern diese die Fraktionsstärke nicht erreicht, und die Parlamentarischen Geschäftsführer.
In einem ergänzenden Schriftsatz vom 19. Oktober 2006 führt der Antragsteller aus, sein Begehren habe sich auch durch das Änderungsgesetz vom 20. Juni 2006 nicht erledigt. Er beziehe seit seinem Ausscheiden aus dem Landtag die Altersentschädigung gemäß § 17 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 des SH AbgG a.F., die mit der gesamten bisherigen Entschädigungsregelung dem Verdikt der verfassungswidrigen Unangemessenheit und Ungleichbehandlung unterliege. Er erhalte nicht die Altersentschädigung, die in dem aufgehobenen Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vorgesehen gewesen sei. Ihm werde auch die Altersentschädigung vorenthalten, die durch das Gesetz vom 20. Juni 2006 zum 1. Juli 2007 eingeführt worden sei. Er werde dadurch benachteiligt, dass eine angemessene Regelung der Abgeordnetenentschädigung von Mai 2003 bis Januar 2007 aufgeschoben worden sei. Nach § 48 Abs. 3 SH AbgG in der Fassung des Gesetzes vom 20. Juni 2006 werde seine Altersentschädigung ab dem 1. Januar 2007 auf einer Basis von 4.100 Euro berechnet, wohingegen die Altersentschädigung für Abgeordnete, die seit der 15. Legislaturperiode und bis nach dem 1. Januar 2007 Mitglieder des Landtages gewesen seien, auf der Basis von 4.800 Euro berechnet werde.
III.
Der Antragsgegner hält den Antrag für unzulässig. Hinsichtlich des ursprünglichen Abgeordnetengesetzes sei der Antrag verfristet. In Bezug auf das Aufhebungsgesetz sei der Antragsteller nicht antragsbefugt, da das Aufhebungsgesetz ihn nicht unmittelbar in seinen Rechten verletzt oder gefährdet habe. Da der Landtag mit Erlass des Gesetzes zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Abgeordnetengesetzes vom 20. Juni 2006 die Abgeordnetenentschädigung reformiert habe, fehle dem Antrag nunmehr auch das Rechtsschutzbedürfnis.
IV.
Der Deutsche Bundestag und das Land Thüringen haben Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
B.
Der Antrag ist unzulässig.
I.
In Bezug auf das Abgeordnetengesetz von 1991 in Gestalt des Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 2002, in Kraft getreten am 1. Januar 2003, ist der Antrag verfristet gemäß § 73 Abs. 2 in Verbindung mit § 64 Abs. 3 BVerfGG. Die Sechs-Monats-Frist war bereits verstrichen, als der Antrag am 6. Oktober 2003 bei Gericht eingegangen ist. Von dieser Frist gilt auch keine Ausnahme (vgl. BVerfGE 80, 188 ≪209≫), da der Antragsteller seit seiner Wahl zum Landtagsabgeordneten im Jahre 1998 von dem Abgeordnetengesetz betroffen war.
II.
1. Bezüglich des Antrags festzustellen, dass das Gesetz zur Aufhebung des Gesetzesbeschlusses zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Abgeordnetengesetzes vom 13. Mai 2003 gegen die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein verstößt, fehlt dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis. Auch im Organstreitverfahren ist das Rechtsschutzbedürfnis des Organs grundsätzlich Voraussetzung für die Sachentscheidung (vgl. BVerfGE 62, 1 ≪33≫; 67, 100 ≪127≫; 68, 1 ≪77≫).
Der Antragsteller hat kein rechtlich erhebliches subjektives Interesse an der Entscheidung des Organstreits, weil für ihn dadurch keine rechtlichen Wirkungen mehr erzeugt werden könnten. Mit dem Gesetz zur Änderung der Abgeordnetenentschädigung vom 20. Juni 2006 hat der Antragsgegner die Entschädigungsregelungen geändert und damit dem ursprünglichen Begehren des Antragstellers, verfassungsgemäße Zustände herzustellen, entsprochen.
Der Antragsteller hat nichts vorgetragen, was für ein weiter bestehendes Rechtsschutzinteresse an der Entscheidung über sein ursprüngliches Begehren sprechen könnte. Die Gefahr der Wiederholung besteht nicht (vgl. BVerfGE 87, 207 ≪209≫). Eine präjudizielle Bedeutung (vgl. BVerfGE 1, 372 ≪379≫) hat der Antragsteller nicht dargetan.
Soweit der Antragsteller nunmehr nicht mehr die Erhöhung der Grundentschädigung verfolgt, sondern eine erhöhte Altersentschädigung begehrt (vgl. Schriftsatz vom 19. Oktober 2006) und sich auf die unterschiedlichen Regelungen zur Altersversorgung beruft, hat er nicht substantiiert verfassungsrechtlich begründet, inwiefern er in seinem damaligen organschaftlichen Status als Abgeordneter ungeachtet seines zwischenzeitlichen Ausscheidens dadurch verletzt sein kann, dass sich seine Altersversorgung heute nach dem Abgeordnetengesetz a.F. bemisst. Er hat auch nicht in tatsächlicher Hinsicht dargelegt, wie sich die Versorgungsansprüche nach den grundsätzlich verschiedenen Modellen der Abgeordnetenentschädigung konkret berechnen und inwiefern er durch die alte Regelung benachteiligt sein soll.
2. Da das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers weggefallen ist, fehlt es grundsätzlich an einem Interesse an der Entscheidung der Streitfrage. Es besteht auch nicht ausnahmsweise ein objektives Interesse daran zu klären, ob die Funktionszulagen nach dem Abgeordnetengesetz a.F. verfassungswidrig waren und durch den aufgehobenen Gesetzesbeschluss zur Änderung des Abgeordnetengesetzes ein verfassungsgemäßer Zustand herzustellen war.
a) Ein objektives Klarstellungsinteresse besteht nicht, da die Entschädigungsregelungen für Abgeordnete inzwischen geändert wurden (vgl. BVerfGE 102, 224 ≪233≫). Der Antragsgegner hatte in der 16. Legislaturperiode sein damaliges Bestreben wieder aufgenommen, die Abgeordnetenentschädigung verfassungsgemäß auszugestalten. Die Änderungen durch das Gesetz vom 20. Juni 2006 entsprechen im Wesentlichen dem seinerzeit aufgehobenen Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes: Die Höhe der Grundentschädigung wurde angehoben, und die Zahl der Funktionsträger, die eine Zulage erhalten, wurde beschränkt auf wenige politisch besonders hervorgehobene parlamentarische Funktionen.
b) Im Übrigen sind die wesentlichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe geklärt. Anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2000 (BVerfGE 102, 224) kann die Verfassungsmäßigkeit der Entschädigungsregelungen beurteilt werden. Darin hat das Bundesverfassungsgericht allgemeine Maßstäbe zu der Frage aufgestellt, für welche Ämter Funktionszulagen vorgesehen werden können, ohne dass die Freiheit des Mandats und der Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten verletzt sind.
Unterschriften
Hassemer, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
BVerfGE 2008, 302 |
DVBl. 2008, 106 |