Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 28.11.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 1274/95) |
BGH (Beschluss vom 17.10.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 1060/95) |
BGH (Beschluss vom 14.08.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 724/95) |
BGH (Beschluss vom 03.08.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 664/95) |
BGH (Beschluss vom 01.08.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 640/95) |
BGH (Beschluss vom 31.07.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 627/95) |
BGH (Beschluss vom 27.07.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 600/95) |
BGH (Beschluss vom 26.07.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 578/95) |
BGH (Beschluss vom 25.07.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 558/95) |
BGH (Beschluss vom 24.07.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 550/95, 1 BGs 542/95) |
BGH (Beschluss vom 20.07.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 520/95) |
BGH (Beschluss vom 17.07.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 502/95) |
BGH (Beschluss vom 04.07.1995; Aktenzeichen 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 439/95) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 4. Juli 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 439/95 –, vom 17. Juli 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 502/95 –, vom 20. Juli 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 520/95 –, vom 24. Juli 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 542/95 und 1 BGs 550/95 –, vom 25. Juli 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 558/95 –, vom 26. Juli 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 578/95 , vom 27. Juli 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 600/95 und 1 BGs 604/95 bis 1 BGs 615/95 –, vom 1. August 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 640/95 –, vom 3. August 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 664/95, 1 BGs 669/95 und 1 BGs 672/95 –, vom 14. August 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 724/95 – und vom 28. November 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 1274/95 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich des Beschlusses des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 17. Oktober 1995 – 2 BJs 147/93-7 – 1 BGs 1060/95 – nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen den Vollzug der Beugehaft gemäß § 70 Abs. 2 StPO.
I.
1. Mit Beschluß vom 4. Juli 1995 ordnete der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof gegen den Beschwerdeführer eine fünfmonatige Beugehaft zur Erzwingung des Zeugnisses an. Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren gegen seinen ehemaligen Mitbewohner, der unter anderem der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verdächtigt und untergetaucht war, die Aussage verweigert, ohne daß er sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht hätte berufen können. Seine hiergegen eingelegte Beschwerde verwarf der Bundesgerichtshof mit Senatsbeschluß vom 28. Juli 1995.
2. Ebenfalls mit Beschluß vom 4. Juli 1995 behielt sich der Ermittlungsrichter unter Bezugnahme auf die §§ 171 bis 175 StVollzG und die entsprechend anzuwendenden §§ 3 bis 122 StVollzG, jedoch ohne nähere Begründung, die Kontrolle des Schriftverkehrs einschließlich des Bezugs von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften sowie die Regelung der Besuchsüberwachung einschließlich der Erteilung von Besuchsgenehmigungen vor.
In der mündlichen Begründung dieses Beschlusses wurde auf einen in anderer Sache ergangenen Beschluß vom 15. September 1994 verwiesen. In diesem wird ausgeführt, daß sich gemäß § 171 StVollzG der Vollzug der Erzwingungshaft zwar nach den Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe richte, daß jedoch § 171 StVollzG von dieser Regel eine Ausnahme mache, soweit Eigenart und Zweck der Erzwingungshaft entgegenstünden. Nähere Hinweise auf die danach zulässigen Abweichungen vom Regelvollzug enthalte das Gesetz nicht. Soweit Nr. 1 Satz 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 171 StVollzG ausspreche, daß über den bloßen Freiheitsentzug hinaus Beschränkungen nur angeordnet werden dürften, soweit dies zur Abwendung einer Gefahr für Sicherheit und Ordnung der Anstalt erforderlich sei, binde dies unmittelbar nur die Vollzugsbehörden. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebe sich eine solche Beschränkung nicht, da Richtlinie für die Ausgestaltung der Beugehaft nicht nur sei, Eingriffe in die Rechte des Betroffenen auf das unter Sicherheitsaspekten Notwendige zu reduzieren, sondern auch die Zwecke der Haft zu erreichen. In der überwiegenden Zahl der Erzwingungshaftfälle könne der bloße Freiheitsentzug unter Wahrung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt möglicherweise ausreichen. Vorliegend erscheine es jedoch geboten und zulässig, Einschränkungen etwa des Schrift- und Besuchsverkehrs so auszugestalten, daß diese Kontaktmöglichkeiten den Zweck der Erzwingungshaft nicht gefährdeten. Dazu zähle insbesondere die Überwachung des Briefkontakts durch den Ermittlungsrichter, der mit der Sache naturgemäß besser vertraut sei als das Personal der Vollzugsanstalt. Er könne am zuverlässigsten beurteilen, ob und inwieweit einzelne Briefe oder andere Schriftstücke geeignet seien, den Haftzweck zu vereiteln. Dasselbe gelte für die Anordnungen zur Genehmigung und Überwachung von Besuchen. Vor allem die Auswahl der überwachenden Dienststelle, die über eine gewisse, beim Anstaltspersonal nicht zu verlangende Sachkenntnis verfügen müsse, müsse im Einzelfall dem Ermittlungsrichter vorbehalten bleiben. Beide Maßnahmen stellten nur geringfügige, den Betroffenen nicht unverhältnismäßig belastende Ausgestaltungen von Maßnahmen dar, die das Gesetz ohnehin vorsehe bzw. vorschreibe. Zu Recht habe der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, daß Erzwingungshaft und Untersuchungshaft sich insoweit ähnelten, als sie beide letztlich der Sachverhaltsaufklärung dienten. Auch aus diesem Grund liege es nahe, dem Ermittlungsrichter nicht nur die Anordnungskompetenz, sondern – in Anlehnung an die Regelung der Untersuchungshaft in § 119 Abs. 3 und 6 StPO – auch die Zuständigkeit bei der Durchführung bestimmter Kontrollmaßnahmen einzuräumen, soweit dies mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Erzwingungshaft im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens im Einzelfall unerläßlich sei.
Die vor allem auf eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gestützte Gegenvorstellung des Beschwerdeführers wurde mit Beschluß vom 17. Juli 1995 zurückgewiesen. Von einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 2 GG könne keine Rede sein. Eigenart und Zweck der Haft geböten im vorliegenden Fall ein Abweichen von den entsprechend anwendbaren Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes geradezu zwingend. Dies lasse § 171 StVollzG ausdrücklich zu.
3. Mit Beschlüssen vom 20. Juli 1995, 24. Juli 1995 (zwei Beschlüsse), 25. Juli 1995, 26. Juli 1995, 27. Juli 1995 (elf Beschlüsse), 1. August 1995 und 3. August 1995 (zwei Beschlüsse) verfügte der Ermittlungsrichter in der Folge jeweils die (teilweise) Anhaltung von Schreiben an den Beschwerdeführer; diese wurden zur Habe genommen. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß ihr Inhalt mit dem Zweck der Beugehaft nicht vereinbar sei. Sie seien deshalb gemäß §§ 171, 31 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG anzuhalten. Nähere Angaben zum Inhalt der angehaltenen Sendungen könnten, auch für die Zwecke rechtlichen Gehörs, nicht gemacht werden, da sonst der Zweck der Anordnung vereitelt würde. Mit einem weiteren Beschluß vom 27. Juli 1995 wurde ein Brief gemäß §§ 171, 31 Abs. 1 Nr. 4 StVollzG angehalten, da er eine grobe Beleidigung enthalte. Mit Beschluß vom 31. Juli 1995 hielt der Richter außerdem eine Postsendung an den Beschwerdeführer an, was er wiederum mit dem Zweck der Erzwingungshaft (§§ 171, 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) begründete.
Schließlich wurden mit Beschlüssen vom 27. Juli und 3. August 1995 Anträge Dritter auf Besuch des Beschwerdeführers mit Hinweis auf §§ 171, 25 Nr. 2 StVollzG abgelehnt. Angesichts der offenbar engen persönlichen Beziehungen der Antragsteller zu dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren und zu dem Beschwerdeführer selbst sei zu befürchten, daß diese die Besuche zu einem Verhalten mißbrauchen würden, das mit dem Zweck der Erzwingungshaft nicht vereinbar sei.
Die vom Beschwerdeführer gegen diese Beschlüsse erhobenen Gegenvorstellungen wurden mit Beschlüssen vom 27. Juli 1995 und 14. August 1995 zurückgewiesen.
4. Mit Beschluß vom 17. Oktober 1995 ordnete der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs an, zwei Textstellen in einem Brief des Vaters des Beschwerdeführers an diesen unleserlich zu machen. Die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers wies der Ermittlungsrichter mit Beschluß vom 21. November 1995 (zugegangen am 27. November 1995) zurück.
Mit weiterem Beschluß vom 28. November 1995 verweigerte der Ermittlungsrichter dem Beschwerdeführer die beantragte Dauererlaubnis für Telefongespräche mit seinem Vater unter Berufung auf die §§ 171, 32, 31 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG. Nach dem Inhalt der bisherigen Korrespondenz zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vater sei zu befürchten, daß dieser die Telefonate zu einer dem Haftzweck zuwiderlaufenden Beeinflussung seines Sohnes mißbrauchen würde (§§ 171, 32, 31 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG).
II.
1. Mit seiner zunächst eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß vom 4. Juli 1995 hinsichtlich der Übernahme der Besuchs- und Briefkontrolle durch den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof und die Zurückweisung der Gegenvorstellung vom 17. Juli 1995. Außerdem greift er die in der Zeit vom 20. Juli bis 3. August 1995 ergangenen Anhalteverfügungen, die Besuchsversagungen vom 27. Juli 1995 und 3. August 1995 sowie die Entscheidungen über die Gegenvorstellungen vom 27. Juli 1995 und 14. August 1995 an. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 101 Abs. 2 GG. Da der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs unzuständig gewesen sei, habe man ihn seinem gesetzlichen Richter entzogen. Außerdem dürften zum Zweck der Beugehaft, den Zeugen zur Aussage zu veranlassen, allein der Freiheitsentzug, nicht aber zusätzliche Beschränkungen im Rahmen der Haftgestaltung eingesetzt werden. Die Erzwingungshaft diene der Sachaufklärung nur dadurch, daß der Zeuge zur Aussage veranlaßt werden solle, nicht aber dazu, den Umstand der Inhaftierung auch anderweitig als Gelegenheit zur Erkenntnisgewinnung zu nutzen. Der freie Schriftverkehr gehöre zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht; seine Einschränkung bedürfe deshalb einer gesetzlichen Grundlage, die vorliegend nicht ersichtlich sei. Eine Beschränkung sei im Rahmen der Beugehaft nur insoweit zulässig, als Sicherheit und Ordnung der Anstalt in Frage stünden. Auch für das Anhalten eines Briefes wegen grober Beleidigung, die eine vom Schutz der Privatsphäre umfaßte vertrauliche Äußerung gewesen sei, sei eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. Schließlich sei Art. 10 GG verletzt, der das Briefgeheimnis allgemein gegen die öffentliche Gewalt abschirme.
2. Mit seiner weiteren Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Anordnung vom 17. Oktober 1995 zur teilweisen Schwärzung eines an ihn gerichteten Briefes seines Vaters sowie – sinngemäß – gegen die Versagung einer Telefongenehmigung vom 28. November 1995. Er rügt in beiden Fällen die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG. Neben seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sei der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG betroffen, der auch für das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern Geltung beanspruche. Art. 6 Abs. 1 GG enthalte eine Institutsgarantie und ein klassisches Abwehrrecht des Bürgers gegen Eingriffe des Staats in die Privatsphäre von Ehe und Familie. Diese Privatsphäre sei durch seine Haft nicht aufgehoben.
3. Das Bundesjustizministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat die Stellungnahme eines weiteren, mit dem Urheber der angefochtenen Beschlüsse nicht identischen Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs übersandt. Dieser vertritt die Ansicht, daß eine gesetzliche Grundlage für die Briefkontrolle durch den Richter im Rahmen der Beugehaft nicht gegeben sei und hierfür auch kein sachliches Bedürfnis bestehe, da bei der entsprechenden Anwendung des Strafvollzugsgesetzes eine hinreichende Rechtsgrundlage, Postsendungen auch wegen der Gefährdung der Beugehaft anzuhalten, bestehe.
Der Generalbundesanwalt neigt in seiner Stellungnahme der Auffassung zu, die Verfassungsbeschwerde sei nicht begründet. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liege nicht vor, da der Ermittlungsrichter seine Zuständigkeit nicht willkürlich angenommen habe. Seine Beschlüsse verletzten den Beschwerdeführer auch nicht in seinen Grundrechten aus Art. 10 Abs. 1 und 2 GG. So seien die §§ 171, 31 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG ausreichende Grundlagen, Briefe auch wegen Gefährdung des Zwecks der Beugehaft anzuhalten. Auch halte die auf § 171 StVollzG i. V. m. § 25 Nr. 2 StVollzG gestützte Besuchsversagung verfassungsrechtlicher Überprüfung stand, sie sei insbesondere noch verhältnismäßig. Soweit der Beschwerdeführer das Anhalten des Briefes wegen grober Beleidigung rüge, sei die Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert begründet, da nicht dargelegt sei, in welchem Verhältnis der Beschwerdeführer zu der Absenderin des Briefes stehe, so daß nicht beurteilt werden könne, ob die Äußerung im besonders engen Lebenskreis erfolgt sei.
In einer ergänzenden Stellungnahme teilt der Generalbundesanwalt mit, daß in zwei weiteren ihn betreffenden Fällen von Erzwingungshaft der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einerseits und das in der ersten Instanz zur Entscheidung berufene Oberlandesgericht andererseits hinsichtlich der Kontrolle des Schriftverkehrs sowie der Regelung der Besuchsüberwachung jeweils die Justizvollzugsanstalt als zuständig erachtet hätten.
III.
Die weitgehende Annahme der Verfassungsbeschwerden ist zur Durchsetzung in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannter Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Kammer ist gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zuständig, weil die Verfassungsbeschwerden auf der Grundlage der bereits geklärten maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen in wesentlichem Umfang offensichtlich begründet sind.
1. Soweit der Beschwerdeführer auch die Entscheidung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 17. Oktober 1995 angegriffen hat, wird die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen. Insoweit ist die am 25. Dezember 1995 eingegangene Verfassungsbeschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben und deshalb unzulässig. Im Gegensatz zu einem Antrag nach § 33 a StPO gehört der formlose Rechtsbehelf der Gegenvorstellung grundsätzlich nicht zum Rechtsweg nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat eine Gegenvorstellung nur ausnahmsweise dann als fristwahrend anerkannt, wenn mit ihr die Verletzung von Prozeßgrundrechten durch das letzterkennende Gericht gerügt wird (vgl. BVerfGE 5, 17 ≪19 f.≫; 63, 77 ≪78≫; 69, 233 ≪242≫; zusammenfassend 73, 322 ≪325 ff.≫). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Gegenvorstellung enthielt in diesem Fall ausschließlich materiell-rechtliche Rügen, so daß maßgeblich für den Fristbeginn nicht die Zustellung der Entscheidung über die Gegenvorstellung, sondern der ursprünglichen Entscheidung vom 17. Oktober 1995 am 23. Oktober 1995 gewesen ist.
2. Im Rahmen der Annahme der Verfassungsbeschwerden besteht für diese ein Rechtsschutzbedürfnis fort. Das mit der Verfassungsbeschwerde ursprünglich verfolgte Begehren hat sich zwar erledigt, nachdem der Beschwerdeführer am 29. November 1995 aus der Haft entlassen wurde und ihm dabei die angehaltenen Briefe ausgehändigt worden sind. Allerdings darf der Umstand, daß die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht oft außerstande sind, in kurzer Zeit eine Entscheidung hinsichtlich schwieriger Fragen zu treffen, nicht dazu führen, daß eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird und so nachhaltig in die Rechtssphäre eines Betroffenen eingreifende Beschlüsse wie hier die Entscheidungen des Ermittlungsrichters verfassungsrechtlicher Überprüfung entzogen werden. Damit würde der Grundrechtsschutz in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 74, 163 ≪172 f.≫). Das Bundesverfassungsgericht ist deshalb in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße vom Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses auch dann ausgegangen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich wie hier auf eine Zeitspanne beschränkt hat, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte (vgl. BVerfGE 81, 138 ≪140 f.≫; 96, 27 ≪40≫).
3. Die Entscheidungen des Ermittlungsrichters, die Briefkontrolle und die Besuchsüberwachung selbst auszuüben, verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.
Gegen den Gleichheitssatz wird allerdings nicht schon dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muß vielmehr, daß Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluß aufdrängt, daß die Entscheidung auf sachfremden und daher willkürlichen Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen und setzt schuldhaftes Handeln des Richters nicht voraus (vgl. BVerfGE 4, 1 ≪7≫; 80, 48 ≪51≫). Willkür liegt danach dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise mißdeutet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪278 f.≫ stRspr).
Die angegriffenen Entscheidungen sind danach willkürlich, weil sich der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in seinen Beschlüssen vom 4. und 17. Juli 1995 ohne gesetzliche Grundlage die Briefkontrolle und die Regelung der Besuchsüberwachung vorbehalten und diese später auch durchgeführt hat.
Gemäß § 171 StVollzG gelten die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 3 – 122 StVollzG) entsprechend, soweit nicht Eigenart und Zweck der Haft entgegenstehen oder in den §§ 172 – 175 StVollzG etwas anderes bestimmt ist. Da die §§ 172 – 175 StVollzG besondere Regelungen hinsichtlich der Überwachung und Genehmigung von Außenkontakten des Erzwingungshaftgefangenen nicht treffen, kommt die in § 171 StVollzG vorgesehene Anordnung der entsprechenden Geltung der im Strafvollzugsgesetz enthaltenen Einzelbestimmungen zum Tragen. Diese erklären sowohl für die Überwachung des Schriftverkehrs (vgl. §§ 28 Abs. 2, 31 Abs. 1 StVollzG) als auch für die Besuchsüberwachung (§ 25 Nr. 1 StVollzG) den Leiter der Justizvollzugsanstalt für zuständig. Damit ist eine ausdrückliche abschließende Regelung getroffen, die an keiner Stelle die Zuständigkeit eines Staatsanwalts oder Richters vorsieht.
Eine Auslegung, die bei dieser Gesetzeslage aus der Eigenart und dem Zweck der Erzwingungshaft und in Anlehnung an die Regelung der Untersuchungshaft in § 119 Abs. 3 und 6 StPO eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters herleitet, ersetzt inhaltlich die aus § 171 StVollzG folgende Zuständigkeitsanordnung durch eine andere und schafft damit einen neuen Norminhalt (vgl. BVerfGE 78, 20 ≪24≫). Sie verkennt grundsätzlich den Regelungsumfang der sogenannten Vorbehaltsklausel in § 171 StVollzG. Diese dient – wie sich den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen läßt (vgl. BTDrucks 7/918, S. 99 f.) – dazu, spezifisch resozialisierungsbezogene Regelungen des Strafvollzugsgesetzes vom Vollzug der Zivilhaft fernzuhalten, und räumt gleichzeitig im Hinblick auf die Stellung des Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt die Möglichkeit ein, die Unterschiede der einzelnen Haftarten untereinander zu berücksichtigen. Sie gibt damit zwar Handhabe, in Bezug genommene Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes beim Vollzug der in § 171 StVollzG genannten Haftarten bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen nicht zur Anwendung zu bringen, ermöglicht es aber nicht, an die Stelle einer der besonderen Haft nicht gerecht werdenden Regelung eine andere mit neuem Regelungsgehalt zu setzen, der sich weder aus den speziellen Regelungen der §§ 172 ff. StVollzG noch aus den übrigen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes, deren entsprechende Geltung angeordnet ist, ergibt. Wenn die Vorbehaltsklausel es also lediglich zuläßt, gewisse Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes nicht anzuwenden, es aber nicht erlaubt, unter Berufung auf den Zweck der zu vollziehenden Haft andere Regelungsinhalte zu schaffen, entfernt sich damit das Auslegungsverständnis des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs so sehr von seinem gesetzlichen Ausgangspunkt in § 171 StVollzG, daß nur noch von einer unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbaren und deshalb willkürlichen Anwendung der Vorschrift gesprochen werden kann.
Aber nicht nur das Verständnis von der Reichweite der Vorbehaltsklausel des § 171 StVollzG im allgemeinen, auch die konkrete Anwendung zur Begründung der Zuständigkeit des Ermittlungsrichters anstelle des Leiters der Justizvollzugsanstalt ist nicht mehr nachvollziehbar und deshalb im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG willkürlich. Die Übertragung der Kontrolle von Schriftverkehr und Besuchen auf den Ermittlungsrichter ist weder – wie der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs es formuliert hat – zwingend geboten noch gibt es hierfür ein sachliches Bedürfnis. Die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes mit ihrer auf den Anstaltsleiter übertragenen Kontrolle des Schriftverkehrs (§ 28 ff. StVollzG) und der Besuchsüberwachung (§ 24 ff. StVollzG) gewährleisten eine hinreichende Überwachung der Außenkontakte des inhaftierten Zeugen. Dieser ist regelmäßig auch ohne nähere Informationen über den Stand und den Inhalt des Ermittlungsverfahrens in der Lage, die ihm obliegende Überwachungsaufgabe zu erfüllen.
Dies liegt zunächst auf der Hand, soweit es darum geht festzustellen, ob durch den Schriftverkehr oder den Besuch die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet würde (vgl. §§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 25 Nr. 1 StVollzG). Dies gilt aber auch für die Kontrolle im Hinblick auf eine Gefährdung des Zwecks der Beugehaft, den Zeugen zur Aussage zu veranlassen. Schriftstücke, die den Inhaftierten in seiner Haltung, die Aussage zu verweigern, bestärken und ihn zum Festhalten an dieser Überzeugung ermuntern, sind ohne weiteres zu erkennen. In Zweifelsfragen wird der Leiter der Justizvollzugsanstalt ohnehin – worauf der Generalbundesanwalt in seiner ergänzenden Stellungnahme hingewiesen hat – mit der Staatsanwaltschaft oder dem zuständigen Richter Kontakt aufnehmen.
Dementsprechend wird trotz aller sonstigen Kritik an einem ungenügenden und unbestimmten Regelungsgehalt des § 171 StVollzG (vgl. Böhm in: Schwind/Böhm, Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl., §§ 171 – 175, Rn. 4; Calliess/Müller-Dietz, 7. Aufl., § 171, Rn. 2; Feest in: AK-StVollzG, 3. Aufl., § 171, Rn. 2; Winter, Vollzug der Zivilhaft, S. 40 ff.) auch an keiner anderen Stelle die Auffassung vertreten, daß für die Überwachung von Außenkontakten der Ermittlungsrichter zuständig sei. Vielmehr gehen – worauf die ergänzende Stellungnahme des Generalbundesanwalts hindeutet – die Praxis, aber auch die Literatur (vgl. Calliess/Müller-Dietz, a. a. O.; Feest, a. a. O., § 171, Rn. 11; Winter, a. a. O., S. 117 ff.) ohne weiteres davon aus, daß dieser Aufgabenbereich ohne Einschränkungen von dem Leiter der Justizvollzugsanstalt wahrzunehmen ist.
4. Angesichts des festgestellten Grundrechtsverstoßes kommt es auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers nicht mehr an. Insbesondere kann offen bleiben, ob die willkürliche Inanspruchnahme der Zuständigkeit durch den Ermittlungsrichter auch eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt, weil dem Beschwerdeführer nicht nur die Überwachung seiner Außenkontakte durch den Leiter der Justizvollzugsanstalt, sondern gegebenenfalls auch die Überprüfung seiner Entscheidungen in einem anderen gerichtlichen Verfahren vorenthalten wird.
5. Da der Beschwerdeführer in wesentlichem Umfang obsiegt, ist die Erstattung der notwendigen Auslagen in vollem Umfang nach § 34a Abs. 2 BVerfGG gerechtfertigt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Jentsch, Hassemer
Fundstellen
Haufe-Index 1276455 |
StV 2000, 216 |