Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Beschluss vom 17.10.2011; Aktenzeichen 5087 Js 1362/11 - 4 Ns) |
AG Grünstadt (Urteil vom 20.07.2011; Aktenzeichen 5087 Js 1362/11.Cs) |
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Grünstadt vom 20. Juli 2011 – 5087 Js 1362/11.Cs – und der Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 17. Oktober 2011 – 5087 Js 1362/11 – 4 Ns – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Grünstadt zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafgerichtliche Verurteilung wegen übler Nachrede. Die für strafbar erachteten Äußerungen des Beschwerdeführers erfolgten im Rahmen eines Bußgeldverfahrens.
1. Im Herbst 2010 fand im pfälzischen E. die Veranstaltung „autofreies E.” statt. Aus deren Anlass wurde unter anderem die übliche Zufahrtsstraße des Beschwerdeführers zu seinem Wohnhaus für Kraftfahrzeuge gesperrt. Circa 15 Minuten vor Beendigung der Veranstaltung fuhr der Beschwerdeführer dennoch in die Zufahrtsstraße ein, um zu seinem Wohnhaus zu gelangen. Eine vor Ort anwesende Polizeistreife bemerkte dies, hielt den Beschwerdeführer an und bot ihm zunächst eine Verwarnung gegen ein Verwarnungsgeld an. Da sich der Beschwerdeführer vor Ort nicht mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärte, gab der Polizeibeamte den Vorgang an die zuständige Bußgeldbehörde zur weiteren Ermittlung und Verfolgung ab. Im Rahmen der anschließenden schriftlichen Anhörung beantragte der Beschwerdeführer die Einstellung des Verfahrens. In einem an die Bußgeldbehörde gerichteten Schreiben schilderte er ausführlich den Sachverhalt aus seiner Sicht und machte insbesondere deutlich, dass die Umleitungsbeschilderung seines Erachtens nach unübersichtlich und nicht ordnungsgemäß gewesen sei, er keine andere Möglichkeit gesehen habe, zu seinem Anwesen zu gelangen, der mit ihm kommunizierende Beamte aber auf seine Argumente nicht eingegangen sei. Insbesondere führte er dabei folgendes an:
Nach gut 10 Minuten, meine Frau musste dringend auf die Toilette, ging meine Frau zum Einsatzbus der Polizisten, um zu fragen wie lange es denn noch dauere. Der Beamte mit unseren Papieren hatte es sich dort auf den Rücksitzen „gemütlich” gemacht und wollte offenbar absichtlich etwas unsere Geduld strapazieren. Er sprang dann erschrocken aus seinem Fahrzeug und kam wieder zu mir an die Fahrertür, um mir endlich meine Papiere zurückzugeben und mich aufzufordern, ein „Schuldeingeständnis” zu unterschreiben. Offenbar dachte er tatsächlich, ich wäre nun genug eingeschüchtert … Das war ich natürlich nicht – eher im Gegenteil! Ich habe nichts unterschrieben und klar gesagt, dass wir einen möglichen Bußgeldbescheid gerichtlich klären lassen. Er hat uns dann schließlich fahren lassen – verblüffenderweise genau dorthin wohin wir von Anfang an wollten und das obwohl die Straße doch gesperrt war – oder vielleicht doch nicht für Anlieger???
Ehrliche Meinung meinerseits: Der Beamte war wohl den Tag über zu lange unten am A. Verkehrskreisel in der Sonne gestanden oder hat ganz einfach dort mitgefeiert. Normal war das jedenfalls nicht und menschlich schon 3 mal nicht!
Die Verwaltungsbehörde leitete dieses Schreiben dem betroffenen Polizeibeamten zur Stellungnahme zu. Dieser stellte Strafantrag wegen übler Nachrede.
2. Mit angegriffenem Urteil verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen der Aussagen im letzten Absatz der zitierten Textpassage wegen übler Nachrede gemäß § 186 StGB zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 EUR und begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer mit den dortigen Äußerungen im Grunde zum Ausdruck gebracht habe, der Polizeibeamte habe durch Sonneneinwirkung einen „Dachschaden” erlitten oder sei blöd und im Übrigen betrunken gewesen. Zwar sei im „Kampf ums Recht” auch die Behauptung ehrverletzender Tatsachen, soweit sie aus Sicht des Äußernden prozesserheblich sein können, erlaubt. Vorliegend wären zur Verteidigung jedoch die Schilderung des Sachverhalts und der Hinweis auf ein nicht nachvollziehbares und nicht für gerechtfertigt erachtetes Verhalten des Polizeibeamten ausreichend gewesen. Die fraglichen Äußerungen hätten hingegen weder Einfluss auf den objektiven noch auf den subjektiven Tatbestand einer Verkehrsordnungswidrigkeit und stünden daher nicht in Bezug zur Rechtsverteidigung.
3. Die hiergegen eingelegte Berufung des Beschwerdeführers nahm das Landgericht gemäß § 313 StPO mit ebenfalls angegriffenem Beschluss nicht an und verwarf sie – entgegen der insofern anderen Einschätzung der Staatsanwaltschaft, die das Rechtsmittel für nicht offensichtlich unbegründet erachtete – wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig.
4. Mit seiner daraufhin erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.
5. Dem Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Von einer Stellungnahme wurde abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG rügt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen insoweit vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung der grundrechtsbeschränkenden Vorschriften der §§ 185 ff. StGB (vgl. BVerfGE 82, 43 ≪50 ff.≫; 85, 23 ≪30 ff.≫; 93, 266 ≪292 ff.≫).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG im Umfange der Annahme offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Die Gerichte verkennen, dass es sich bei den für strafbar erachteten Äußerungen nicht etwa um nicht erweislich wahre, ehrverletzende Tatsachenbehauptungen im Sinne des § 186 StGB, sondern vielmehr um durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Werturteile und damit um Meinungen im engeren Sinne handelt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪210≫; 61, 1 ≪8≫; 90, 241 ≪247≫; 93, 266 ≪289≫). Dies erschließt sich bereits aus dem einleitenden Halbsatz „Ehrliche Meinung meinerseits:”. Aber auch die für strafbar erachtete Kernaussage ist ihrem Schwerpunkt nach eine solche, die zum Verhalten des betroffenen Polizeibeamten wertend Stellung nimmt, und nicht etwa – wie sich auch aus der Benutzung des Adverbs „wohl” ergibt – ein tatsächliches Geschehen, dass der Betroffene zu lange in der Sonne gestanden habe und mitgefeiert habe, zum Beweis anbietet.
Bereits damit verkürzen die Gerichte den Schutzgehalt der gegenständlichen Äußerungen in verfassungsrechtlich unzulässiger Art und Weise. Denn anders als bei Meinungen, bei denen insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, aber auch im Kampf ums Recht im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut, in deren Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz wie den §§ 185 ff. StGB eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zugunsten der freien Rede gilt, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (vgl. BVerfGE 54, 208 ≪219≫; 61, 1 ≪9≫; 90, 241 ≪248≫). Unrichtige Information ist unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut (vgl. BVerfGE 54, 208 ≪219≫). Die bewusste Behauptung unwahrer Tatsachen verbleibt daher bereits von vornherein außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪8≫). Aber auch sonstige unrichtige Tatsachenbehauptungen sind Einschränkungen auf Grund von allgemeinen Gesetzen leichter zugänglich als das Äußern einer Meinung (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪8≫).
b) Darüber hinaus messen die angegriffenen Entscheidungen im Rahmen der – aufgrund obiger Erwägungen richtigerweise im Rahmen der §§ 185, 193 StGB vorzunehmenden – Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293 ff.≫) auch den Umständen nicht genügend Bedeutung bei, dass der Beschwerdeführer die für strafwürdig erachteten Äußerungen im Rahmen eines Bußgeldverfahrens im sogenannten „Kampf ums Recht” getätigt hat (vgl. BVerfGE 76, 171 ≪192≫; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Juli 1996 – 1 BvR 873/94 –, NStZ 1997, S. 35 und der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. März 1999 – 1 BvR 734/98 –, NJW 2000, S. 199 ≪200≫) und er die Äußerungen ausschließlich an die zuständige Bußgeldbehörde gerichtet hat, ohne dass sie nicht am Verfahren beteiligten Personen zur Kenntnis gelangen konnten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2009 – 1 BvR 2650/05 –, NJW-RR 2010, S. 204 ≪206 f.≫).
Die für strafwürdig erachteten Äußerungen stehen – anders als von den Gerichten angenommen – inhaltlich durchaus noch im Zusammenhang mit seinem Begehren, eine Einstellung des gegen ihn eingeleiteten Bußgeldverfahrens zu bewirken. Der Beschwerdeführer stellt in dem fraglichen Schreiben ausführlich dar, dass er die Vorgehensweise des betroffenen Polizeibeamten für unangemessen und überzogen erachtet hat. Die für strafwürdig erachteten Äußerungen spitzen diese Darstellungen einerseits zu und schließen sie andererseits ab. Das Verhalten des den Vorgang aufnehmenden Polizeibeamten kann aber grundsätzlich auf die unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens vorzunehmende Entscheidung der Verwaltungsbehörde, ob ein Verfahren gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 OWiG eingestellt wird oder nicht, Einfluss haben. Befindet sich der Beschwerdeführer im sogenannten „Kampf ums Recht”, ist es ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen (vgl. BVerfGE 76, 171 ≪192≫; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Juli 1996 – 1 BvR 873/94 –, NStZ 1997, S. 35 und der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. März 1999 – 1 BvR 734/98 –, NJW 2000, S. 199 ≪200≫). Dabei kommt es – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – auch nicht entscheidend darauf an, dass der Beschwerdeführer seine Kritik auch anders hätte formulieren können, da auch die Form der Meinungsäußerung grundsätzlich der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung unterliegt (vgl. BVerfGE, 54, 129 ≪138 f.≫; 76, 171 ≪192≫).
Auf den verfassungsrechtlich erheblichen Umstand, dass der Beschwerdeführer das Schreiben ausschließlich an die Bußgeldbehörde gerichtet hat, ohne dass es Außenstehenden zur Kenntnis gelangen konnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2009 – 1 BvR 2650/05 –, NJW-RR 2010, S. 204 ≪206 f.≫), gehen die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen mit keinem Wort ein.
c) Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen beruhen auf ihrer Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass Amtsgericht und Landgericht bei Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen zu einem anderen Abwägungsergebnis gekommen wären.
3. Soweit der Beschwerdeführer auch eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG rügt, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Masing
Fundstellen
NJW-RR 2012, 1002 |
NJW-Spezial 2012, 569 |