Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 850c, 850f ZPO. unzureichende Vorlagebegründung
Normenkette
GG Art. 100 Abs. 1; BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1, § 81a; ZPO §§ 850c, 850 f.
Verfahrensgang
AG Aue (Vorlegungsbeschluss vom 29.11.2022; Aktenzeichen 2 M 2596/20) |
Nachgehend
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe
Rz. 1
Die Vorlage betrifft die Frage, ob die Vorschriften der Pfändungsfreigrenzen in §§ 850c und f der Zivilprozessordnung (ZPO) verfassungsgemäß sind.
I.
Rz. 2
Die Vorschriften lauten in ihrer derzeit gültigen Fassung:
§ 850c ZPO - Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen
(1) Arbeitseinkommen ist unpfändbar, wenn es, je nach dem Zeitraum, für den es gezahlt wird, nicht mehr als
1. 1 178,59 Euro monatlich,
2. 271,24 Euro wöchentlich oder
3. 54,25 Euro täglich
beträgt.
(2) 1Gewährt der Schuldner auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung seinem Ehegatten, einem früheren Ehegatten, seinem Lebenspartner, einem früheren Lebenspartner, einem Verwandten oder nach den §§ 1615l und 1615n des Bürgerlichen Gesetzbuchs einem Elternteil Unterhalt, so erhöht sich der Betrag nach Absatz 1 für die erste Person, der Unterhalt gewährt wird, und zwar um
1. 443,57 Euro monatlich,
2. 102,08 Euro wöchentlich oder
3. 20,42 Euro täglich.
2Für die zweite bis fünfte Person, der Unterhalt gewährt wird, erhöht sich der Betrag nach Absatz 1 um je
1. 247,12 Euro monatlich,
2. 56,87 Euro wöchentlich oder
3. 11,37 Euro täglich.
(3) 1Übersteigt das Arbeitseinkommen den Betrag nach Absatz 1, so ist es hinsichtlich des überschießenden Teils in Höhe von drei Zehnteln unpfändbar. 2Gewährt der Schuldner nach Absatz 2 Unterhalt, so sind für die erste Person weitere zwei Zehntel und für die zweite bis fünfte Person jeweils ein weiteres Zehntel unpfändbar. 3Der Teil des Arbeitseinkommens, der
1. 3 613,08 Euro monatlich,
2. 831,50 Euro wöchentlich oder
3. 166,30 Euro täglich
übersteigt, bleibt bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages unberücksichtigt.
[…]
§ 850f ZPO - Änderung des unpfändbaren Betrages
(1) Das Vollstreckungsgericht kann dem Schuldner auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d und 850i pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn
1. der Schuldner nachweist, dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen entsprechend § 850c der notwendige Lebensunterhalt im Sinne des Dritten und Vierten Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder nach Kapitel 3 Abschnitt 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für sich und für die Personen, denen er gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, nicht gedeckt ist,
2. besondere Bedürfnisse des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen oder
3. der besondere Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners, insbesondere die Zahl der Unterhaltsberechtigten, dies erfordern und überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen.
[…]
II.
Rz. 3
1. Der Vorlage liegt ein Zwangsvollstreckungsverfahren zugrunde.
Rz. 4
Im Ausgangsverfahren besteht Streit über die Erhöhung des unpfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens dahingehend, ob bei der Festlegung des unpfändbaren Betrags im Haushalt lebende Kinder zu berücksichtigten sind, für die keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht.
Rz. 5
2. Mit Beschluss vom 29. November 2022 hat das Amtsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Vorschriften der Pfändungsfreigrenzen nach §§ 850c und f ZPO "im Hinblick auf Art. 3, 6, 20 GG" verfassungsgemäß seien.
B.
Rz. 6
Die Vorlage ist unzulässig.
I.
Rz. 7
Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 ≪171 f.≫; 86, 71 ≪77 f.≫; 88, 70 ≪74≫; 88, 198 ≪201≫; 93, 121 ≪132≫; 136, 127 ≪142 Rn. 45≫; 138, 1 ≪13 f. Rn. 37≫; 159, 149 ≪171 Rn. 59≫). Der Vorlagebeschluss muss den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben, die naheliegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erörtern, sich eingehend sowohl mit der einfachrechtlichen als auch mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen und dabei die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 79, 240 ≪243 f.≫; 136, 127 ≪141 Rn. 45≫). Insbesondere ist eine Auseinandersetzung mit der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts notwendig (vgl. BVerfGE 131, 88 ≪118≫).
II.
Rz. 8
Ausgehend von diesen Maßstäben genügt der Vorlagebeschluss den Anforderungen nicht.
Rz. 9
Das Amtsgericht stellt nicht hinreichend dar, weshalb es von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Normen überzeugt ist. Es hat weder den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angegeben noch sich hinreichend mit der Rechtslage und den dazu vertretenen unterschiedlichen Rechtsauffassungen auseinandergesetzt.
Rz. 10
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Dokument-Index HI15984104 |