Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 18.04.2012; Aktenzeichen 2 Ws 295/12) |
LG Aachen (Beschluss vom 27.02.2012; Aktenzeichen 33 StVK 415/11 K) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 18. April 2012 – 2 Ws 295/12 – und der Beschluss des Landgerichts Aachen vom 27. Februar 2012 – 33 StVK 415/11 K – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen Beschlüsse, welche die Fortdauer seiner bereits über zehn Jahre andauernden Unterbringung in der Sicherungsverwahrung betreffen.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 9. November 1993 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit homosexuellen Handlungen in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Strafe wurde nach Verbüßung von zwei Dritteln mit Wirkung zum Juni 1995 zunächst zur Bewährung ausgesetzt. Durch Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 23. Dezember 1997 wurde der Beschwerdeführer erneut wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Darüber hinaus wurde die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Aussetzung des aus dem früheren Urteil noch zu vollstreckenden Strafrestes zur Bewährung wurde widerrufen. Seit dem 21. März 2002 wird die Sicherungsverwahrung vollzogen.
2. Zur Vorbereitung der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung holte das Landgericht Aachen ein Sachverständigengutachten ein. In diesem Gutachten vom 27. Juli 2011 stellte die Sachverständige ein „mittleres Risiko für ein rückfälliges Verhalten” des Beschwerdeführers fest. Die Rückfallwahrscheinlichkeit für den Anlassdelikten vergleichbare Taten liege in einem Beobachtungszeitraum von sieben Jahren bei 23 % und in einem Beobachtungszeitraum von zehn Jahren bei 39 %. Im Anhörungstermin vom 19. Oktober 2011 erklärte die Sachverständige, wegen der stabilen pädosexuellen Ausrichtung bestehe „eine hochgradige Gefahr erneuter schwerer Sexualstraftaten”.
3. Durch angegriffenen Beschluss vom 27. Februar 2012 lehnte es das Landgericht Aachen ab, die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären. Zur Begründung führte das Landgericht aus, bei dem Beschwerdeführer sei eine stabile homosexuelle Pädophilie zu diagnostizieren, die aufgrund der erheblichen Manifestierung der Persönlichkeitsstörung und der bestehenden Delinquenz eine psychische Störung im Sinne des § 1 ThUG darstelle. Zudem bestehe aufgrund konkreter Umstände in dem Verhalten und der Person des Beschwerdeführers eine hochgradige Gefahr, dass der Beschwerdeführer weitere schwerste Sexualstraftaten begehen werde. Die zu besorgenden Taten hätten für Kinder und Jugendliche schwere – vor allem psychische – Folgen. Nach den zutreffenden Ausführungen der Sachverständigen sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs schnell in Situationen geraten werde, in denen er erneut schwerste Taten gegenüber Kindern und Jugendlichen begehen werde.
4. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde wurde durch ebenfalls angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 18. April 2012 verworfen. Es spreche insbesondere gegen die Entlassung des Beschwerdeführers, dass dieser nach der Haftentlassung 1995 trotz begonnener Therapie und unter Bewährung stehend wieder rückfällig geworden sei. Da die sexuelle Präferenz als solche nicht veränderbar sei, komme es entscheidend auf die Erarbeitung von Strategien zur Rückfallvermeidung an. Der Beschwerdeführer habe jedoch keine Fortschritte gemacht und verfüge nur über ein schwach ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Es unterliege keinem Zweifel, dass die pädosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers eine psychische Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG sei. Aufgrund der stabilen homosexuellen Pädophilie bestehe eine hohe Gefahr erneuter Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ähnlich den Anlasstaten.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Entscheidungen in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG sowie Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen berücksichtigten die durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326 ff.) aufgestellten Vorgaben nicht. Dem Beschwerdeführer seien während des Vollzugs der Sicherungsverwahrung unzureichende Behandlungsangebote gemacht worden. Vor diesem Hintergrund sei das Vertrauensschutzgebot verletzt. Außerdem fehle es an einer Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer Aussetzung der Sicherungsverwahrung unter Auflagen und Weisungen.
III.
1. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat in seiner Stellungnahme den seitherigen weiteren Vollzugsverlauf skizziert.
2. Der Generalbundesanwalt vertritt in seiner Stellungnahme die Ansicht, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, weil der Beschwerdeführer den angegriffenen oberlandesgerichtlichen Beschluss nicht vollständig vorgelegt habe. Sie sei überdies unbegründet. Das Vorliegen einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit sei aufgrund einer Einzelfallprüfung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt worden. Die von den Fachgerichten nicht näher problematisierte Annahme der Gefahr schwerster Sexualstraftaten halte verfassungsrechtlicher Nachprüfung noch Stand. Die Instanzgerichte hätten ferner jedenfalls inzident festgestellt, dass die Instrumente der Führungsaufsicht vorliegend nicht geeignet seien, einen hinreichenden Schutz vor schweren Sexualstraftaten zu gewährleisten.
3. Die Akten des Ausgangsverfahrens und das Vollstreckungsheft haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung vorliegen. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪388 ff.≫). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.
1. Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ergeben sich nicht aus dem Umstand, dass die Seite 2 des angegriffenen oberlandesgerichtlichen Beschlusses nicht eingereicht wurde.
Zwar gehört es zu einer hinreichenden Substantiierung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG, dass Dokumente so vorgelegt werden, dass dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung der Verfassungsbeschwerde ohne weitere Ermittlungen möglich ist (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪288≫). Dem ist vorliegend aber Genüge getan. Zur Überprüfung der gerügten Verfassungsverstöße bedurfte es der Vorlage der fehlenden Seite des Beschlusses des Oberlandesgerichts Köln nicht. Diese hatte erkennbar nicht die Prüfung der Voraussetzungen für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers zum Gegenstand, sondern beschränkte sich auf Darlegungen des bisherigen Verfahrensablaufs.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschluss des Landgerichts Aachen vom 27. Februar 2012 und der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 18. April 2012 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat – neben den anderen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung – auch § 67d Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB in der hier maßgeblichen Fassung wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG erklärt (BVerfGE 128, 326). Zugleich hat es gemäß § 35 BVerfGG die Weitergeltung der Norm bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, angeordnet. Danach darf § 67d Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB während seiner Fortgeltung nur nach Maßgabe einer – insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrenprognose und die gefährdeten Rechtsgüter – strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden (BVerfGE 129, 37 ≪45 f.≫).
aa) Die Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung wird in der Regel nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfGE 128, 326 ≪405 f.≫; 129, 37 ≪46≫).
bb) Soweit darüber hinaus ein nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG schutzwürdiges Vertrauen auf ein Unterbleiben der Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung beeinträchtigt wird, ist dies angesichts des damit verbundenen Eingriffs in das Freiheitsrecht des Betroffenen verfassungsrechtlich nur zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪389≫). In diesen Fällen tritt der legitime gesetzgeberische Zweck, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen, weitgehend hinter das grundrechtlich geschützte Vertrauen auf ein Ende der Sicherungsverwahrung zurück. Der Eingriff in das Vertrauen des Betroffenen auf ein Ende der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von zehn Jahren kann deshalb nur dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfüllt sind (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪399≫; 129, 37 ≪46≫).
b) Diesen Maßstäben werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Der Beschwerdeführer konnte aufgrund der im Zeitpunkt der Anordnung der Sicherungsverwahrung durch Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 23. Dezember 1997 geltenden Rechtslage darauf vertrauen, dass die Sicherungsverwahrung spätestens nach Ablauf von zehn Jahren enden werde. Die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über den 21. März 2012 hinaus erforderte daher die Feststellung, dass von dem Beschwerdeführer eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht und er unter einer psychischen Störung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK leidet. Dies wird in den angegriffenen Beschlüssen dem Grunde nach nicht verkannt. Es fehlt jedoch an einer nachvollziehbaren Darstellung, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben sind.
aa) Den angegriffenen Beschlüssen kann bereits nicht entnommen werden, dass von dem Beschwerdeführer die Gefahr der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht.
(1) Der Beschwerdeführer wurde in dem der Sicherungsverwahrung zugrundeliegenden Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 23. Dezember 1997 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB verurteilt. Derartige Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern lassen regelmäßig eine schwerwiegende Beeinträchtigung der sexuellen Entwicklung erwarten und weisen daher einen erheblichen Schuld- und Unrechtsgehalt auf (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 – 1 StR 93/11 –, juris, Rn. 16, 17). Selbst wenn bei erneuter Begehung vergleichbarer Taten durch den Beschwerdeführer eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs gemäß § 176a Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr in Betracht kommt und daher grundsätzlich vom Vorliegen einer schweren Sexualstraftat ausgegangen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 5 StR 267/11 –, NStZ-RR 2012, S. 9; Urteil vom 28. März 2012 – 2 StR 592/11 –, juris, Rn. 11 m.w.N.), ergibt sich hieraus nicht ohne Weiteres auch eine Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011. Bereits § 176a Abs. 2, Abs. 4 und Abs. 5 StGB regeln Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, die Mindestfreiheitsstrafen zwischen zwei und fünf Jahren vorsehen und daher im Vergleich zu § 176a Abs. 1 StGB mit erheblich höheren Strafdrohungen verbunden sind. Gleiches gilt für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemäß § 177 Abs. 2 bis 4 StGB. In den Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge gemäß § 176b StGB und der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung mit Todesfolge gemäß § 178 StGB ist auf eine Mindestfreiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren zu erkennen.
(2) Vor diesem Hintergrund hätten die Gerichte in den angegriffenen Beschlüssen die Feststellung, von dem Beschwerdeführer gehe die Gefahr der Begehung schwerster Sexualstraftaten aus, nachvollziehbar begründen müssen. Daran fehlt es.
Das Landgericht verweist insoweit auf die Beurteilung der Sachverständigen. Diese geht in ihrem Gutachten vom 27. Juli 2011 aber lediglich davon aus, dass im Falle eines erneuten Rückfalls vom Beschwerdeführer ähnliche Taten wie die Anlasstaten zu erwarten seien. Warum es sich dabei um schwerste Sexualstraftaten handeln soll, erschließt sich aus dem Beschluss des Landgerichts nicht. Dieser verhält sich insbesondere nicht zu den Feststellungen der Sachverständigen, dass die Anlasstaten durch den Beschwerdeführer ohne Gewalteinwirkung oder körperliche Verletzungen der Opfer begangen wurden und Anhaltspunkte dafür, dass mit Gewaltsteigerungen zu rechnen wäre, nicht vorliegen. Vor diesem Hintergrund genügt der bloße Hinweis, dass mit schweren – vor allem psychischen – Folgen für die Opfer zu rechnen sei, zur Begründung der Annahme einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr schwerster Sexualstraftaten nicht.
Nichts anderes gilt für den Beschluss des Oberlandesgerichts, das sich hinsichtlich der Gefahr künftiger Straftaten auf die Feststellung beschränkt, es müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer erneut Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ähnlich der Anlasstaten begehen werde.
(3) Dem steht auch der Hinweis des Landgerichts nicht entgegen, dass die Merkmale der hochgradigen Gefahr und der schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten nicht isoliert voneinander zu betrachten seien, so dass es bei besonders hoher Rückfallgefahr ausreiche, wenn innerhalb des Rahmens der schwersten Gewalt- oder Sexualstraftaten die Begehung eines Deliktes im Raume stehe, das sich am unteren Rand dieser Bandbreite bewege.
Selbst wenn im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes des Betroffenen bei der Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Schwere künftiger Delikte in engen Grenzen ein Weniger des einen durch ein Mehr des anderen ausgeglichen werden könnte, haben hierbei jedenfalls Delikte unterhalb der Schwelle schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Juli 2013 – 2 BvR 2302/11 u.a. –, juris, Rn. 137). Solange nicht festgestellt ist, dass die Delikte, deren Begehung künftig zu erwarten ist, überhaupt als schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten angesehen werden können, kommt es auf das Maß der Wahrscheinlichkeit der Begehung dieser Delikte nicht an. So liegt es hier.
bb) Da die angegriffenen Beschlüsse bereits deshalb das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG verletzen, weil es an einer nachvollziehbaren Feststellung der Gefahr schwerster Sexualstraftaten fehlt, kann dahinstehen, ob die Beschlüsse im Übrigen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Erfordernisses einer hochgradigen Gefahr künftiger Straftaten. Die Sachverständige geht in ihrem Gutachten vom 27. Juli 2011 von einem mittleren Risiko für ein rückfälliges Verhalten des Beschwerdeführers aus und beziffert die Rückfallwahrscheinlichkeit abhängig vom Beobachtungszeitraum auf 23 bis 39 %. Demgegenüber erklärte sie im Rahmen der mündlichen Anhörung, bei dem Beschwerdeführer sei eine hochgradige Gefahr erneuter Sexualstraftaten festzustellen. Auch hierzu verhalten sich die angegriffenen Beschlüsse nicht.
3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht Köln zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Gerhardt, Hermanns, Müller
Fundstellen
Haufe-Index 5781786 |
StraFo 2014, 114 |