Verfahrensgang
LG Amberg (Beschluss vom 09.02.2015; Aktenzeichen 11 Qs 5/15) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 9. Februar 2015 – 11 Qs 5/15 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben, und die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer betreibt einen Blog. Gegen ihn werden verschiedene Ermittlungsverfahren geführt, unter anderem wegen Beleidigung Dritter in seinen Blogeinträgen und der Veröffentlichung von Teilen der Ermittlungsakten aus den vorgenannten Ermittlungsverfahren.
1. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2014 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers an. Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, auf den von ihm betriebenen Blogs wesentliche Auszüge aus den Ermittlungsakten der gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren veröffentlicht zu haben, deren Inhalte noch nicht in öffentlicher Verhandlung erörtert wurden, und sich dadurch gemäß § 353d Nr. 3 StGB strafbar gemacht zu haben.
2. Der Beschwerdeführer legte Beschwerde ein und trug vor, er habe lediglich kleine Ausschnitte aus der Ermittlungsakte veröffentlicht, was keine Straftat, sondern die Ausübung seiner durch Art. 5 GG und Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit sei. Dass der Beschluss sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletze, ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere aus den Entscheidungen Pinto Coelho v. Portugal, Urteil vom 28. Juni 2011, Nr. 28439/08; Affaire Ressiot et autres c. France, Urteil vom 28. Juni 2012, Nr. 15054/07 und 15066/07 sowie Affaire Martin et autres c. France, Urteil vom 12. April 2012, Nr. 30002/08.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 9. Februar 2015 wies das Landgericht die als Gegenvorstellung gegen den Beschluss des Landgerichts vom 18. September 2014 ausgelegte „Ergänzung der Beschwerde” zurück und verwarf die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vom 17. Dezember 2014 als unbegründet, ohne dabei auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einzugehen.
4. Die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wies das Landgericht zurück.
5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.
6. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat zum Verfahren Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts über die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 17. Dezember 2014 richtet, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 20, 162 ≪186 f.≫; 96, 44 ≪51≫; 115, 166 ≪197≫). Die diesbezügliche Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 ≪220≫; 72, 119 ≪121≫; stRspr). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen jedoch nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182 ≪189≫; 86, 133 ≪145 f.≫).
b) Das Landgericht hat sich in den Gründen seines Beschlusses mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), insbesondere mit der vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Art. 10 EMRK nicht weiter auseinandergesetzt, obwohl dies im Vorbringen des Beschwerdeführers zentral war und auch materiell eine Auseinandersetzung mit Art. 10 EMRK nahe lag. Es ist daher – ohne dass daraus folgt, dass das Landgericht der Beschwerde des Beschwerdeführers hätte stattgeben müssen – in der Sache von einer Nichtberücksichtigung des Vorbringens durch das Landgericht auszugehen.
c) Hinsichtlich der weiteren gerügten Verfassungsverstöße ist die Verfassungsbeschwerde unsubstantiiert.
d) Der Beschluss des Landgerichts Amberg ist im tenorierten Umfang aufzuheben; insoweit ist die Sache an das Landgericht Amberg zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung der Gegenvorstellung richtet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a, § 93b Satz 1 BVerfGG), weil sie unzulässig ist. Die angegriffene Gegenvorstellung ist kein tauglicher Gegenstand der Verfassungsbeschwerde.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
4. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt sich mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde.
Unterschriften
Huber, Müller, Maidowski
Fundstellen
K&R 2015, 651 |
MMR 2015, 687 |
NPA 2016 |