Entscheidungsstichwort (Thema)
Errichtung von Mobilfunkstationen
Beteiligte
Rechtsanwälte Jürgen Ronimi und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigen sich die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen zwei Urteile des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, mit denen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen worden sind. Darüber hinaus werden Anträge auf Erlass von einstweiligen Anordnungen gestellt.
I.
1. Anfang März 2000 nahm die DeTeMobil Deutsche Telekom MobilNet GmbH auf dem Kirchturm der Evangelischen Kirchengemeinde O. eine Mobilfunkstation in Betrieb; eine weitere Station ist installiert, wird aber noch nicht betrieben. Die Kirche liegt in einem Wohngebiet; neben ihr befindet sich ein Kindergarten. Die Beschwerdeführer, die in unmittelbarer Nähe des Kirchengebäudes wohnen, verlangen mit zwei unabhängig voneinander bei dem Landgericht Frankfurt am Main erhobenen Klagen – 2-04 0 278/00 und 281/00 – von der Betreiberin, der Beklagten zu 1), und der Kirchengemeinde, der Beklagten zu 2), den Betrieb der Anlage zu unterlassen.
Zur Begründung des Anspruchs behaupten die Beschwerdeführer, von der Anlage gehe gefährliche Strahlung aus, die geeignet sei, gesundheitliche Langzeitschäden hervorzurufen. Einzelne Beschwerdeführer haben darüber hinaus akute gesundheitliche Störungen vorgetragen, die sie auf den Einfluss der Strahlung zurückführen. Zur Substantiierung ihres Vorbringens berufen sich die Beschwerdeführer auf mehrere Sachverständigengutachten sowie weitere Stellungnahmen aus Wissenschaft, Öffentlichkeit und Fachkreisen. Eine Sachentscheidung ist bislang nicht ergangen.
2. Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer das gleiche Ziel in zwei auf den Erlass einstweiliger Verfügungen gerichteten Verfahren mit den Aktenzeichen – 2-04 0 274/00 und 280/00 – zu erreichen versucht. Das Landgericht hat den Verfügungsanträgen stattgegeben und den weiteren Betrieb der Anlage untersagt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit zwei Urteilen vom 28. November 2000 – 8 U 190/00 und 208/00 – in Abänderung der Entscheidungen des Landgerichts die beiden einstweiligen Verfügungen aufgehoben und die Verfügungsanträge abgewiesen.
In den Gründen der beiden Entscheidungen heißt es, den Beschwerdeführern sei es nicht gelungen, die tatsächlichen Voraussetzungen eines Verfügungsanspruchs, als dessen Grundlage §§ 823 Abs. 1, 858 oder 1004 Abs. 1 BGB in Betracht kämen, glaubhaft zu machen. Die von der Anlage ausgehenden Einwirkungen seien im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB unwesentlich und daher zu dulden. Der Nachweis der Unwesentlichkeit sei als geführt anzusehen, da beim Betrieb der Anlage die Grenzwerte der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchV) eingehalten würden. Die 1. Kammer des Ersten Senats habe dies in dem Nichtannahmebeschluss vom 17. Februar 1997 – 1 BvR 1658/96 – (NJW 97, 2509) in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht beanstandet. Zwar berücksichtige die 26. BImSchV lediglich thermische Strahlungseinwirkungen, wohingegen die Beschwerdeführer davon ausgingen, dass nachteilige athermische Auswirkungen bereits bei weit geringeren magnetischen Flussdichten zu erwarten seien. Indes sei den Beschwerdeführern die ihnen obliegende Glaubhaftmachung, dass trotz Einhaltung der in der BImschV geregelten Grenzwerte eine wesentliche Beeinträchtigung vorliege, nicht gelungen. In diesem Zusammenhang würdigt das Oberlandesgericht insbesondere die vorgelegten Gutachten sowie Äußerungen einzelner Beschwerdeführer und gelangt zu dem Ergebnis, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für Gesundheitsgefahren oder erhebliche Nachteile liege nicht vor. Insbesondere habe keiner der Beschwerdeführer bisher ärztliche Atteste eingereicht, aus denen sich Gesundheitsstörungen ernsterer Art ersehen ließen.
3. Ziel der fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerden ist die Aufhebung der beiden vom Oberlandesgericht erlassenen Urteile. Außerdem beantragen die Beschwerdeführer, im Wege der einstweiligen Anordnung die Wirkung der angegriffenen Urteile bis zur Entscheidung im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren auszusetzen, damit die vom Landgericht erlassenen einstweiligen Verfügungen wirksam bleiben. Sie rügen die Verletzung von Art. 2 Abs. 2, 20 Abs. 3 und 103 Abs. 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Verfahren werden miteinander verbunden, weil sie im Wesentlichen die selben Fragen betreffen und die gemeinsame Entscheidung daher sachdienlich ist.
2. Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Den Verfassungsbeschwerden kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Es fehlt an der Erfolgsaussicht, weil die Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unzulässig ist.
a) Grundsätzlich kann die Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein. Denn auch bei einer Entscheidung dieses Inhalts handelt es sich um einen Akt der öffentlichen Gewalt, der nach § 90 Abs. 1 BVerfGG der Verfassungsbeschwerde unterliegt (BVerfGE 79, 275 ≪279≫; 86, 15 ≪22≫; BVerfG, DVBl 2000, S. 40 ≪41≫).
b) Indes ist die Verfassungsbeschwerde nicht zulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.
aa) Dem steht nicht entgegen, dass die vom Oberlandesgericht erlassenen Urteile gemäß § 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht der Revision unterliegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder sie gar zu verhindern. Das bedeutet, dass auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten sein kann, wenn sich dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪278 f.≫; 86, 15 ≪22 f.≫; DVBl 2000, S. 40 ≪41≫).
Das ist grundsätzlich insoweit zu bejahen, als ein Beschwerdeführer mit dem Eilantrag eine Entscheidung in Bezug auf einen Anspruch erstrebt, der den Streitgegenstand eines Hauptsacheverfahrens bildet oder zumindest bilden kann. Da die Beschwerdeführer den mit dem Eilantrag geltend gemachten Unterlassungsanspruch auch in der Hauptsache verfolgen, ist diese Voraussetzung erfüllt.
bb) Eine Ausnahme hiervon gilt allerdings dann, wenn es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Das ist der Fall, wenn eine Klage im Hinblick auf entgegenstehende Rechtsprechung der Fachgerichte von vornherein als aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfGE 70, 180 ≪186≫), wenn die Verletzung von Grundrechten durch die Eilentscheidung selbst geltend gemacht wird, wie etwa bei der Versagung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfGE 65, 227) oder einer Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG durch die Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 59, 63 ≪84≫), oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. BVerfGE 79, 275 ≪279≫).
(1) Eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführer liegt nicht in der Eilentscheidung selbst, das heißt in Gegebenheiten, die ihre Grundlage in den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen und in den nicht auf eine rechtskräftige Bescheidung des streitigen Anspruchs, sondern den auf die begehrte Eilmaßnahme zugeschnittenen Voraussetzungen des Verfügungsverfahrens haben. Dazu gehören namentlich die dem Eilverfahren eigene, summarische Sachprüfung sowie die Würdigung der zur Glaubhaftmachung beigebrachten Beweismittel.
Die insoweit einschlägige Rüge, das Recht der Beschwerdeführer auf Gehör vor Gericht, Art. 103 Abs. 1 GG, sei verletzt, greift nicht durch. Ebenso wenig hat das Oberlandesgericht gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen und erhebliche Beweisanträge zu beachten (vgl. BVerfGE 50, 32 ≪36≫; 60, 250 ≪252≫; 65, 305 ≪307≫; 69, 141 ≪144≫). Das Rechtsstaatsprinzip enthält eine materielle Komponente, die auf die Erlangung und Erhaltung der materiellen Gerechtigkeit im staatlichen und staatlich beeinflussbaren Bereich abzielt, wodurch auch im Zivilverfahren der Richter verpflichtet wird, durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung den materiellen Inhalten der Verfassung Geltung zu verschaffen und für ein faires Verfahren und eine faire Handhabung der Beweislastregeln Sorge zu tragen (vgl. BVerfGE 52, 131 ≪144 f.≫).
Das Oberlandesgericht hat seinen Entscheidungen eine Beweislastverteilung zugrundegelegt, die von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich zu beanstanden ist (vgl. 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 17. Februar 1997 – 1 BvR 1658/96 –, NJW 1997, S. 2509). Bedenken hiergegen können die Beschwerdeführer nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt stützen, ihr Begehren sei als lediglich vorbeugende Unterlassungsklage aufzufassen. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass in der vorerwähnten Entscheidung über Emissionen einer Transformatorenstation zu befinden war, die unbeabsichtigt ausgesendet wurden, wohingegen es vorliegend um einen Sender geht, der zu seinem bestimmungsgemäßen Zweck Strahlung erzeugt. In jedem Falle bleibt entscheidend, ob von der Strahlung Gefahren ausgehen. Insofern unterscheidet sich die Ausgangslage von dem im vorstehend zitierten Beschluss entschiedenen Fall nicht.
Auf einer demnach der Verfassung nicht widersprechenden Grundlage hat das Oberlandesgericht den Sachvortrag, das zur Glaubhaftmachung beigebrachte Beweismaterial und die Äußerungen der persönlich gehörten Parteien einer eingehenden Würdigung unterzogen. Die von den Beschwerdeführern geäußerte Kritik am Beweisergebnis beschränkt sich auf die Wiederholung der eigenen, abweichenden Ansicht, namentlich zum Aussagegehalt der bisher vorliegenden Gutachten und Veröffentlichungen; sie lässt jedoch verfassungsspezifische Gesichtspunkte, welche die Beweiswürdigung gerade als Ergebnis einer Missachtung der dargestellten Verfassungsgrundsätze hinstellte, nicht in einer den Anforderungen des § 92 BVerfGG genügenden Weise erkennen.
(2) Eine Sachentscheidung ist auch deshalb nicht möglich, weil es hierzu weiterer Sachverhaltsaufklärung bedarf.
Der Subsidiaritätsgrundsatz, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, soll vor allem sichern, dass durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte dem Bundesverfassungsgericht ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere auch der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden; zugleich wird damit der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen gewähren (vgl. BVerfGE 77, 381 ≪401≫). Nur auf diese Weise lässt sich verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht möglicherweise weit reichende Entscheidungen trifft, die auf ungesicherten tatsächlichen Grundlagen beruhen. Insofern ist zur Beurteilung der Gefahren eine im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Sachverhaltsaufklärung erforderlich. Auch ist im Hauptsacheverfahren in rechtlicher Hinsicht zu klären, ob die von Mobilfunkanlagen ausgehenden Strahlungen Besonderheiten aufweisen, die bei einer Beurteilung der von § 906 Abs. 1 BGB erfassten Beeinträchtigungen und den bei der Entscheidung über die Duldungspflicht maßgebenden Wertungen folgenreich werden.
3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde, deren Durchsetzung alleiniges Ziel des Antrags war, erledigt.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 567587 |
VR 2002, 249 |