Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 15.07.2004; Aktenzeichen 2 Ss 139/04) |
LG Gießen (Urteil vom 05.11.2003; Aktenzeichen 3 Ns 102 Js 20927/01 - Ds) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die strafrechtliche Verfolgbarkeit von Verstößen gegen die Schulpflicht aus religiösen Gründen. Sie ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden sind (vgl. BVerfGE 23, 191 ≪202≫; 45, 434 ≪435≫; 56, 22 ≪27 ff.≫), noch ist ihre Annahme zur Entscheidung zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
I.
1. Die Beschwerdeführer, die sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet sehen, bei der Kindererziehung den Maßstäben und Vorgaben der Bibel wortgetreu zu folgen und ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen, hielten drei Töchter seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 vom weiteren Besuch der örtlichen Gesamtschule ab. Seither werden die Kinder zu Hause von der Beschwerdeführerin zu 2) unterrichtet. Die Kinder sind zugleich bei der Philadelphia-Schule in Siegen angemeldet, die nach Art einer Fernschule Unterrichtsmaterialien und andere Hilfestellungen für die Eltern zur Verfügung stellt, von der Schulverwaltung aber nicht als Ersatzschule anerkannt ist.
2. Nachdem das Amtsgericht die Beschwerdeführer freigesprochen hatte, sprach das Landgericht sie auf die Berufung der Staatsanwaltschaft des dauernden Entziehens anderer von der Schulpflicht gemäß § 182 Abs. 1 HessSchulG für schuldig und erkannte jeweils auf eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro. Die Revision der Beschwerdeführer verwarf das Oberlandesgericht gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
Entscheidungsgründe
II.
Mit ihrer nachträglich ergänzten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG. Sie tragen vor, sie hätten sich in einem Gewissenkonflikt befunden und allein aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung gehandelt; daher ließen die Religionsfreiheit, das Elternrecht sowie der besondere Schutz der Familie ihre strafrechtliche Verurteilung nicht zu. Sowohl die Behandlung einzelner Unterrichtsthemen, namentlich der am Bild sexueller Freizügigkeit orientierte Sexualkundeunterricht, die Vermittlung der Evolutionstheorie und die Vornahme „hypnotischer, buddhistischer und esoterischer (New Age) Praktiken” als auch die Ausrichtung der Schule auf einen Werte- und Meinungspluralismus sei mit ihrem Erziehungsziel der Beachtung fundamentaler Glaubensgrundlagen und zwingender göttlicher Normen unvereinbar. Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht träten hier nicht hinter den staatlichen Erziehungsauftrag zurück, zumal den Kindern ein soziales Verhalten in gleicher Weise durch den Heimunterricht vermittelt werden könne.
Außerdem habe das Landgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil es rechtsfehlerhaft Beweisanträgen nicht nachgegangen sei.
III.
Soweit die Beschwerdeführer die Gehörsrüge geltend machen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Insoweit genügt sie – unabhängig von dem ergänzenden Vorbringen und dem (hilfsweise) gestellten Wiedereinsetzungsantrag – nicht den Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG. Die Beschwerdeführer haben weder ihre Revisionsrechtfertigung noch die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht vorgelegt oder ihrem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt. Das Bundesverfassungsgericht kann daher nicht prüfen, ob sie die behaupteten Verfahrensverletzungen in einer den Förmlichkeiten des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise im Revisionsverfahren geltend gemacht und damit den Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde beachtet haben, der gebietet, im Verfahren vor den Fachgerichten alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um die vermeintliche Grundrechtsverletzung abzuwenden (vgl. BVerfGE 68, 384 ≪389≫; 112, 50 ≪60≫).
IV.
Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet, weil eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführer nicht gegeben ist.
1. a) Die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheit umfasst auch den Anspruch, nach eigenen Glaubensüberzeugungen leben und handeln zu dürfen (vgl. BVerfGE 32, 98 ≪106≫; 93, 1 ≪15≫). In Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern das Recht zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert, gewährt Art. 4 Abs. 1 GG das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Danach ist es Sache der Eltern, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln (vgl. BVerfGE 41, 29 ≪44, 47 f.≫) und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪17≫).
aa) Auch wenn dieses Grundrecht keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, ist es Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte Erziehungsauftrag (vgl. BVerfGE 34, 165 ≪181≫; 93, 1 ≪21≫). Infolge dessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zur Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags erlassene allgemeine Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 1989, – 1 BvR 235/89 –, juris). Im Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪21≫).
bb) Zwar darf der Staat auch unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen (BVerfGE 34, 165 ≪182≫; 47, 46 ≪71≫), dabei muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 1989, – 1 BvR 235/89 –, juris). Der Staat darf keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben; er darf sich auch nicht durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪16 f.≫; 108, 282 ≪300≫). Danach sind christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die Schule muss aber für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl. BVerfGE 108, 282 ≪300≫).
b) Stellt der Staat bestimmte Handlungen unter Strafe, kann die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG auch die Art und das Maß der zulässigen Sanktionen beeinflussen.
aa) Die Glaubensfreiheit ist als Teil des grundrechtlichen Wertsystems dem Gebot der Toleranz zugeordnet und insbesondere auf die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als oberster Wert das gesamte grundrechtliche Wertsystem beherrscht (vgl. BVerfGE 6, 32 ≪41≫; 27, 1 ≪6≫; 30, 173 ≪193≫). Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten Glaubenshaltung fließen, sind daher nicht ohne Weiteres jenen Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten bei Fehlen einer religiösen Motivation vorsieht. Vielmehr ist jeweils zu fragen, ob unter den besonderen Umständen des Falles eine Bestrafung den Sinn staatlichen Strafens erfüllt. Daran fehlt es, wenn der Täter sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche Rechtsordnung auflehnt, sondern sich in eine Grenzsituation gestellt sieht, in der die allgemeine Rechtsordnung mit dem persönlichen Glaubensgebot in Widerstreit tritt und er die Verpflichtung fühlt, hier dem höheren Gebot des Glaubens zu folgen. Die Pflicht aller öffentlichen Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung zu respektieren, muss jedenfalls dann zu einem Zurückweichen des Strafrechts führen, wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die Bestrafung, die ihn zum Rechtsbrecher stempelt, als eine übermäßige, seine Menschenwürde verletzende soziale Reaktion darstellen würde (vgl. BVerfGE 32, 98 ≪108 f.≫).
bb) Der bewusste Verstoß gegen Strafnormen ist jedoch auch im Lichte von Art. 4 Abs. 1 GG nicht als Mittel der Wahl, sondern nur als letzter Ausweg aus einem ansonsten unauflöslichen Konflikt zwischen staatlichen und religiösen Verhaltensanforderungen hinzunehmen. An einer den Gewährleistungsgehalt der Menschenwürdegarantie im genannten Sinne berührenden seelischen Bedrängnis wird es etwa regelmäßig fehlen, wenn sich der Gewissenskonflikt in zumutbarer Weise durch nahe liegende andere Handlungsalternativen lösen lässt, die eine Strafbarkeit vermeiden. Wer solche Möglichkeiten, seiner religiösen Überzeugung im Einklang mit der Rechtsordnung zu folgen, bewusst nicht wahrnimmt, kann sich regelmäßig nicht darauf berufen, sich aus einer seelischen Zwangslage heraus allein wegen eines subjektiv höherrangigen und unausweichlichen Glaubensgebots gegen die Rechtsordnung auflehnen zu dürfen. In diesem Fall ist dem Staat die Feststellung strafrechtlicher Schuld nicht von vornherein verwehrt; einer von Art. 4 Abs. 1 GG geschützten religiösen Motivation kann dann im Einzelfall bei der Bestimmung der Sanktion, auch durch Einstellungen des Verfahrens nach §§ 153, 153 a StPO oder die Anwendung des § 59 StGB, angemessen Rechnung getragen werden.
2. Hieran gemessen halten die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlicher Prüfung stand.
a) Die Verpflichtung der Beschwerdeführer, ihre Kinder an dem Unterricht einer nach dem Hessischen Schulgesetz anerkannten Schule teilnehmen zu lassen, stellt eine zulässige Beschränkung ihres Erziehungsrechts dar.
aa) Die allgemeine Schulpflicht dient als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG-K 1, 141 ≪143≫).
bb) Die Schulpflicht steht zudem in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten lassen.
Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten „Parallelgesellschaften” entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft bedeutet der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Schule. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern (vgl. BVerfG-K 1, 141 ≪143 f.≫).
b) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, dass der Schulunterricht meinungs- und wertepluralistisch ausgerichtet ist. Die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 108, 282 ≪299≫). Die Offenheit für ein breites Spektrum von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratisch ausgestalteten Gemeinwesen. Hiermit stünden weder ein einseitig an den Überzeugungen der Beschwerdeführer orientierter Schulunterricht, durch welchen der Staat vielmehr Gefahr liefe, das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu Lasten anderer Anschauungen zu verletzen, noch eine völlige Abschottung der Schulkinder von dem breiten Spektrum der gesellschaftlich vertretenen naturwissenschaftlichen und moralisch-ethischen Positionen in Einklang. Überdies wäre eine solche Auffassung mit dem Erfordernis eines schonenden Ausgleichs zwischen den Rechten der Beschwerdeführer aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG und dem Erziehungsauftrag des Staates aus Art. 7 Abs. 1 GG im Wege der praktischen Konkordanz nicht zu vereinbaren (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪21≫). Daher ist den Beschwerdeführern die mit dem Besuch der Schule verbundene Konfrontation ihrer Kinder mit den Auffassungen und Wertvorstellungen einer überwiegend säkular geprägten pluralistischen Gesellschaft trotz des Widerspruchs zu ihren eigenen religiösen Überzeugungen grundsätzlich zuzumuten (vgl. BVerfG-K 1, 141 ≪144≫).
c) Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt eine Missachtung des Gebots staatlicher Neutralität und Toleranz in Fragen der Erziehung nicht erkennen.
Mit der Vermittlung von Kenntnissen über geschlechtlich übertragbare Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung im Rahmen des Sexualkundeunterrichts hat die Schule das ihr obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Schule den Versuch unternommen hätte, die Schüler mit dem Ziel zu indoktrinieren, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen. Dies gilt umso mehr, als die Eltern eingeladen waren, in Kooperation mit den Lehrern bei Elternabenden auf die Vermittlung dieser Thematik Einfluss zu nehmen und deren Behandlung in der häuslichen Erziehung zu begleiten. Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie im Rahmen des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der Schöpfungsgeschichte auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt.
d) Die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion war im Lichte des Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht unverhältnismäßig. Die Beschwerdeführer können sich nicht darauf berufen, es liege ein – den Grad einer seelischen Bedrängnis erreichender – unauflöslicher Konflikt zwischen einer ernsten Glaubensüberzeugung und der staatlich auferlegten Schulpflicht vor. Der Widerspruch zwischen dem strafbewehrten Handlungsgebot – der Teilnahme ihrer Kinder am Unterricht einer anerkannten Schule – und den eigenen Glaubensüberzeugungen erweist sich hier nicht als derart ausweglos, dass sie berechtigt gewesen wären, dem Verbotsgesetz zuwiderzuhandeln.
aa) Die Beschwerdeführer sehen ihre Glaubensüberzeugungen weniger durch die Schulpflicht als solche vielmehr durch einzelne Unterrichtsinhalte und die meinungs- und wertepluralistische Ausrichtung der Schule verletzt. Soweit sie die Behandlung bestimmter Inhalte des Lehrplans zu dulden hatten, waren sie objektiv nicht in unzumutbarer Weise daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen nach eigenen Vorstellungen zu erziehen. Die Schule hat ihnen nicht verwehrt, den Kindern bestimmte eigene Überzeugungen in religiösen und weltanschaulichen Fragen zu vermitteln. Die Beschwerdeführer können nicht beanspruchen, dass ihre Kinder vollständig von fremden Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont bleiben; in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, gewährt Art. 4 Abs. 1 GG ein solches Recht nicht (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪15≫).
bb) Zudem haben die Beschwerdeführer nahe liegende Möglichkeiten ungenutzt gelassen, den subjektiv empfundenen Konflikt zwischen Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen, ohne gegen die für alle Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft gleichermaßen geltenden Verhaltensanforderungen zu verstoßen.
Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des Landgerichts haben es die Beschwerdeführer unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder sonst ihre Besorgnisse um die Erziehung ihrer Kinder in der Schule vorzutragen, um so in stärkerem Maße auf die Gestaltung von Unterricht und schulischen Sonderveranstaltungen Einfluss zu nehmen. Dabei hätten sie, wie das Entgegenkommen der Schule in Einzelfällen belegt, ihr Begehren nicht ohne jede Erfolgsaussicht den Verantwortlichen der Schule vortragen können. Ihr Verhalten lässt insgesamt nicht erkennen, dass sie sich in der bei Vorliegen eines schwerwiegenden Gewissenskonflikts zu erwartenden Weise konsequent darum bemüht hätten, ihren Standpunkt gegenüber der Schule zur Geltung zu bringen.
cc) Es kommt hinzu, dass in dem vollständigen Fernhalten der drei ältesten Töchter vom Schulunterricht ein unverhältnismäßiges Mittel lag.
So haben die Beschwerdeführer hinsichtlich der Erziehung ihrer Tochter S. keine Konflikte mit der Schule angeführt, deren weiteren Schulbesuch aber dennoch unterbunden. Im Übrigen betrafen die Beanstandungen der Beschwerdeführer lediglich einzelne, zeitlich begrenzte Ereignisse, welche teilweise bereits länger zurücklagen. Die von ihnen beanstandeten einzelnen Vorgänge vermögen ihre Schlussfolgerung, eine weitere Teilnahme ihrer Kinder am Schulunterricht sei ihnen insgesamt nicht mehr zumutbar gewesen, nicht zu tragen. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, weshalb nicht ein – der Schule nachvollziehbar zu begründendes – gezieltes Fernbleiben ihrer Kinder von bestimmten Unterrichtseinheiten als milderes Mittel zur Sicherung ihres elterlichen Erziehungsrechts ausgereicht hätte. Auch sonst ist nicht erkennbar, weshalb es Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von weltanschaulich neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und Fremdsprachen abzumelden.
dd) Außerdem haben die Beschwerdeführer nicht näher dargetan, dass sie sich um die vorrangige Alternative, ihre Kinder an einer anderen – anerkannten – öffentlichen oder privaten Schule unterrichten zu lassen, ernsthaft bemüht haben.
ee) Ebenso wäre es den Beschwerdeführern zuzumuten gewesen, sowohl hinsichtlich der behaupteten Verstöße gegen geltendes Schulrecht als auch wegen der von ihnen begehrten Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 60 Abs. 2 Satz 2 HessSchulG die ihnen zu Gebote stehenden Rechtsbehelfe auszuschöpfen.
e) Schließlich ist auch die Festsetzung der konkreten Sanktion gegen die Beschwerdeführer verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat der Motivation der Beschwerdeführer durch die Anwendung des § 59 StGB unter Androhung einer maßvollen Geldstrafe Rechnung getragen.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
V.
Wegen der Unerheblichkeit des verspätet vorgebrachten, ergänzenden Vorbringens war der insoweit (hilfsweise) gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzulehnen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
FamRZ 2006, 1094 |
ZAP 2006, 692 |
JA 2006, 829 |
BayVBl. 2006, 633 |
FamRB 2006, 259 |
SchuR 2007, 11 |
SchuR 2007, 44 |
AfkKR 2006, 268 |
FuHe 2006, 752 |