Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG) durch zwar fachrechtlich bedenkliche, jedoch nicht willkürliche Behandlung eines Ablehnungsgesuchs im familiengerichtlichen Verfahren
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; ZPO § § 41 ff., §§ 41, 42 Abs. 2
Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Beschluss vom 30.06.2022; Aktenzeichen 5 AR 3/22) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Rz. 1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Richterablehnung in einem Verfahren über Kindesunterhalt.
I.
Rz. 2
Der Beschwerdeführer ist der Vater einer im Oktober 2014 geborenen Tochter. Die nicht miteinander verheirateten, zunächst gemeinsam sorgeberechtigten Eltern trennten sich rund ein Jahr nach der Geburt des Kindes. Seitdem führten und führen sie vor mehreren Gerichten eine größere Anzahl von familiengerichtlichen Verfahren, vor allem die elterliche Sorge für die und den Umgang mit der Tochter betreffend.
Rz. 3
1. In einem einstweiligen Anordnungsverfahren zum Sorgerecht hatte das Familiengericht mit Entscheidungen aus dem September und bestätigend aus dem Oktober 2020 das Sorgerecht vorläufig auf den Beschwerdeführer allein mit der Maßgabe übertragen, dass die Tochter ihren Aufenthalt bei den Eltern des Beschwerdeführers nehmen solle. Dies erfolgte am 11. September 2020.
Rz. 4
Dagegen legte die Mutter Beschwerde ein. Das Beschwerdeverfahren wurde bei dem zuständigen Oberlandesgericht durch den 6. Zivilsenat unter dem Aktenzeichen 6 UF 153/20 geführt. Auf das Rechtsmittel der Mutter hin änderte das Oberlandesgericht auf der Grundlage von § 64 Abs. 3 FamFG durch einstweilige Anordnung mit Beschluss vom 9. November 2020 ohne vorherige Anhörung der Beteiligten die familiengerichtlichen Entscheidungen dahingehend ab, dass bei Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts im Übrigen das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge auf die Mutter übertragen wurde. Das Oberlandesgericht begründete die Eilbedürftigkeit unter anderem damit, dass die Beschwerde der Mutter voraussichtlich Erfolg haben werde und es deshalb nicht sinnvoll sei, den Aufenthalt der Tochter bei den Großeltern väterlicherseits weiter zu verfestigen, zumal diese durch die Anmeldung des Kindes in einem deutsch-amerikanischen Kindergarten Maßnahmen vorgenommen hätten, um die Tochter beziehungsweise Enkeltochter in ihr anglo-deutsches familiäres Umfeld einzubinden und so den Verbleib des Kindes bei dem Beschwerdeführer zu verfestigen.
Rz. 5
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer eine mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde. Den Antrag lehnte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 29. Dezember 2020 nach Maßgabe einer Folgenabwägung ab, führte aber aus, dass die Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet sei, und legte dar, dass die Gestaltung des Verfahrens durch das Oberlandesgericht sowie dessen Sachverhaltsfeststellungen Zweifel an der Vereinbarkeit der getroffenen Entscheidung mit dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) des Beschwerdeführers weckten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2020 - 1 BvR 2652/20 -, Rn. 11). Zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Sache ist es nicht mehr gekommen, weil der Beschwerdeführer diese für erledigt erklärt und mitgeteilt hat, darüber keine Entscheidung mehr zu begehren. Daraufhin ist das Verfassungsbeschwerdeverfahren eingestellt worden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. August 2021 - 1 BvR 2652/20 -).
Rz. 6
2. In einem weiteren, Teile des Sorgerechts betreffenden einstweiligen Anordnungsverfahren hatte das Familiengericht mit Beschluss vom 24. November 2021 dem Beschwerdeführer das Recht zur alleinigen Entscheidung über die Schweigepflichtsentbindung näher bezeichneter Personen über die Tochter betreffende Gesundheitsumstände übertragen. Dagegen legte die Mutter Beschwerde ein. Das Beschwerdeverfahren wurde bei dem Oberlandesgericht wiederum durch den 6. Zivilsenat unter dem Aktenzeichen 6 UF 167/21 geführt. Der Beschwerdeführer lehnte zwei Richterinnen und zwei Richter des Oberlandesgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dabei stützte er sich für zwei abgelehnte Richterinnen und einen abgelehnten Richter auf deren Beteiligung in dem Beschwerdeverfahren 6 UF 153/20. Das Oberlandesgericht wies den Antrag ohne Mitwirkung der abgelehnten Richterinnen und Richter mit Beschluss vom 11. Februar 2022 hinsichtlich der im hier zugrundeliegenden Ausgangsverfahren erneut abgelehnten Mitglieder des 6. Zivilsenats als unbegründet zurück.
Rz. 7
Nachfolgend änderte der 6. Zivilsenat nun unter Mitwirkung seiner erfolglos abgelehnten Mitglieder die familiengerichtliche Entscheidung über die die Schweigepflichtsentbindung betreffende elterliche Sorge ab und wies den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Mittlerweile hat das Familiengericht insoweit eine Ergänzungspflegerin bestellt.
Rz. 8
3. In dem hier gegenständlichen Ausgangsverfahren beantragte die für die Tochter handelnde Mutter im Rahmen eines Kindesunterhaltsverfahrens unter anderem, den Beschwerdeführer zur Erteilung von Auskunft über sein Vermögen zu verurteilen. Dem Antrag gab das Familiengericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2021 weitgehend statt. Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer mit einer Beschwerde, für die wie in den Verfahren 6 UF 153/20 und 6 UF 167/21 wiederum der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts zuständig ist.
Rz. 9
a) Der Beschwerdeführer lehnte die bereits in den beiden vorgenannten Verfahren beteiligten Mitglieder des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies ausschließlich mit der Verfahrensweise des Senats, insbesondere des abgelehnten Richters, in dem Verfahren 6 UF 153/20 sowie mit der in mehrfacher Hinsicht Fehlerhaftigkeit der dort ergangenen einstweiligen Anordnung über das Sorgerecht. Vor allem beanstandete er, dass ohne Anhörung der Beteiligten und vor Ablauf einer von der früheren Vorsitzenden des 6. Zivilsenats gesetzten Stellungnahmefrist entschieden worden sei, obwohl keine besondere Dringlichkeit bestanden habe. Entsprechend sei die Entscheidung in Fachzeitschriften kritisch besprochen worden. Zudem sei das Abstellen auf die Anmeldung der Tochter in einem deutsch-amerikanischen Kindergarten und die Einbindung in ein anglo-deutsches familiäres Umfeld diskriminierend und sachwidrig. Die Entscheidung des 6. Zivilsenats vom 9. November 2020 im Verfahren 6 UF 153/20 weise darüber hinaus eine auffällige Häufung von Unrichtigkeiten im Tatbestand auf. Außerdem ergebe sich aus den Verfahrensakten, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter mit den abgelehnten Mitgliedern des Senats kommuniziert habe, ohne dass die Gesprächsinhalte festgehalten worden seien.
Rz. 10
b) Nach Einholung dienstlicher Erklärungen der abgelehnten Mitglieder des 6. Zivilsenats erklärte das Oberlandesgericht ohne deren Mitwirkung mit angegriffenem Beschluss von 30. Juni 2022 die Ablehnungsgesuche für unbegründet. Es liege kein Fall einer offensichtlich sachfremden oder willkürlichen Verfahrensweise vor. Eine solche folge insbesondere nicht aus dem Ergehen der einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung der Beteiligten und vor Ablauf der von der früheren Senatsvorsitzenden gesetzten Stellungnahmefrist. Es fehle an Anhaltspunkten dafür, "dass die abgelehnten Mitglieder des Senats die gesetzte Frist im Blick gehabt und bewusst nicht abgewartet hätten, um eine Stellungnahme des Antragsgegners nicht mehr zur Kenntnis nehmen und bei der Entscheidung berücksichtigen zu müssen." Soweit der Beschwerdeführer ihm nachteilige Rechtsauffassungen in dem Beschluss vom 9. November 2020 beanstande, sei dies von vornherein nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Das Ablehnungsrecht sei kein Instrument der Überprüfung von Rechtsfehlern und eine Konstellation offensichtlicher Unhaltbarkeit der zugrunde gelegten Rechtsauffassungen sei nicht gegeben.
Rz. 11
c) In seiner dagegen gerichteten Anhörungsrüge wiederholte der Beschwerdeführer weitgehend sein Vorbringen aus dem Befangenheitsantrag. Das Oberlandesgericht habe sich nicht mit dem Vorwurf der fehlenden Dringlichkeit des Beschlusses vom 9. November 2020, mit der nicht dokumentierten Kommunikation der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter und dem 6. Zivilsenat, dem von ihm eingereichten Privatgutachten zu diskriminierenden Äußerungen sowie der in Fachzeitschriften geäußerten Kritik an der Entscheidung vom 9. November 2020 auseinandergesetzt. Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 22. September 2022 verwarf das Oberlandesgericht die Anhörungsrüge mit näherer Begründung als unbegründet.
Rz. 12
4. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG. Seine Begründung stimmt weitgehend mit dem Vortrag zu dem Befangenheitsgesuch und zu seiner Anhörungsrüge überein. Er stützt sich für das Vorliegen der Besorgnis der Befangenheit wiederum auf das Ergehen des Beschlusses vom 9. November 2020 ohne vorherige Anhörung der Beteiligten und vor Ablauf der Stellungnahmefrist sowie die aus seiner Sicht unzureichende Befassung des für die Ablehnungsentscheidung zuständigen Senats des Oberlandesgerichts mit einem von ihm zur Frage der Diskriminierung eingereichten Rechtsgutachten. Das Oberlandesgericht habe sich auch nicht hinreichend mit der am Beschluss vom 9. November 2020 geäußerten Kritik und der auffälligen Fehlerhäufigkeit im Tatbestand dieser Entscheidung als Anzeichen von Befangenheit befasst.
II.
Rz. 13
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs des Beschwerdeführers im angegriffenen Beschluss vom 30. Juni 2022 hält der verfassungsrechtlichen Prüfung noch stand.
Rz. 14
1. a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet den Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter und garantiert damit auch, dass Rechtsuchende im Einzelfall vor Richtern stehen, die unabhängig und unparteilich sind und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bieten (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪202 Rn. 62≫ m.w.N.; siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. November 2018 - 1 BvR 436/17 -, Rn. 17; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2021 - 2 BvR 890/20 -, Rn. 14). Um dies zu gewährleisten, muss der Gesetzgeber in materieller Hinsicht dafür Vorsorge treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Er muss daher Regelungen vorsehen, die es ermöglichen, Richtern, die im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit bieten, von der Ausübung des Amtes auszuschließen (vgl. BVerfGE 21, 139 ≪145 f.≫; 89, 28 ≪36≫; stRspr).
Rz. 15
Dem ist der Gesetzgeber mit den §§ 41 ff. ZPO nachgekommen, die in der hier gegenständlichen Kindesunterhaltssache (vgl. § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) unmittelbar gelten (vgl. § 112 Nr. 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG).
Rz. 16
b) Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgrund der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen über die Richterablehnung kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind erst überschritten, wenn die Auslegung und Anwendung des maßgeblichen einfachen Rechts willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫, 87, 282 ≪284 f.≫; stRspr). Das gilt auch, wenn ein Ablehnungsgesuch infolge fehlerhafter Anwendung des einfachen Rechts zurückgewiesen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2021 - 2 BvR 890/20 -, Rn. 15 m.w.N.). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts, beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht die Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. November 2018 - 1 BvR 436/17 -, Rn. 19; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 5. Mai 2021 - 1 BvR 526/19 -, Rn. 22 jeweils m.w.N.).
Rz. 17
2. An diesem - zurückgenommenen - Maßstab gemessen verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 30. Juni 2022 den Beschwerdeführer nicht in seinem Anspruch auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, auch wenn die Anwendung des Fachrechts nicht in jeder Hinsicht unbedenklich ist.
Rz. 18
a) Das Oberlandesgericht hat im rechtlichen Ausgangspunkt verfassungsrechtlich beanstandungsfrei § 42 Abs. 2 ZPO dahingehend ausgelegt, dass die Besorgnis der Befangenheit dann vorliegt, wenn ein objektiver Grund vorliegt, der die ablehnende Partei bei vernünftiger Betrachtung befürchten lassen muss, die abgelehnten Richter werden nicht unparteiisch entscheiden. Ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht hat es für maßgeblich gehalten, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus genügende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, die Abgelehnten stünden der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Zutreffend hat es angenommen, dass es nicht darauf ankomme, ob die abgelehnten Richter sich selbst für befangen halten. Die Auslegung des Oberlandesgerichts, sachlich fehlerhafte Entscheidungen oder der ablehnenden Partei ungünstige Rechtsauffassungen oder Verfahrensverstöße seien für sich genommen nicht für das Vorliegen einer Befangenheit bedeutsam, hält ebenfalls verfassungsrechtlicher Prüfung stand. Gleiches gilt für die nahezu in der gesamten Zivilrechtsprechung geteilte Auffassung, die Grenze zur Besorgnis der Befangenheit sei erst dort erreicht, wo das Vorgehen der abgelehnten Richter rechtliche Vorgaben in einer Weise überschritten, die den Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung vermittelten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 - AnwZ (B) 3/20 -, Rn. 7 m.w.N.). Das könne der Fall sein, wenn die Handhabung der Verfahrensweise der Abgelehnten einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehre, sodass sich der betroffenen Partei der Eindruck aufdränge, die Fehlerhaftigkeit beruhe auf einer unsachlichen Einstellung gegenüber der betroffenen Partei oder auf Willkür. Mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht es in Einklang, dass das Oberlandesgericht eine derart fehlerhafte Handhabung des Verfahrens dann annehmen will, wenn es zu einer Häufung von Verfahrensverstößen oder anderen Verhaltensweisen der abgelehnten Richter kommt, die in ihrer Gesamtheit einen Grund für die Besorgnis der Befangenheit bilden können, was vor allem bei schweren Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf ein faires Verfahren in Frage komme.
Rz. 19
b) Die Anwendung von § 42 Abs. 2 ZPO auf das Befangenheitsgesuch des Beschwerdeführers im angegriffenen Beschluss ist zwar nicht gänzlich frei von Bedenken. Sie erweist sich aber nicht als willkürlich. Auch hat das Oberlandesgericht die Bedeutung und die Tragweite der Garantie des gesetzlichen Richters im Ergebnis nicht grundlegend verkannt.
Rz. 20
aa) Soweit das Oberlandesgericht eine offensichtlich sachfremde oder willkürliche Vorgehensweise durch den Erlass der einstweiligen Anordnung vom 9. November 2020 ohne Abwarten der Stellungnahmefrist mit der Begründung verneint hat, es fehle an Anhaltspunkten für ein bewusstes Außerachtlassen der Frist, könnte dabei aus dem Blick geraten sein, dass es für die Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit nicht auf die Sicht der abgelehnten Richterin und des abgelehnten Richters ankommt. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Gründe des Beschlusses vom 30. Juni 2022 lässt sich daraus aber nicht ableiten, dass das Oberlandesgericht den zuvor zutreffend bestimmten Maßstab des § 42 Abs. 2 ZPO (dazu Rn. 18) aus dem Blick verloren hätte. Die fehlenden Anhaltspunkte für eine bewusste Missachtung der Frist hat das Oberlandesgericht noch erkennbar als Gesichtspunkt für das Gewicht des Verfahrensfehlers gewertet. Ausgehend von der beanstandungsfreien Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts, dass es auf eine offensichtlich sachfremde oder willkürliche Verfahrensweise ankommt, bedeutet die Berücksichtigung in diesem Sinne noch keine grundlegende Verkennung der Bedeutung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Rz. 21
Entsprechendes gilt auch insoweit, als das Oberlandesgericht eine Besorgnis der Befangenheit nicht auf die Annahme besonderer Eilbedürftigkeit und die getroffene Sachentscheidung vom 9. November 2020, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Mutter zu übertragen, gestützt hat. Zwar hat der 6. Zivilsenat unter Mitwirkung seiner im hier gegenständlichen Unterhaltsverfahren abgelehnten Mitglieder gegen die Empfehlungen der im einstweiligen Sorgerechtsverfahren fachlich Beteiligten entschieden. Schon daraus folgten Zweifel an der Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2020 - 1 BvR 2562/20 -, Rn. 11). Das Oberlandesgericht hat aber nach den für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch anzuwenden Maßstäben in noch vertretbarer Weise angenommen, dass angesichts des vom 6. Zivilsenat zu Grunde gelegten wahrscheinlichen Erfolges der im einstweiligen Sorgerechtsverfahren erhobenen Beschwerde der Mutter ein längerer Verbleib der Tochter bei den Großeltern väterlicherseits und in einem - offenbar - bilingualen Kindergarten deren Rückkehr in den mütterlichen Haushalt erschwert hätte. Für Sorgerechtsentscheidungen an vorhandene Bindungen oder ein drohendes Abbrechen von Bindungen sowie die daraus resultierenden Auswirkungen auf das betroffene Kind anzuknüpfen, ist im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15. November 2022 - 1 BvR 1667/22 -, Rn. 21). Ob die vom 6. Zivilsenat getroffene vorläufige Sorgerechtsentscheidung einer Prüfung an dem Elternrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Stand gehalten hätte, konnte wegen der Erledigungserklärung des Beschwerdeführers (Rn. 5) nicht mehr geprüft werden. Jedenfalls lässt die - vom Oberlandesgericht im Zusammenhang mit der Bedeutung einer möglichen Diskriminierung des Beschwerdeführers getroffene - Wertung, das Abstellen auf mögliche Auswirkungen eines längeren Verbleibs der Tochter im Haushalt der Großeltern sei "nachvollziehbar", angesichts der bei Sorgerechtsentscheidungen an sich sachgerechten Anknüpfung an die Bindungen des Kindes nicht den Schluss zu, es habe § 42 Abs. 2 ZPO insoweit in einer die Bedeutung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Weise angewendet.
Rz. 22
bb) Das Oberlandesgericht hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter auch nicht dadurch verletzt, dass es entgegen der Bewertung durch diesen selbst und in einem von ihm vorgelegten Rechtsgutachten eine Diskriminierung (vgl. Art. 3 Abs. 3 GG) sowie eine darauf gestützte Besorgnis der Befangenheit verneint hat. Bei Anwendung des hier geltenden zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs (dazu Rn. 16) konnte das Oberlandesgericht ohne Willkür und ohne die Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend zu verkennen, annehmen, dass mit den vom Beschwerdeführer als diskriminierend erachteten Ausführungen des 6. Zivilsenats über die Anmeldung der Tochter in einem deutsch-amerikanischen Kindergarten sowie deren Einbindung in ein "anglo-deutsch geprägtes familiäres Umfeld" in der Sache auf die Auswirkungen mehrfacher Veränderungen im Lebensumfeld und in den Bindungen der Tochter abgestellt werden sollte. Diese Deutung entfernt sich nicht derart weit von einem möglichen Verständnis des Beschlusses des 6. Zivilsenats, dass damit eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einherginge. Durfte das Oberlandesgericht ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht einen diskriminierenden Charakter der beanstandeten Passage verneinen, konnte sich daraus insoweit auch kein ausreichender Anhaltspunkt für eine Besorgnis der Befangenheit ergeben. Ob die Entscheidung des 6. Zivilsenats vom 9. November 2020 den Beschwerdeführer in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzte, wofür Anhaltspunkte bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15. November 2022 - 1 BvR 1667/22 -, Rn. 21), ist nicht Gegenstand des hier vorliegenden Verfahrens.
Rz. 23
cc) Bei Anlegen des zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs liegt eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht darin, dass das Oberlandesgericht auch das gegen den abgelehnten Richter gerichtete Gesuch für unbegründet erklärt hat. Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass vor allem das Veranlassen einer einstweiligen Anordnung bereits vor Ablauf der von der früheren Vorsitzenden gewährten Stellungnahmefrist und kurz nach der vorübergehenden Übernahme des Vorsitzes durch den abgelehnten Richter im Hinblick auf die gebotene Unvoreingenommenheit nicht ohne Bedenken sind. Gleiches gilt für ein möglicherweise durch ihn zu verantwortendes Fehlen einer Dokumentation von Kommunikation mit der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter im Verfahren 6 UF 153/20 im November 2020. Angesichts der völlig unterschiedlichen Verfahrensgegenstände und der nicht völlig identischen Beteiligten in dem vorgenannten Sorgerechtsverfahren einerseits sowie dem hier gegenständlichen Unterhaltsverfahren andererseits ist es jedoch noch nicht willkürlich, dass das Oberlandesgericht angenommen hat, es sei dem vorbefassten Richter grundsätzlich zuzutrauen, den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien zu lösen. Das entspricht im fachrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 42 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - IX ZB 65/13 -, Rn. 11 f.; Beschluss vom 20. September 2016 - AnwZ (Brfg) 61/15 u.a. -, Rn. 8 und 13). Die Anwendung dieses Maßstabs durch das Oberlandesgericht geht hier trotz des nicht unbedenklichen Verhaltens des abgelehnten Richters nicht mit einer grundlegenden Verkennung der Bedeutung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter einher.
Rz. 24
3. Soweit der Beschwerdeführer sich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowohl durch den Beschluss vom 30. Juni 2022 als auch den vom 22. September 2022 verletzt sieht, zeigt er die Möglichkeit einer solchen Verletzung nicht in einer den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise auf. Letztlich beanstandet er insoweit, dass das Oberlandesgericht die zahlreichen von ihm für eine Besorgnis der Befangenheit vorgebrachten Umstände anders als er rechtlich gewürdigt hat. Das betrifft aber nicht das durch Art. 103 Abs. 1 GG Gewährleistete.
Rz. 25
4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Rz. 26
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Dokument-Index HI15642162 |