Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahme einer mangels Rechtswegerschöpfung unzulässigen Verfassungsbeschwerde in einer Strafvollzugssache. Zu den Anforderungen der Garantie effektiven Rechtsschutzes sowie des Anspruchs auf Rechtschutzgleichheit
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1; BeratHiG; StVollzG § § 109 ff., § 109
Verfahrensgang
LG Koblenz (Beschluss vom 14.09.2020; Aktenzeichen 7c StVK 224/20) |
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Rz. 1
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg nicht ordnungsgemäß erschöpft hat. Er hat es versäumt, gegen die Entscheidung des Landgerichts über seinen vom Gericht als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG ausgelegten Antrag eine Rechtsbeschwerde zu erheben.
Rz. 2
Es spricht allerdings viel dafür, dass der Beschluss des Landgerichts vom 14. September 2020 der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht geworden ist.
Rz. 3
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (BVerfGE 67, 43 ≪58≫; 96, 27 ≪39≫; 104, 220 ≪231≫; 129, 1 ≪20≫; stRspr) und garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 49, 329 ≪340 ff.≫; 84, 34 ≪49≫; 101, 397 ≪407≫; stRspr). Bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts sind die Gerichte verpflichtet, das Ziel der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes zu verfolgen (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫). Hieraus ergeben sich auch Anforderungen an die gerichtliche Würdigung des Vortrags des Rechtsschutzsuchenden. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet daher zunächst den Gerichten, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird. Legt ein Gericht den Verfahrensgegenstand in einer Weise aus, die das vom Antragsteller erkennbar verfolgte Rechtsschutzziel ganz oder in wesentlichen Teilen außer Betracht lässt, verletzt dies den Rechtsanspruch des Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfGK 10, 509 ≪513≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Januar 2017 - 2 BvR 476/16 -, Rn. 12).
Rz. 4
Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG - für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG - den Anspruch auf grundsätzlich gleiche Chancen von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte auch im außergerichtlichen Bereich, somit auch im Hinblick auf die Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz (vgl. BVerfGE 122, 39 ≪48 ff.≫). Die pauschale Verweisung auf die Beratungspflicht der Behörde, gegen deren belastende Maßnahme Rechtsschutz ersucht wird, ist keine zumutbare Selbsthilfemöglichkeit (vgl. BVerfGK 15, 438 ≪444≫; 15, 585 ≪586≫; 18, 10 ≪13≫).
Rz. 5
Der Beschluss des Landgerichts dürfte diesen Anforderungen nicht genügen. Das Gericht hat weder den Antrag nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers, zunächst Beratungshilfe für eine Erstberatung bei einem Rechtsanwalt zu erhalten, ausgelegt noch ihn darauf hingewiesen, dass Beratungshilfeanträge beim zuständigen Amtsgericht und nicht bei der für Anträge nach § 109 StVollzG zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts zu stellen sind. Die Annahme des Landgerichts, dass der Beschwerdeführer einen mit Gerichtskosten verbundenen Hauptsacheantrag nach § 109 StVollzG habe stellen wollen, ist angesichts des im Antragsschreiben vom 21. August 2020 ausdrücklich formulierten Rechtsschutzbegehrens des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar.
Rz. 6
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Rz. 7
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Dokument-Index HI14371875 |