Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG gehören Vertragsänderungen und entsprechende Änderungen auf der Ebene des Primärrechts (Art. 23 Abs. 1 GG) sowie Rechtsetzungsakte der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG). Um eine Angelegenheit der Europäischen Union handelt es sich auch bei völkerrechtlichen Verträgen, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Maßgebend dafür ist eine Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich der Regelungsinhalte, -ziele und -wirkungen.
2. Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geregelte Unterrichtungspflicht knüpft an das in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht des Deutschen Bundestages auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union an. Das Erfordernis der umfassenden Unterrichtung will dem Deutschen Bundestag die Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte ermöglichen. Dementsprechend ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Qualität, Quantität und Aktualität der Unterrichtung.
3. Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Zeitvorgabe „zum frühestmöglichen Zeitpunkt” ist so auszulegen, dass der Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten muss, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt.
4. Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Innerhalb der Funktionenordnung des Grundgesetzes kommt der Regierung ein Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung.
Tenor
1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihm einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zuzuleiten.
2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag ferner in seinem Unterrichtungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihn über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorab zu informieren sowie ihm das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung „Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area – Main Features and Concepts” zuzuleiten.
Tatbestand
A.
Das Organstreitverfahren betrifft die Verpflichtung der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem „Europäischen Stabilitätsmechanismus” (ESM) und dem „Euro-Plus-Pakt”.
I.
1. Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise im Gebiet der Europäischen Währungsunion gewährten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zunächst Griechenland koordinierte, bilaterale Finanzhilfen und schufen anschließend den sogenannten „Rettungsschirm”, dessen Kern eine privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaft, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF; vgl. hierzu Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 – 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 –, NJW 2011, S. 2946 ff.) bildet. Ihre Maßnahmen sind zeitlich befristet und sollen nur der vorübergehenden Unterstützung betroffener Mitgliedstaaten dienen.
2. Seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Dazu soll ein permanenter Europäischer Stabilisierungsbeziehungsweise Stabilitätsmechanismus etabliert werden.
Erste Ideen für einen solchen Krisenbewältigungsmechanismus wurden in der vom Europäischen Rat im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unter Vorsitz des Präsidenten des Europäischen Rates entwickelt. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./29. Oktober 2010 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf die Errichtung eines „ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt” (EUCO 25/1/10 REV 1, Schlussfolgerungen, S. 2). Am 28. November 2010 vereinbarten die Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes die allgemeinen Merkmale des künftigen Krisenmechanismus. Zur Vorbereitung des Europäischen Rates vom 16./17. Dezember 2010 legte dessen Präsident am 10. Dezember 2010 einen Vorschlag für eine Änderung der Verträge vor. Der Europäische Rat einigte sich auf seiner Tagung vom 16./17. Dezember 2010 auf eine erste Fassung der avisierten Vertragsänderung, die Art. 136 AEUV einen neuen Absatz 3 hinzufügen sollte, billigte die von den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 28. November 2010 vereinbarten allgemeinen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus und beauftragte diese sowie die Europäische Kommission mit der weiteren Konkretisierung der Bestimmungen (EUCO 30/1/10 REV 1, S. 1 f. mit Anlage 1). Der Europäische Stabilitätsmechanismus sollte im Primärrecht verankert werden und die zeitlich befristete Europäische Finanzstabilisierungsfazilität sowie den ebenfalls zeitlich befristeten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ablösen. Am 20. Dezember 2010 übersandte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht zu der Tagung des Europäischen Rates.
a) In ihrer Ausgabe vom 23. Dezember 2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein ihr vorliegendes inoffizielles Dokument (non paper) der Bundesregierung zur Konzeption des Europäischen Stabilitätsmechanismus, das zur Vorbereitung des nächsten Treffens der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Mitte Januar dienen solle. Unter anderem wurde berichtet, dass der geplante Europäische Stabilitätsmechanismus als eigenständige Institution neben die Europäische Zentralbank treten und den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes politisch weitgehend unabhängig „Hilfen in der Not” anbieten solle. Er solle grundsätzlich „unbegrenzt refinanzierungsfähig” sein, wofür die Mitgliedstaaten anteilige Bürgschaften bereitstellen müssten. Hilfen sollten nur unter strengen Bedingungen und gegen werthaltige Sicherheiten wie Goldreserven oder staatliche Unternehmensanteile gewährt werden (Süddeutsche Zeitung, 23. Dezember 2010, „Neuer Vorstoß zur Rettung des Euro” ≪S. 1≫ und „Doppelter Schutz für den Euro” ≪S. 17≫).
Am 17. Januar 2011 forderte der Deutsche Bundestag mit Blick auf die für den 4. Februar 2011 geplante Tagung des Europäischen Rates beim Bundesministerium der Finanzen Dokumente bezüglich der Konkretisierung der Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus an. Das Bundesministerium der Finanzen kündigte daraufhin an, entsprechende Papiere zu übermitteln, sobald sie vorlägen. Außerdem teilte es mit, bei dem in der Süddeutschen Zeitung vom 23. Dezember 2010 angesprochenen inoffiziellen Dokument handele es sich nicht um ein abgestimmtes Positionspapier der Bundesregierung für die Organe der Europäischen Union, sondern um eine Zusammenstellung von internen Papieren der Arbeitsebene. Ein Zuleitungserfordernis bestehe daher nicht.
Der Deutsche Bundestag forderte am 19. Januar 2011 beim Bundesministerium der Finanzen unter Hinweis auf einen Bericht im Handelsblatt (Handelsblatt, 19. Januar 2011 ≪S. 13≫, „EU-Kommission will klammen Ländern großzügiger helfen”) ein siebenseitiges Papier der Europäischen Kommission mit Überlegungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus an, das dem ECOFIN-Rat vom 18. Januar 2011 vorgelegen habe. Dies lehnte ein Referatsleiter im Bundesministerium der Finanzen mit E-Mail vom gleichen Tage mit der Begründung ab, dem ECOFIN-Rat sei kein Papier zum Europäischen Stabilitätsmechanismus vorgelegt worden; Presseberichte, wonach die Europäische Kommission ein siebenseitiges Papier präsentiert habe, könnten nicht bestätigt werden. Bei der Entwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich zudem „um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union”. Die Bundesregierung werde „über die Arbeiten an dem permanenten ESM” wie bisher regelmäßig unterrichten.
Ebenfalls am 19. Januar 2011 berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen sowohl dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/39 der 39. Sitzung des Finanzausschusses vom 19. Januar 2011, S. 23 ff.) als auch dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die Ergebnisse der Sitzungen der Euro-Gruppe vom 17. Januar 2011 sowie des ECOFIN-Rates vom 18. Januar 2011. Es seien insbesondere Fragen zur Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus diskutiert, Beschlüsse aber nicht gefasst worden. Die Bundesregierung handele dabei auf der Grundlage des Mandats des Europäischen Rates vom Dezember 2010. Der Deutsche Bundestag werde beteiligt, sobald eine Position der Bundesregierung vorliege. Nicht abgestimmte Papiere seien nicht vorlagepflichtig. Zwar gebe es „Papiere und Überlegungen der EU-Kommission” zur Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und zum Europäischen Stabilitätsmechanismus; diese entsprächen aber den Vorgaben des Europäischen Rates (Protokoll Nr. 17/29 der 29. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 19. Januar 2011, S. 15 ff.). Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen berichtete am selben Tag dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die Tagungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates und betonte, dass die Bundesregierung ergebnisoffen in die Verhandlungen gegangen sei. Die Vorbereitung des Europäischen Rates im Februar/März 2011 und die Verhandlungen über die Ausgestaltung des sogenannten „comprehensive package” seien noch in vollem Gange (Protokoll Nr. 17/43 der 43. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 19. Januar 2011, S. 42 ff.).
Am 24. Januar 2011 fand ein weiteres Treffen der Euro-Gruppe statt. Darüber berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011. Er führte unter anderem aus, dass die Bundesregierung im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die anderen in der Diskussion befindlichen Maßnahmen zur Euro-Rettung von einer abschließenden Gesamtentscheidung im März 2011 ausgehe. Mehrere Abgeordnete wiesen darauf hin, dass die Europäische Kommission der Euro-Gruppe angeblich ein inoffizielles Dokument (non paper) mit Inhalten und Plänen zum „Gesamtpaket” (comprehensive package) übermittelt habe. Für die Diskussion im Deutschen Bundestag sei eine Weiterleitung dieses Papiers hilfreich. Der Bundesminister der Finanzen trat dem Ersuchen mit der Begründung entgegen, im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Eurogruppe sei eine mündliche Unterrichtung ausreichend. Eine offene Kommunikation mit dem Deutschen Bundestag sei von großer Bedeutung, finde ihre Grenzen aber in der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 12 f.).
Am 2. Februar 2011 setzte der Präsident des Europäischen Rates das Thema „Wirtschafts- und Währungsunion” kurzfristig auf die Tagesordnung für die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14). Der Deutsche Bundestag erhielt am selben Tag einen schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes. Darin wurde ausgeführt, die Beratungen der Staats- und Regierungschefs hätten „vor allem eine Verständigung über die Stärkung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, eine Entscheidung über die Vertragsänderung sowie eine Einigung über die Ausgestaltung des künftigen Europäischen Stabilisierungsmechanismus” zum Gegenstand. Entscheidungen in der Sache würden nicht erwartet. Am 3. Februar 2011 unterrichtete der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union mündlich über die bevorstehende Tagung des Europäischen Rates (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11). Der Europäische Rat kündigte am 4. Februar 2011 unter anderem die „Festlegung der praktischen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus unter dem Vorsitz des Präsidenten der Euro-Gruppe entsprechend dem im Dezember erteilten Auftrag” an (EUCO 2/1/11 REV 1, Schlussfolgerungen, Anlage I, S. 12). Der Deutsche Bundestag erhielt am 7. Februar 2011 einen schriftlichen Nachbericht zu dieser Tagung.
Am 9. Februar 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuelle Entwicklung des Euro-Währungsgebietes und teilte mit, im Mittelpunkt der Sitzungen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates am 14. und 15. Februar 2011 würden die bestehenden Reformprogramme, etwaige Änderungen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus stehen. Auf Nachfrage führte er aus, hinsichtlich der Ausgestaltung eines „Instrumentenkastens” für den Europäischen Stabilitätsmechanismus gebe es noch keine abgeschlossene Position der Bundesregierung und keine Beschlüsse auf europäischer Ebene (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 15 f.). Ebenfalls am 9. Februar 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen gegenüber dem Haushaltsausschuss auf Nachfrage, über das auf europäischer Ebene beratene „Gesamtpaket” werde das Parlament unterrichtet, sobald man zu einer Einigung gekommen sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 9. Februar 2011, S. 59).
Am 17. Februar 2011 forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, ihm die vorbereitenden Papiere der Europäischen Kommission zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Verfügung zu stellen. Dabei verwies er auf einen Artikel der Wochenzeitschrift „Der Spiegel”, in dem auf ein solches Papier Bezug genommen worden war („Jagd auf den Yeti”, Heft 7/2011 vom 14. Februar 2011). Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel teilte in einem internen Bericht vom 21. Februar 2011 ebenfalls mit, im Rat der Europäischen Union fänden Beratungen über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission statt. Das Bundesministerium der Finanzen kam der Aufforderung des Deutschen Bundestages nicht nach. In seinem Antwortschreiben vom 22. Februar 2011 wies es darauf hin, die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages seien über Sitzungen der Euro-Gruppe nur mündlich zu unterrichten.
In der 32. Sitzung des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011 informierte ein Beamter des Auswärtigen Amtes über die geplante Vertragsänderung im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Auf welcher Rechtsgrundlage dessen konkrete Ausgestaltung erfolgen werde, stehe noch nicht fest. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 würden die Themen Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischer Stabilitätsmechanismus wahrscheinlich ebenfalls diskutiert. Es werde dabei aber wohl nur um die Grundlinien gehen; die endgültigen Entscheidungen seien erst beim Europäischen Rat Ende März 2011 zu erwarten (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 10 ff.). Der Ausschussvorsitzende und mehrere Abgeordnete rügten die Unterrichtung durch die Bundesregierung als ungenügend und verlangten übereinstimmend, frühzeitig und detailliert unterrichtet zu werden. Mit Blick auf die weitreichenden Auswirkungen auf die nationalen Haushalte sei der Deutsche Bundestag „von Beginn an in die Schaffung des ESM einzubeziehen” (Protokoll Nr. 17/32 der 32. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. Februar 2011, S. 12 f.).
Am 10. März 2011 berichtete die Bundeskanzlerin dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die für den Folgetag geplante informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes. Themen der Tagung seien unter anderem die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der weitere Umgang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität. Die Bundeskanzlerin erklärte, sie könne noch nicht sagen, ob das Treffen lediglich den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 vorbereiten werde oder ob Beschlüsse gefasst würden. Im Übrigen würden informelle Treffen der Euro-Gruppe auch nicht von der gesetzlichen Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag erfasst (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, das Parlament habe auf der Grundlage der Unterrichtungspraxis der Bundesregierung keine ausreichende Möglichkeit, die Entscheidungen zum Themenkreis der Eurostabilisierung nachzuvollziehen, erklärte die Bundeskanzlerin, die gegenwärtige Situation sei aufgrund täglicher Änderungen der Umstände und Tatsachen einzigartig, so dass die Bundesregierung dem Parlament nur Informationen mit einer „endlichen Halbwertszeit” geben und für den Europäischen Rat am 24./25. März 2011 lediglich Ergebnisoptionen benennen könne. Die Bundesregierung unterrichte den Deutschen Bundestag über die Sitzungen der Euro-Gruppe. Jedoch müssten bestimmte interne Beratungen, die von besonderer Marktrelevanz seien, differenziert behandelt werden (Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 15 f.).
Am 16. März 2011 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, dass nach gegenwärtigem Verhandlungsstand der zukünftige Europäische Stabilitätsmechanismus auf völkerrechtlicher Grundlage errichtet werde und dieser Vertrag vom Deutschen Bundestag gemäß den Bestimmungen des Grundgesetzes zu ratifizieren sei (Protokoll Nr. 17/45 der 45. Sitzung des Finanzausschusses vom 16. März 2011, S. 27). Am gleichen Tag informierte der Bundesminister der Finanzen den Haushaltsausschuss über die voraussichtliche Höhe des effektiven Kreditvolumens des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Man werde dieses jedoch erst im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Form des Europäischen Stabilitätsmechanismus endgültig festlegen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 16. März 2011, S. 20 f.). Ebenfalls am 16. März 2011 informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die Diskussionen der Euro-Gruppe und des ECOFIN-Rates zur Höhe des Garantievolumens von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus. Die Finanzminister hätten insbesondere verabredet, die Entscheidungen zur Ertüchtigung beider Institutionen nicht „kleckerweise” den nationalen Parlamenten vorzulegen, sondern in einem Paket (Protokoll Nr. 17/34 der 34. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 16. März 2011, S. 5 ff.).
Am 17. März 2011 nahm der Deutsche Bundestag den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Herstellung des Einvernehmens von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV (BTDrucks 17/4880) an (Plenarprotokoll Nr. 17/96 der 96. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. März 2011, S. 11015 C).
Auf ihrer Sitzung am 21. März 2011 einigte sich die Euro-Gruppe auf die Grundsätze des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Im Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom gleichen Tag über den Stand der Diskussion im Nachgang zur Sondertagung des Europäischen Rates vom 11. März 2011 sowie zur Tagung des ECOFIN-Rates vom 14./15. März 2011 wurde ausgeführt, die Mitgliedstaaten hätten sich bereits auf einige wichtige Aspekte des Europäischen Stabilitätsmechanismus geeinigt. Zahlreiche Fragen – wie die Konditionalität der Gewährung von Finanzhilfen, die institutionelle Form und Struktur der Organisation, die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds oder die Beteiligung der Nicht-Euroländer – würden aber derzeit noch diskutiert und nach Ansicht von Beobachtern erst am 24./25. März 2011 von den Staats- und Regierungschefs entschieden (Bericht aus Brüssel 06/2011 vom 21. März 2011, S. 3 f.).
Am 23. März 2011 erstattete das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Vorbericht zur Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011. Darin kündigte es mehrere Beschlüsse im „Gesamtpaket” zur dauerhaften Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes an, darunter die „Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus (ESM)”. Am gleichen Tag informierte ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union über die aktuellen Entwicklungen im Euro-Währungsgebiet und übergab ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus in englischer Sprache („term sheet”) als Tischvorlage. Dass keine deutsche Übersetzung vorgelegt werde, sei zum einen der Kurzfristigkeit geschuldet, zum anderen aber auch dem besseren Verständnis, da der englische Text „Vorteile gegenüber einer deutschen Übersetzung” biete (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 9). Auf Nachfrage erklärte der Beamte, die Bundesregierung werte die Unterrichtung des Ausschusses als „mündliche Unterrichtung” entsprechend § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (im Folgenden: EUZBBG) vom 12. März 1993 (BGBl I S. 311), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. September 2009 (BGBl I S. 3026). Die Vorlage des „term sheet” sei nicht auf der Grundlage dieses Gesetzes erfolgt und runde die mündliche Unterrichtung ab (Protokoll Nr. 17/35 der 35. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 23. März 2011, S. 13, 16).
Ebenfalls am 23. März 2011 forderte der Abgeordnete Manuel Sarrazin in einem Schreiben an den Bundesminister der Finanzen die Überlassung von Dokumenten über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Aus einem Brief des Präsidenten der Euro-Gruppe an die Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 22. März 2011 gehe hervor, dass das Europäische Parlament im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens an einer Verordnung im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligt werden solle. Damit würden die vorbereitenden Dokumente der Europäischen Kommission, deren Zuleitung die Bundesregierung bislang verweigere, von der Weiterleitungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG erfasst. Eine mündliche Unterrichtung hierüber reiche nicht aus.
Am 24. März 2011 gab die Bundeskanzlerin im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab. Die Bundesregierung habe auf europäischer Ebene durchgesetzt, dass der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus für ein ausgewogenes Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität sorgen werde. Kredite dürften nur als letztes Mittel vergeben werden, und über die Vergabe werde durch einstimmigen Beschluss entschieden. Außerdem müsse sich der entsprechende Mitgliedstaat Auflagen unterwerfen. Die Haftung Deutschlands sei nach oben begrenzt (Plenarprotokoll Nr. 17/99 der 99. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. März 2011, S. 11255 A f.).
b) Auf seiner Tagung vom 24./25. März 2011 beschloss der Europäische Rat sodann den Entwurf eines künftigen Art. 136 Abs. 3 AEUV, der als primärrechtliche Grundlage für den Europäischen Stabilitätsmechanismus dienen und folgenden Wortlaut haben soll:
Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen (EUCO 10/11, Schlussfolgerungen, Anlage II, S. 21 ff.).
In den Schlussfolgerungen ist davon die Rede, dass die Ergänzung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im vereinfachten Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV erfolgen solle und daher nicht zu einer Ausdehnung der der Europäischen Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen dürfe (vgl. Art. 48 Abs. 6 UAbs. 3 EUV). Vor diesem Hintergrund solle der Europäische Stabilitätsmechanismus als zwischenstaatliche Einrichtung ausgestaltet werden. Seinen Schlussfolgerungen fügte der Europäische Rat die Anlage II mit der „Vereinbarung über die Merkmale des ESM” bei (EUCO 10/11, S. 21 ff.). Darin machte er deutlich, dass sein Einvernehmen über die Einrichtung des „ständigen” Europäischen Stabilitätsmechanismus an die Beschlussfassung über den Entwurf eines neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV gekoppelt sei (EUCO 10/11, S. 21). Über die Ergebnisse des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 informierte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes am 28. März 2011 die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch. Zugleich übermittelte das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag einen schriftlichen Ergebnisbericht.
Dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union berichtete ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen am 6. April 2011. Zu den Ergebnissen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 erklärte er, man habe „ambitionierte Zeitvorgaben” für die Ertüchtigung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und den Errichtungs- und Finanzierungsvertrag für den Europäischen Stabilitätsmechanismus vereinbart (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 5 ff.). Bezogen auf die nationalen Umsetzungsgesetze im Zusammenhang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Bundesregierung versuche, den Deutschen Bundestag zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beteiligen (Protokoll Nr. 17/36 der 36. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 6. April 2011, S. 8). Am gleichen Tag berichtete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich über die Ergebnisse des Europäischen Rates und über den Fortgang der Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 9). Derzeit werde der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus weiter ausgearbeitet, um ihn vor Ende Juli 2011 paraphieren zu können. Danach solle die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten erfolgen. Dies bedeute eine vollumfängliche parlamentarische Beteiligung des Deutschen Bundestages (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12). Die Rüge eines Abgeordneten, dass die Bundesregierung dem Ausschuss in der vorangegangen Sitzung am 23. März 2011 lediglich eine englische Fassung des „term sheet” vorgelegt habe, obwohl dieses zum Zeitpunkt der Sitzung bereits 48 Stunden alt gewesen sei, wies er zurück (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 16 f.).
Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf eines Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus („Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism”) erhielt der Deutsche Bundestag aus informellen Quellen. Eine Zuleitung dieses Textes durch die Bundesregierung erfolgte nicht.
Im schriftlichen Vorbericht zum informellen Treffen des ECOFIN-Rates am 8./9. April 2011 informierte das Bundesministerium der Finanzen am 4. April 2011 den Finanzausschuss, den Haushaltsausschuss und den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union darüber, dass der Rat unter anderem diskutieren wolle, wie die Ausarbeitung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus rechtzeitig abgeschlossen werden könne. Über den Verlauf der Tagung berichtete der Bundesminister der Finanzen dem Haushaltsausschuss mündlich am 13. April 2011. Zum geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus erklärte er, die Einzelheiten seiner Ausgestaltung seien in einem Vertrag erst noch zu regeln. Dieser Vertrag bedürfe der Ratifizierung durch die nationalen Gesetzgeber. Im Zuge dieser Ratifizierung werde dann auch die Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Stabilitätsmechanismus zu beraten sein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 10 ff.). Auf die Rüge eines Abgeordneten, eine Äußerungsmöglichkeit des Deutschen Bundestages erst nach Vorlage des Gesetzentwurfs komme zu spät, da zu diesem Zeitpunkt die europäischen Vereinbarungen bereits getroffen sein würden, ging der Bundesminister der Finanzen nicht ein (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 14 ff.). Im Hinblick auf das Anliegen einer möglichst weitgehenden Parlamentsbeteiligung gab er zu bedenken, dass die Leistungsfähigkeit eines Mechanismus durch ein Übermaß an Beteiligungen herabgesetzt werde (Protokoll Nr. 17/53 der 53. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. April 2011, S. 27 ff.).
Ebenfalls am 13. April 2011 informierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mündlich darüber, dass die Bundesregierung bestrebt sei, alle vom Parlament im Zusammenhang mit der Aufstockung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu treffenden Entscheidungen in einem Gesamtpaket vorzulegen. Die Zuleitung an den Deutschen Bundestag werde so rechtzeitig erfolgen, dass das Gesetzespaket noch vor Jahresende verabschiedet werden könne. Auf europäischer Ebene solle noch vor der Sommerpause eine abschließende Entscheidung fallen (Protokoll Nr. 17/49 der 49. Sitzung des Finanzausschusses vom 13. April 2011, S. 25 f.). Das Bundesministerium der Finanzen übersandte den drei Ausschüssen am 19. April 2011 zudem einen schriftlichen Ergebnisbericht zu dem informellen Treffen des ECOFIN-Rates.
Am 6. Mai 2011 informierte der Bundesminister der Finanzen die Obleute des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union über den aktuellen Sachstand. Mit Schreiben seines Vorsitzenden vom 12. Mai 2011 forderte der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union den Bundesminister der Finanzen erneut auf, den jeweils aktuell zur Verhandlung stehenden Vertragsentwurf zu übermitteln. Nur die Vorlage des Textes stelle zusammen mit den mündlichen Unterrichtungen vor der anstehenden Beschlussfassung auf europäischer Ebene die nach Art. 23 GG erforderliche Beteiligung des Deutschen Bundestages sicher. Es sei aus der Sicht der Abgeordneten nicht hinnehmbar, die verschiedenen Entwürfe – wie geschehen – in Österreich anfordern zu müssen, wo der Nationalrat entsprechende Entwürfe von der österreichischen Bundesregierung bereits zugeleitet bekommen hatte (vgl. hierzu die Beratungen des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrates XXIV. GP vom 23. März 2011, Stenographisches Protokoll, Seite 2). Nach weiteren Vorstößen – unter anderem des parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin – übermittelte das Bundesministerium der Finanzen am 17. Mai 2011 dem Deutschen Bundestag einen englischsprachigen Vertragsentwurf und am Folgetag dessen deutsche Übersetzung.
3. Parallel zu den Vorbereitungen für einen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und zur Änderung des Art. 136 AEUV wurden auf Initiative der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten Leitlinien für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes entwickelt, die zunächst unter der Bezeichnung „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit” zusammengefasst und letztlich als „Euro-Plus-Pakt” beschlossen wurden. Ziel war es, den Problemen entgegenzuwirken, die sich nach Auffassung der Initiatoren aus der asymmetrischen Konstruktion der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion – vollständige Vergemeinschaftung der Währungspolitik bei gleichzeitiger Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik – ergeben.
a) In der Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes auf eine entsprechende Frage mit, dass auf dem anstehenden Europäischen Rat über den Euro gesprochen werde, mit Beschlüssen aber nicht zu rechnen sei (Protokoll Nr. 17/30 der 30. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 26. Januar 2011, S. 9). In derselben Sitzung nahm der Bundesminister der Finanzen zum weiteren Vorgehen Stellung (vgl. hierzu A.I.2.).
Am 31. Januar 2011 erschien in der Wochenzeitschrift „Der Spiegel” unter dem Titel „Agenda für Europa” ein Artikel, in dem über ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission über einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit” berichtet wurde, den sie zusammen mit dem französischen Staatschef dem nächsten Europäischen Rat „vertraulich und informell beim Mittagessen” vorstellen wolle, ohne dass dies auf der Tagesordnung erscheine. Ziel solle sein, das Euro-Währungsgebiet zukünftig besser vor Krisen zu schützen. In einem Papier seien als Maßnahmen unter anderem die Angleichung von Steuern, die Anpassung des Renteneintrittsalters und die Einführung einer Schuldenbremse genannt („Der Spiegel”, „Agenda für Europa”, Heft 5/2011 vom 31. Januar 2011). Auf der Internetseite www.euractiv.de war eine Entwurfsfassung dieses Paktes abrufbar. Am 1. Februar 2011 bat der Deutsche Bundestag das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unter Bezugnahme auf die Berichterstattung des „Spiegels” sowie mehrerer Tageszeitungen um die Übermittlung der „Papiere und Informationen, auf deren Basis die Bundesregierung ihre Initiative vorstellen” werde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte dem Deutschen Bundestag mit E-Mail vom 2. Februar 2011 mit, dass die angeführten Zeitungsartikel auf einen „Abstimmungsprozess in der Bundesregierung Bezug nähmen, der noch nicht abgeschlossen” sei. In der Regierungspressekonferenz am gleichen Tag kündigte der Regierungssprecher an, dass auf der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 tatsächlich auch über Fragen der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Euro-Währungszone geredet werden solle, und fügte hinzu: „Dazu wird es eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung geben” (vgl. Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011, abrufbar im Internet unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2011/02/2011-2-02-regpk.html). In ihrem Vorbericht zum Europäischen Rat vom 2. Februar 2011 erklärte die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin werde für „ein starkes Signal” eintreten, die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern, um die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu erhöhen und die Kohärenz im Euro-Währungsgebiet zu stärken. Weitere Dokumente stellte sie dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung.
Am 3. Februar 2011 erklärte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes den Obleuten des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union telefonisch, ungeachtet der Presseberichterstattung zur geplanten Initiative für einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit” bestehe zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung und werde dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).
Am 4. Februar 2011 kündigte die Bundeskanzlerin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Staatspräsidenten an, die europäischen Partner über Details der deutsch-französischen Initiative unterrichten zu wollen. Auf getrennten Pressekonferenzen teilten sowohl die Bundeskanzlerin als auch der französische Staatspräsident anschließend mit, sie hätten beim Mittagessen den anderen Mitgliedern des Europäischen Rates ihre Ideen für einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit” eröffnet und den Präsidenten des Europäischen Rates gebeten, auf der Basis dieser Ideen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu führen. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ist von dem Ziel einer „neuen Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit” die Rede; der Präsident des Europäischen Rates werde mit den Staats- und Regierungschefs der dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten Konsultationen führen und darüber einen Bericht erstellen, in dem im Einklang mit dem Vertrag konkrete künftige Schritte aufgezeigt werden sollten (EUCO 2/1/11 REV 1, Anlage I, S. 13).
Ab dem 5. Februar 2011 bemühte sich die Bundesregierung in bilateralen Konsultationen mit den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und dem Präsidenten des Europäischen Rates um die nähere Ausarbeitung der Initiative. Auf schriftliche Fragen des Abgeordneten Sarrazin zu Inhalt und Stand der Verhandlungen verwies sie auf die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 und die Schlussfolgerungen sowie auf mündliche Darstellungen. Schriftliche Unterlagen legte sie nicht vor. In der Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union am 9. Februar 2011 teilte der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit, der Europäische Rat habe am 4. Februar 2011 keine bindenden Beschlüsse hinsichtlich des „Pakts für Wettbewerbsfähigkeit” gefasst. Es fehle noch immer an einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie an einem gemeinsamen Papier; die Punkte befänden sich noch in der Diskussion. Einzelne Elemente der wirtschaftspolitischen Koordinierung seien aber bereits vor dem 4. Februar 2011 bei den deutsch-spanischen Konsultationen und beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im Format des „Weimarer Dreiecks” erörtert worden, wie zum Beispiel das Renteneintrittsalter, die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer, die Lohnindexierung sowie die Aufnahme einer Schuldenbremse in die nationalen Verfassungen. Seitens der Bundesregierung sei kein „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit” an die Presse gegeben worden. Die veröffentlichten Dokumente zeugten bereits durch den Hinweis „Gesamtvorbehalt” davon, dass es sich nicht um ein abgestimmtes Papier der Bundesregierung handele (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 13 ff.).
Am 25. Februar 2011 wurde dem Deutschen Bundestag ein vom gleichen Tag datierendes nicht offizielles Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift „Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area – Main Features and Concepts” zugespielt, das wesentliche Inhalte des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit beschrieb. Nachdem auch in der Presse über ein solches Papier berichtet worden war, forderte der Deutsche Bundestag am 3. März 2011 dieses unter Hinweis auf die Unterrichtungspflicht nach § 5 Abs. 3 EUZBBG per E-Mail beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie an. Am 9. März 2011 ging beim Deutschen Bundestag ein Drahtbericht des Auswärtigen Amtes ein, aus dem sich ergab, dass auf einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 eine Einigung über den „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit” erzielt werden solle, damit dieser bei der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 endgültig gebilligt werden könne.
Ebenfalls am 9. März 2011 wandte sich der Präsident des Deutschen Bundestages an die Bundeskanzlerin und bemängelte, dass die Information über den „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit” den Bestimmungen des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union nicht oder allenfalls unzureichend gerecht werde. Der lediglich zweiseitige Vorbericht vom 2. Februar 2011 sei recht vage gewesen, während die Medien bereits detailliert über die konkrete Initiative berichtet hätten. Der Bitte der Bundestagsverwaltung vom 1. Februar 2011, einschlägige Dokumente und Informationen zu übermitteln, sei nicht oder allenfalls sehr unvollständig entsprochen worden. Er bitte sie, die Informationen im konkreten Fall nachzuholen. Mit Antwortschreiben vom 10. März 2011 erwiderte die Bundeskanzlerin, dass die Bundesregierung ihren gesetzlichen Verpflichtungen auch im konkreten Fall bestmöglich nachkomme.
Die Bundeskanzlerin besuchte am gleichen Tag die 33. Sitzung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union. Dort berichtete sie, dass Gegenstand des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 neben dem Europäischen Stabilitätsmechanismus auch der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit sein werde. Der Pakt sei seit dem 11. Februar 2011 weiterentwickelt worden, aber noch nicht so detailliert, wie sie es sich wünsche. Eckpfeiler bildeten die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Haushalte und Finanzstabilität. Die genannten Politikbereiche fielen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und sollten künftig von der Europäischen Kommission überwacht werden. Maßstab der Unterrichtung des Bundestages seien nicht Presseberichte, sondern offizielle Dokumente. Ein solches habe es zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben, weder innerhalb der Bundesregierung noch gemeinsam mit Frankreich. Offizielle Dokumente seien dem Deutschen Bundestag nicht vorenthalten worden (vgl. Protokoll Nr. 17/33 der 33. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 10. März 2011, S. 11 ff.).
b) Das Bundeskanzleramt leitete den Entwurf eines „Paktes für Wettbewerbsfähigkeit” dem Bundestag am Morgen des 11. März 2011 per E-Mail zu. Am selben Tag stellten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes in den Schlussfolgerungen ihres Treffens zu der nunmehr „Pakt für den Euro” genannten Vereinbarung fest:
Der (in der Anlage wiedergegebene) Pakt für den Euro, mit dem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz festgelegt wird, wurde gebilligt. Er wird dem Europäischen Rat auf seiner Tagung am 24./25. März 2011 vorgelegt, damit die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten mitteilen können, ob sie beabsichtigen, sich an dem Pakt zu beteiligen. Gleichzeitig werden die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten erste Maßnahmen darlegen, zu deren Durchführung sie sich im Rahmen des Paktes für das nächste Jahr verpflichten (Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vom 11. März 2011, S. 1).
Ausweislich des Vertragstextes und der Schlussfolgerungen soll der „Pakt für den Euro” darauf abzielen, die wirtschaftliche Säule der Währungsunion zu stärken, eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zu erreichen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und dadurch einen höheren Grad an Konvergenz zu erreichen. Der Schwerpunkt soll vor allem auf die Politikbereiche gelegt werden, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und die für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Vermeidung schädlicher Ungleichgewichte von entscheidender Bedeutung sind. Die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten wurden ausdrücklich eingeladen, sich auf freiwilliger Basis zu beteiligen (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, Seite 6 ff.). Die vorgesehenen Maßnahmen („Anstrengungen”) sollen vier Leitlinien beachten: Sie sollen im Einklang mit der bestehenden wirtschaftspolitischen Steuerung in der Europäischen Union stehen und ihrer Verstärkung dienen, mit den bereits bestehenden Instrumenten der Europäischen Union – der Strategie Europa 2020, dem Europäischen Semester, den Integrierten Leitlinien, dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem neuen Rahmen für die Überwachung der Wirtschaftspolitik – vereinbar sein und auf ihnen aufbauen. Dabei soll der Europäischen Kommission eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Erfüllung der Verpflichtungen zukommen. Die Anstrengungen sollen die Politikbereiche abdecken, die für die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz von maßgeblicher Bedeutung sind. Sie sollen sich auf Maßnahmen konzentrieren, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, wobei in diesen Politikbereichen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gemeinsame Ziele vereinbart werden, die teilnehmenden Mitgliedstaaten diese aber selbständig verfolgen sollen. Es ist darüber hinaus vorgesehen, dass alle Staats- und Regierungschefs jedes Jahr konkrete nationale Verpflichtungen eingehen und sich dabei an den Leistungsstärksten innerhalb Europas und unter den strategischen Partnern orientieren. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen und die Fortschritte bei der Verwirklichung der gemeinsamen politischen Ziele sollen jährlich einem Monitoring auf politischer Ebene unterzogen werden, das sich auf einen Bericht der Europäischen Kommission stützen soll. Schließlich seien die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten uneingeschränkt der Vollendung des Binnenmarkts verpflichtet. Die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten verpflichten sich in dem Pakt für den Euro, alle Maßnahmen zu ergreifen, die für die Verwirklichung der Ziele einer Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigung, der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der Stärkung der Finanzstabilität erforderlich sind. Als Gegenstände der Koordinierung werden unter anderem die Verfahren der Lohnbildung und Tarifabschlüsse im öffentlichen Sektor, die Verbesserung der Bildungssysteme, die unternehmerfreundlichere Gestaltung des Handels- und Insolvenzrechts, Arbeitsmarktreformen zur Förderung der „Flexicurity” und Anpassungen der Rentensysteme genannt. Ein besonderes Augenmerk soll in diesen Zusammenhang auch auf die Koordinierung der Steuerpolitik gerichtet werden (vgl. Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11. März 2011, Anlage I, S. 6 ff.). Die Vereinbarung war Gegenstand der Befassung mehrerer Ausschüsse des Deutschen Bundestages (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Protokoll Nr. 17/34 vom 16. März 2011, S. 10 f.; Haushaltsausschuss, Protokoll Nr. 17/49 vom 16. März 2011, S. 49; Finanzausschuss, Protokoll Nr. 17/45 vom 16. März 2011, S. 60).
c) Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 traten Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien der nunmehr „Euro-Plus-Pakt” genannten Vereinbarung bei. Eine inhaltliche Änderung des Paktes erfolgte nicht mehr. Am 28. März 2011 erhielt der Deutsche Bundestag die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), die in Anlage 1 den „Euro-Plus-Pakt” enthielten. Die Europäische Kommission bezog den Euro-Plus-Pakt in der Folge auch in die „neue Europäische Ordnungspolitik” ein und stellte klar, dass die neuen Verpflichtungen aus dem Pakt in die nationalen Reform- und Stabilitätsprogramme aufgenommen und dem regulären EU-Überwachungsverfahren unterworfen würden (Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 zum Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik, KOM (2011) 400 endgültig, S. 9). Unter dem Dach des Paktes findet sich zudem die ausdrückliche Verpflichtung der teilnehmenden Staaten, „die im Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Haushaltsvorschriften der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen” (EUCO 10/11, S. 19).
d) Im November 2011 verabschiedete die Europäische Union fünf Verordnungen und eine Richtlinie – das sogenannte „Sixpack” [0]–, die teilweise der Umsetzung des Euro-Plus-Paktes dienen, zum Teil aber auch unabhängig davon eine Fortentwicklung des bereits sekundärrechtlich verankerten Stabilitäts- und Wachstumspaktes darstellen (Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 1; Verordnung (EU) Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 8; Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 12; Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 25; Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an den haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 41).
II.
Mit ihren im Rubrum wiedergegebenen Anträgen begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die Antragsgegnerin die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG verletzt habe, indem sie diesen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und über den Euro-Plus-Pakt nicht hinreichend und nicht rechtzeitig unterrichtet habe.
1. a) Die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Organstreitverfahren betreffe ein Unterlassen der Bundesregierung, so dass die Frist frühestens in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, in dem sich die Antragsgegnerin erkennbar und endgültig geweigert habe, die gebotene Handlung vorzunehmen. Eine solche Weigerung, den Deutschen Bundestag zu unterrichten, sei nicht vor der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 zum Ausdruck gebracht worden.
b) Der Antrag sei auch begründet. So habe die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht umfassend, frühestmöglich und fortlaufend unterrichtet.
aa) Beim Europäischen Stabilitätsmechanismus handele es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Begriff der Angelegenheit der Europäischen Union sei weit zu verstehen und orientiere sich nicht allein an der formellen Einordnung der Rechtsgrundlage in den supranationalen Integrationsverbund. Der geplante Art. 136 Abs. 3 AEUV und der auf seiner Grundlage zu errichtende Europäische Stabilitätsmechanismus hätten erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion. Die Ermächtigung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zur Einrichtung eines ständigen Stabilitätsmechanismus ergänze den bisherigen Charakter der Wirtschafts- und Währungsunion. Die hiermit einhergehenden Pflichten hätten erhebliche Rückwirkungen auf das nationale Haushaltsverfassungsrecht und beträfen damit einen Kernbereich parlamentarischer Verantwortung. Der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion berühre jenen Katalog von Staatsaufgaben, den das Bundesverfassungsgericht als identitätsprägend herausgestellt und der parlamentarischen Integrationsverantwortung vorbehalten habe. Entstehungsgeschichtlich und institutionell sei der Europäische Stabilitätsmechanismus als „Angelegenheit der Europäischen Union” ausgewiesen. So seien die Planungen von Anfang an auf eine Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion ausgerichtet gewesen; mit dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission seien Organe der Europäischen Union maßgeblich an der Ausgestaltung beteiligt. Die „Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus” in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11, Anlage II, S. 21 ff.) könne als inhaltlich prägendes Gründungsdokument gelten. Der Europäische Rat habe, ausdrücklich unter Rückgriff auf Art. 136 Abs. 3 AEUV, Einvernehmen darüber erzielt, dass die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einen ständigen Stabilisierungsmechanismus einrichten müssten. Insoweit sei der Europäische Stabilitätsmechanismus ein Geschöpf des Europäischen Rates. Die Statik des Europäischen Stabilitätsmechanismus – Aufgaben und Finanzierungsstrategie, Leitung, Kapitalstruktur sowie Instrumente – werde grundlegend bestimmt von den im Europäischen Rat vereinbarten Merkmalen. Im Übrigen habe die Bundesregierung ihrerseits die Finalisierung der Arbeiten zur Ausgestaltung des künftigen Stabilitätsmechanismus als eine dem Europäischen Rat vorbehaltene Angelegenheit behandelt und die Zugehörigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Gesamtpaket betont, ausgerichtet auf die dauerhafte Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes. Auf diese Weise habe sie maßgeblich dazu beigetragen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus institutionell und materiell als Angelegenheit der Europäischen Union auszuweisen und innerhalb der Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) konzeptionell eng mit dem Kapitel über die Wirtschaftspolitik zu verzahnen (Art. 120 ff. AEUV). Auch nach dem beabsichtigten Inkrafttreten des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus bleibe der enge institutionelle Konnex zur Europäischen Union erhalten. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stelle sich als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt dar, zugleich aber als hybride Kombination aus intergouvernementalen und supranationalen Elementen. Bei der „Aktivierung der Finanzhilfe” werde der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht, die zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank (EZB) den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaates ermitteln solle. In Streitfällen solle der Europäische Gerichtshof gemäß Art. 273 AEUV angerufen werden können. Die geplante Vertragsänderung des Art. 136 Abs. 3 AEUV führe in ihrer Zielrichtung zurück in die supranationale Union. Der Europäische Stabilitätsmechanismus erweise sich damit als ein stabilisierender Anbau an die unionsrechtlich geregelte Wirtschafts- und Währungsunion. Der Gesetzgeber habe dem dadurch Rechnung getragen, dass nach § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG die Bundesregierung den Deutschen Bundestag auch über völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu unterrichten habe, wenn diese eine engere Kooperation in Politikbereichen normieren, die auch in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. In dem hier betroffenen Politikbereich sei die Europäische Union ausschließlich zuständig.
bb) Aus Art. 23 Abs. 2 GG folge, dass die Bundesregierung die Unterrichtungspflichten nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG in der konkretisierenden Ausgestaltung der §§ 4 ff. EUZBBG hätte erfüllen müssen. Die Bundesregierung sei zur Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt verpflichtet. Angesichts des prozesshaften Charakters der Beschlussfassung beinhalte diese Pflicht auch eine Pflicht zur fortlaufenden Unterrichtung; § 4 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG stelle dies klar. Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung des Deutschen Bundestages solle diesen in die Lage versetzen, seine Mitwirkungsrechte effektiv zu nutzen, und erfasse daher auch vorbereitende Papiere der Europäischen Kommission und des Rates einschließlich inoffizieller Dokumente. Sie habe in der Regel schriftlich zu erfolgen, weil nur dies jene verlässliche Informationsgrundlage schaffe, ohne die von umfassender Unterrichtung nicht die Rede sein könne. Die Auffassung, wonach über die Sitzungen der Eurogruppe nur mündlich unterrichtet werde, weil § 5 Abs. 4 EUZBBG lex specialis gegenüber § 5 Abs. 3 und 5 EUZBBG sei, sei mit Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, der den Deutsche Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichtet sehen wolle, unvereinbar.
cc) Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 GG dadurch verletzt, dass sie es unterlassen habe, ihn in der Zeit vor und nach der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend über die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterrichten und spätestens am 6. April 2011 den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu übersenden. Das federführende Bundesministerium der Finanzen habe im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 zunächst die Übermittlung relevanter Papiere zugesagt, dies aber später mit unterschiedlichen, einander widersprechenden rechtlichen Argumenten abgelehnt. Im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 habe die Antragsgegnerin ihre Verpflichtung zur Nachberichterstattung nicht erfüllt.
Aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 ergebe sich, dass in der Phase zwischen dem 4. Februar 2011 und dem 24./25. März 2011 gravierende Entscheidungen getroffen worden seien, ohne dass der Deutsche Bundestag Gelegenheit gehabt habe, hieran mitzuwirken. Die in diesem Zeitraum getroffene „Vereinbarung über die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus” sei dessen Gründungsdokument, über das die Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 5 EUZBBG fortlaufend und umfassend hätte unterrichten müssen.
Aus Entwürfen des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, auf die der Deutsche Bundestag informell habe zugreifen können, lasse sich schließen, dass spätestens seit dem 6. April 2011 Textstufen des Vertrages vorgelegen hätten. Eine Übermittlung durch die Antragsgegnerin sei dagegen erst am 17. Mai 2011 erfolgt. Da die Übersendung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt sei, sei zu befürchten, dass die Antragsgegnerin ihre Unterrichtungspraxis aus eigenem Antrieb nicht ändern werde.
2. Auch mit Blick auf den sogenannten Euro-Plus-Pakt habe die Bundesregierung gegen ihre Pflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verstoßen.
a) Der Euro-Plus-Pakt sei ebenfalls eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Im Zusammenwirken der Instrumente werde das supranationale Überwachungsrecht der Art. 121, 126 AEUV auf die zwischenstaatlichen Verpflichtungen aus dem Euro-Plus-Pakt erstreckt. Angesichts der Inhalte und der erkennbar an Art. 121 AEUV angelehnten Verfahren könne nicht zweifelhaft sein, dass es sich beim Pakt um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG handele.
b) Über Initiativen der Antragsgegnerin habe diese den Deutschen Bundestag gemäß § 5 Abs. 2 EUZBBG durch umfassende und frühestmögliche Übersendung von Dokumenten und Informationen zu unterrichten. Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 GG und die Begleitgesetze zu den Informations- und Mitwirkungsrechten stellten klar, dass Europapolitik nicht der Prärogative der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten unterliege.
aa) Der Euro-Plus-Pakt habe seinen Ursprung in einer deutsch-französischen Initiative vom 4. Februar 2011. Diese habe die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten beim Europäischen Rat eingebracht, ohne dass der Deutsche Bundestag im Vorfeld davon unterrichtet gewesen sei. Auf entsprechende Anfragen des Deutschen Bundestages habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes in der Sitzung des Europaausschusses vom 9. Februar 2011 auch nach Einbringung der Initiative mehrfach auf das Fehlen einer abgestimmten Position innerhalb der Bundesregierung sowie darauf verwiesen, dass es noch kein Papier gebe. Unabhängig von der Frage, inwieweit kabinettsinterne Abstimmungsprozesse zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu rechnen seien, habe es sich bei der am 4. Februar 2011 eingebrachten Initiative der Bundeskanzlerin jedenfalls um eine Position der Bundesregierung gehandelt. Wegen ihrer Richtlinienkompetenz sei die Initiative spätestens zu jenem Zeitpunkt auch zu einer Initiative der Bundesregierung geworden. In demselben Augenblick habe diese ihre verfassungsrechtliche Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Das Gebot der umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) schließe es aus, den Deutschen Bundestag erst im Nachhinein zu informieren. Eine deutsche Initiative sei insoweit erst nach der Abstimmung zwischen Regierung und Parlament zulässig. Die Bezeichnung der Initiative als „persönliche” Initiative der Bundeskanzlerin umgehe die Unterrichtungspflicht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG.
bb) Auch im weiteren Fortgang des Verhandlungsprozesses über den Pakt habe die Antragsgegnerin die Pflicht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages verletzt. Zwischen der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011, dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 und der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 sei eine Verständigung über den Euro-Plus-Pakt erfolgt. Spätestens am 25. Februar 2011 habe der Antragsgegnerin ein konkretisierter Sach- und Verhandlungsstand vorgelegen, über den sie vor der Tagung des Europäischen Rates von sich aus hätte unterrichten müssen.
III.
Die Antragsgegnerin hält den Antrag zu 1. für unzulässig und beide Anträge für unbegründet. Sie beantragt, die Anträge zurückzuweisen.
1. a) Der Antrag zu 1. sei verfristet. Das Bundesministerium der Finanzen habe bereits am 19. Januar 2011 darauf hingewiesen, dass es sich beim Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union handele. Damit sei der Antragstellerin das Unterlassen der Antragsgegnerin im Sinne von § 64 Abs. 3 BVerfGG bekannt geworden. Der dem Bundesverfassungsgericht erst am 25. Juli 2011 zugegangene Antrag sei daher nicht innerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist gestellt worden.
b) Der Antrag sei außerdem unbegründet, weil es sich bei dem geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine internationale Finanzinstitution außerhalb des Rahmens der Europäischen Union handele und damit nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG. Die besonderen Mechanismen, die für die Parlamentsbeteiligung nach Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehen und für den Deutschen Bundestag im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union geregelt seien, seien auf die Abstimmung von intergouvernementalen Maßnahmen, wie sie der Europäische Stabilitätsmechanismus darstelle, nicht übertragbar. Die Kombination aus Zustimmung zur Übertragung nur bestimmter Hoheitsrechte und den in Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehenen Informationsansprüchen ermögliche es dem Deutschen Bundestag, seine Integrationsverantwortung wahrzunehmen. Bei völkerrechtlichem Handeln außerhalb des Rahmens der supranationalen Europäischen Union besitze der Deutsche Bundestag hingegen nach Art. 24 GG und/oder Art. 59 Abs. 2 GG ein Letztentscheidungsrecht, so dass hier nicht in gleichem Maße das Bedürfnis nach umfassender Information bestehe. Art. 23 Abs. 2 GG durchbreche den Primat der Exekutive überdies nicht in dem Sinne, dass Bundesregierung, Deutscher Bundestag und Bundesrat unterschiedslos zusammenwirkten. Alle drei Verfassungsorgane wirkten in auswärtigen Angelegenheiten sowohl allgemein als auch im Kontext der europäischen Zusammenarbeit in ihrer jeweils spezifischen Funktion mit. Primär zum Handeln berufen sei auch insoweit weiterhin die Bundesregierung. Auch im Zusammenhang mit Angelegenheiten der Europäischen Union bleibe ihr ein Bereich exekutiver Eigenverantwortung vorbehalten.
Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei keine Angelegenheit der Europäischen Union. Die intergouvernementale Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten, die neben derjenigen im Rahmen der Europäischen Union stattfinde, habe – anders als die in der Europäischen Union – keine supranationale Qualität. Die erforderliche Einbindung des Gesetzgebers werde deshalb durch Art. 59 Abs. 2 und Art. 24 GG gewährleistet. Im Zusammenhang mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei zwar die Einfügung eines Art. 136 Abs. 3 AEUV beschlossen worden. Mit dieser Vertragsänderung erhalte die Europäische Union jedoch keine zusätzlichen Hoheitsrechte. Vielmehr gehe es um die Klarstellung, dass das auch an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot des Art. 125 AEUV der Errichtung eines Stabilitätsmechanismus nicht entgegenstehe, hierzu aber nicht die Europäische Union, sondern die Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der Europäischen Union aufgerufen seien. Die Mitgliedstaaten gründeten mit dem Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine neue internationale Finanzinstitution außerhalb der Europäischen Union.
Auf europäischer Ebene bestehe Einigkeit darüber, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus keine Einrichtung der Europäischen Union sei, sondern eine der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes. Dies zeigten Stellungnahmen der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank sowie eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem geplanten Stabilitätsmechanismus.
Die Schutzfunktion des Art. 23 GG, den Gesetzgeber vor einem „Kompetenzabfluss durch Kompetenzüberschreitungen” der Europäischen Union zu bewahren, komme nicht zum Tragen. Der Deutsche Bundestag könne und solle, wie in vergleichbaren Fällen der Schaffung internationaler Finanzinstitutionen – etwa des Internationalen Währungsfonds – üblich und von der Verfassung vorgesehen, seine Zuständigkeit als nationaler Gesetzgeber uneingeschränkt ausüben. Dieses Recht gehe über eine nur mittelbare Beteiligung im Rahmen des europäischen Rechtsetzungsprozesses hinaus. Die Verfahrensweisen zur Vorbereitung unionaler Rechtsakte, auf die das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union zugeschnitten sei, kämen bei den Verhandlungen zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht zur Anwendung, weil die Arbeiten, dem zwischenstaatlichen Charakter entsprechend, nicht in den Ratsgremien stattfänden. Der Europäische Rat habe die Finanzminister des Euro-Währungsgebietes auf seiner Tagung am 16./17. Dezember 2010 gebeten, die Arbeiten an der zwischenstaatlichen Vereinbarung abzuschließen und hierbei auch die Mitgliedstaaten einzubeziehen, deren Währung nicht der Euro ist. Dass die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der geplanten Änderung des Art. 136 AEUV auch die wesentlichen Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat diskutiert hätten, ändere nichts an dieser Beurteilung. Die Zielsetzung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes habe von Anfang an darin bestanden, den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union einzupassen. Auch die Betrauung von Organen der Europäischen Union mit speziellen Aufgaben sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen einer Schiedsvertragsklausel führten nicht dazu, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einer Angelegenheit der Europäischen Union werde. Art. 273 AEUV fordere für das Tätigwerden des Europäischen Gerichtshofs zwar einen gewissen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Unionsverträge. Über die Streitigkeit entscheide der Gerichtshof aber nicht auf der Grundlage des Unionsrechts, sondern auf der Basis des zwischen den Parteien vereinbarten Vertrages. Die Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus falle nicht ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union. Unionsrechtlich intendierte völkervertragliche Regelungen zwischen Mitgliedstaaten seien auch nicht ungewöhnlich. Den zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten der Europäischen Union habe der Deutsche Bundestag stets nach Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Auch aus der besonderen Haushaltsbezogenheit des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Grundsatz der parlamentarischen Haushaltsverantwortung seien keine besonderen Informationspflichten abzuleiten.
c) Der Antrag zu 1. sei jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die Arbeiten am Europäischen Stabilitätsmechanismus stets zeitnah und umfassend informiert habe.
Über die Ergebnisse der im März 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Reform des Regelwerks der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion seien die Bundestagsausschüsse für Haushalt, Finanzen und für die Angelegenheiten der Europäischen Union regelmäßig durch Vor- und Nachberichte zu den Treffen der Arbeitsgruppe mündlich unterrichtet worden. Darüber hinaus sei dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 23. März 2011 ein Papier zu den Grundsätzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (term sheet) als Tischvorlage vorgelegt worden. Damit habe der Deutsche Bundestag bereits am 23. März 2011 ein Dokument erhalten, das die auf der Tagung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 beratenen Vorstellungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus zusammengefasst habe.
Die Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union hätten am 18. Mai 2011 die englischsprachige Fassung sowie eine nicht offizielle deutsche Übersetzung des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalten, über den erstmals während der Sitzung der erweiterten Euro-Gruppe am 16. Mai 2011 gesprochen worden sei. Da der Prozess der Ausarbeitung des Vertragsentwurfs innerhalb des speziellen Formats der sogenannten erweiterten Euro-Gruppe stattgefunden habe, die informell zusammentrete und sensible Materien behandle, sehe § 5 Abs. 4 EUZBBG lediglich eine mündliche Unterrichtung vor. Das Vorgehen der Antragsgegnerin habe den Usancen innerhalb der Euro-Gruppe entsprochen. Ob sich alle Mitgliedstaaten an die grundsätzlich geltende Vertraulichkeit hielten, könne nicht Maßstab für das Handeln der Bundesregierung sein. Letztlich sei es der Bundesfinanzminister gewesen, der Hindernisse für die Übermittlung des Vertragsentwurfs aus dem Weg geräumt habe, indem er am 16. Mai 2011 eine Verständigung der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes darüber erwirkt habe, dass der Entwurf den nationalen Parlamenten übermittelt werde. Eine frühere Übersendung des noch im Entstehungsprozess befindlichen Textes sei verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen.
2. Der Antrag zu 2. sei unbegründet, weil es sich bei dem Euro-Plus-Pakt ebenfalls nicht um eine Angelegenheit der Europäischen Union handele und die Antragsgegnerin überdies möglichen Unterrichtungspflichten jedenfalls vollumfänglich entsprochen habe.
a) Der Euro-Plus-Pakt sei keine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG, weil er lediglich die im Unionsrecht vorgesehenen Koordinierungsmechanismen (insbesondere Art. 121 AEUV) in Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzen solle, die vollständig in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten lägen. Bei den zu vereinbarenden Zielen handele es sich durchweg um freiwillige Selbstverpflichtungen auf intergouvernementaler Grundlage. Die Aufnahme entsprechender Maßnahmen auch in die jeweiligen „Nationalen Reformprogramme” bestätige ihren innerstaatlichen Charakter. Die Mitgliedstaaten legten diese Programme der Europäischen Kommission vor, die die Vorhaben und deren Umsetzung prüfe und bewerte. Unmittelbare rechtliche Folgen seien damit nicht verbunden. Deshalb könne Art. 23 Abs. 2 GG Unterrichtungspflichten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Euro-Plus-Pakt nicht begründen.
b) Ungeachtet dessen habe die Bundesregierung den Deutschen Bundestag stets frühzeitig, umfassend und fortlaufend über den Euro-Plus-Pakt informiert.
Der Staatsminister des Bundeskanzleramtes habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 26. Januar 2011 vorab über die Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 mündlich informiert. Der Bundesminister der Finanzen habe in derselben Sitzung über das Treffen der Finanzminister des Euro-Währungsgebietes vom 24. Januar 2011 berichtet und dabei unter anderem die geplante stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Euro-Gruppe erwähnt. Am 2. Februar 2011 habe der Deutsche Bundestag den schriftlichen Vorbericht des Bundeskanzleramtes zur Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 erhalten. Am 3. Februar 2011 habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes mit den Obleuten des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wegen des geplanten Paktes für Wettbewerbsfähigkeit telefoniert. Auf seiner Tagung am 4. Februar 2011 habe der Europäische Rat Elemente für ein Gesamtpaket zur dauerhaften Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion benannt. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich dem Grunde nach darauf verständigt, dass ein Element des Gesamtpakets darin bestehen solle, weitere Schritte hin zu einer Vertiefung der Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit dem Ziel einer größeren Konvergenz und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu unternehmen. Inhaltliche Festlegungen seien beim Europäischen Rat am 4. Februar 2011 nicht getroffen worden. Über die Ergebnisse dieses Europäischen Rates habe das Bundeskanzleramt dem Deutschen Bundestag am 7. Februar 2011 schriftlich berichtet; der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sei am 9. Februar 2011 mündlich unterrichtet worden, der Finanzausschuss am 23. Februar 2011.
Der Präsident des Europäischen Rates habe zwischen dem 7. Februar 2011 und dem 11. März 2011 bilaterale Konsultationen mit allen Mitgliedstaaten, die dem Euro-Währungsgebiet angehören, geführt, in einer informellen Runde Vertreter aller dieser Mitgliedstaaten über die Ergebnisse seiner Konsultationen informiert und im Lichte dieser Beratungen den Text erstellt, der den Staats- und Regierungschefs dann auf ihrer informellen Tagung am 11. März 2011 vorgelegt worden sei. Die Bundeskanzlerin habe den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vorab über die informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am 11. März 2011 informiert. Am Morgen des 11. März 2011 habe die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag eine Entwurfsfassung des nun als „Pakt für den Euro” bezeichneten Vorhabens übersandt, auf den sich die Staats- und Regierungschefs am gleichen Tag geeinigt hätten. Nachberichte seien wiederum im Finanzausschuss am 16. März 2011, im Haushaltsausschuss am 23. März 2011 und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ebenfalls am 23. März 2011 erstattet worden. Das deutsche Aktionsprogramm im Rahmen des Euro-Plus-Paktes sei dem Deutschen Bundestag ebenfalls präsentiert worden. Am 24. März 2011 habe die Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung zur bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 abgegeben, auf der der Euro-Plus-Pakt endgültig verabschiedet worden sei. Hierüber habe der Staatsminister des Bundeskanzleramtes die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 28. März 2011 telefonisch unterrichtet. Damit seien alle Informationspflichten erfüllt.
Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet gewesen, über in der Bundesregierung oder zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung noch nicht abgestimmte Überlegungen zu einem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit früher zu unterrichten als sie es getan habe. Es bestehe auch keine Pflicht, über eine noch nicht abgeschlossene interne Willensbildung zu informieren.
IV.
Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 2011 beschlossen, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen.
V.
In der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2011 haben die Beteiligen ihr schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt.
Entscheidungsgründe
B.
Die Anträge sind zulässig.
I.
Die Anträge sind dahingehend auszulegen, dass sie sich auf die im Tenor festgestellten Rechtsverletzungen beschränken.
Die Antragstellerin macht eine Verletzung der Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auf Unterrichtung durch die Antragsgegnerin in Angelegenheiten der Europäischen Union geltend. Sie begehrt die Feststellung, dass die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und des Euro-Plus-Paktes im Frühjahr 2011 nicht den Vorgaben der Verfassung entsprechend unterrichtet habe. Bezüglich des Europäischen Stabilitätsmechanismus wendet sich die Antragstellerin gegen die unterlassene Unterrichtung im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 und rügt die unterlassene Übersendung des Vertragsentwurfs vom 6. April 2011. Betreffend den Euro-Plus-Pakt beanstandet die Antragstellerin im Zusammenhang mit der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 das Unterlassen jeglicher Unterrichtung über die Initiative der Antragsgegnerin sowie einer umfassenden und frühestmöglichen Information über den Pakt.
Eine Konkretisierung dieser Anträge im Sinne der im Tenor festgestellten Unterlassungen der Antragsgegnerin ergibt sich in hinreichendem Maße aus der Antragsbegründung. Dort werden der der Bundesregierung am 21. Februar 2011 vorliegende Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 ebenso in Bezug genommen wie die Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit und das inoffizielle Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011.
II.
1. Die Antragstellerin ist als Fraktion im 17. Deutschen Bundestag im Organstreitverfahren parteifähig (§ 13 Nr. 5, § 63 BVerfGG) und berechtigt, Rechte des Deutschen Bundestages im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. BVerfGE 2, 143 ≪165≫; 45, 1 ≪28≫; 67, 100 ≪125≫; 104, 151 ≪193≫; 118, 244 ≪254 f.≫; 124, 78 ≪106≫). Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des Parlaments als auch ein Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 ≪29 f.≫; 60, 319 ≪325 f.≫; 68, 1 ≪77 f.≫; 121, 135 ≪151≫). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG taugliche Antragsgegnerin.
2. Das gerügte Unterlassen der Antragsgegnerin ist zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).
3. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) und hat ihre Anträge den Anforderungen des § 64 Abs. 2 BVerfGG entsprechend begründet. Sie macht eine Verletzung der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geltend, der ein Recht des Deutschen Bundestages auf Unterrichtung korrespondiert. Diese als verletzt geltend gemachte Rechtsposition gründet in einem Verfassungsverhältnis, in dem sich auf beiden Seiten Verfassungsorgane gegenüber stehen und um verfassungsrechtliche Positionen streiten.
Soweit die als verletzt gerügten Unterrichtungspflichten sich auch nach dem einfachen Recht – hier insbesondere dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – bestimmen, ist dies im Organstreit allenfalls insoweit relevant, als das Gesetz unmittelbar aus der Verfassung selbst folgende Rechte und Pflichten widerspiegelt; eine Verletzung einfachen Rechts kann im Organstreit nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 104, 151 ≪193 f.≫; 118, 277 ≪319≫).
4. Beide Anträge sind auch fristgerecht gestellt. Sie sind am 25. Juli 2011 und damit innerhalb von sechs Monaten seit Bekanntwerden der Unterlassung (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) beim Bundesverfassungsgericht eingegangen (vgl. hierzu BVerfGE 92, 80 ≪89≫).
Die Frist zur Antragstellung beginnt erst dann, wenn ein entsprechender Verstoß mit hinreichender Sicherheit feststeht oder wenn sich der Antragsgegner erkennbar weigert, die Maßnahmen zu treffen, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (BVerfGE 92, 80 ≪89≫; 103, 164 ≪170 f.≫; 107, 286 ≪297≫; 114, 107 ≪118≫; zuletzt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. November 2011 – 2 BvE 3/08 –, juris Rn. 34). Dies war hier bezüglich beider Anträge frühestens am 26. Januar 2011 der Fall.
a) Da der Lauf der Frist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG jedenfalls nicht vor einer entsprechenden und eindeutigen Weigerung des zuständigen Ressortministers beginnen kann (vgl. BVerfGE 21, 312 ≪319 f.≫; s. auch BVerfGE 4, 250 ≪269≫), wurde die Antragsfrist hinsichtlich des Antrags zu 1. frühestens am 26. Januar 2011 in Gang gesetzt. An diesem Tag lehnte der Bundesminister der Finanzen gegenüber dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Weiterleitung eines inoffiziellen Papiers (non paper) der Europäischen Kommission mit Inhalten und Plänen zum Gesamtpaket („comprehensive package”) von Europäischer Finanzstabilisierungsfazilität und Europäischem Stabilitätsmechanismus ausdrücklich mit der Begründung ab, dass im Hinblick auf Sitzungen der Finanzminister der Euro-Gruppe eine mündliche Unterrichtung ausreiche.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin wurde ein früherer Fristlauf weder durch die E-Mail eines Referatsleiters im Bundesministerium der Finanzen vom 19. Januar 2011 noch durch Erklärungen im Finanzausschuss und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom gleichen Tag ausgelöst. Hierin lässt sich bereits keine eindeutige Weigerung der Bundesregierung erblicken, den Deutschen Bundestag über die Entwicklung der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und ihn betreffende Vertragsentwürfe zu unterrichten. Noch am 17. Januar 2011 hatte das Bundesministerium der Finanzen auf die Dokumentenanforderung aus dem Bundestag (Referat PA 1 – Europa) telefonisch zugesichert, inoffizielle Dokumente (non papers) der Europäischen Kommission, sobald sie vorlägen, an den Deutschen Bundestag zu übermitteln; zudem wurde sowohl in der E-Mail vom 19. Januar 2011 als auch in den Erklärungen gegenüber den Ausschüssen ausdrücklich versichert, dass der Bundestag über die Arbeiten an dem permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus wie bisher regelmäßig unterrichtet beziehungsweise beteiligt werde, sobald eine abgestimmte Position der Bundesregierung vorliege. Selbst wenn man die in der E-Mail vom 19. Januar 2011 geäußerte Auffassung, es gehe bei den Überlegungen zur Entwicklung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus um die Vorbereitung eines zwischenstaatlichen Instruments der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und nicht um ein Vorhaben der Europäischen Union, als Weigerung verstehen wollte, der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nachzukommen, könnte diese nicht der Bundesregierung zugerechnet werden. Denn bei den Äußerungen handelte es sich lediglich um die – überdies informell geäußerte – Rechtsauffassung eines Referatsleiters beziehungsweise anderer Beamter des Bundesministeriums der Finanzen.
b) Auch der Antrag zu 2. ist fristgerecht gestellt. Vor dem 25. Januar 2011 ist eine den Fristlauf in Gang setzende endgültige Weigerung der Antragsgegnerin, dem Deutschen Bundestag Informationen zum Euro-Plus-Pakt zu übermitteln, nicht ersichtlich.
5. Der Antragstellerin fehlt es für die Anträge schließlich nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
Umfang und Reichweite der Informationspflichten und -rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG sind unklar und zwischen den Beteiligten umstritten. Dies gilt bereits für den Anwendungsbereich der in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geregelten Unterrichtungsrechte des Bundestages. Hier ist klärungsbedürftig, ob Angelegenheiten der Europäischen Union auch intergouvernementale Verträge und Absprachen erfassen, die zwar im Zusammenhang mit der europäischen Integration stehen, aber nicht auf eine Rechtsetzung durch die Europäische Union zielen. Hinsichtlich des Antrags zu 1. hatte die Antragsgegnerin bereits vorprozessual zu erkennen gegeben, dass sie völkerrechtliche Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht als Angelegenheiten der Europäischen Union verstanden wissen will. Darüber hinaus hat der Bundesminister der Finanzen die Auffassung vertreten, über Dossiers der Euro-Gruppe sei nur mündlich zu unterrichten.
Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bereits am 17. Mai 2011 und damit vor Stellung des Antrags im Organstreitverfahren den Entwurf zum Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und am 11. März 2011 zum Euro-Plus-Pakt zugeleitet hat. Das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreitverfahren entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 ≪379≫; 41, 291 ≪303≫; 121, 135 ≪152≫). Ob besondere Umstände im Sinne eines „Fortsetzungsfeststellungsinteresses” erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung; denn solche Umstände sind hier in Form eines objektiven Interesses an der Klärung der Reichweite der Unterrichtungspflichten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. zum Klarstellungsinteresse BVerfGE 1, 372 ≪379≫; 121, 135 ≪152≫) und in Form einer Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 121, 135 ≪152≫; 124, 267 ≪275≫) gegeben. Die Rechtsauffassung, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Vorgängen nicht um Angelegenheiten der Europäischen Union handele, hat die Antragsgegnerin auch in der Antragserwiderung vorgetragen. Zudem hatte sie vorprozessual vertreten, Papiere, die noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmt seien, müssten auch dann nicht dem Bundestag vorgelegt werden, wenn diese von der Bundeskanzlerin zur Grundlage deutscher politischer Initiativen auf europäischer Ebene gemacht würden. Auch bei mündlich eingebrachten Initiativen bestehe keine Unterrichtungspflicht im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Den gerügten Unterlassungen liegen damit jeweils Rechtsauffassungen der Antragsgegnerin zu Grunde, die zukünftig in vergleichbaren Fällen zu gleichen Reaktionen auf geltend gemachte Informationsansprüche des Parlaments führen können.
C.
Die Anträge sind begründet.
I.
Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung in und über Angelegenheiten der Europäischen Union ist Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt (1.) für die Angelegenheiten der Europäischen Union dergestalt geordnet, dass er dem Deutschen Bundestag weitreichende Mitwirkungsrechte eingeräumt hat (2.). Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sind Voraussetzung und Ausdruck dieser Mitwirkungsrechte und haben den daraus folgenden Informationsbedürfnissen des Bundestages – unter Wahrung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung – in sachlicher, zeitlicher und förmlicher Hinsicht zu genügen (3.).
1. Das Grundgesetz hat in Anknüpfung an die traditionelle Staatsauffassung der Regierung im Bereich auswärtiger Politik einen weit bemessenen Spielraum zu eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung überlassen (BVerfGE 104, 151 ≪207≫; vgl. auch schon BVerfGE 49, 89 ≪125≫). Die Rolle des Parlaments ist schon aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit in diesem Bereich beschränkt (vgl. BVerfGE 104, 151 ≪207≫). Zwar sieht Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, die Notwendigkeit der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes vor. Der Verkehr mit anderen Staaten, die Vertretung in internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Einrichtungen und Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) sowie die Sicherstellung der gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Außenvertretung Deutschlands fallen aber grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Exekutive, insbesondere der Bundesregierung. Die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive beruht auf der Annahme, dass institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren, und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen (BVerfGE 68, 1 ≪87≫; vgl. auch BVerfGE 104, 151 ≪207≫). Eine erweiternde Auslegung der Zustimmungs- oder Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages unter Überspielung der konkreten Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht im Grundgesetz würde die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ungerechtfertigt beschneiden und liefe auf eine nicht funktionsgerechte Teilung der Staatsgewalt hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 ≪363≫; 104, 151 ≪207≫). Sie lässt sich nicht auf einen aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten allumfassenden Parlamentsvorbehalt stützen (vgl. BVerfGE 49, 89 ≪124 ff.≫; 68, 1 ≪87≫).
Auch die der Bundesregierung anvertraute auswärtige Gewalt steht aber nicht außerhalb parlamentarischer Kontrolle (vgl. BVerfGE 104, 151 ≪207≫; siehe ferner BVerfGE 49, 89 ≪125≫; 68, 1 ≪89≫; 90, 286 ≪364≫). Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stellt dem Deutschen Bundestag auch insoweit geeignete Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Der Bundestag kann sein Frage-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben, seine Kontroll- und Haushaltsbefugnisse wahrnehmen und dadurch auf die Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 68, 1 ≪109 f.≫; vgl. auch BVerfGE 104, 151 ≪208≫).
Bei der Gestaltung völkerrechtlicher Verträge ist der Bundestag grundsätzlich auf die nachträgliche Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG verwiesen („Ratifikationslage”). Inwieweit die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Unterrichtungspflichten treffen, die in den Bereich der vorausgehenden Vertragsverhandlungen hineinreichen, ist nicht grundsätzlich geklärt und hier nicht zu entscheiden.
2. Für den Bereich der Europäischen Union hat Art. 23 GG das Spannungsverhältnis zwischen exekutiver Außenvertretung und parlamentarischer Verantwortung auf spezifische Weise ausgestaltet (a) und dem Deutschen Bundestag in Ansehung der mit der Europäisierung verbundenen Gewichtsverlagerung zugunsten der Exekutive (b) weitreichende Mitwirkungsrechte zugestanden (c).
a) Art. 23 GG sieht für die Ausübung der auswärtigen Gewalt durch die Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union eine Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat vor (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG). Zentraler, wenn auch nicht alleiniger Bezugspunkt der Mitwirkung des Bundestages ist die Verpflichtung der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag vor einer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG) und diese Stellungnahme bei den Verhandlungen zu berücksichtigen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG).
b) Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber auf mit der europäischen Integration verbundene Verschiebungen im nationalen Gewaltengefüge reagiert. Die europäische Union besitzt aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 GG) die Kompetenz, selbst Recht zu setzen, das unmittelbar gilt und in vielfältiger Weise Rechte und Pflichten für die Bürger begründet. Bei seinem Erlass agieren über den Europäischen Rat und den Rat nicht primär die nationalen Gesetzgebungsorgane, sondern die mitgliedstaatlichen Exekutiven. Die der Gesetzgebung zugrunde liegenden poIitischen Vorstellungen werden vom Europäischen Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und den Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission zusammensetzt, in Bezug auf die allgemeinen politischen Ziele festgelegt (Art. 15 EUV). Vor allem ist der Rat, der aus den Vertretern der Mitgliedstaaten auf Ministerebene besteht (vgl. heute Art. 16 Abs. 2 EUV) und grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Art. 16 Abs. 3 EUV), für die Festlegung der Politik zuständig und – in der Regel gemeinsam mit dem Europäischen Parlament – zentrales Gesetzgebungsorgan (vgl. Art. 16 Abs. 1 EUV). Das stellt die parlamentarische Demokratie auf nationaler Ebene vor besondere Herausforderungen, weil das Parlament aus der Rolle der zentralen Entscheidungsinstanz teilweise verdrängt wird (vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 43). Eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente in den Integrationsprozess kann deren Kompetenzverluste gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung ausgleichen.
Eine verbesserte Mitwirkung des nationalen Parlaments an den Entscheidungen der an der Rechtsetzung im Rat beteiligten Bundesregierung wurde als Bedingung ausreichender demokratischer Legitimation der supranationalen Rechtsetzung betrachtet (Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag ≪Hrsg.≫, Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 ≪545≫). Daher wurde in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung durch die Bundesregierung gefordert, um Bundestag und Bundesrat zumindest Gelegenheit zur Einflussnahme auf die Mitwirkung der Bundesregierung an Vorhaben der Europäischen Union zu geben (vgl. Möller/Limpert, ZParl 24 ≪1993≫, S. 21 ≪24 ff.≫).
Die verglichen mit der allgemeinen Gewichtsverteilung zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag im Bereich der auswärtigen Gewalt stärkere Einbindung des Parlaments in Angelegenheiten der Europäischen Union durch weitreichende Informations- und Mitwirkungsrechte (zu ähnlichen Regelungen in anderen Mitgliedstaaten vgl. etwa Art. 6 des Dänischen Gesetzes über den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften; Art. 88-4 der Französischen Verfassung; Art. 23e des Österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes; Art. 197 ≪1.≫ lit. i der Portugiesischen Verfassung; Kap. 10 §§ 2 und 3 der Schwedischen Reichstagsordnung) ist zudem Teil einer institutionellen Architektur, die den nationalen Parlamenten in der Europäischen Union eine über die Mitgliedstaaten hinausweisende Rolle zuweist und auf diese Weise ihr demokratisches Legitimationspotential für die Europäische Union fruchtbar machen will (vgl. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 279 f.). Art. 23 Abs. 2 GG korrespondiert insoweit mit Art. 12 EUV, der den nationalen Parlamenten eine stärkere Rolle im institutionellen Gefüge der Europäischen Union beimisst (vgl. auch Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union; Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit).
c) Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht das Mitwirkungsrecht des Parlaments auf Angelegenheiten der Europäischen Union und bestimmt damit zugleich den Gegenstand der Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Zu den Angelegenheiten der Europäischen Union gehören Vertragsänderungen und entsprechende Änderungen auf der Ebene des Primärrechts (Art. 23 Abs. 1 GG; vgl. auch §§ 2 ff. des Gesetzes über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union ≪Integrationsverantwortungsgesetz – IntVG≫ vom 22. September 2009 ≪BGBl I S. 3022≫) sowie Rechtsetzungsakte der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 3 GG). Darin erschöpft sich der Anwendungsbereich der Norm aber nicht.
Um Angelegenheiten der Europäischen Union kann es sich auch in anderen Fällen handeln. Insbesondere gehören völkerrechtliche Verträge unabhängig davon, ob sie auf eine förmliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) gerichtet sind, zu den Angelegenheiten der Europäischen Union, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Wann ein solches Verhältnis vorliegt, lässt sich nicht anhand eines einzelnen abschließenden und zugleich trennscharfen Merkmals bestimmen (vgl. auch die Technik lediglich exemplarischer Aufzählung von Vorhaben in § 3 EUZBBG). Maßgebend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich geplanter Regelungsinhalte, -ziele und -wirkungen, die sich, je nach Gewicht, einzeln oder in ihrem Zusammenwirken als ausschlaggebend erweisen können. Für die Zugehörigkeit zu den Angelegenheiten der Europäischen Union kann es etwa sprechen, wenn die geplante völkerrechtliche Koordination im Primärrecht verankert oder die Umsetzung des Vorhabens durch Vorschriften des Sekundär- oder Tertiärrechts vorgesehen ist oder ein sonstiger qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem in den Verträgen niedergelegten Politikbereich – also mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Union – besteht, wenn das Vorhaben von Organen der Europäischen Union vorangetrieben wird oder deren Einschaltung in die Verwirklichung des Vorhabens – auch im Wege der Organleihe – vorgesehen ist oder wenn ein völkerrechtlicher Vertrag ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschlossen werden soll. Ein qualifizierter inhaltlicher Zusammenhang mit einem der primärrechtlich normierten Politikbereiche der Europäischen Union (vgl. auch § 4 Abs. 4 Nr. 1 EUZBBG), der ein Ergänzungs- oder sonstiges besonderes Näheverhältnis zum Unionsrecht begründet, wird insbesondere dann vorliegen, wenn der Sinn eines Vertragsvorhabens gerade im wechselseitigen Zusammenspiel mit einem dieser Politikbereiche liegt, und erst recht dann, wenn der Weg der völkerrechtlichen Koordination gewählt wird, weil gleichgerichtete Bemühungen um eine Verankerung im Primärrecht der Union nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden haben.
Für dieses weite Verständnis des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG spricht zunächst sein Wortlaut. Der Formulierung „Angelegenheiten der Europäischen Union” kann keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsakte entnommen werden. Eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenspiel des Begriffs „Angelegenheiten” mit dem Begriff der „Europäischen Union”. Der Wortlaut ist vielmehr offen: Er lässt einerseits eine Deutung dergestalt zu, dass nur solche Vorhaben gemeint sind, deren Urheberin oder unmittelbarer Gegenstand die Europäische Union als Institution ist. Er lässt sich jedoch auch zwanglos als umfassender Verweis auf Angelegenheiten mit spezifischem Bezug zur Europäischen Union und dem ihr zugewiesenen Integrationsprogramm ohne Festlegung auf bestimmte Gestaltungsformen verstehen.
Systematische Gesichtspunkte erhärten diese Auslegung. So ist in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG von der Entwicklung der Europäischen Union zum Zwecke der Verwirklichung eines vereinten Europas die Rede, womit Programm und Zielrichtung der gesamten Vorschrift bestimmt werden. Dem würde es widersprechen, weite Teile des dynamischen und vielgestaltigen Prozesses der Integration im Rahmen der Europäischen Union von vornherein aus dem parlamentarischen Mitwirkungsrecht auszuklammern.
Der in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission allgegenwärtige Kompensationsgedanke weist ebenfalls auf ein weites Verständnis der Regelung hin. Sie soll gewährleisten, dass der Deutsche Bundestag über seine Verantwortung für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 123, 267 ≪351 ff.≫) hinaus auch an deren weiterer Gestaltung und an ihrem Wirken teilhat. Art. 23 Abs. 2 GG zielt deshalb darauf, dem Bundestag ausreichende Zeit für eine Entscheidung einzuräumen, ob und gegebenenfalls wie er sich an der nationalen Willensbildung beteiligen möchte (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Art. 23 Rn. 136 ≪August 2011≫). Diese Frage stellt sich nicht nur mit Blick auf die Beteiligung an der Rechtsetzung im Sinne von Art. 288 ff. AEUV, sondern auch für sonstige Initiativen und Vorschläge, die für die Entwicklung und das Handeln der Europäischen Union von Bedeutung sind. Im Hinblick darauf muss Art. 23 Abs. 2 GG auch auf die Erarbeitung völkerrechtlicher Verträge und politischer Initiativen Anwendung finden, wenn diese im obigen Sinne substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweisen.
Schließlich legt auch die historische Auslegung eine weite Interpretation des Begriffs der „Angelegenheiten der Europäischen Union” nahe. Art. 23 Abs. 2 GG hat im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrags von Maastricht Eingang in das Grundgesetz gefunden, mit einem Vertrag also, der die damals bereits über 30 Jahre alten supranationalen Europäischen Gemeinschaften mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik, zwei seinerzeit intergouvernemental organisierten Politikbereichen, unter dem Dach der Europäischen Union zusammenfasste (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪158 ff.≫; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 3 Rn. 2). Der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 1992 hatte somit ein Bild der Europäischen Union vor Augen, in der die – allein supranationalen – Europäischen Gemeinschaften und die intergouvernementalen Bereiche unterschieden wurden. Wenn er die Mitwirkungsrechte des Bundestages vor diesem Hintergrund auf die Angelegenheiten der Europäischen Union bezogen hat, liegt es nahe, dass er zwischen den Säulen der Europäischen Union nicht differenzieren wollte. Vielmehr sollte sich Art. 23 Abs. 2 GG auf „alle Vorhaben der Europäischen Union [erstrecken], die für die Bundesrepublik Deutschland bzw. den Bundestag von Interesse sein könnten” (BTDrucks 12/6000, S. 21). Bestätigt wird dies durch die sich im Laufe der Beratungen verfestigende Erkenntnis, dass die europäische Integration ein dynamischer Entwicklungsprozess sei, der auf der Ebene der Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Flexibilität erfordere (BTDrucks 12/3338, S. 6; BTDrucks 12/6000, S. 20). Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung ergeben sich auch nicht aus der Ratifikation des Vertrags von Lissabon, weil nicht erkennbar ist, dass dadurch die Reichweite des Art. 23 Abs. 2 GG reduziert werden sollte.
Ob und inwieweit Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Art. 23 Abs. 2 GG erfasst werden, ist hier nicht zu entscheiden.
3. Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG hat die Bundesregierung den Bundestag (und den Bundesrat) umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Gegenstand, Grenzen sowie Art und Weise der Unterrichtung des Deutschen Bundestages sind mit Blick auf den Normzweck, diesem eine effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union unter Wahrung der Eigenverantwortung der Exekutive zu ermöglichen, zu bestimmen (a). Daraus folgen nähere Anforderungen an die Unterrichtung (b).
a) aa) Anknüpfungspunkt der Unterrichtungspflicht ist das in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht des Deutschen Bundestages auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Unterrichtung muss dem Bundestag in erster Linie eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen. Nur auf einer ausreichenden Informationsgrundlage ist der Bundestag in der Lage, den europäischen Integrationsprozess zu begleiten und zu beeinflussen, kann er das Für und Wider einer Angelegenheit diskutieren und Stellungnahmen erarbeiten. Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 – 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 –, NJW 2011, S. 2946 ≪2951≫, Rn. 124; Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, juris Rn. 109).
Die Entstehungsgeschichte von Art. 23 Abs. 2 GG bestätigt diese Interpretation. Vor der Neufassung des Art. 23 GG verlangten die im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen übereinstimmend die Verankerung von parlamentarischen Mitwirkungsrechten mit dem Ziel, die Entscheidungen über europäische Rechtsetzungsakte bereits vorab auf nationaler Ebene beeinflussen zu können (vgl. die Abgeordneten Dr. Möller und Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag ≪Hrsg.≫, Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 ≪544 f.≫). Im Hinblick auf die Erfahrung, dass der Bundestag häufig vor vollendete Tatsachen gestellt worden war, die er nur noch hatte zur Kenntnis nehmen können, schlug die Gemeinsame Verfassungskommission die Festschreibung der Unterrichtungspflicht in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG vor. Es bestand insoweit weitgehende Einigkeit, dass eine fundierte Willensbildung und verantwortungsvolle Mitwirkung des Bundestages eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt voraussetze (vgl. BTDrucks 12/3896, S. 19; BTDrucks 12/6000, S. 21; vgl. auch Möller/Limpert, ZParl 24 ≪1993≫, S. 21 ≪26≫).
bb) Die Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG soll dazu beitragen, „Informationsasymmetrien” zwischen Bundesregierung und Bundestag auszugleichen, soweit dies zur Gewährleistung einer effektiven Rechtswahrnehmung erforderlich ist (Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd 6, Art. 23 Rn. 144 ≪August 2011≫). Eine enge Auslegung liefe diesem Zweck zuwider. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich, wie die Entstehungsgeschichte nahelegt, bewusst für eine weitreichende Unterrichtungspflicht entschieden.
Nachdem die ursprünglich vorgesehene Bindung an die Stellungnahmen des Bundestages (so noch der Vorschlag von Möller, Arbeitsunterlage Nr. 67 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 9. Juli 1992) auf Druck der Bundesregierung auf die – deutlich schwächere – Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) reduziert worden war, setzte der Bundestag im Gegenzug eine strengere Fassung der Unterrichtungspflicht durch (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag ≪Hrsg.≫, Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 ≪545≫). Wenn die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung daher im Vergleich mit den in Art. 23 Abs. 3 GG geregelten Mitwirkungsrechten des Bundestages eine überschießende Tendenz aufweisen (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 75), so verkörpert dies den spezifischen Zweck dieses institutionellen Arrangements, eine effektive Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union trotz Fehlens formaler Bindungsmöglichkeiten zu gewährleisten (vgl. Rath, Entscheidungspotenziale des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten, 2001, S. 43 ff.).
Für die Auslegung und Handhabung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist ferner von Bedeutung, dass die Unterrichtungspflicht nicht nur dazu dient, die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG zu ermöglichen. Sie sichert auf nationaler Ebene zugleich ab, dass der Deutsche Bundestag die ihm in Art. 12 EUV sowie in Art. 1 und 2 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und in Art. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann.
cc) Die Auslegung und Anwendung des Art. 23 Abs. 2 GG hat darüber hinaus dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese Bestimmung auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient.
Der Deutsche Bundestag trifft seine Entscheidungen grundsätzlich im Plenum (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, juris Rn. 102, 119) und in öffentlicher Beratung. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Gerade das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Vorgehen so nicht ergäben (BVerfGE 70, 324 ≪355≫; vgl. auch BVerfGE 40, 237 ≪249≫). Im europäischen Kontext stärkt die öffentliche parlamentarische Willensbildung gleichzeitig die Responsivität von europäischen Entscheidungen für die Interessen und Überzeugungen der Bürger (vgl. Müller-Franken, DVBl 2009, S. 1072 ≪1080≫). Erst die Öffentlichkeit der Beratung schafft die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Bürger (vgl. BVerfGE 125, 104 ≪125≫; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, juris Rn. 108). Dies gilt auch, wo die parlamentarische Beratung sich, sei es mitwirkend oder kontrollierend, auf das Entscheidungsverhalten bezieht (zur Kontrollfunktion des Parlaments BVerfGE 67, 100 ≪130≫; 110, 199 ≪218 f.≫; 124, 78 ≪121≫). Die parlamentarische Verantwortung gegenüber den Bürgern ist wesentliche Voraussetzung des von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geforderten effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 83, 60 ≪71 f.≫; 93, 37 ≪66≫).
Entscheidungen von erheblicher rechtlicher oder faktischer Bedeutung für die Spielräume künftiger Gesetzgebung muss grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 ≪403 f.≫; 95, 267 ≪307 f.≫; 108, 282 ≪312≫). Exemplarisch dafür ist, dass der Deutsche Bundestag auch in einem System intergouvernementalen Regierens die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nach diesen Grundsätzen wahrzunehmen hat. Nach seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung muss der Deutsche Bundestag der Ort sein, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 – 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 –, NJW 2011, S. 2946 ≪2951≫, Rn. 124; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, juris Rn. 109). Hierfür gilt der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips der Demokratie (vgl. BVerfGE 70, 324 ≪358≫).
dd) Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Funktionengefüge des Grundgesetzes geht davon aus, dass die Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung besitzt, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt (BVerfGE 67, 100 ≪139≫; 77, 1 ≪59≫; 110, 199 ≪214≫; 124, 78 ≪120≫). Ein solcher nicht ausforschbarer Kernbereich wird vom Bundesverfassungsgericht etwa im Zusammenhang mit den Ermittlungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und parlamentarischen Fragerechten anerkannt (vgl. BVerfGE 67, 100 ≪139≫, zum Recht der Untersuchungsausschüsse; BVerfGE 110, 199 ≪215≫; 124, 78 ≪120≫, zum parlamentarischen Fragerecht). Zu diesem Kernbereich gehört jedenfalls die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vor allem in ressortinternen und -übergreifenden Abstimmungsprozessen vollzieht (BVerfGE 67, 100 ≪139≫; 110, 199 ≪214, 222≫; 124, 78 ≪120≫). Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht daher kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung.
b) Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG muss die Unterrichtung des Bundestages in sachlicher Hinsicht umfassend sein (aa), in zeitlicher Hinsicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen (bb) und in einer zweckgerechten Weise ausgestaltet sein (cc). Diese Anforderungen besitzen zwar unterschiedliche Regelungsinhalte, stehen aber nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen.
aa) Das Erfordernis der umfassenden Unterrichtung ist seiner Funktion gemäß auszulegen, dem Deutschen Bundestag die Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Qualität, Quantität und Aktualität der Unterrichtung unter Berücksichtigung der aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgenden Grenzen. Die Regelungen der §§ 4 ff. EUZBBG enthalten insoweit Konkretisierungen, die auch von der Bundesregierung im Grundsatz nicht in Frage gestellt worden sind.
(1) In qualitativer Hinsicht erfasst die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung zunächst Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten in Angelegenheiten der Europäischen Union (oben C.I.2.c), ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein. Die Unterrichtungspflicht kann, unabhängig von einer förmlichen Dokumentation, auch Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen von Organen und Gremien der Europäischen Union betreffen, in denen die Bundesregierung vertreten ist (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101).
Nach dem Zweck der Unterrichtungspflicht kommt es nicht darauf an, ob die Bundesregierung die Informationen auf offiziellem Wege oder auf andere Weise erlangt hat (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Unerheblich für das Bestehen einer Weiterleitungspflicht ist ferner, ob die Dokumente und Informationen von Organen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union stammen oder aus der Sphäre anderer Mitgliedstaaten (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 74; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77). Auch die eventuelle Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information (vgl. etwa Art. 6 der Geschäftsordnung des Rates; ABl. EU 2009 Nr. L 325 vom 11. Dezember 2009, S. 35) steht ihrer Weiterleitung an den Bundestag grundsätzlich nicht entgegen. In Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden vertraulicher Informationen gefährdet werden kann, kann die Unterrichtung vertraulich erfolgen (vgl. BVerfGE 124, 78 ≪123 f.≫, zu Untersuchungsausschüssen). Die Voraussetzungen dafür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfGE 67, 100 ≪135≫; 70, 324 ≪359≫; 77, 1 ≪48≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, juris Rn. 149).
(2) Quantität und Detailliertheit der dem Deutschen Bundestag zu übermittelnden Informationen bemessen sich im Hinblick auf den Zweck der Unterrichtung einerseits nach der Bedeutung einer Angelegenheit. So muss der Bundestag von allen Vorgängen erfahren, die seiner Mitwirkung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegen, und zugleich die für eine fundierte Beschlussfassung erforderlichen Informationen erhalten. Auf der anderen Seite richten sich der gebotene Umfang und die erforderliche Tiefe der Unterrichtung auch nach dem jeweiligen Sach- und Verhandlungsstand.
Eine „Überflutung” des Bundestages mit Informationen, die aufgrund ihrer Masse weder administrativ noch durch die Abgeordneten verarbeitet werden können, ist nicht Sinn des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 23 Rn. 75). Zwar ist es in erster Linie Aufgabe des Parlaments selbst, im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie für eine sachgerechte Sichtung und Bewertung der unter Art. 23 Abs. 2 GG fallenden Angelegenheiten zu sorgen und die organisatorischen Voraussetzungen für die Verarbeitung der ihm übermittelten Informationen zu schaffen (vgl. Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 107; vgl. auch § 4 Abs. 5 EUZBBG zur begrenzten Möglichkeit eines Verzichts auf Informationen). Doch erlaubt Art. 23 Abs. 2 GG bei Angelegenheiten, die nur von erkennbar geringer Bedeutung für den Bundestag sind, oder bei Vorgängen, die sich noch in einem sehr frühen, wenig konkreten Verfahrensstadium befinden, eine kursorische, auf die wesentlichen Eckpunkte beschränkte Unterrichtung, die den Bundestag in die Lage versetzt, nähere Informationen nachzufordern. Auch einer übermäßigen Belastung der Regierung, die deren Funktions- und Arbeitsfähigkeit bedroht, kann bei geringem Informationsinteresse des Parlaments im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung Rechnung getragen werden (vgl. auch BVerfGE 110, 199 ≪220≫; s. aus der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte etwa Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Urteil vom 14. Juli 2010 – 57/08 –, DVBl 2010, S. 966; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 6. Juni 2011 – Vf. 49-IVa-10 –, NVwZ-RR 2011, S. 841 ≪843≫).
(3) Die gebotene umfassende Unterrichtung erschöpft sich – wie sich auch aus dem systematischen Zusammenhang mit der Pflicht zur frühestmöglichen Unterrichtung ergibt – nicht in einem einmaligen Tätigwerden. Es handelt sich vielmehr um eine auf Dauer angelegte, fortlaufende Pflicht, die jedesmal aktualisiert wird, wenn sich bei der Behandlung einer Angelegenheit neue politische oder rechtliche Fragen stellen, zu denen sich der Deutsche Bundestag noch keine Meinung gebildet hat (vgl. Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 162).
Rechtsetzungsakten der Europäischen Union und intergouvernementalen Vereinbarungen gehen regelmäßig komplexe und langwierige Abstimmungsprozesse voraus. Die Bundesregierung kann dem Bundestag dabei nur die ihr selbst jeweils vorliegenden Informationen zuleiten, so dass die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen ist. Wissensstand und Haltung der Bundesregierung im Hinblick auf einen Vorgang bleiben im Regelfall nicht gleich, sondern sind im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Mit zunehmender Konkretisierung eines Vorhabens ist jedoch typischerweise auch eine Zunahme der Informationsdichte auf Seiten der Bundesregierung verbunden. Dabei entsteht mit jedem Erkenntnisgewinn der Bundesregierung zunächst eine Informationsasymmetrie im Verhältnis zum Bundestag, die – soll die verfassungsrechtliche Vorgabe einer „umfassenden” Unterrichtung nicht wirkungslos bleiben – grundsätzlich ausgeglichen werden muss. Diese Pflicht zum Ausgleich von Informationsungleichgewichten zwischen Bundesregierung und Bundestag verdichtet sich mit zunehmender Komplexität und Bedeutung eines Vorgangs sowie mit der zeitlichen Nähe zu einer förmlichen Beschlussfassung oder zum Abschluss einer Vereinbarung.
(4) Aus Gründen der Gewaltenteilung (oben C.I.3.a)dd) erstreckt sich der Unterrichtungsanspruch aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht auf Aspekte, die dem einer konkreten Positionierung vorgelagerten Willensbildungsprozess der Bundesregierung zuzuordnen sind. Initiativen der Bundesregierung und ihrer Positionierung bei von dritter Seite angestoßenen Vorhaben in Angelegenheiten der Europäischen Union geht ein – je nach Vorgang – mehr oder weniger umfangreicher Willensbildungsprozess voraus, in dessen Verlauf sich unter Umständen erst allmählich eine bestimmte Auffassung herausbildet. Bis dahin handelt es sich um einen von verschiedenen innen- und außenpolitischen sowie innerorganschaftlichen Belangen, Erwägungen und Entwicklungen abhängigen und damit noch volatilen Vorgang, der den Bereich der Bundesregierung noch nicht verlässt und über den der Bundestag von Verfassungs wegen grundsätzlich auch noch nicht zu informieren ist. Wenn die Bundesregierung indes ihre Willensbildung selbst so weit konkretisiert hat, dass sie Zwischen- oder Teilergebnisse an die Öffentlichkeit geben kann oder mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will, fällt ein Vorhaben nicht mehr in den gegenüber dem Bundestag abgeschirmten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in diesen Fällen eine substantielle Information des Bundestages durch die Bundesregierung über ihr Vorhaben.
bb) Auch die strikten zeitlichen Anforderungen an die Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG („zum frühestmöglichen Zeitpunkt”) sollen gewährleisten, dass der Bundestag in der Lage ist, seine Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union effektiv wahrzunehmen.
(1) Entstehungsgeschichtlich erweist sich die strenge zeitliche Vorgabe als bewusste Abkehr von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen vom 27. Juli 1957 (BGBl II S. 753), wo lediglich eine laufende Unterrichtung des Bundestages vorgeschrieben und eine der Beschlussfassung im Rat zeitlich vorgelagerte Unterrichtung nur als Soll-Vorschrift vorgesehen war. Auf dieser Grundlage waren dem Bundestag Informationen häufig erst nach einer Beschlussfassung im Rat zugegangen und damit später als dem Bundesrat und den deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992). Die in der Gemeinsamen Verfassungskommission und im Sonderausschuss Europäische Union zeitweise diskutierten Formulierungen einer „rechtzeitigen” oder einer „regelmäßigen” Unterrichtung wurden daher verworfen. Das Erfordernis einer regelmäßigen Unterrichtung stelle nicht hinreichend sicher, dass der Bundestag die relevanten Informationen so früh wie möglich erhalte (vgl. Abgeordneter Verheugen, Gemeinsame Verfassungskommission, 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, Stenographischer Bericht, in: Deutscher Bundestag ≪Hrsg.≫, Materialien zur Verfassungsdiskussion und zur Grundgesetzänderung in der Folge der deutschen Einigung, Band 1, Bericht und Sitzungsprotokolle, 1996, S. 543 ≪545≫). Auch der Begriff „rechtzeitig” erschien den Mitgliedern der Gemeinsamen Verfassungskommission zu unbestimmt, da er einen weiten Interpretationsspielraum eröffne und den Unterrichtungszeitpunkt letztlich in das Ermessen der Bundesregierung stelle. Um eine fundierte Willensbildung des Bundestages zu ermöglichen, sei eine umfassende Information zum frühestmöglichen Zeitpunkt unerlässlich (vgl. Möller, Arbeitsunterlage Nr. 84 der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 15. Oktober 1992; Möller/Limpert, a.a.O., S. 26; Schmalenbach, Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes im Lichte der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, 1996, S. 144 f.). Mit der gewählten Formulierung „zum frühestmöglichen Zeitpunkt” wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber also eine möglichst präzise, objektiv bestimmbare Zeitvorgabe schaffen (vgl. Möller/Limpert, a.a.O., S. 26).
(2) Dem Zeitpunkt kommt eine dem Umfang der Unterrichtung gleichrangige Bedeutung zu. Nur wenn der Bundestag frühzeitig von einem Vorhaben erfährt, kann er den regelmäßig durch eine Vielzahl von Akteuren getragenen Entscheidungsprozess in Angelegenheiten der Europäischen Union noch beeinflussen. Im Hinblick darauf ist die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Zeitvorgabe „zum frühestmöglichen Zeitpunkt” so auszulegen, dass der Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten muss, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt. Das schließt es aus, dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt, und gebietet die Weiterleitung sämtlicher Dokumente, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden.
(3) Offizielle Dokumente, Berichte und Mitteilungen müssen daher ebenso wie alle inoffiziellen Informationen an den Bundestag weitergeleitet werden, sobald sie – gegebenenfalls über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union – in den Einflussbereich der Bundesregierung gelangen (vgl. Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 23 Rn. 101; Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 79). Ein Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunktes der Weiterleitung besteht nicht. Verzögerungen bei der Weiterleitung sind nur zulässig, um der Bundesregierung eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG zu ermöglichen. Über Sitzungen der Organe und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, muss der Bundestag – auch wenn noch keine förmlichen Vorschläge oder sonstige Beratungsgrundlagen existieren – bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er sich über den Gegenstand der Sitzungen eine Meinung bilden und auf die Verhandlungslinie und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung Einfluss nehmen kann (vgl. Uerpmann-Wittzack, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 23 Rn. 77, 79; Streinz, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 113). Über den Verlauf und die erzielten Zwischen- und Endergebnisse ist er unmittelbar im Anschluss an die Beratungen zu unterrichten. Für den Zeitpunkt der Unterrichtung über Initiativen und Positionierungen der Bundesregierung und das Gebot laufender Aktualisierung des Informationsstandes des Bundestages gilt das bereits Gesagte (oben C.I.3.b)aa)≪3, 4≫).
cc) Aus dem mit der Unterrichtung des Bundestages verfolgten Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG folgen schließlich auch Anforderungen an das Verfahren und die Form der Unterrichtung. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer; die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Einzelheiten können im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch Gesetz oder Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung geregelt werden.
(1) Adressat der Unterrichtung gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist der Bundestag als Ganzer. Damit soll gewährleistet werden, dass sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Allerdings verleiht Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG dem Parlament die Befugnis, seine inneren Angelegenheiten im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung autonom zu regeln und sich selbst so zu organisieren, dass es seine Aufgaben sachgerecht erfüllen kann (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, juris Rn. 115 ff., m.w.N.). Es ist daher in erster Linie Sache des Bundestages selbst, dafür Sorge zu tragen, dass die ihm übermittelten Informationen einer effektiven parlamentarischen Willensbildung zugeführt werden. Insbesondere obliegt ihm die Entscheidung, in welchem Umfang er den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 45 Satz 2 GG ermächtigt, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Der Bundestag kann hierzu die erforderlichen Regelungen treffen und Einzelheiten der Unterrichtung im Wege einer Vereinbarung mit der Bundesregierung festlegen (vgl. § 12 EUZBBG). „Inoffizielle” Informationen einzelner Abgeordneter oder von Fraktionen und deren Beauftragten wie den Obleuten in den Ausschüssen erfüllen den Anspruch des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht.
(2) Der Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt im Grundsatz eine schriftliche Unterrichtung durch die Bundesregierung. Zwar ist die Schriftform in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Anforderungen an Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit, die an eine förmliche Unterrichtung des Parlaments zu stellen sind, erscheint die Schriftform gegenüber der mündlichen Unterrichtung als das vorrangige Medium zur effektiven Information des Bundestages. Der mündlichen Unterrichtung des Plenums, des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch der Fachausschüsse kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur eine ergänzende und erläuternde Funktion zu.
Ausnahmen vom Schriftlichkeitsgrundsatz sind nur in engen Grenzen und insbesondere im Hinblick auf das Gebot einer Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zulässig, unter Umständen aber auch geboten. Da Informationsasymmetrien zwischen Regierung und Parlament nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht nur best-, sondern auch schnellstmöglich beseitigt werden sollen, sind Konstellationen denkbar, in denen die Bundesregierung eine umfassende und zugleich frühestmögliche Unterrichtung nur mündlich sicherstellen kann (vgl. Schorkopf, in: Bonner Kommentar, Bd. 6, Art. 23 Rn. 144 ≪August 2011≫). Das ist etwa der Fall, wenn zu einer Angelegenheit noch keine schriftlichen Unterlagen vorliegen und in vertretbarer Zeit auch nicht beschafft oder hergestellt werden können, eine Unterrichtung des Deutschen Bundestages jedoch im Hinblick auf die effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte erforderlich ist. Für die Überlassung fremdsprachiger Unterlagen gilt Vergleichbares. Entfällt das Hindernis, ist das entstandene Informationsdefizit unverzüglich auszugleichen. Auch insoweit ist die Festlegung von Einzelheiten einer Regelung durch den Bundestag sowie einer näheren Konkretisierung in Vereinbarungen zwischen Bundestag und Bundesregierung zugänglich.
II.
Nach diesen Maßstäben sind die Anträge begründet. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (1.) als auch im Hinblick auf die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes (2.) in seinen Rechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.
1. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht in dem nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotenen Maß über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sind eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG (a). Da sie die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen betreffen, war eine vollständige Unterrichtung erforderlich (b). Die Antragsgegnerin hat es unterlassen, dem Deutschen Bundestag einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 zu übermitteln, und dadurch seine Rechte aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt (c).
a) Die Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau der ihn prägenden Charakteristika ergibt substantielle Berührungspunkte mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Verträge. Seine Gründung soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abgesichert werden (aa). Der zu seiner Errichtung zu schließende Vertrag weist den Organen der Europäischen Union neue Zuständigkeiten zu (bb) und dient der Absicherung eines Politikbereichs, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist (cc). Dass es sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln soll, stellt seine Zuordnung zu dem in den Verträgen über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Integrationsprogramm nicht in Frage (dd).
aa) Die Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus soll durch eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unionsrechtlich ermöglicht und abgesichert werden. Die insoweit vorgesehene Einfügung von Art. 136 Abs. 3 AEUV muss im Wege einer Vertragsänderung nach Art. 48 EUV erfolgen. Schon wegen dieses qualifizierten Zusammenhangs mit dem Unionsrecht handelt es sich um eine Angelegenheit der Europäischen Union.
bb) Das Vorliegen einer Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG wird auch dadurch indiziert, dass verschiedene Organe der Europäischen Union durch den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus neue Zuständigkeiten zugewiesen erhalten. Diese Zuständigkeitszuweisung war in den Verhandlungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, wie aus der in das Jahr 2010 zurückreichenden Vorgeschichte sowie den folgenden Konkretisierungsschritten ersichtlich ist, bereits zu Beginn des Jahres 2011 angelegt (vgl. im Einzelnen A.I.2.a).
(1) Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten sind in einem Beschluss vom 20. Juni 2011 übereingekommen, dass der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus Bestimmungen enthalten solle, nach denen sowohl die Europäische Kommission als auch die Europäische Zentralbank die in dem Vertrag aufgeführten Aufgaben ausführen sollen. Auf der operativen Ebene, bei Aktivierung der Finanzhilfe, wurde namentlich der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle zugedacht. Sie soll mit dem Internationalen Währungsfonds und in Absprache mit der Europäischen Zentralbank den tatsächlichen Finanzierungsbedarf des begünstigten Mitgliedstaats ermitteln. Ermächtigt vom Gouverneursrat, verhandelt sie ein makroökonomisches Anpassungsprogramm und überwacht die Einhaltung der politischen Auflagen, wiederum – in der sogenannten Troika – mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank, die bereits in der Durchführung der Schuldentragfähigkeitsanalyse zusammenwirken. Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht ferner vor, dass der Vorsitzende des Gouverneursrates Aufgaben auf die Europäische Kommission übertragen kann. Bleibt der Kreditnehmer über die Laufzeit des Programms hinaus Schuldner des Europäischen Stabilitätsmechanismus, kann der Rat eine fortdauernde Überwachung veranlassen. Nach Erörterung im Gouverneursrat kann er auf Vorschlag der Kommission beschließen, eine Überwachung nach der Durchführung des Programms durchzuführen, die so lange aufrechterhalten werden kann, wie ein bestimmter Betrag der Finanzhilfe noch nicht zurückgezahlt wurde.
Der Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sieht in seiner Fassung vom 2. Februar 2012 darüber hinaus vor, dass Programmbeschlüsse sowohl von der Europäischen Kommission als auch vom Rat der Europäischen Union nach den Art. 121 und 136 AEUV überwacht werden (17. Erwägungsgrund). Der Europäische Gerichtshof soll nach Maßgabe von Art. 273 AEUV schließlich über die Auslegung und Anwendung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus entscheiden.
(2) Die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Europäischen Union wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus die Organe der Europäischen Union lediglich im Wege der Organleihe in Anspruch nimmt. In der Sache werden den Organen damit, wenngleich nicht in dem eigentlich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1 EUV, weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen. Für die Kompetenzausstattung der Organe gelten daher auch insoweit der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (vgl. auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV) sowie die Verbote, ihnen eine Kompetenz-Kompetenz einzuräumen oder den Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und 20 GG) zu berühren (vgl. BVerfGE 89, 155 ≪188≫; 123, 267 ≪370 f.≫). Andernfalls könnten die der Fortentwicklung der europäischen Integration von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen und die insoweit vorgesehenen verfahrensrechtlichen Sicherungen umgangen werden. Jede Zuweisung von Aufgaben und Befugnissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheitsrechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die Erledigung der Aufgabe „nur” im Wege der Organleihe in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestattet werden.
Dafür spricht im Übrigen auch die mit der Einräumung von Aufgaben und Befugnissen im Wege der Organleihe verbundene und von den Vertragsparteien offenkundig gewünschte Möglichkeit der Organe, diese Aufgaben und Befugnisse kohärent mit den Einzelermächtigungen aus dem Bereich des in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramms auszuüben und auf diese Weise eine Struktur zu schaffen, in der die Unterschiede zwischen „weichen” Steuerungsinstrumentarien und imperativen Rechtsetzungs- und Aufsichtsakten verschwimmen (vgl. Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: GVwR Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 173a ff., 173h ff.). Dies zeigt sich etwa in der Anhaltung des Gouverneursrates, seine Entscheidungen im zwischenstaatlichen Rahmen mit dem Verfahren im Überwachungsrahmen der Europäischen Union (Art. 121, 126, 136 Abs. 1 AEUV) zu verzahnen (17. Erwägungsgrund sowie Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus).
cc) Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll darüber hinaus der Absicherung eines Politikbereichs dienen, der der Europäischen Union als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist. Der Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ergänzt die Wirtschafts- und Währungspolitik.
Mit der Ergänzung von Art. 136 AEUV um einen Absatz 3, der die Finanzhilfen an strenge Auflagen und ein Tätigwerden des Europäischen Stabilitätsmechanismus daran bindet, dass es zur Stabilisierung des Währungsraums insgesamt unabdingbar ist (vgl. Art. 3 des Entwurfs eines Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus), wird an die im Titel VIII geregelte Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 ff. AEUV) angeknüpft und deutlich gemacht, dass mit den Regelungen die Währungspolitik und insbesondere die Stabilität des Euro-Währungsgebietes gesichert werden soll. Damit wird ein Politikbereich ergänzt, den der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in die ausschließliche Zuständigkeit der Union verweist (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Der Europäische Stabilitätsmechanismus dient mithin unmittelbar der Verwirklichung der Ziele der Union (Art. 3 Abs. 4 EUV). An dem auf der Grundlage von Art. 136 Abs. 3 AEUV zu schließenden Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus sollen zudem nur Mitgliedstaaten teilnehmen, die Teil des Euro-Währungsgebietes sind und für die Art. 136 ff. AEUV spezifische Regelungen enthalten. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass es sich bei dem in Aussicht genommenen Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus um eine Angelegenheit der Europäischen Union handelt.
dd) Die Tatsache, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege eines gesonderten völkerrechtlichen Vertrages außerhalb der bisherigen Struktur des Unionsrechts etabliert werden soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie dargelegt, erfasst die Formulierung „Angelegenheiten der Europäischen Union” auch Vorhaben, die intergouvernemental verwirklicht werden sollen, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Union stehen. Dass der Europäische Stabilitätsmechanismus im Wege intergouvernementaler Zusammenarbeit verwirklicht werden soll, ist somit ebenso wenig maßgeblich wie seine Qualifikation als zwischenstaatliche Organisation ohne eigene Hoheitsgewalt. Jedenfalls durch die Verflechtung mit supranationalen Elementen besitzt der Europäische Stabilitätsmechanismus eine hybride Natur, die ihn zu einer Angelegenheit der Europäischen Union macht. Ob in der gewählten Form des völkerrechtlichen Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus eine Umgehung des Unionsrechts liegt, namentlich ob der Vertrag mit Art. 48 EUV vereinbar ist, ist hier nicht zu entscheiden.
b) Errichtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages und damit eine seiner wesentlichen Funktionen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer besonders umfangreichen und detaillierten Unterrichtung.
Angesichts der Komplexität und der Bedeutung des Europäischen Stabilitätsmechanismus für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ist eine Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten, die ihn in die Lage versetzt, sich – auch und gerade in öffentlicher Debatte – eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen und Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch im Hinblick auf die mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus einhergehenden Verbindlichkeiten der Deutsche Bundestag der Ort ist, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird.
Aus dem Gebot umfassender und frühestmöglicher Information ergeben sich deshalb im konkreten Fall hohe Anforderungen an die Qualität, Quantität, Aktualität und Verwertbarkeit der Unterrichtung über die Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die Unterrichtung hat sich namentlich ohne Abstriche auf die Weiterleitung der amtlichen Unterlagen und Dokumente aller Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten zu erstrecken. Übermitteln muss die Bundesregierung aber auch Informationen über informelle und nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge sowie über Gegenstand, Verlauf und Ergebnis der Sitzungen und Beratungen aller Organe und Gremien der Europäischen Union, in denen sie vertreten ist, sowie über bi- und multilaterale Aktionen von Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene. Nicht zuletzt verpflichtet Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG die Bundesregierung dazu, den Deutschen Bundestag über eigene Initiativen und Positionen in Angelegenheiten der Europäischen Union betreffend den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu informieren. Nur so kann verhindert werden, dass der Deutsche Bundestag in die Rolle des bloßen Nachvollzuges gerät (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, juris Rn. 109; Urteil des Zweiten Senats vom 7. September 2011 – 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10 –, NJW 2011, S. 2946 ≪2951≫, Rn. 124).
c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Europäischen Stabilitätsmechanismus unterrichtet. Sie hat dem Bundestag einen ihr spätestens am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus (aa) sowie einen Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 6. April 2011 (bb) nicht übermittelt. Spätere mündliche oder schriftliche Informationen ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (cc). Gründe, die einer Übermittlung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich; insbesondere kann sich die Antragsgegnerin nicht auf Vertraulichkeit berufen (dd).
aa) Die Antragsgegnerin hat einen ihr am 21. Februar 2011 vorliegenden Text der Europäischen Kommission über die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Gegenstand der Beratungen über die Merkmale des Stabilitätsmechanismus im Rat war, dem Deutschen Bundestag nicht zugeleitet. Die Existenz dieses Papiers wird durch einen internen Bericht des Verbindungsbüros des Deutschen Bundestages in Brüssel vom 21. Februar 2011 belegt. Wie aus dem Bericht des Verbindungsbüros hervorgeht, arbeitete der Rat – in dem die Bundesregierung vertreten ist – zu diesem Zeitpunkt an der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der Grundlage eines Textes der Europäischen Kommission. Da Papiere der Europäischen Kommission, auf deren Grundlage die Merkmale des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Europäischen Rat wie auch im ECOFIN-Rat und der Euro-Gruppe diskutiert wurden, insbesondere jener Text der Kommission, dem Deutschen Bundestag nicht zur Verfügung gestellt wurde, hatte dieser keine Möglichkeit, auf die konkrete Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss zu nehmen.
bb) Ferner hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Form des „Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)” nicht übermittelt.
Einen auf den 6. April 2011 datierenden Entwurf des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus hat der Deutsche Bundestag lediglich aus informellen Quellen erhalten, obwohl dieser oder jedenfalls eine frühere Textstufe des Vertragsentwurfs der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt vorlag. Dies ergibt sich aus dem Inhalt mündlicher Ausschussunterrichtungen vom selben Tag: Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen nannte gegenüber dem Haushaltsausschuss des Bundestages einzelne, bereits auf dem Europäischen Rat vom 24./25. März 2011 bindend verabredete Details des Vertragsinhalts und erklärte, der Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus werde derzeit auf europäischer Ebene weiter ausgearbeitet und befinde sich noch im Verhandlungsstadium (Protokoll Nr. 17/52 der 52. Sitzung des Haushaltsausschusses vom 6. April 2011, S. 12, 19). Die Bundesregierung hatte mithin am 6. April 2011 konkrete Erkenntnisse über Textstufen des Vertragsentwurfs.
cc) Spätere mündliche oder schriftliche Informationen, insbesondere die Übersendung des zu diesem Zeitpunkt in der erweiterten Euro-Gruppe bereits beratenen Entwurfs des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus am 17. beziehungsweise 18. Mai 2011, ändern nichts an der Verletzung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag nicht nur einen abschließend beratenen oder sogar bereits beschlossenen Vertragstext zuzuleiten. Sie muss ihm zum frühestmöglichen Zeitpunkt ihr vorliegende Zwischenergebnisse und Textstufen – wie den auf den 6. April 2011 datierenden „Draft Treaty Establishing the European Stability Mechanism (ESM)” – übermitteln. Dass sich Entwürfe ändern und daher Aktualisierungen erforderlich werden, solche Informationen mithin „eine kurze Halbwertszeit” aufweisen können, rechtfertigt es nicht, die schriftliche Unterrichtung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, in dem die Ergebnisse bereits feststehen. Denn damit wird der Bundestag gerade in jene für völkerrechtliche Verträge charakteristische Ratifikationslage gebracht, die ihm eine inhaltliche Einflussnahme abschneidet und vor der ihn Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG schützen will. Wie sich bereits aus dem kumulativen Erfordernis frühzeitiger und umfassender Information ergibt, kann bei prozesshaften Vorgängen der vorliegenden Art die Unterrichtungspflicht nicht „in einem Gesamtpaket” erledigt werden.
dd) Eine etwaige Vertraulichkeit beider Dokumente steht dem Erfordernis ihrer Übermittlung nicht entgegen. Die Bundesregierung kann sich insbesondere nicht auf eine grundsätzliche Vertraulichkeit im speziellen Format der informell tagenden erweiterten Euro-Gruppe berufen. Verhandlungen im Vorfeld völkerrechtlicher Verträge, die auf eine Bindung der Bundesrepublik Deutschland zielen und Gesetzesqualität erlangen sollen, sind gegenüber dem Deutschen Bundestag von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig. Sollten Gründe für eine Geheimhaltungsbedürftigkeit gegenüber der Öffentlichkeit im Hinblick auf einzelne Informationen oder Dokumente ausnahmsweise anzuerkennen sein, wäre die Bundesregierung verpflichtet, die Unterlagen dem Deutschen Bundestag unter Hinweis auf das Erfordernis einer vertraulichen Behandlung zuzuleiten. Die Voraussetzungen hierfür hat der Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 –, juris Rn. 149). Weitere Gründe, die gegen eine Übermittlung hätten sprechen können, sind nicht ersichtlich.
2. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag zudem nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet und damit die Rechte des Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes stellt eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG dar (a), die wichtige Funktionen des Deutschen Bundestages berührt und deshalb in besonderem Maße dessen umfassende und frühzeitige Unterrichtung gebietet (b). Da die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit nicht informiert sowie ihm das inoffizielle Dokument (non paper) der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates mit der Überschrift „Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area – Main Features and Concepts” vom 25. Februar 2011 nicht übermittelt hat, ist die nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebotene umfassende und frühestmögliche Unterrichtung nicht erfolgt (c).
a) Die Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Gesamtschau ihrer Charakteristika ergibt, dass der Pakt substantielle Berührungspunkte mit dem in den Verträgen niedergelegten Integrationsprogramm aufweist.
Bereits der Umstand, dass sich der Euro-Plus-Pakt beziehungsweise die ihm vorausgegangene Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union richtet, indiziert eine Ausrichtung auf das unionale Integrationsprogramm. Inhaltlich ist der Pakt angesichts seiner Ziele, eine qualitative Verbesserung der Wirtschaftspolitik und der öffentlichen Haushaltslage sowie eine Stärkung der Finanzstabilität zu erreichen, auf einen in den Verträgen niedergelegten Politikbereich der Europäischen Union ausgerichtet. In die Verwirklichung der Ziele des Paktes sind Organe der Europäischen Union eingeschaltet, wie bereits die vorgesehene jährliche Bewertung der von den Mitgliedstaaten des Euro-Plus-Paktes zur Erfüllung ihrer Selbstverpflichtungen unternommenen Reform- und Stabilitätsprogramme durch die Europäische Kommission, den Rat und die Euro-Gruppe zeigt.
Dass der Euro-Plus-Pakt überwiegend mit Selbstverpflichtungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten operiert, stellt seine Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union nicht in Frage. Zum einen steht auch eine nur begrenzte rechtliche Verbindlichkeit der Einordnung als Angelegenheit der Europäischen Union angesichts der gebotenen weiten, nicht auf Rechtsetzung beschränkten Auslegung des Begriffs nicht entgegen. Zum anderen entfaltet der Pakt durchaus eine gewisse Bindungswirkung. Zwar sieht er – anders als der durch das sogenannte „Sixpack” reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt (vgl. oben A.I.3.d) – keine Sanktionen für seine Verletzung vor. Mit dem jährlich durchzuführenden Benchmarking unter Einbindung der Europäischen Kommission enthält der Euro-Plus-Pakt jedoch ein Durchsetzungsinstrument, auf das in jüngerer Zeit auch das nationale Verfassungsrecht zurückgreift (vgl. Art. 91d GG) und das zudem in unmittelbarem Zusammenhang mit justitiablen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten steht (vgl. hierzu die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, EuGH, Urteil des Plenums vom 13. Juli 2004, Rs. C-27/04, Kommission gegen Rat, Slg. 2004, S. I-6649, insb. Rn. 89). Die damit verbundene Rechenschaftspflicht wird jede Bundesregierung treffen und hat bereits im Europäischen Semester und der damit verbundenen Mitteilung der Kommission vom 7. Juni 2011 über den „Abschluss des ersten Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik: Orientierung für die Politik der Mitgliedstaaten 2011-2012” (KOM ≪2011≫ 400 endgültig) ihren Niederschlag gefunden. Einen verbindlichen Bezug auf Europäisches Sekundärrecht enthält überdies die Verpflichtung der am Pakt teilnehmenden Mitgliedstaaten, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Vorgaben umzusetzen.
Ein substantieller Berührungspunkt zum unionalen Integrationsprogramm zeigt sich zudem in der teilweisen Umsetzung des Euro-Plus-Paktes durch Normen des Sekundärrechts. So erstreckt die im Rahmen des sogenannten „Sixpack” ergangene Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken den „Prüfungsumfang” des damit ins Sekundärrecht aufgenommenen Europäischen Semesters auch auf die Ziele des Euro-Plus-Paktes.
b) Da der Euro-Plus-Pakt die Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages in nicht unerheblicher Weise berührt, war eine vollständige Unterrichtung des Bundestages bereits in Bezug auf Initiativen und frühe Stadien der Verhandlungen geboten. Namentlich die Selbstverpflichtungen in Bereichen, die der Gesetzgebungszuständigkeit der Mitgliedstaaten unterfallen, wie etwa dem Steuer- und Sozialrecht, und in denen der Gesetzgeber in Zukunft einer Überwachung durch Organe der Europäischen Union unterworfen wird, betreffen die parlamentarische Verantwortung und sind geeignet, die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers einzuschränken. Der Bundestag hatte ein großes Interesse, vorab zu erfahren, darüber zu diskutieren und an der Entscheidung mitzuwirken, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen eine Koordinierung versprochen und welche Bewertungskriterien angestrebt werden sollten.
c) Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag nicht umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über den Euro-Plus-Pakt unterrichtet.
aa) Sie hat den Deutschen Bundestag über die am 4. Februar 2011 öffentlich vorgestellte Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit – später Euro-Plus-Pakt – nicht vorab informiert.
(1) Der Euro-Plus-Pakt geht auf eine deutsch-französische Initiative zurück, welche die Regierungen beider Mitgliedstaaten zum Gegenstand der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 gemacht haben und die die Bundeskanzlerin auf dieser Tagung gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Über dieses Vorhaben hätte die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag spätestens am 2. Februar 2011 informieren müssen.
Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass den Staats- und Regierungschefs auf der unmittelbar bevorstehenden Tagung des Europäischen Rates ein Diskussionsvorschlag für eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unterbreitet werden sollte. Dies geht nicht nur aus den Aussagen des Regierungssprechers auf der Regierungspressekonferenz vom 2. Februar 2011 hervor, wonach die Bundesregierung die wirtschaftspolitische Koordinierung als eine von mehreren jetzt zu ergreifenden Maßnahmen betrachte und beim Mittagessen der Staats- und Regierungschefs die Diskussion hierüber eröffnet werden solle. Auch der Staatsminister des Bundeskanzleramtes bestätigte nachträglich das Ziel der Bundesregierung, bei der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011 ein Verfahren zur Ausarbeitung eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit zu beschließen, und dass das Thema Wirtschafts- und Währungsunion am 2. Februar 2011 zusätzlich auf die Tagesordnung genommen worden sei (Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 14).
Sollte es – wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht – vor dem 4. Februar 2011 noch keine endgültig abgestimmte Position zum avisierten Inhalt einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euro-Währungsgebiet innerhalb der Bundesregierung gegeben haben, hätte dieser Umstand die Bundesregierung nicht von ihrer Unterrichtungspflicht entbunden. Gegenstand der gebotenen Unterrichtung war in diesem Fall (noch) nicht der Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit als solcher, sondern allein die Absicht der Antragsgegnerin, einen Prozess zu dessen Ausarbeitung anzustoßen (vgl. auch § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG). Hierzu hatte der Regierungssprecher auf der Pressekonferenz vom 2. Februar 2011 eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung angekündigt. Die Willensbildung innerhalb der Bundesregierung war folglich insoweit abgeschlossen, als sie mit ihrer Initiative an die Öffentlichkeit gehen konnte und mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten wollte. Die Antragsgegnerin war daher verpflichtet, den Deutschen Bundestag vor Beginn der Tagung des Europäischen Rates über die Initiative zumindest in ihren Grundzügen zu informieren (vgl. auch § 5 Abs. 5 Satz 1 und 2 EUZBBG).
(2) Die dem Deutschen Bundestag von der Antragsgegnerin unterbreiteten Informationen genügten nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen.
Dies gilt zunächst für den „Vorbericht zum Europäischen Rat am 4. Februar 2011” vom 2. Februar 2011. Darin heißt es lediglich, dass die Bundesregierung für ein von den Staats- und Regierungschefs der Eurozone ausgehendes starkes Signal eintrete, zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit die wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Währungsgebiet zu verbessern. Nicht erwähnt wurde hingegen, dass die Antragsgegnerin zu diesem Zweck eine Initiative für den Beschluss eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit vorstellen wolle und was der wesentliche Inhalt dieser Initiative sein werde.
Zureichende Informationen über das geplante Vorhaben enthält auch nicht die Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 2. Februar 2011 auf eine konkrete Anforderung des Deutschen Bundestages. Nachdem die Initiative der Antragsgegnerin bereits am 31. Januar 2011 in verschiedenen Nachrichtenmagazinen thematisiert worden war, hatte der Deutsche Bundestag am 1. Februar 2011 um Übermittlung von Papieren und Informationen gebeten, auf deren Basis die Initiative vorgestellt werden sollte. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie teilte hierauf nur mit, dass die Zeitungsartikel auf einen noch nicht abgeschlossenen Abstimmungsprozess Bezug nähmen und „im weiteren Fortgang die nach dem EUZBBG vorgesehenen Unterrichtungen unverzüglich erfolgen können”.
Schließlich genügte auch die am 3. Februar 2011 vom Staatsminister des Bundeskanzleramtes vorgenommene „Obleuteunterrichtung” (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11) nicht, um die Unterrichtungspflicht zu erfüllen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Obleute des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union bereits nicht die richtigen Unterrichtungsadressaten waren, hatte die Erklärung des Staatsministers des Bundeskanzleramtes lediglich zum Inhalt, „dass zu dem Thema noch keine abgestimmte Position der Bundesregierung bestehe und dementsprechend auch keine abgestimmte Position beim Europäischen Rat beschlossen werden würde” (vgl. Protokoll Nr. 17/31 der 31. Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 9. Februar 2011, S. 11).
bb) Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag ein inoffizielles Dokument der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates vom 25. Februar 2011 mit der Bezeichnung „Enhanced Economic Policy Coordination in the Euro Area – Main Features and Concepts” nicht übermittelt, welches wesentliche Inhalte des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit – später Euro-Plus-Pakt – beschrieb.
Nach dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten ist davon auszugehen, dass sich die Antragsgegnerin im Besitz dieses inoffiziellen Dokuments befand. Dies legt bereits der seinerzeitige E-Mail-Verkehr nahe. Danach hat der Deutsche Bundestag auf ausdrückliche Anfrage an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vom 3. März 2011 sowie an das Bundeskanzleramt vom 4. März 2011, ob der Bundesregierung ein gemeinsames Papier der Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates zur deutsch-französischen Initiative für einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit vorliege, keine – das heißt auch keine verneinende – Antwort des Bundeskanzleramtes erhalten. Zudem hat sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auf den Vorwurf einer Unterrichtungspflichtverletzung eingelassen, ohne die darin implizit enthaltene Behauptung, ihr habe das Papier vorgelegen, in Abrede zu stellen, was im Hinblick auf die Arbeitsweise der beteiligten europäischen Organe auch fernliegend wäre.
Dieses Dokument stellte die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag trotz ausdrücklicher Anforderung nicht zur Verfügung (vgl. auch § 5 Abs. 3 EUZBBG). Erst am 11. März 2011 übersandte sie den offiziellen Entwurf eines Paktes für Wettbewerbsfähigkeit. Zu diesem Zeitpunkt bestand für den Deutschen Bundestag keine Möglichkeit mehr, dessen Inhalt zu diskutieren und durch eine Stellungnahme auf die Bundesregierung einzuwirken. Denn die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes einigten sich bereits am gleichen Tag, dem 11. März 2011, auf den Pakt. Damit entstanden bereits ab diesem Zeitpunkt konkrete Selbstverpflichtungen auch für die Bundesrepublik Deutschland, ohne dass der Deutsche Bundestag auf deren Inhalt hätte einwirken oder diese hätte verhindern können.
D.
Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Unterschriften
Voßkuhle, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau, Huber, Hermanns
Fundstellen
BVerfGE 2013, 152 |
EuGRZ 2012, 416 |
NVwZ 2012, 6 |
NVwZ 2012, 9 |
NVwZ 2012, 954 |
WM 2012, 1229 |
DÖV 2012, 605 |
EWS 2012, 276 |
RIW 2012, 534 |
VR 2012, 315 |
BayVBl. 2012, 687 |
DVBl. 2012, 894 |
RÜ 2012, 519 |
GreifRecht 2012, 3 |