Entscheidungsstichwort (Thema)
Baumschutz. Baumschutzverordnung. Veränderungsverbot, baumschutzrechtliches. Ausnahmegenehmigung. Erforderlichkeit der Unterschutzstellung. Gebiet. Bundesland. Stadtstaat. Nachbarrecht, privates. Bürgerliches Gesetzbuch
Leitsatz (amtlich)
Gültigkeitsvoraussetzung für eine Baumschutzverordnung ist nach § 18 Abs. 1 BNatSchG nur, daß die Unterschutzstellung aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen hinsichtlich des Bestandes an Bäumen – nicht hinsichtlich jedes einzelnen Baumes – erforderlich ist.
Mit § 18 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG ist eine landesrechtliche Regelung des Baumschutzes für das Gesamtgebiet eines Stadtstaates vereinbar, wenn die Unterschutzstellung für den „gesamten Bestand an Bäumen” im Sinne von Satz 1 der Vorschrift erforderlich ist.
Normenkette
BNatSchG § 18 Abs. 1; HmbNatSchG §§ 20, 56 Abs. 4; HmbBaumSchVO §§ 2-4; EGBGB Art. 111
Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 18.08.1995; Aktenzeichen Bf II 9/94) |
VG Hamburg (Entscheidung vom 02.12.1993; Aktenzeichen 8 VG 2412.92) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. August 1995 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 000 DM festgesetzt.
Gründe
Der Kläger möchte zwei Buchen fällen, die auf der Grenze seines Grundstücks zum Grundstück der Beigeladenen stehen. Sein Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 4 der Hamburgischen Baumschutzverordnung wurde abgelehnt. Die auf Erteilung der Genehmigung und hilfsweise auf die Feststellung der Genehmigungsfreiheit des Zurückschneidens gerichtete Klage blieb im ersten und im zweiten Rechtszug erfolglos. Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision.
Die auf sämtliche Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.
Nach der Rechtsauffassung der Beschwerde ist die Hamburgische Baumschutzverordnung vom 17. April 1948 nicht anwendbar, weil sie mit höherrangigem Recht nicht in Einklang stehe. Soweit die Beschwerde dabei die Unvereinbarkeit der Baumschutzverordnung mit dem Hamburgischen Naturschutzgesetz geltend macht, ist sie unzulässig, weil diese Rüge die Auslegung irrevisiblen Landesrechts betrifft. Den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache genügt die Beschwerde aber auch nicht bereits dadurch, daß sie die Gültigkeit der Verordnung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit übergeordnetem Bundesrecht in Abrede stellt. Eine revisible Frage wird erst aufgeworfen, wenn der Inhalt einer bundesrechtlichen Norm selbst zu erörtern ist, um daran die Gültigkeit einer landesrechtlichen Vorschrift zu messen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 – BVerwG 4 C 9.86 – BVerwGE 78, 347 ≪351≫). In einem Beschwerdeverfahren nach § 133 VwGO muß sich die Fragestellung dann allerdings gerade auf den Inhalt der bundesrechtlichen Norm beziehen. Diesem Erfordernis genügt eine Beschwerde nicht schon mit dem Vortrag, eine landesrechtliche Norm verstoße gegen Verfassungsgrundsätze oder gegen anderes höherrangiges Bundesrecht.
Die Revision wäre aber auch nicht zuzulassen, wenn man der Beschwerde die Frage entnehmen wollte, ob ein baumschutzrechtliches „generelles Veränderungsverbot”, das „den Umfang der Grundrechtsbeschränkung völlig dem Verwaltungsermessen überläßt”, dem Verfassungsgebot der Bestimmtheit, der Verhältnismäßigkeit und der Eigentumsgararantie genügt. Denn diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Die Beschwerde weist zwar zutreffend darauf hin, daß eine Rechtsverordnung mit einem derartigen Verbot nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nichtig wäre (vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1958 – 1 BvF 1/58 – BVerfGE 8, 71). Nach den den Senat gemäß § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 562 ZPO bindenden Ausführungen des Berufungsgerichts handelt es sich bei der Hamburgischen Baumschutzverordnung aber nicht um eine solche Rechtsverordnung. Denn einerseits gilt das Veränderungsverbot des § 2 BaumSchVO nicht für sämtliche Bäume in Hamburg, sondern nur für Bäume, die zur Zierde und Belebung des Landschaftsbildes beitragen und die außerdem nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 1 BaumSchVO fallen. Andererseits steht das Veränderungsverbot nicht im freien Ermessen der Naturschutzbehörde; vielmehr hängt die Frage, ob eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann, zunächst von der – verwaltungsgerichtlich voll überprüfbaren – Frage ab, ob eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 4 BaumSchVO nicht dem Zweck der Verordnung widerspricht, weil der Fall keine Besonderheiten aufweist.
Die sinngemäß gestellte Frage, ob eine Baumschutzverordnung mit § 18 Abs. 1 BNatSchG vereinbar ist, die nicht nur für Bäume gilt, die zur Zierde und Belebung des Landschaftsbildes erforderlich sind, sondern auch für Bäume, die hierzu nur beitragen, rechtfertigt die Revisionszulassung nicht. Zwar sind geschützte Landschaftbestandsteile gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG nur solche rechtsverbindlich festgesetzten Teile von Natur und Landschaft, deren besonderer Schutz aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen erforderlich ist. Die Erforderlichkeit der Unterschutzstellung muß jedoch nur für den Landschaftsbestandteil als solchen, hier: den Bestand an Bäumen, nicht für die Teile des Landschaftsbestandteils, hier: den einzelnen Baum, gegeben sein. Dies folgt aus § 18 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG, nach dem sich der Schutz in bestimmten Gebieten auf den gesamten Bestand an Bäumen erstrecken kann. Die Gültigkeit einer Baumschutzsatzung oder -verordnung hängt also nicht davon ab, ob dem Erforderlichkeitsmaßstab des § 18 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG in jedem Einzelfall genügt ist. Vielmehr ersetzt bei gebietsbezogenem Baumschutz die (von der Erforderlichkeit eines gebietsbezogenen Schutzes des Baumbestands abhängige) Gebietsfestlegung die Einzelprüfung der Erforderlichkeit für jeden Baum. Eine Einzelfallprüfung findet dann nur noch bei der Anwendung der Baumschutzverordnung statt.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob § 2 BaumSchVO in jeder Hinsicht mit § 20 HmbNatSchG vereinbar sei; es spricht lediglich von einer unwesentlichen „Inkongruenz”. An den inhaltlichen Regelungen dieses neuen Gesetzes sei die Baumschutzverordnung nicht zu messen. Vielmehr ergebe sich aus § 56 Abs. 4 HmbNatSchG, daß die bereits auf der Grundlage des Reichsnaturschutzgesetzes erlassene Verordnung bis zu ihrer Änderung oder Aufhebung durch den Verordnungsgeber inhaltlich unverändert fortgelten solle. Auf dem Hintergrund dieser Ausführungen betrifft die Frage, ob eine vorkonstitutionelle Rechtsverordnung weitergelten darf, wenn ein Landesrecht für denselben Regelungsinhalt einschränkende Änderungen vornimmt, aber zugleich bestimmt, daß die zuvor erlassene Rechtsverordnung als aufgrund des ändernden Landesgesetzes erlassen gilt, allein die Auslegung des irrevisiblen Hamburgischen Naturschutzgesetzes. Ihr liegt die Rechtsauffassung zugrunde, daß § 20 HmbNatSchG der Regelung des § 56 Abs. 4 HmbNatSchG gleichsam vorgehe, während das Berufungsgericht dieser Vorschrift gerade umgekehrt den Willen des Landesgesetzgebers entnommen hat, daß die Baumschutzverordnung trotz der genannten Inkongruenz zu § 20 HmbNatSchG fortgelten solle. Nach dieser für das Beschwerdegericht gemäß § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 562 ZPO verbindlichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ist § 2 BaumSchVO mit dem Hamburgischen Naturschutzgesetz vereinbar. Eine Frage des revisiblen Rechts stellt sich nicht.
Zur Klärung der Frage, ob die bundesrahmenrechtliche Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG eine landesrechtliche Regelung für einen Baumschutz im Gesamtgebiet eines Landes zuläßt, bedarf es nicht erst eines Revisionsverfahrens. Nach dieser Vorschrift kann sich der Schutz auf den gesamten Bestand an Bäumen in bestimmten Gebieten erstrecken. „Bestimmte Gebiete” werden zwar regelmäßig nur Teilgebiete eines Bundeslandes sein. Schon nach dem Wortlaut ist eine solche Auslegung jedoch nicht zwingend. „Bestimmt” ist ein Gebiet, wenn es förmlich festgelegt ist. Der gebietsbezogene Baumschutz setzt voraus, daß das Gebiet, in dem er gelten soll, rechtsverbindlich festgesetzt ist. Wenn die rahmenrechtliche Vorschrift von Gebieten (Plural) spricht, geht sie davon aus, daß ein förmlicher Baumschutz nicht überall, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 BNatSchG festgesetzt werden darf. Insbesondere in den Flächenstaaten der Bundesrepublik gibt es zahlreiche Gebiete, deren Unterschutzstellung nicht im Sinne dieser Vorschrift erforderlich ist; hier ist aus diesem (materiellen) Grund eine Beschränkung auf Teilgebiete des Landes geboten. Dagegen läßt sich der Formulierung „in bestimmten Gebieten” nicht entnehmen, daß eine landesrechtliche Regelung für das Gesamtgebiet eines Bundeslandes auch dann unzulässig sei, wenn es im Sinne von § 18 Abs. 1 BNatSchG erforderlich ist, das gesamte Gebiet unter Schutz zu stellen. Im Gegenteil ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 18 BNatSchG, daß insbesondere im Interesse der Stadtstaaten ein umfassender Bestandsschutz für das gesamte Gemeindegebiet oder für ein ganzes Bundesland durch das Landesrecht ermöglicht, zumindest aber nicht ausgeschlossen werden sollte (vgl. BTDrucks 7/3879, S. 25).
In Übereinstimmung hiermit hat nicht nur das Hamburgische Oberverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 26. September 1984 – OVG Bf VII 184/82 – HmbJVBl 1985) die für das Gesamtgebiet des Stadtstaates geltende streitige Baumschutzverordnung, sondern auch das Oberverwaltungsgericht Bremen (Urteil vom 26. März 1985 – OVG 1 BA 85/84 – NuR 1985, 193) das entsprechende Bremer Landesrecht für mit § 18 Abs. 1 BNatSchG vereinbar angesehen. Ebenso kann nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg ein „bestimmtes Gebiet” im Sinne von § 28 NNatSchG auch das gesamte Gemeindegebiet umfassen (Urteil vom 27. Februar 1986 – 3 OVG C 1/85 – NuR 1987, 327; ebenso Bartholomäi, UPR 1988, 241 ≪242≫). Soweit im Schrifttum Zweifel an der rechtlichen Möglichkeit, ein gesamtes Stadtgebiet unter Schutz zu stellen, geäußert worden sind (vgl. Steinberg, NJW 1981, 550 ≪555≫; Schink, DÖV 1991, 7 ≪9≫), beruhen sie nicht auf der von der Beschwerde für zutreffend gehaltenen Auslegung des § 18 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG, sondern stellen die Erforderlichkeit der Unterschutzstellung für das Gesamtgebiet in Frage. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, hängt von den besonderen Verhältnissen im Geltungsbereich der jeweiligen Baumschutzverordnung oder -satzung ab; klärungsbedürftige und -fähige Fragen hierzu enthält die Beschwerde nicht.
Von dem Urteil des Senats vom 6. Oktober 1989 – BVerwG 4 C 11.86 – (Buchholz 406.11 § 144 BBauG Nr. 1 – NJW 1990, 849) kann das Berufungsgericht schon deshalb nicht abgewichen sein, weil es nicht in Zweifel gezogen hat, daß eine Rechtsverordnung außer Kraft treten kann, wenn sie ihrem Inhalt nach mit einem späteren Gesetz nicht in Einklang steht. Vielmehr hat es angenommen, daß die Baumschutzverordnung sowohl mit dem Bundesnaturschutzgesetz als auch mit dem Hamburgischen Naturschutzgesetz vereinbar sei.
Mit ihrer nicht näher erläuterten Frage, „ob die Baumschutzverordnung in eigentumsrechtliche Regelungen der bürgerlichrechtlichen Vorschriften aus §§ 921 ff. BGB eingreift”, wird eine Grundsatzfrage des revisiblen Rechts nicht aufgeworfen. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehen den Regelungen von Baumschutzverordnungen nicht vor. Nach Art. 111 EGBGB bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, die im öffentlichen Interesse das Eigentum in Ansehung tatsächlicher Verfügungen beschränken und zu denen insbesondere auch das Naturschutzrecht gehört, unberührt.
Auch soweit die Beschwerde sinngemäß eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO rügt, weil das Berufungsgericht es unterlassen habe, ein Sachverständigengutachten zur Frage einzuholen, ob es fachgerechter gärtnerischer Pflege entspricht, die streitgegenständlichen Bäume zurückzuschneiden, um den Heckenwuchs zu schützen, muß sie erfolglos bleiben. Es ist schon sehr zweifelhaft, ob die Beweisfrage nach der materiellen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts in irgendeiner Weise entscheidungserheblich sein konnte. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, weshalb sich dem Berufungsgericht die Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens aufdrängen mußte, obwohl der Kläger selbst keinen darauf abzielenden Antrag gestellt hat, wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht ergibt.
Die Frage, wann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden muß, betrifft die Auslegung von Landesrecht, das der Überprüfung in einem Revisionsverfahren entzogen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Hien, Lemmel
Fundstellen
Haufe-Index 845579 |
BRS 1996, 628 |