Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten. Anhörung des Schwerbehinderten. Entscheidung der Hauptfürsorgestelle aufgrund mündlicher Verhandlung. keine Verpflichtung der Hauptfürsorgestelle zur Fertigung einer Niederschrift über mündliche Anhörung
Leitsatz (amtlich)
Die Hauptfürsorgestelle ist, wenn sie den Schwerbehinderten vor der Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung seines Arbeitsverhältnisses mündlich anhört, nicht verpflichtet, über die Anhörung eine Niederschrift zu fertigen.
Normenkette
SchwbG §§ 15, 17 Abs. 2 S. 2, § 18 Abs. 1; SGB X §§ 9, 24 Abs. 1; VwVfG § 68 Abs. 4, § 93
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 26.02.1993; Aktenzeichen 13 A 297/91) |
VG Arnsberg (Entscheidung vom 19.12.1990; Aktenzeichen 7 K 243/90) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Februar 1993 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der für die Zulassung der Revision allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Der vom Kläger bezeichneten Rechtsfrage, „ob und inwieweit die Hauptfürsorgestelle im Rahmen der ordnungsgemäßen Ausübung ihres Ermessens und der Durchführung des Verfahrens verpflichtet ist, über eine entscheidungserhebliche Anhörung ein Protokoll zu erstellen”, kommt grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu. Sie läßt sich ohne weiteres nach den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen in der Auslegung, die diese durch die höchstrichterliche Rechtsprechung auch des Bundesverwaltungsgerichts erfahren haben, beantworten.
Bei der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber (§§ 15 ff. SchwbG) richtet sich das Verwaltungsverfahren grundsätzlich nach den Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – SGB X –. Für die nach § 24 Abs. 1 SGB X durchzuführende Anhörung ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geklärt, daß sie kein besonderes Verfahren innerhalb des Verwaltungsverfahrens des jeweiligen Sozialleistungsträgers darstellt und auch kein förmliches Verfahren ist, weshalb eine Anhörung auch mündlich erfolgen kann, und zwar selbst dann, wenn der zu erlassende Verwaltungsakt schriftlich erteilt werden muß (vgl. BSG, Urteile vom 30. März 1982 – 2 RU 73/81 – ≪SozR 1300 § 24 SGB 10 Nr. 4≫: vom 31. März 1982 – 4 RJ 21/81 – ≪USK 8250 S. 200≫ sowie vom 26. September 1986 – 2 RU 39/85 –). Das folgt daraus, daß nach § 9 SGB X das Verwaltungsverfahren einfach und zweckmäßig durchzuführen und an bestimmte Formen nicht gebunden ist, soweit keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen.
Formvorschriften, wie sich der Kläger sie vorstellt, enthalten für die Anhörung des Schwerbehinderten weder das Zehnte Buch Sozialgesetzbuch noch das Schwerbehindertengesetz als besonderer Teil des Sozialgesetzbuches (zu letzterem s. Art. II § 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs – Allgemeiner Teil – in der Fassung des Gesetzes vom 4. November 1982 ≪BGBl I S. 1450≫). Die Verpflichtung der Hauptfürsorgestelle, den Schwerbehinderten vor ihrer Entscheidung zu hören (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SchwbG), geht – was die Form der Anhörung betrifft – über § 24 Abs. 1 SGB X ebensowenig hinaus wie die entsprechende Vorschrift für das Verfahren vor den Widerspruchsausschüssen (§ 43 Abs. 2 SchwbG). Auch die der Hauptfürsorgestelle in § 18 Abs. 1 SchwbG auferlegte Pflicht, ihre Entscheidung, falls erforderlich, aufgrund mündlicher Verhandlung zu treffen, verpflichtet den verhandlungsleitenden Beamten der Hauptfürsorgestelle weder, überhaupt eine Niederschrift über die mündliche Verhandlung zu fertigen, noch gar, die vom Schwerbehinderten vorgetragenen Einwände gegen die zur Entscheidung gestellte Kündigung zu Protokoll zu nehmen. Im Gegensatz zu § 68 Abs. 4 und § 93 VwVfG schreibt § 18 Abs. 1 SchwbG die Fertigung einer Niederschrift nicht vor. Dies beruht darauf, daß das Schwerbehindertengesetz die mündliche Verhandlung nicht vornehmlich der rechtsstaatlichen Konstitutionalisierung und Formalisierung des Verwaltungsverfahrens wegen vorsieht, sondern als Mittel der Verfahrenskonzentration und Verfahrensbeschleunigung, um der Verwaltung einerseits die Einhaltung der kurzen Entscheidungsfristen (vgl. § 18 Abs. 1 und – hinsichtlich der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung – § 21 Abs. 3 SchwbG) zu ermöglichen und sie andererseits in die Lage zu versetzen, die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung in persönlichem Gespräch mit den Arbeitsvertragsparteien auszuloten. Das im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht für bestimmte Sachverhalte enthaltene Erfordernis der Fertigung einer Niederschrift läßt sich darum auch nicht als Ausdruck eines auf das Zustimmungsverfahren nach dem Schwerbehindertengesetz zu erstreckenden allgemeinen Rechtsgedankens begreifen.
Unabhängig hiervon fordern auch die Vorschriften, die die Anfertigung einer Niederschrift über die mündliche Verhandlung in den oben genannten Fällen vorschreiben, grundsätzlich nicht, daß das, was derjenige, dem rechtliches Gehör im Verfahren zu gewähren ist, vorgetragen hat, auch von Amts wegen zu Protokoll genommen wird. Entgegen der Ansicht des Klägers folgt eine Protokollierungspflicht auch nicht aus dem Schutzzweck des Schwerbehindertengesetzes. Zwar ist das Schwerbehindertengesetz in erster Linie ein „Fürsorgegesetz”, dessen praktische Durchführung nur auf dem Boden fürsorgerischen Denkens und Fühlens fruchtbar sein kann (vgl. BVerwGE 18, 216 ≪221≫; 29, 140 ≪141≫). Damit sind jedoch vornehmlich materiellrechtliche Leitlinien angesprochen, an denen sich die Hauptfürsorgestelle bei ihrer interessenwägenden Ermessensentscheidung über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber orientieren soll (vgl. BVerwG, Beschluß vom 16. Juni 1990 – BVerwG 5 B 127.89 – ≪Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 3≫). Eine Pflicht, die vom Schwerbehinderten in einer mündlichen Anhörung vorgetragenen Gesichtspunkte beweissichernd zu protokollieren, folgt hieraus nicht. Die Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör setzt vielmehr eine aktive Beteiligung des Bürgers im eigenen Interesse voraus. Erfährt der Bürger aus den Gründen der erstinstanzlichen Verwaltungsentscheidung, daß bestimmte, von ihm mündlich vorgetragene und zu seinen Gunsten sprechende Gesichtspunkte bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden sind, so hat er Anlaß und Gelegenheit, diese Gesichtspunkte in der Widerspruchsschrift darzulegen und auf diese Weise als verfahrensmäßige Entscheidungsgrundlage zu sichern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Hömig, Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel
Fundstellen