Leitsatz (amtlich)
Der verfahrensakzessorische Einsichtsanspruch aus § 72 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. § 29 Abs. 1 VwVfG umfasst nicht die Akteneinsicht in die nicht anonymisierte Stellungnahme der Anhörungsbehörde nach § 73 Abs. 9 VwVfG, wenn die Einsichtnahme nur dazu dienen soll, anhand der personenbezogenen Daten von Einwendern geeignete Betroffene als Kläger gegen den zu erlassenden Planfeststellungsbeschluss zu identifizieren.
Gründe
Rz. 1
Das Klageverfahren ist infolge der übereinstimmenden Erklärungen der Kläger und der Beklagten in der Hauptsache erledigt und in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Rz. 2
Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. Danach ist es angemessen, den Klägern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Ihre Klagen hätten aller Voraussicht nach keinen Erfolg gehabt.
Rz. 3
1. Die Kläger sind Einwender im Planfeststellungsverfahren für das Vorhaben "ABS Oldenburg - Wilhelmshaven PFA 1" der D. AG. Sie haben nach Abschluss des Anhörungsverfahrens (§ 73 VwVfG) beim Eisenbahn-Bundesamt Akteneinsicht in die Stellungnahme der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr vom 23. November 2017 beantragt, die diese gemäß § 73 Abs. 9 VwVfG als Anhörungsbehörde im genannten Planfeststellungsverfahren abgegeben hatte. Die Stellungnahme hat ihnen das Eisenbahn-Bundesamt in Form einer anonymisierten Kopie überlassen. Die Kläger haben daraufhin beim Verwaltungsgericht... eine auf "alle in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen" gestützte Klage mit dem Antrag erhoben, ihnen "Akteneinsicht in die Akten zum Planfeststellungsantrag 1 der Ausbaustrecke Oldenburg [zu gewähren], zumindest soweit die landesbehördliche[n] Stellungnahmen zu den Einwendungen der Kläger betroffen sind", hilfsweise ihnen die Stellungnahme in Papier- oder elektronischer Form zu übersenden. Diese Klage hat das Verwaltungsgericht mit Blick auf die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen. Im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Senats am 18. September 2019 haben die Kläger klargestellt, dass ihr Ziel war, Einsicht in die nicht anonymisierte Stellungnahme zu erhalten. Dieses Begehren haben die Kläger nur noch auf den verfahrensakzessorischen Einsichtsanspruch aus § 29 VwVfG gestützt, über den im Planfeststellungsverfahren nach Ermessen zu befinden ist (§ 72 Abs. 1 Halbs. 2 VwVfG). Der vorsorglich mit geltend gemachte § 63 BNatSchG (Gerichtsakte Bl. 32 f.) verschafft nur Ansprüche auf Einsicht in Sachverständigengutachten, ist insoweit schon tatbestandlich nicht einschlägig. Verfahrensunabhängige Informationsansprüche nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) haben die Kläger nicht weiterverfolgt. Mit dieser Klarstellung haben sie dem Umstand Rechnung getragen, dass verfahrensunabhängige Auskunftsansprüche aus dem UIG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen selbstständigen Streitgegenstand bilden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 2007 - 7 VR 1.07 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 25), für den es bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gemäß § 45 VwGO auch in Fällen bleibt, in denen um Vorhaben und Ansprüche gestritten wird, für die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO erstinstanzlich zuständig ist. Über Ansprüche aus dem UIG hätte der Senat im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden können.
Rz. 4
2. Der Anspruch aus § 29 Abs. 1 VwVfG ist hier unter verschiedenen Aspekten zu verneinen.
Rz. 5
a) Allerdings ist er nicht bereits durch die Kopie der Stellungnahme erfüllt worden, die das Eisenbahn-Bundesamt den Klägern im Verwaltungsverfahren übersandt hatte. Diese Kopie blieb, weil in ihr sämtliche Namen geschwärzt waren, hinter dem Begehren zurück. Dieses zielte gerade darauf ab, die Namen und personenbezogenen Daten der in der Stellungnahme genannten Einwender ermitteln zu können. Das haben die Kläger im Schriftsatz vom 13. August 2019 nochmals verdeutlicht.
Rz. 6
b) Es kann dahinstehen, ob die Beklagte schon nach der Ausnahmeregelung in § 29 Abs. 1 Satz 2 VwVfG ohne Weiteres berechtigt war, die Einsicht in die Stellungnahme zu verweigern bzw. - gewissermaßen als Minus - die Möglichkeit der Kenntnisnahme von personenbezogenen Daten. Das war hier allerdings jedenfalls bis zur Bekanntgabe des Planfeststellungsbeschlusses vom 5. Juli 2019 der Fall. Landesbehördliche Stellungnahmen nach § 73 Abs. 9 VwVfG sind Arbeiten zur unmittelbaren Vorbereitung der Entscheidung über die Feststellung des Planes nach § 74 Abs. 1 VwVfG. Sie dienen als innerbehördliche Entscheidungshilfe dazu, einer von der Anhörungsbehörde organisatorisch getrennten Planfeststellungsbehörde die notwendigen Erkenntnisse über Verlauf und Ergebnisse des Anhörungsverfahrens zu verschaffen (Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 73 VwVfG Rn. 82; Masing/Schiller, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 5. Aufl. 2018, § 73 Rn. 181).
Rz. 7
c) Der Einsichtsanspruch scheitert aber jedenfalls daran, dass die Kläger keine schutzwürdigen Interessen an der Einsicht geltend machen (aa), dass ferner der Einsichtnahme geschützte Interessen Dritter entgegenstehen (bb) und dass die Kläger überdies einen Weg beschreiten können, die gewünschten Informationen ohne die Einsichtnahme zu erlangen (cc).
Rz. 8
aa) Wie die Kläger im genannten Schriftsatz vom 13. August 2019 zur Dringlichkeit ihres Begehrens erläutert haben, erstreben sie Einsicht in die nicht anonymisierte Stellungnahme, um "zusammen mit betroffenen Anliegern" gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 5. Juli 2019 Klage zu erheben. Wörtlich heißt es in diesem Schriftsatz: "Zur sachgerechten Vorbereitung der Klage und Auswahl der für eine Klage geeigneten Betroffenen (die als Repräsentanten für die ca. 11.000 Einwender ausgesucht werden sollen)", sei eine "Zuordnung von Betroffenheiten, Einwendungen und Beiträgen der möglichen Kläger nur mit Hilfe der EinwenderNr., die auch im Planfeststellungsbeschluss referiert [werde], möglich. Das Verhalten der Beklagten verhindert eine sachgerechte Klagevorbereitung, zumindest wird sie dadurch verzögert und erschwert". Diese Ausführungen verdeutlichen, dass es den Klägern nur darum ging, Dritte für Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 5. Juli 2019 zu mobilisieren und sich deren Rechtspositionen in den von diesen zu führenden Prozessen nutzbar zu machen. Das ist von § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht gedeckt. Er verschafft den Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens Einsichtsansprüche zur Rechtswahrung und daher nur, "soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer [eigenen] rechtlichen Interessen erforderlich ist".
Rz. 9
bb) Der Einsichtnahme in die ungeschwärzte Stellungnahme stand hier auch entgegen, dass sie personenbezogene Daten der Einwender enthielt, die die Beklagte nichtöffentlichen Stellen datenschutzrechtlich nur unter den Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz hätte übermitteln dürfen. Diese Voraussetzungen waren nicht erfüllt.
Rz. 10
cc) Lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für die verlangte Einsichtnahme nicht vor, war für eine Ermessensausübung nach § 72 Abs. 1 Halbs. 2 VwVfG kein Raum. Nur abrundend ist deshalb darauf hinzuweisen, dass die Kläger das aufgezeigte Interesse ohne die Einsicht in die ungeschwärzte Stellungnahme hätten verfolgen können. Ihnen war die Ermittlung der Betroffenheiten aus den Planunterlagen und Gutachten, die den Klägern aus dem Anhörungsverfahren bekannt waren, und durch ihre Teilnahme am Erörterungstermin ohne Weiteres möglich, ebenso die Zuordnung der Belastungen zu einzelnen Grundstücken. Die Identifizierung von aus der Sicht der Kläger "geeigneten" Klagewilligen auf diese Weise mag mit einem höheren Aufwand verbunden sein; für sich genommen zwingt dies die Behörde jedoch nicht dazu, das Ermessen zugunsten der Kläger auszuüben. Insofern kann auch nicht außer Betracht gelassen werden, dass dem Kläger zu 2 bereits über 2 000 umfassende Mandate erteilt waren, wie er im Erörterungstermin offengelegt hat. Daraus ergeben sich direktere Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme und einfachen Ermittlung von Betroffenheiten, die ohne Inanspruchnahme der Beklagten auskommen.
Rz. 11
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner zu tragen, weil der Rechtsstreit ihnen gegenüber nur einheitlich entschieden werden konnte (§ 159 Satz 2 VwGO).
Fundstellen
DÖV 2020, 80 |
VR 2020, 143 |
BayVBl. 2020, 245 |
UPR 2020, 103 |