Verfahrensgang
Truppendienstgericht Nord (Beschluss vom 21.02.2024; Aktenzeichen N 6 BLd 2/24 und N 6 DsL 4/24) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Soldaten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 21. Februar 2024 aufgehoben, soweit damit eine Durchsuchung dienstlicher Behältnisse angeordnet wurde.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Soldaten zu 6/7 und dem Bund zu 1/7 auferlegt.
Tatbestand
Rz. 1
Das Verfahren betrifft eine Durchsuchung elektronischer Kommunikationsmittel.
Rz. 2
1. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft nahm im Mai 2021 gegen den Soldaten Vorermittlungen wegen "Rechtsextremismus" auf. Aufgrund eines Berichts des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) vom 13. September 2021 wurde der Soldat im Auftrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom Disziplinarvorgesetzten vernommen. Nach weiteren Vorermittlungen bat die Wehrdisziplinaranwaltschaft das BAMAD um Mitteilung der Einstufung des Soldaten und einen Abschlussbericht. Das BAMAD teilte ihr auf wiederholte Nachfragen stets mit, dass die Ermittlungen andauerten. Schließlich wandte sich die Wehrdisziplinaranwaltschaft an den Referatsleiter der Abteilung Extremismusabwehr des BAMAD.
Rz. 3
2. Daraufhin wurde der Soldat am späten Nachmittag des 21. Februar 2024 durch Mitarbeiter des BAMAD in der... in... befragt. Dabei gewährte er jeweils freiwillig Einsicht in seinen Gaming-PC, in sein Samsung Tablet sowie teilweise in sein Smartphone. Die Mitarbeiter des BAMAD zeigten im Anschluss an die Befragung dem Disziplinarvorgesetzten des Soldaten die von ihnen abfotografierten Bilddateien.
Rz. 4
3. Der Disziplinarvorgesetzte in... stellte am selben Abend beim Truppendienstgericht unter Beifügung von Fotos von sieben Bilddateien einen "Antrag auf Anordnung einer Durchsuchung und/oder Beschlagnahme", die sich auf den Soldaten selbst, die persönlichen Sachen, das Fahrzeug, den Spind und das Wertfach, elektronische Datenträger oder EDV-Anlagen sowie ein Smartphone Samsung, ein Tablet Samsung, einen Laptop und einen Gaming-PC erstrecken sollte. Auf den elektronischen Geräten des Soldaten seien während seiner Befragung vom selben Tag durch Mitarbeiter des BAMAD beim groben Sichten ein Bild, auf dem der Soldat den Hitler-Gruß ausführe, sowie verfassungsfeindliches Bildmaterial gesichtet worden. Handlungen und Symbolik des gesichteten Bildmaterials begründeten den Verdacht auf Strafbarkeiten gemäß §§ 86, 86a StGB, der Volksverhetzung und der Einbindung in rechtsextremistische Strukturen.
Rz. 5
4. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer ordnete daraufhin mit Beschluss vom 21. Februar 2024 die Durchsuchung des Soldaten selbst, seiner persönlichen Sachen, seines Fahrzeugs, seines Spindes und des Wertfachs, seiner persönlichen/dienstlichen elektronischen Datenträger oder EDV-Anlagen, der dienstlichen Behältnisse und des Mobiltelefons (privat) einschließlich genutzter Speicherkarten und Ladekabel, insbesondere ein Smartphone Samsung, ein Tablet Samsung, ein Laptop und einen Gaming-PC, und gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln mit der Maßgabe an, dass "die sichergestellten und/oder beschlagnahmten Beweismittel" der Wehrdisziplinaranwaltschaft zur Durchsicht zu übergeben seien. Die allgemeine Mitnahmegestattung diene zunächst nur dazu, die als Beweismittel in Betracht kommenden Gegenstände darauf zu prüfen, ob eine richterliche Beschlagnahme zu beantragen oder die Rückgabe notwendig sei. Werde Beweismaterial gefunden, könne diesbezüglich ein (konkret objektbezogener) Antrag auf Erlass einer Beschlagnahmeanordnung beim Truppendienstgericht gestellt werden. Die Durchsuchung der Mobilfunkgeräte und elektronischen Datenträger erstrecke sich auf die darin befindlichen Speicherkarten mit Ausnahme der von den Mobilfunkgeräten räumlich getrennten Speichermedien (z. B. Cloud-Daten), soweit darauf von den Mobilfunkgeräten aus zugegriffen werden könne, einschließlich der darin verkörperten Informationen, die als Beweismittel in Betracht kämen. Der Soldat sei hinreichend verdächtig, seiner rechtsradikalen oder rechtsextremistischen Gesinnung entsprechend, Bilder, die auf ein Sympathisieren mit dem nationalsozialistischen Regime und seiner Ziele hindeuteten, in seine dienstliche Unterkunft eingebracht zu haben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er weitere Materialien beziehungsweise Daten, insbesondere über seine privaten Multimediageräte in die militärische Liegenschaft eingebracht habe. Der Verdacht stütze sich auf die Mitteilung von Mitarbeitern des BAMAD, die bei der Befragung des Soldaten am 21. Februar 2024 Kenntnis davon erlangt hätten, dass er rechtsextremistisches Bildmaterial auf seinem Laptop, den er in die Dienststelle eingebracht habe, speichere. So seien bei der Befragung ein Bild, auf dem der Soldat den Hitler-Gruß ausführe, sowie verfassungswidriges Bildmaterial aufgetaucht, u. a. ein Abbild von Adolf Hitler mit Hakenkreuz. Das Bildmaterial lege den Verdacht nahe, dass der Soldat diese Inhalte auf seinem Mobiltelefon und den anderen elektronischen Geräten habe und sie in die dienstliche Liegenschaft einbringe bzw. eingebracht habe. Ein solches Verhalten verletze §§ 7, 8 und 17 Abs. 2 Satz 1 SG. Es stehe zu erwarten, dass eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismaterial führen werde. Die angeordneten Maßnahmen seien zur Aufklärung des Dienstvergehens und zur Überführung des Soldaten notwendig und stünden in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zur Stärke des Tatverdachts.
Rz. 6
5. Die Durchsuchung fand noch am selben Abend statt. Am Folgetag informierte der Disziplinarvorgesetzte in... die Wehrdisziplinaranwaltschaft und den Disziplinarvorgesetzten der Stammdienststelle. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft übernahm den Vorgang und übertrug dem BAMAD die Auswertung der bei der Durchsuchung sichergestellten elektronischen Gerätschaften.
Rz. 7
6. Der Soldat hat durch seinen Verteidiger am 21. März 2024 beim Truppendienstgericht Beschwerde "gegen den Durchsuchungsbeschluss... wie auch die Beschlagnahme des Smartphones Huawei, des Tablets Samsung, des Laptops Samsung, einer Smartwatch, 2 externer Festplatten, einer SD-Karte, eines APC sowie 2 Ladekabeln" eingelegt. Der Beschluss sei aufzuheben und die sichergestellten Gegenstände seien herauszugeben. Der Beschluss scheine sich auf eine Befragung zu beziehen, die erst bei der Durchsuchung stattgefunden habe. Gegen ihn sei schon seit 2021 wegen Facebook-Inhalten ermittelt worden. Keines der damaligen Bilder habe einen rechtsradikalen oder rechtsextremistischen Inhalt gehabt. Damaligen Aussagen von Zeugen zufolge habe er diesen nie Medien mit Inhalten rechtsextremer Tendenzen gezeigt. Bei der Befragung durch die Mitarbeiter des BAMAD im Jahr 2024 zu den Vorwürfen aus dem Jahr 2021 sei er nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Das BAMAD habe seit 2021 keine Veranlassung gesehen, Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen.
Rz. 8
7. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft erwidert, der Disziplinarvorgesetzte in... habe die Durchsuchung ungeachtet dessen beantragen können, dass sie schon seit 2021 Vorermittlungen gegen den Soldaten geführt habe, was dem Disziplinarvorgesetzten in... nicht bekannt gewesen sei. Die Befragung des Soldaten durch die Mitarbeiter des BAMAD sei am 21. Februar 2024 bereits vor der Durchsuchung erfolgt. Der Durchsuchungsbeschluss sei nicht aufgrund der Ermittlungsergebnisse von 2021 ergangen, sondern wegen der 2024 vorgefundenen Bilddateien, die auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung hindeuteten. Da der Soldat freiwillig Zugang zu den Bilddateien gewährt habe, habe es keiner weiteren Rechtsgrundlage bedurft.
Rz. 9
8. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 10. Juli 2024, soweit es sich gegen die "Beschlagnahme" der in der Beschwerde bezeichneten Gegenstände richte, als Beschwerde nach § 42 Nr. 5 WDO an das Truppendienstgericht Süd verwiesen. Im Übrigen hat er die Beschwerde mit Verfügung vom 19. Juli 2024 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Die Beschwerde hat teilweise Erfolg.
Rz. 11
1. Gegenstand der Beschwerde ist allein die mit dem Beschluss vom 21. Februar 2024 erfolgte Anordnung der Durchsuchung der im Beschluss bezeichneten Durchsuchungsobjekte, nicht auch eine Beschlagnahmeanordnung. Denn mit dem angefochtenen Beschluss wurde ungeachtet der missverständlichen Formulierung ("wird [...] die Durchsuchung [...] und gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln angeordnet") nur eine Durchsuchung und keine Beschlagnahme angeordnet.
Rz. 12
Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen nach § 20 Abs. 1 WDO sind rechtlich selbständige, regelmäßig in einem Stufenverhältnis stehende Entscheidungen. Eine Durchsuchungsanordnung setzt eine berechtigte Auffindevermutung im Hinblick auf potenzielle Beweismittel voraus. Da bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung im Regelfall nicht feststeht, ob und welche potenziellen Beweisgegenstände im Einzelnen bei der Durchsuchung vorgefunden werden, müssen diese in der Durchsuchungsanordnung noch nicht konkret bezeichnet werden. Demgegenüber muss sich eine Beschlagnahmeanordnung als gewichtiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) auf Einzelgegenstände beschränken, deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit bereits konkret gegenstandsbezogen geprüft worden ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 28. April 2003 - 2 BvR 358/03 - BVerfGK 1, 126 ≪133≫ und vom 18. März 2009 - 2 BvR 1036/08 - BVerfGK 15, 225 ≪236≫). Dazu dient insbesondere bei elektronischen Speichermedien die in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 110 StPO gesondert geregelte Durchsicht. Sie bewegt sich zwischen der Durchsuchung und der Beschlagnahme und dient erst der Klärung, ob und in welchem Umfang eine richterliche Beschlagnahmeanordnung zu erwirken ist oder die vorläufig zur Durchsicht sichergestellten Gegenstände zurückzugeben sind. Die Durchsicht ist zwar angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in ihrer Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert, ist aber noch Teil der Durchsuchung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. November 2021 - 2 BvR 2038/18 - juris Rn. 44 m. w. N.).
Rz. 13
Dementsprechend ist eine bereits vorab mit einem Durchsuchungsbeschluss verbundene allgemeine Beschlagnahmegestattung, die keine Konkretisierung der erfassten Gegenstände, sondern nur gattungsmäßige Umschreibungen enthält, ungeachtet ihrer Bezeichnung noch keine Beschlagnahmeanordnung im Rechtssinne. Ihr kommt lediglich die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung mit dem Ziel der Begrenzung des Durchsuchungsbeschlusses zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06 - BVerfGE 124, 43 ≪76≫ zu §§ 94 ff. StPO sowie Kammerbeschlüsse vom 29. Juni 2009 - 2 BvR 174/05 - juris Rn. 25 und vom 20. September 2018 - 2 BvR 708/18 - NJW 2018, 3571 Rn. 22; BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - BVerwGE 175, 1 Rn. 11 f.).
Rz. 14
Hier wurde mit dem Durchsuchungsbeschluss nur eine solche allgemeine Beschlagnahmegestattung verbunden. Denn eine gegenstandsbezogene Prüfung von Einzelgegenständen auf deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit hat vor Erlass des Beschlusses ersichtlich nicht stattgefunden. Vielmehr wurde der Beschluss mit der Maßgabe erlassen, dass die "sichergestellten und/oder beschlagnahmten Beweismittel" der Wehrdisziplinaranwaltschaft zur Durchsicht zu übergeben seien. Weiter heißt es im Beschluss, die "allgemeine Mitnahmegestattung" diene zunächst nur dazu, die als Beweismittel in Betracht kommenden Gegenstände darauf zu prüfen, ob eine richterliche Beschlagnahme zu beantragen oder die Rückgabe notwendig sei. Werde Beweismaterial gefunden, so könne diesbezüglich ein (konkret objektbezogener) Antrag auf Erlass einer Beschlagnahmeanordnung beim Truppendienstgericht gestellt werden.
Rz. 15
Die aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses vollzogenen und noch in Vollzug befindlichen Maßnahmen sind ebenfalls nicht Gegenstand der Beschwerde. Denn soweit die Beschwerde nicht nur gegen die Durchsuchungsanordnung, sondern zudem gegen die "Beschlagnahme" bestimmter Gegenstände erhoben wurde, hat der Vorsitzende der Truppendienstkammer das Verfahren als Beschwerde nach § 42 Nr. 5 Satz 1 WDO an das Truppendienstgericht Süd verwiesen; das Bundesverwaltungsgericht ist dafür nicht zuständig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. September 2022 - 2 WDB 6.22 - NVwZ 2022, 1733 Rn. 18).
Rz. 16
2. Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung ist zulässig.
Rz. 17
a) Eine Beschwerde gegen eine Durchsuchungsanordnung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO ist gemäß § 114 Abs. 1 WDO sowohl dann statthaft, wenn sie in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren einschließlich des dazugehörigen Vorermittlungsverfahrens der Wehrdisziplinaranwaltschaft erging (BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2022 - 2 WDB 8.22 - juris Rn. 14), als auch dann, wenn sie im Rahmen disziplinarer Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten erlassen wurde (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2024 - 2 WDB 10.23 - NVwZ-RR 2024, 553 Rn. 14 ff.).
Rz. 18
b) Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 und 3, § 112 Satz 1 WDO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung eingelegt.
Rz. 19
c) Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat - wie sich aus seiner Verfügung vom 19. Juli 2024 ergibt - eine Abhilfe gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 WDO nicht für angebracht gehalten.
Rz. 20
3. Die Beschwerde ist teilweise begründet. Die auf § 20 Abs. 1 WDO gestützte Durchsuchungsanordnung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Mai 2014 - 2 BvR 683/12 - juris Rn. 17) rechtswidrig, soweit damit die Durchsuchung dienstlicher Behältnisse angeordnet wurde. Insoweit geht sie über den Durchsuchungsantrag hinaus. Im Übrigen ist sie rechtmäßig. Sie entspricht den Vorgaben des § 20 WDO und ist verhältnismäßig.
Rz. 21
a) Der Disziplinarvorgesetzte war antragsberechtigt.
Rz. 22
b) Der Durchsuchungsantrag ist sowohl hinsichtlich des Tatvorwurfs als auch der zu durchsuchenden Gegenstände hinreichend bestimmt.
Rz. 23
c) Der Durchsuchungsbeschluss ist "zur Aufklärung eines Dienstvergehens" ergangen. Der Tatvorwurf wird im Durchsuchungsbeschluss hinreichend genau umschrieben, um den mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung verbundenen Eingriff in Grundrechte messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29. Juli 2020 - 2 BvR 1324/15 - WM 2020, 1701 Rn. 23 m. w. N. und vom 27. Juni 2024 - 1 BvR 1194/23 - NJW 2024, 2901 Rn. 16). In den Gründen heißt es, der Soldat sei hinreichend verdächtig, seiner rechtsradikalen oder rechtsextremistischen Gesinnung entsprechend, Bilder, die auf ein Sympathisieren mit dem nationalsozialistischen Regime und seinen Zielen hindeuteten, in die dienstliche Unterkunft eingebracht zu haben.
Rz. 24
d) Bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses bestand auch der Verdacht eines Dienstvergehens.
Rz. 25
Das Gewicht des Grundrechtseingriffs verlangt insoweit auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, noch keine exakte Tatpräzisierung ergeben. Denn das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass noch Ermittlungen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - BVerwGE 175, 1 Rn. 49).
Rz. 26
Als Erkenntnisquellen standen dem Vorsitzenden der Truppendienstkammer die mit dem Durchsuchungsantrag übermittelten sieben Bilddateien zur Verfügung, die bei der - bereits vor der Beantragung der Durchsuchung stattgefundenen - Befragung des Soldaten am 21. Februar 2024 durch Mitarbeiter des BAMAD abfotografiert worden waren. Nicht hingegen wurde der Durchsuchungsbeschluss aufgrund von Erkenntnissen aus dem Jahr 2021 erlassen. Dementsprechend geht der diesbezügliche Vortrag des Soldaten ins Leere.
Rz. 27
Jedenfalls fünf der übermittelten Bilddateien begründen den Anfangsverdacht einer schuldhaften Verletzung der Verfassungstreuepflicht.
Rz. 28
§ 8 SG verlangt von Soldatinnen und Soldaten, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes anzuerkennen und durch ihr gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten. Mit § 8 SG ist u. a. ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des nationalsozialistischen Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie wieder gesellschaftsfähig zu machen. Denn das Grundgesetz bildet gleichsam den "Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes" (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 2021 - 2 WD 25.20 - NVwZ 2022, 1133 Rn. 29). Die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG geht dabei weiter als die Pflicht zu ihrer Anerkennung gemäß § 8 Alt. 1 SG. Sie verlangt, dass der Soldat sich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Ein Soldat darf daher auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten (BVerwG, Urteil vom 4. November 2021 - 2 WD 25.20 - NVwZ 2022, 1133 Rn. 30 m. w. N.).
Rz. 29
Eine Bilddatei zeigt den Soldaten in Privatkleidung bei der Ausführung des sog. Hitler-Grußes. Eine zweite enthält ein Abbild von Adolf Hitler mit einem Hakenkreuz und der Aufschrift "Der Führer wünscht allen Deutschen frohe Weihnachten". In einer dritten Bilddatei ist eine schwarze Palme auf weißem Hintergrund mit einem Hakenkreuz abgebildet. Eine vierte Bilddatei zeigt die Fahne der "Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit", die vom Bundesinnenminister mit Bekanntmachung vom 9. Februar 1982 (IV A 3 - 222, MBl. NRW 1982 S. 389) verboten wurde, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. In einer fünften Bilddatei ist eine erhobene weiße geballte Faust mit dem Slogan "White Lives Matter - im Gedenken an die deutschen Gewaltopfer" zu sehen. Die sog. "White Lives Matter"-Bewegung propagiert als Gegenbewegung zu der transnationalen Bewegung "Black Lives Matter", die sich gegen Gewalt gegen Schwarze einsetzt, eine weiße Vorherrschaft.
Rz. 30
Das gespeicherte Vorhalten dieser fünf Bilddateien auf einem in die Kaserne eingebrachten elektronischen Gerät legt bei objektiver Betrachtung eine verfassungsfeindliche Gesinnung des Soldaten und damit einen Verstoß gegen § 8 Alt. 1 SG nahe. Zumindest erweckt es objektiv den Eindruck, dass der Soldat sowohl mit dem NS-Regime als auch mit der verbotenen verfassungswidrigen "Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit" als auch mit rassistischem Gedankengut sympathisiert und damit verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt, so dass ein Verstoß (auch) gegen § 8 Alt. 2 SG naheliegt.
Rz. 31
Bezüglich der Fotos der Bilddateien besteht auch kein Beweisverwertungsverbot, da sie von den Mitarbeitern des BAMAD am 21. Februar 2024 rechtmäßig erlangt und rechtmäßig an den Disziplinarvorgesetzten für Zwecke der disziplinaren Verfolgung übermittelt wurden.
Rz. 32
Es handelte sich um eine rechtmäßige offene Datenerhebung durch die Ermittler des BAMAD, die den Soldaten - wie sich aus den Offenlegungen in dem vom BAMAD übermittelten teilgeschwärzten Befragungsbericht vom 27. Februar 2024 ergibt - gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 MADG i. V. m. § 8 Abs. 4 BVerfSchG nach Angabe des Erhebungszwecks und nach Hinweis auf die Freiwilligkeit seiner Angaben befragt haben, woraufhin der Soldat freiwillig Einblick in die betreffenden Bilddateien gewährte. Eine gesetzliche Regelung, die das BAMAD verpflichtete, einen Soldaten zusätzlich darüber zu belehren, dass eine Verwertung auch zu disziplinarischen Zwecken erfolgen kann, bestand und besteht nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 2024 - 2 WD 13.23 - juris Rn. 38 ff.). Die Übermittlung der Beweismittel vom BAMAD an den Disziplinarvorgesetzten des Soldaten für Zwecke der disziplinaren Verfolgung war ebenfalls zulässig. Nach § 11 Satz 1 MADG i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BVerfSchG i. d. F. vom 22. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 413) darf das BAMAD personenbezogene Daten an eine inländische öffentliche Stelle übermitteln, soweit dies aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte im Einzelfall zum Schutz der in § 19 Abs. 3 BVerfSchG (darunter die freiheitliche demokratische Grundordnung) zur Überprüfung der Verfassungstreue von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes erforderlich ist. Dies gilt auch, wenn die Datenübermittlung in disziplinarische Maßnahmen bis hin zu einer Entfernung aus dem Dienst münden kann (vgl. BT-Drucks. 20/9345 S. 25).
Rz. 33
Da bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses der Anfangsverdacht eines Dienstvergehens in Form einer Verletzung der Verfassungstreuepflicht als elementarer soldatischer Kernpflicht bestand, kann für die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses dahinstehen, ob zudem hinreichende Anhaltspunkte für weitere Dienstpflichtverletzungen, insbesondere für eine Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), vorlagen.
Rz. 34
e) Die Durchsuchung wurde nur außerhalb von Wohnungen angeordnet. Bei der dienstlichen Stube handelt es sich nicht um eine Wohnung im Sinne des § 20 WDO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - NZWehrr 2022, 160 ≪166≫).
Rz. 35
f) Die im Durchsuchungsbeschluss aufgeführten Durchsuchungsobjekte sind durchweg "Sachen des Soldaten". Dies gilt auch für den Spind und das Wertfach und die dienstlichen elektronischen Datenträger oder EDV-Anlagen. Unerheblich ist insoweit, dass diese Gegenstände nicht im Eigentum des Soldaten, sondern seines Dienstherrn stehen. Denn zu den durchsuchungsfähigen Sachen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 3 WDO gehören auch die im (Mit-)Besitz oder (Mit-)Gewahrsam eines Soldaten befindlichen dienstlichen Gegenstände einschließlich elektronischer Datenträger oder EDV-Anlagen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - NZWehrr 2022, 160 ≪167≫ m. w. N.).
Rz. 36
g) Der Durchsuchungsbeschluss trägt dem Umstand Rechnung, dass die Wehrdisziplinarordnung keine Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung einer Durchsuchung der von einem Mobiltelefon räumlich getrennten Speichermedien (Cloud-Dienste), auf die vom Mobiltelefon aus zugegriffen werden kann, enthält (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. September 2022 - 2 WDB 6.22 - NVwZ 2022, 1733 LS 1). Denn im Durchsuchungsbeschluss wurde einschränkend bestimmt, dass sich die Durchsuchung der Mobilfunkgeräte und elektronischen Datenträger des Soldaten auf die darin befindlichen Speicherkarten mit Ausnahme der von den Mobilfunkgeräten räumlich getrennten Speichermedien (z. B. Cloud-Daten) erstreckt, soweit auf sie von den Mobilfunkgeräten aus zugegriffen werden kann.
Rz. 37
h) Die Anordnung der Durchsuchung war verhältnismäßig. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die Durchsuchung auch im Einzelfall mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung des Dienstvergehens erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des vorgeworfenen Dienstvergehens und der Stärke des Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die Bedeutung der potenziellen Beweismittel für das Disziplinarverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. November 2019 - 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19 - NJW 2020, 384 Rn. 25 m. w. N.).
Rz. 38
Diesen Vorgaben wird der Durchsuchungsbeschluss gerecht. An der Eignung zum Auffinden von Beweismitteln für das vorgeworfene Dienstvergehen bestehen keine Zweifel. Die Durchsuchungsanordnung war auch erforderlich, um an die auf den Datenträgern des Soldaten gespeicherten Daten als primäre Beweismittel zu gelangen und ein möglichst vollständiges Bild über eine etwaige verfassungsfeindliche Gesinnung gewinnen zu können. Schließlich war die Anordnung der Durchsuchung angesichts der Schwere des im Raum stehenden Vorwurfs und der Stärke des Tatverdachts angemessen. Denn die Verfassungstreuepflicht ist eine Kernpflicht des Soldaten, deren Verletzung stets schwer wiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Mai 2022 - 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 19 m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei objektiv verfassungsfeindlichen Verhaltensweisen und Kundgabeformen, die Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung sind, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 44). Bei Verhaltensweisen, die nicht von einer verfassungsfeindlichen Gesinnung getragen wurden, aber den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichem Gedankengut vermitteln, ist die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 46).
Rz. 39
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 3, § 140 Abs. 5 Satz 1 WDO.
Fundstellen
Dokument-Index HI16717296 |