Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 08.07.2004; Aktenzeichen 1 LB 4/04) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 948 € festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin beansprucht die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zur Sortierung und Behandlung von Baustellenabfällen. Ihre Grundstücke am Anlagenstandort sind im Flächennutzungsplan der Beigeladenen zu 1 als Bodenaufschüttungsfläche und als Flächen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft ausgewiesen. Im Jahr 1979 erteilte Genehmigungen zum Kiesabbau und seit 1982 auch zur Mörtelherstellung am Anlagenstandort waren bis Ende Dezember 1990 befristet.
Der Beklagte lehnte den im November 1999 gestellten Genehmigungsantrag ab. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil das Vorhaben nicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 4 BauGB privilegiert sei und seine Ausführung der Landschaftsschutzverordnung “Pönitzer Seenplatte und Haffwiesen” des Beigeladenen zu 2 sowie dem Flächennutzungsplan und dem Landschaftsplan der Beigeladenen zu 1 widerspreche. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der behaupteten Abweichung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beschwerde nimmt an, dass das angegriffene Urteil bei der Frage einer Privilegierung ihres Vorhabens als ortsgebundener Betrieb (§ 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB) von dem Urteil vom 7. Mai 1976 – BVerwG 4 C 43.74 – BVerwGE 50, 346 (Transportbetonanlage) abweicht. Nach der Divergenzentscheidung ist ein Unternehmen mit einem im engsten Sinne des Wortes ortsgebundenen Betriebszweig insgesamt ein ortsgebundener Betrieb, wenn – und soweit – er als Folge nicht nur wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit, sondern technischer Erfordernisse dem typischen Erscheinungsbild eines Betriebes dieser Art entspricht und wenn – zweitens – der im engsten Sinne des Wortes ortsgebundene Betriebszweig den gesamten Betrieb prägt. Die Abweichung besteht schon deshalb nicht, weil die Beschwerde von einem Sachverhalt ausgeht, der den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts widerspricht. Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Anlage zur Mörtelherstellung ein unselbständiger Teil des Kiesabbaus war und die hierfür erteilten Genehmigungen bereits Ende 1990 erloschen sind. Die Annahme der Klägerin, diese Feststellungen bezögen sich auf die zur Genehmigung gestellte Anlage, ist offensichtlich falsch.
Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde möchte geklärt wissen, “ob ohne weitere Feststellungen zur konkreten Zulässigkeit des Vorhabens an einem anderen Standort ein Bauantragsteller bei einer § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB berührenden Genehmigung auf einen anderen Standort verwiesen werden kann” und “ob eine Verweisung eines Vorhabens auf ein anderes Plangebiet auch dann möglich ist, wenn dieses noch nicht existiert”. Die Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision, weil sie sich – soweit sie sich nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in einem Revisionsverfahren überhaupt stellen würden – anhand des Gesetzes und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lassen. Der Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB setzt voraus, dass das Vorhaben wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Entsprechend dem Sinn und Zweck des § 35 Abs. 1 BauGB, den Außenbereich nach Möglichkeit von jeder ihm wesensfremden Bebauung freizuhalten, sind deshalb die Umgebung erheblich störende Bauvorhaben im Außenbereich nicht zuzulassen, die auch – und sogar sachgerechter – in Industriegebieten errichtet werden können (Beschluss vom 13. Juni 1974 – BVerwG 4 B 7.74 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 110 m.w.N.). Ob die Alternative einer Errichtung des Vorhabens in einem Plangebiet besteht, ist nicht abstrakt, sondern nach den konkreten örtlichen Gegebenheiten zu entscheiden (Urteil vom 9. Juni 1976 – BVerwG 4 C 42.74 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 128).
Hiervon ausgehend hat das Oberverwaltungsgericht die Ausführung des Vorhabens in einem der beiden Gewerbegebiete der Beigeladenen für möglich gehalten, weil der Umstand, dass die in Rede stehende Anlage der Spalte 2 des Anhangs zur 4. BImSchV zugeordnet sei, regelmäßig keine in Gewerbegebieten unzulässigen schädlichen Umwelteinwirkungen erwarten lasse; sollte die Anlage demgegenüber mit einem solchen Emissionspotential ausgestattet sein, dass sie nicht im Gewerbegebiet ausgeführt werden könne, sei sie nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auch als Vorhaben im Außenbereich nicht privilegiert. Damit hat das Oberverwaltungsgericht die Frage, ob das Vorhaben außerhalb des Außenbereichs ausgeführt werden kann, für den von ihm angenommenen Regelfall im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach den konkreten Gegebenheiten im Gemeindegebiet der Beigeladenen beurteilt. Anders als die Beschwerde meint, hat es sich insoweit nicht mit der Zulässigkeit der Anlage “im Allgemeinen” begnügt, sondern unter Hinweis auf die in der Berufungsverhandlung erörterte Bauleitplanung der Beigeladenen zum Ausdruck gebracht, dass das Vorhaben im Gewerbegebiet verwirklicht werden könne, wenn es nicht außergewöhnlich emissionsträchtig und damit ein erheblich belästigender Gewerbebetrieb sei. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die Zulassung eines Vorhabens im Außenbereich ohne weitere Feststellungen zur konkreten planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens versagt werden dürfte, wäre daher in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich.
Soweit das Oberverwaltungsgericht für den Fall, dass die Anlage wegen der von ihr ausgehenden Emissionen als erheblich belästigender Betrieb in einem Gewerbegebiet unzulässig sein sollte, ihre bevorzugte Zulassung im Außenbereich mit der Begründung abgelehnt hat, die Anlage müsse dann “in einem – noch zu schaffenden – Plangebiet untergebracht werden”, ist die hieran anknüpfende weitere Frage der Beschwerde nicht klärungsbedürftig. Unabhängig von der Frage, ob ein Vorhaben bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise “nur” im Außenbereich ausgeführt werden kann, verlangt der Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zusätzlich, dass das Vorhaben auch im Außenbereich ausgeführt werden “soll”. Das Tatbestandsmerkmal des “Sollens” setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Wertung voraus, ob das Vorhaben in einer Weise billigenswert ist, die es rechtfertigt, es bevorzugt im Außenbereich zuzulassen. Diese Einschränkung ergibt sich aus der tatbestandlichen Weite der Vorschrift, die durch erhöhte Anforderungen an die im Gesetz umschriebenen Privilegierungsvoraussetzungen auszugleichen ist, da sich nur so das gesetzgeberische Ziel erreichen lässt, den Außenbereich in der ihm vornehmlich zukommenden Funktion, der Land- und Forstwirtschaft sowie der Erholung für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stehen, vor einer unangemessenen Inanspruchnahme zu schützen (vgl. Urteil vom 16. Juni 1994 – BVerwG 4 C 20.93 – BVerwGE 96, 95 ≪103 f.≫ m.w.N.). Eine solche Wertung hat das Oberverwaltungsgericht ersichtlich getroffen, indem es das Vorhaben der Klägerin für den Fall, dass es als erheblich belästigender Gewerbebetrieb in einem Gewerbegebiet unzulässig sein sollte, als nicht privilegiert erachtet und in ein Industriegebiet verwiesen hat; das ist in dem angegriffenen Urteil zwar nicht im Einzelnen dargelegt, lässt sich aber ohne weiteres aus dem zustimmenden Hinweis auf ein Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (NVwZ 2004, 1138 ≪1139 f.≫) entnehmen, das mit entsprechenden Erwägungen die bauplanungsrechtliche Privilegierung einer Bauschuttrecyclinganlage abgelehnt hat. Ob die dem angegriffenen Urteil zugrunde liegende Wertung zutreffend ist, entzieht sich als einzelfallbezogene Frage einer verallgemeinernden Beurteilung und rechtfertigt deswegen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Ansicht der Beschwerde, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erfordernis des “Sollens” greife hier nicht ein, weil in den einschlägigen Entscheidungen konkrete Feststellungen dazu getroffen worden seien, ob sich das zur Genehmigung gestellte Vorhaben an einem anderen Standort des Gemeindegebiets verwirklichen lasse, ist unzutreffend. Die Prüfung, ob ein Vorhaben im Außenbereich ausgeführt werden “soll”, setzt solche Feststellungen nicht voraus. Sie kann auch dazu führen, dass auf die Ausführung eines Vorhabens dieser Art überhaupt zu verzichten ist (vgl. Urteil vom 14. März 1975 – BVerwG 4 C 41.73 – BVerwGE 48, 109 ≪113 f.≫).
Die Revision ist auch nicht wegen des gerügten Verfahrensmangels zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Nach Ansicht der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht die Begründungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO) verletzt, weil es gemäß § 130 b Satz 2 VwGO auf näher bezeichnete Teile der Entscheidungsgründe des mit der Berufung angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts Bezug genommen hat, in denen ausgeführt wird, dass dem Vorhaben der Klägerin der wirksame Flächennutzungsplan der Beigeladenen entgegensteht. Die Beschwerde hält diese Bezugnahme für fehlerhaft, weil in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts wiederum auf das Urteil einer anderen Kammer des Verwaltungsgerichts verwiesen werde und damit nicht erkennbar sei, welche rechtlichen Erwägungen für das Oberverwaltungsgericht maßgebend gewesen seien. Die Rüge ist schon deshalb unbegründet, weil das Verwaltungsgericht keine begründungsersetzende Verweisung vorgenommen, sondern auf ein mit seiner Rechtsauffassung übereinstimmendes Urteil hingewiesen hat. Die in diesem Zusammenhang erhobenen Divergenzrügen sind unzulässig; denn die Beschwerde legt keinen Rechtssatzwiderspruch dar, sondern erschöpft sich in der Behauptung von Rechtsanwendungsfehlern, die – selbst wenn sie vorlägen – die Divergenzrevision nicht eröffneten. Davon abgesehen verkennt die Beschwerde, dass die im Rahmen des § 35 Abs. 1 BauGB erforderliche Abwägung nur nachvollziehender Art und damit keine einer planerischen Entscheidung entsprechende “gestaltende” Abwägung ist. Außerdem ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im Flächennutzungsplan keine Vorrangnutzung i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ausgewiesen, so dass die Annahme der Beschwerde, es fehle an einer gesamträumlichen Planungskonzeption, schon aus diesem Grund neben der Sache liegt.
Da das mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffene Urteil von der Erwägung, das nicht privilegierte Vorhaben der Klägerin widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beigeladenen, selbständig getragen wird, kommt es auf die Angriffe der Beschwerde gegen die Gültigkeit der Landschaftsschutzverordnung “Pönitzer Seenplatte und Haffwiesen” nicht an.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Kley, Herbert
Fundstellen