Verfahrensgang
VG Gera (Urteil vom 19.09.2013; Aktenzeichen 6 K 1076/09 Ge) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2013 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Gera wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Rückübertragung der Grundstücke D.straße 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18 und 20 in W. Der Beklagte lehnte den Restitutionsantrag mit Bescheid vom 27. September 2007 ab. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen mit der Begründung, die Grundstücke seien besatzungshoheitlich enteignet worden. Die Enteignung habe auch nicht gegen ein sowjetisches Enteignungsverbot verstoßen. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen.
Die dagegen eingelegte Beschwerde, mit der sowohl eine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) als auch Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und eine Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) erhoben werden, hat keinen Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungserheblichen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist (stRspr, vgl. Beschluss vom 9. September 2011 – BVerwG 8 B 15.11 – ZOV 2011, 226). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Die Klägerin wirft die folgende Frage als klärungsbedürftig auf:
„Ist die Wirkung der Ziffer 5 des SMAD-Befehls 64 als sowjetisches Enteignungsverbot alleine schon dadurch zu suspendieren, dass man davon ausgeht, die Enteignung eines Betriebsteils eines Unternehmens rechtfertige die Betrachtung, dass auch alle anderen nicht ausdrücklich auf Enteignungslisten benannten Unternehmensteile mit enteignet gewesen wären, selbst wenn auch dieser Betriebsteil erst nach dem 18. April 1948 enteignet wurde und auch eine Sequestrierung dieses enteigneten Betriebsteils zum 18. April 1948 nicht vorlag, sich also auch nicht auf den streitgegenständlichen Vermögenswert erstrecken lässt?”
Soweit hiermit die Rechtsfrage aufgeworfen wird, ob das Enteignungsverbot nach Ziffer 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 schon dadurch suspendiert ist, dass man davon ausgeht, die Enteignung eines Betriebsteils eines Unternehmens rechtfertige die Betrachtung, dass auch alle anderen nicht ausdrücklich auf Enteignungslisten benannten Unternehmensteile mit enteignet gewesen wären, ist dies bereits grundsätzlich geklärt. In seinem Urteil vom 28. November 2012 (– BVerwG 8 C 20.11 – ZOV 2013, 34) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass das Enteignungsverbot nach Ziffer 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 der aufgrund Ziffer 8 dieses Befehls erlassenen Konkretisierung des Umfangs bereits vorgenommener Unternehmensenteignungen nach Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinie Nr. 1 der DWK nicht entgegenstand. Dazu hat es ausgeführt, dass die in den Ländern der sowjetischen Besatzungszone aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 124 durchgeführten und von der Besatzungsmacht im Befehl Nr. 64 vom 17. April 1948 bestätigten Unternehmensenteignungen in erster Linie personenbezogen waren und sich die Enteignung wirtschaftlicher Unternehmungen in der sowjetischen Besatzungszone auf das gesamte den betrieblichen Zwecken dienende Vermögen erstreckte.
Die im zweiten Teil der aufgeworfenen Rechtsfrage als klärungsbedürftig angesehene Frage, ob die Suspendierung der Enteignungsverbotswirkung der Ziffer 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 selbst dann gelte, wenn der enteignete Betriebsteil erst nach dem 18. April 1948 enteignet wurde und auch eine Sequestrierung des Betriebsteils zu diesem Zeitpunkt nicht vorlag, ist nicht entscheidungserheblich. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die von der Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen werden (siehe nachfolgende Ziffer 3.), war das in N. gelegene Unternehmensvermögen durch den Befehl Nr. 217 der SMATh vom 7. Mai 1946 sequestriert und – ungeachtet zwischenzeitlicher Einträge in Nachtragslisten B – zum 1. März 1948 in die von der SMAD mit Befehl Nr. 64 bestätigte Enteignungsliste A des Landes Thüringen aufgenommen worden. Die vom Ministerpräsidenten und dem Innenminister unterzeichnete Enteignungsurkunde vom 1. Juni 1948 stellte die Enteignung der „Firma N.” daher lediglich fest, ohne dass der Urkunde konstitutive Wirkung zukäme.
2. Es liegen auch nicht die von der Klägerin geltend gemachten Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor. Eine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht nur ein Anwendungsfehler, sondern ein Widerspruch in einem entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz feststellbar ist. Dies legt die Beschwerde nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
a) Entgegen dem Beschwerdevorbringen besteht keine Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2013 (– BVerwG 8 C 4.12 –ZOV 2013, 177). In diesem Urteil wird ausgeführt, dass die Behörde die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Restitutionsausschlussgrundes gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG trägt, nämlich dafür, dass eine von deutschen Stellen vorgenommene Enteignung von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgte. Hiervon abweichend habe das Verwaltungsgericht den folgenden Rechtssatz aufgestellt: „Selbst wenn alle Voraussetzungen des Verstoßes gegen das sowjetische Enteignungsverbot in Ziffer 5 des SMAD-Befehls (Nr.) 64 für die jeweils streitgegenständlichen Vermögenswerte vorlagen, der Vermögenswert also nach Inkrafttreten dieses Befehls enteignet, jedoch vor Inkrafttreten dieses Befehls nicht sequestriert wurde, enthielt Ziffer 5 des SMAD-Befehls 64 dann kein durchgreifendes sowjetisches Enteignungsverbot, wenn zwar weder das Unternehmen, das Eigentümer der streitgegenständlichen Vermögenswerte war, enteignet oder sequestriert wurde noch die streitgegenständlichen Vermögenswerte selbst vor dem 18. April 1948 sequestriert wurden, solange nur irgendwelche anderen Vermögenswerte des nicht enteigneten Betriebs in den neuen Bundesländern vor dem 18. April 1948 sequestriert wurden.”
Einen derartigen Rechtssatz hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung aber nicht zugrunde gelegt. Es hat vielmehr ausgeführt, dass aus der Regelung Ziffer 8 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 in Verbindung mit der DWK-Richtlinie Nr. 1 die Erstreckung der Unternehmensenteignung auch auf bisher nicht sequestrierte Betriebsstätten folge. Das Verwaltungsgericht nimmt in diesem Zusammenhang auf das einschlägige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2012 (– BVerwG 8 C 20.11 – ZOV 2013, 34) Bezug, in dem u.a. nach Ziffer 2 Abs. 2 der DWK-Richtlinie Nr. 1 die vorgenommene Unternehmensenteignung unabhängig von dem Inhalt der Enteignungslisten auf das gesamte im wirtschaftlichen Zusammenhang stehende Eigentum des betroffenen Unternehmensträgers ausgedehnt wurde.
b) Eine Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2006 (– BVerwG 8 C 25.05 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 34 = ZOV 2007, 171) ist ebenfalls nicht ersichtlich, denn dieser Entscheidung lag ein anderer Sachverhalt zugrunde. Sie befasst sich nicht mit der Enteignung von Grundstücken, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Betriebsvermögen stehen, sondern hat die Enteignung von Grundstücken einer Privatperson – eines Rechtsanwalts – zum Gegenstand. Demgegenüber hat das angefochtene Urteil eine Enteignung von Grundstücken zum Gegenstand, die bis zur Enteignung zum Betriebsvermögen der Klägerin zählten. Zu der im Streitfall interessierenden Frage, welche rechtliche Bedeutung die DWK-Richtlinie Nr. 1 für den Umfang einer Enteignung von Vermögenswerten eines Unternehmens hat, äußert sich das Urteil vom 13. Dezember 2006 (a.a.O.) nicht.
c) Auch die gerügte Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. April 1997 (– BVerwG 7 C 15.96 – BVerwGE 104, 279) ist nicht gegeben. In diesem Urteil wird ausgeführt, dass die Aufnahme eines Unternehmens in eine von der Besatzungsmacht bestätigte Liste über die Rückgabe von sequestrierten Unternehmen regelmäßig als Verbot der Enteignung anzusehen sei, so dass die nach der Bestätigung der Liste von deutschen Stellen gleichwohl vorgenommene Enteignung nicht auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruhe.
Einen hiervon abweichenden Rechtssatz hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht aufgestellt. Vielmehr hat es bezüglich der Grundstücke im (ehemaligen) Landkreis A. offen gelassen, ob die fragliche Freigabeliste B von der Besatzungsmacht bestätigt worden ist (siehe UA S. 16 f.). Es hat weiter ausgeführt, eine solche Freigabe hätte auch dem deutlich gewordenen sowjetischen Enteignungswillen in Bezug auf die Klägerin widersprochen. Selbst wenn man aber annähme, dass die Rückgabe der Grundstücke im Landkreis A. dem sowjetischen Willen entsprochen hätte, wäre die Freistellung auf die A. Liegenschaften beschränkt gewesen und hätte keine Rechtsfolgen für die im Streit stehenden W. Liegenschaften ausgelöst. Soweit die Klägerin auf Freigabelisten betreffend den Landkreis N. geführt worden sei, seien diese Listen durch die Enteignungsliste A des Landes Thüringen, Landkreis N., überholt (siehe UA S. 13).
d) Der weitere Vortrag der Beschwerde, mit dem der Zulassungsgrund der Divergenz geltend gemacht wird, erschöpft sich in der Art einer Berufungsbegründung in Angriffen gegen die erstinstanzliche Entscheidung, ohne dass als divergierend angesehene, entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im angegriffenen Urteil und in den herangezogenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts herausgearbeitet werden und nachvollziehbar dargelegt wird, worin diese konkret voneinander abweichen.
3. Schließlich rechtfertigt auch die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht die Zulassung der Revision.
Der gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Wie es seine Überzeugung bildet, wie es also die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise würdigt, unterliegt seiner „Freiheit”. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüssen ziehen will als das Gericht. Die Grenzen der „Freiheit des Gerichts” sind erst dann überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das gesamte Ergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (stRspr, Beschluss vom 17. Mai 2011 – BVerwG 8 B 88.10 – juris; Urteil vom 30. August 2012 – BVerwG 8 C 5.11 – Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 28 = ZOV 2012, 361).
Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen (stRspr, Beschluss vom 8. April 2008 – BVerwG 9 B 13.08 – Buchholz 453.29 Schornsteinfeger Nr. 44 Rn. 10).
Der Sache nach setzt die (im Stile einer Berufungsbegründung gehaltene) Beschwerde ihre eigene Sachverhalts- und Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Verwaltungsgerichts, wodurch Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht dargetan werden können. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur vor, wenn die Schlussfolgerungen logisch ausgeschlossen wären. Dies ist hier weder dargelegt noch erkennbar. Die angebliche Missachtung der bestandskräftigen Rückübertragung von Grundstücken in A. könnte als materiell-rechtlicher Mangel nicht mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Im Übrigen betrifft diese Rückübertragung nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert, Dr. Held-Daab, Dr. Rudolph
Fundstellen