Verfahrensgang
VG München (Aktenzeichen 4 K 00.1379) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. November 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Die während des Verwaltungsverfahrens vorgebrachten Beweggründe für eine Gewissensentscheidung wurden von der Beklagten als unzureichend angesehen. Eine schriftliche Aufforderung an den Kläger zur Ergänzung wurde mit dem Hinweis versehen, dass bei Fristversäumnis der Antrag abgelehnt werde. Dies ist nach Ausbleiben einer Reaktion auch geschehen. Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er der Beklagten die verlangte Darlegung der Beweggründe innerhalb der 4-Wochenfrist per Fax übermittelt habe. Zum Beweis werde er die Darlegung sowie den Sendebericht nachreichen. Das Verwaltungsgericht hat ihn mit Schreiben vom 6. Juni 2000 und 4. Juli 2000 sowie mit den Ladungen vom 5. September 2000 und 6. Oktober 2000 aufgefordert, die angekündigte Darlegung seiner Beweggründe sowie den Sendebericht vorzulegen. Daraufhin hat er nicht reagiert.
Der auf den 9. November 2000, 11.30 Uhr anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat ausweislich des Protokolls um 11.45 Uhr begonnen. Der Kläger ist nicht erschienen. Um 11.55 Uhr ist das die Klage abweisende Urteil verkündet worden. Ausweislich eines Aktenvermerks ist am Sitzungstag um 12.20 Uhr auf der Geschäftsstelle ein Telefax des Vaters des Klägers eingegangen, in welchem mitgeteilt wird, der Kläger befinde sich wegen eines erlittenen Unfalls „zur Zeit 9:50 Uhr in ärztlicher Behandlung”; das Telefax trägt einen automatisch erzeugten Aufdruck auf der Kopfzeile „09-NOV-00 11:16” und einen weiteren auf der Fußzeile „09-NOV-2000 10:18”. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist maßgeblich auf die Erwägung gestützt, der Kläger habe bereits durch sein nachlässiges Verhalten im Verwaltungsverfahren Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Gewissensentscheidung geweckt. Durch sein unentschuldigtes Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung habe er es versäumt, diese Zweifel auszuräumen. Das durch seinen Vater übersandte Telefax habe nicht berücksichtigt werden können. Es sei der Kammer erst nach Wirksamkeit des Urteils zur Kenntnis gelangt. Die Revision hat das Verwaltungsgericht nicht zugelassen.
Die dagegen gerichtete Beschwerde stützt der Kläger auf den Verfahrensmangel der Verletzung des Gebots des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Zur Begründung führt er aus, auf dem Weg zur mündlichen Verhandlung etwa gegen 9.30 Uhr am Bahnhof Freising gestürzt zu sein und sich eine Verletzung am rechten Knie zugezogen zu haben, die ihn an der Fortsetzung seines Weges gehindert habe. Die mündliche Verhandlung hätte ohne ihn nicht durchgeführt werden dürfen, insbesondere weil sein persönliches Erscheinen angeordnet worden sei. Auch hätte seinem prozessualen Verhalten vor der mündlichen Verhandlung entnommen werden können, wie sehr er sich mit der Anfertigung vorbereitender Schriftsätze schwer tue. Das Urteil leide daher an einem Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG und beruhe auch darauf, da nicht auszuschließen sei, dass das Verwaltungsgericht nach seiner persönlichen Anhörung eine andere Entscheidung getroffen hätte.
Der Kläger beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München zuzulassen.
Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Auf gerichtliche Aufforderung hin hat der Kläger ein Attest des ihn seinerzeit behandelnden Arztes Dr. L. vom 25. April 2001 vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass der Kläger beim Treppenabsteigen ein Distorsionstrauma des rechten Kniegelenkes erlitten habe und aufgrund der Schmerzreaktion am 9. November 2001 um 9.45 Uhr in hausärztlicher Behandlung gewesen sei. Er sei für diesen Tag krankgeschrieben worden. Aufgrund der Schmerzsymptomatik habe er den auf diesen Tag festgesetzten Gerichtstermin nicht wahrnehmen können.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist begründet.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts leidet unter einem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung macht der beschließende Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch.
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf einer Verletzung des § 108 Abs. 2 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, indem es trotz Abwesenheit des Klägers im Termin zu dessen Ungunsten in der Sache entschieden hat. Aufgrund des ärztlichen Attestes von Dr. L. ist davon auszugehen, dass der Kläger ohne sein Verschulden daran gehindert war, an der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 9. November 2000 teilzunehmen und persönlich seine Beweggründe für die Kriegsdienstverweigerung vorzutragen. Das Verwaltungsgericht durfte daher die Verneinung der Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe und damit die Abweisung der Klage nicht maßgeblich auf die Abwesenheit des Klägers im Termin stützen.
Für die Annahme einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist unerheblich, wen innerhalb des Gerichts ein Verschulden trifft, ob den oder die zur Entscheidung berufenen Richter oder einen sonstigen Bediensteten; das Gericht ist insgesamt dafür verantwortlich, dass dem Gebot des rechtlichen Gehörs Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 11, 218, 220; 17, 265, 268; 46, 185, 187/188; 53, 219, 222/223; 60, 96, 100; 60, 120, 123; 62, 347, 352; BSG, Urteil vom 27. Februar 1985 – 12 RK 63/84 – NJW 1987, 919). Dies gilt auch dann, wenn ein Schriftsatz, der einen Antrag auf Terminaufhebung enthält, erst am Tage der Entscheidung, aber vor dem Ende der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangen ist. In einem solchen Fall mag das Gebot des rechtlichen Gehörs allerdings dann nicht verletzt sein, wenn der Schriftsatz so spät eingeht, dass er selbst bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt, insbesondere bei umgehender Öffnung der Post, genauer Beachtung ihres Inhalts und unverzüglicher Weiterleitung, den Richter, für den er bestimmt ist, nicht mehr rechtzeitig erreicht hätte; dann müsste möglicherweise der Absender den Nachteil des zu späten Eingangs tragen.
Dass ein solcher Fall hier vorliegt, ist indes nicht feststellbar. Aufgrund der automatischen Zeitaufzeichnung auf dem bei den Gerichtsakten befindlichen Telefax muss angenommen werden, dass die Mitteilung über die krankheitsbedingte Verhinderung des Klägers mindestens 40 Minuten vor der Urteilsverkündung beim Verwaltungsgericht eingegangen ist. Diese Zeit war ausreichend, die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts zu informieren.
Das angefochtene Urteil beruht auf der festgestellten Gehörsverletzung. Ihm kann nicht entnommen werden, dass das Verwaltungsgericht selbständig tragend die Klageabweisung auf die sonstigen ohne Gehörsverstoß festgestellten Nachlässigkeiten des Klägers gestützt hätte. Vielmehr hat es ungeachtet dessen dem Kläger die Möglichkeit eröffnen wollen, die aufgekommenen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung im Rahmen der gerichtlichen Anhörung auszuräumen.
2. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Graulich
Fundstellen