Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluß der Antragsgegnerin vom 30. Juli 1996 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen je zur Hälfte die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 13.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller, Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner am 24. Oktober 1996 beim Bundesverwaltungsgericht erhobenen Klage (BVerwG 11 A 59.96) gegen den Planfeststellungsbeschluß des Eisenbahn-Bundesamtes vom 30. Juli 1996 für die Neu- und Ausbauabschnitte 2.3 und 2.4 der Eisenbahnstrecke Erfurt – Leipzig/Halle (Saale). Der Planfeststellungsbeschluß wurde dem Antragsteller am 27. September 1996 zugestellt.

Beide Ausbauabschnitte liegen in Sachsen-Anhalt. Der Abschnitt 2.3 beginnt am Westportal des Osterbergtunnels bei Bau-km 57,804 und endet vor dem westlichen Ende der Stöbnitz-Talbrücke bei Bau-km 66,777. Der Abschnitt 2.4 schließt sich daran an und endet westlich vor der Aufständerung Saale-Elster-Aue bei Bau-km 80,474.

Mit Schreiben vom 21. Juni 1995 erhob der Antragsteller Einwendungen gegen die Planung und rügte dabei unter anderem eine ungenügende Berücksichtigung der Belange seines landwirtschaftlichen Betriebes. Im Planfeststellungsbeschluß wies die Antragsgegnerin diese Einwendungen zurück und führte zur Begründung aus, durch einen Flächenentzug von 6,5 %, wie er dem Antragsteller drohe, werde ein wirtschaftlich gesunder Betrieb nicht in seiner Existenz gefährdet. Werde dennoch eine Existenzbeeinträchtigung unterstellt, verdiene das öffentliche Interesse an dem Bau einer Eisenbahnhochleistungsstrecke in der Abwägung den Vorzug.

Mit Bescheid vom 2. April 1996 gab das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Sachsen-Anhalt der Planfeststellungsbehörde gestützt auf § 7 Abs. 1 Raumordnungsgesetz in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 3 des Vorschaltgesetzes für Raumordnung und Landesentwicklung des Landes Sachsen-Anhalt auf, vorerst für längstens ein Jahr die vom Vorhabenträger favorisierte Trassenvariante 1 in den Planfeststellungsabschnitten 2.3 und 2.4 nicht weiter zu verfolgen. Der angefochtene Beschluß führt dazu auf S. 127 aus, daß dieser Umstand die Feststellung des Planes nicht hindere. Zum einen sei der vorläufige Sicherungszweck entfallen, zum anderen seien die vorgesehenen landesplanerischen und raumordnerischen Entwicklungen berücksichtigt.

Zur Begründung seines Antrags macht der Antragsteller die existentielle Gefährdung seines landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebs durch den Planfeststellungsbeschluß geltend. Diese Rechtsbeeinträchtigung sei die Folge eines erheblichen Abwägungsfehlers im Planfeststellungsbeschluß. Denn diese unterstelle die Existenzgefährdung seines Betriebs, ohne zu klären, ob im nachfolgenden Entschädigungsverfahren betriebserhaltendes Ersatzland tatsächlich bereitgestellt werden könne. Sei nämlich mit keinem Ausgleich in landwirtschaftlicher Nutzfläche zu rechnen, hätte in die Abwägung nicht nur die Existenzgefährdung, sondern deren Vernichtung eingestellt werden müssen. Das öffentliche Interesse am Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke hätte ferner nicht höher bewertet werden dürfen als sein Interesse an der Weiterführung seines Betriebes, da es nicht nur um die Verwirklichung der Eisenbahnplanung oder deren Unterlassung, sondern um die Auswahl zweier möglicher Alternativtrassen gehe.

Der Planfeststellungsbeschluß verletzte ferner objektives Recht, und zwar vor allem deshalb, weil die Planfeststellungsbehörde die ihr gegenüber verfügte Untersagung des Landesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung unzulässigerweise übergangen habe. Der Rechtsstandpunkt der Planfeststellungsbehörde, sie sei an die Untersagung nicht gebunden, sei unrichtig; denn der Planfeststellungsbehörde komme wegen § 5 Abs. 4 Raumordnungsgesetz kein Gestaltungsspielraum zu. Die Planfeststellungsbehörde übersehe ferner, daß sie gegen die Untersagung keinen Widerspruch eingelegt habe, so daß diese Verfügung ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit wirksam sei.

Die Antragsgegnerin hält den Anordnungsantrag für unbegründet und beantragt seine Ablehnung. Sie ist der Auffassung, der Planfeststellungsbeschluß verletze weder Rechte des Antragstellers noch sonstiges Recht. Der Eingriff in die landwirtschaftlichen Nutzflächen des Antragstellers führe zu keiner Existenzgefährdung. Auch bei deren Unterstellung müsse dem öffentlichen Interesse mehr Gewicht beigemessen werden als dem Interesse des Antragstellers an der Weiterführung seines Betriebs. Der Planfeststellungsbeschluß verstoße auch nicht gegen § 5 Abs. 4 Raumordnungsgesetz, da das Bundesministerium für Verkehr rechtzeitig Widerspruch gegen das Entwicklungsprogramm für den Regierungsbezirk Halle eingelegt habe und § 5 Abs. 4 Raumordnungsgesetz daher kein Beachtungs-, sondern nur ein Berücksichtigungsgebot entwickle. Ferner sei im Regionalentwicklungsprogramm nicht dargestellt, daß und warum in seinem Kartenteil eine von der Linienbestimmung des Bundesministeriums für Verkehr abweichende Linienführung ausgewiesen werde. Schließlich trage der Planfeststellungsbeschluß den raumordnerischen Belangen der betroffenen Gemeinden im Rahmen der Variantenabwägung ausreichend Rechnung.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls, den Anordnungsantrag abzulehnen.

Im übrigen wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen. Dem Gericht haben ferner vorgelegen eine Ausfertigung des Planfeststellungsbeschlusses vom 30. Juli 1996, die Planfeststellungsunterlagen sowie die Verwaltungsvorgänge für die Planfeststellungsabschnitte 2.3 und 2.4.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 5 Abs. 2 Satz 1 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz und § 20 Abs. 5 Satz 1 AEG geregelten Ausschlusses des Suspensiveffekts der Anfechtungsklage ist, muß hinter dem Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Klage zurücktreten. Denn bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, daß die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Antragstellers offen sind. Läßt sich aber derzeit nicht feststellen, daß der angefochtene Planfeststellungsbeschluß mit der darin vorgesehenen, vom Antragsteller bekämpften Trassenführung aller Voraussicht nach Bestand haben wird, so überwiegt hier das Interesse des Antragstellers daran, daß mit der ihn belastenden Verwirklichung des planfestgestellten Vorhabens noch nicht begonnen wird.

Keiner näheren Erläuterung bedarf, ob der Antragsteller zu Recht einen erheblichen Abwägungsmangel rügt. Jedenfalls sind die von ihm gegen die Trassenwahl geltend gemachten raumordnungsrechtlichen Bedenken, auf die er sich als ein von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses betroffener Anlieger berufen kann (BVerwGE 77, 86 ≪91≫; 78, 347 ≪355≫), nicht von der Hand zu weisen:

Es mag dahingestellt bleiben, ob die in der zeichnerischen Darstellung des Regionalentwicklungsprogramms Halle vom 30. Januar 1996 (MBl Sachsen-Anhalt 1996, S. 557) vorgesehene, den Antragsteller schonende Trassenführung als verbindliches Ziel im Sinne des § 5 Abs. 4 ROG aufzufassen ist und wie sich diese Darstellung mit der davon abweichenden zeichnerischen Darstellung des Landesentwicklungsprogramms (GVBl Sachsen-Anhalt 1992, S. 390 und 574) vereinbaren läßt (vgl. dazu § 5 des Vorschaltgesetzes für Raumordnung und Landesentwicklung des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. Juni 1992, GVBl S. 390 – VorschaltG –). Jedenfalls widerspricht die Trassenwahl des Planfeststellungsbeschlusses der Untersagungsverfügung des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. April 1996. Diese Untersagungsverfügung stützt sich auf § 7 Abs. 1 ROG und § 19 Abs. 1 Satz 3 VorschaltG und verweist zur Begründung auf das damals noch im Abstimmungsverfahren befindliche regionale Entwicklungsprogramm Halle sowie auf das damals im Aufstellungsverfahren befindliche Teilentwicklungsprogramm für das Geiseltal. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 ROG kann die für die Raumordnung zuständige Landesbehörde raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen, die Behörden oder sonstige Stellen im Sinne des § 4 Abs. 5 ROG beabsichtigen, für eine bestimmte Zeit untersagen, wenn zu befürchten ist, daß die Durchführung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird. Solche Planungen und Maßnahmen können nach § 19 Abs. 1 Satz 3 VorschaltG auch dann untersagt werden, wenn zu befürchten ist, daß dadurch die Einhaltung geltender Raumordnungsprogramme unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird. Die Untersagung ist nach § 19 Abs. 2 VorschaltG für längstens zwei Jahre auszusprechen und ganz oder teilweise aufzuheben, soweit ihre Voraussetzungen weggefallen sind.

Im angefochtenen Planfeststellungsbeschluß (S. 127) wird zu der Untersagungsverfügung bemerkt, der vorläufige Sicherungszweck, dem sie diene, sei mit der Verabschiedung und Veröffentlichung des regionalen Entwicklungsprogramms Halle im April 1996 entfallen; außerdem habe die Planfeststellungsbehörde die im Regionalentwicklungsprogramm und im Teilentwicklungsprogramm Geiseltal vorgesehenen landesplanerischen und raumordnerischen Entwicklungen bei ihrer Variantenentscheidung berücksichtigt. Diese Erwägungen dürften jedoch ungeeignet sein, die Nichtbeachtung der Untersagungsverfügung zu rechtfertigen. Die Veröffentlichung des Regionalentwicklungsprogramms führt nach § 19 Abs. 2 VorschaltG nicht ohne weiteres dazu, daß die Untersagungsverfügung außer Kraft tritt. Zudem ist zu berücksichtigen, daß das Teilentwicklungsprogramm Geiseltal im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses noch nicht rechtsverbindlich war und daß nach § 19 Abs. 1 Satz 3 VorschaltG eine Untersagungsverfügung auch der Sicherung der Einhaltung bereits geltender Raumordnungsprogramme dienen kann. Ob das planfestgestellte Vorhaben, wie die Behörde meint, mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung vereinbar und die Untersagungsverfügung aus diesem oder einem anderen Grund (vgl. etwa § 7 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 6 ROG) rechtswidrig ist, kann hier dahingestellt bleiben. Selbst wenn dies der Fall wäre, hätte die Planfeststellungsbehörde die – allem Anschein nach nicht nichtige (vgl. § 44 VwVfG) – Untersagungsverfügung, die kraft Gesetzes (§ 7 Abs. 2 ROG) sofort vollziehbar war, bei Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses am 30. Juli 1996 beachten müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 und § 159 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG (½ Jahresgewinn, vgl. Bl. 72 der Gerichtsakte).

 

Unterschriften

Dr. Diefenbach, Dr. Kugele, Kipp

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1474698

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