Entscheidungsstichwort (Thema)
Demokratieprinzip. polizeilicher Einsatzbefehl für Großveranstaltungen. Divergenzrüge in personalvertretungsrechtlichen Streitigkeiten bei Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung
Leitsatz (amtlich)
1. Das demokratische Prinzip verlangt nicht, daß der polizeiliche Vorbefehl bzw. Einsatzbefehl für Großveranstaltungen (hier Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier) von vornherein mitbestimmungsfrei bleibt.
2. Eine Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts und die Entscheidung, auf die die Abweichungsrüge gestützt wird, zu derselben Rechtsvorschrift ergangen sind; dies gilt auch für eine personalvertretungsrechtliche Streitigkeit, wenn nach dem betreffenden Landespersonalvertretungsgesetz die Verwaltungsgerichtsordnung anzuwenden ist.
Normenkette
RhPPersVG § 94 Abs. 3; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. September 1998 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Der vorliegenden Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
a) Soweit es um die Anwendung und Auslegung des § 94 Abs. 3 RhPPersVG als solche – d.h. unabhängig von einer etwaigen Vorprägung durch bundesrechtliche Vorschriften – geht, kann darauf die Grundsatzrüge deswegen nicht gestützt werden, weil es sich um irrevisibles Landesrecht handelt. Das Personalvertretungsgesetz Rheinland-Pfalz enthält im Gegensatz zu den anderen Landespersonalvertretungsgesetzen keine Regelung, in der Streitigkeiten nach diesem Gesetz für revisibel erklärt werden; dies hat zur Folge, daß für das Verfahren im dritten Rechtszug, also vor dem Bundesverwaltungsgericht, § 137 Abs. 1 VwGO ohne Einschränkung gilt (Beschluß vom 15. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 63.95 – Buchholz 251.8 § 122 RhPPersVG Nr. 1; Urteil vom 9. Oktober 1996 – BVerwG 6 C 11.94 – a.a.O. Nr. 2; Beschluß vom 24. März 1997 – BVerwG 6 B 92.96 – a.a.O. § 22 RhPPersVG Nr. 2).
b) Die Auslegung des § 94 Abs. 3 RhPPersVG durch das Berufungsgericht wirft auch nicht mit Blick auf die rahmenrechtliche Vorschrift des § 104 Satz 3 BPersVG Fragen zum revisiblen Recht auf, die im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortentwicklung der Klärung bedürften. Nach der vorbezeichneten Bestimmung dürfen Entscheidungen, die wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwesen wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt sind, nicht den Stellen entzogen werden, die der Volksvertretung verantwortlich sind. Nach der im Bundespersonalvertretungsgesetz deutlich gewordenen Konzeption des Bundesgesetzgebers ist jenen Anforderungen genügt, wenn der obersten Dienstbehörde das Letztentscheidungsrecht vorbehalten ist. Eine solche Regelung hat der Bundesgesetzgeber für den „eigenen” Verantwortungsbereich, nämlich bei der Normierung des Rechts der Personalvertretungen im Bundesdienst, in § 69 Abs. 4 Sätze 3 und 4 BPersVG gerade in bezug auf jene Angelegenheiten (Personalangelegenheiten der Beamten und wichtige arbeitsorganisatorische Angelegenheiten) getroffen, die in § 104 Satz 3 BPersVG beispielhaft aufgeführt sind. Weiter geht auch das vom Berufungsgericht festgestellte Mitbestimmungsrecht bei den streitigen polizeilichen Großeinsätzen nicht. Denn wie im angefochtenen Urteil unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz ausgeführt wird, ist hier § 74 Abs. 3 Satz 1 RhPPersVG vom 5. Juli 1977 anzuwenden mit der Folge, daß das Mitbestimmungsverfahren durch eine Empfehlung der Einigungsstelle abgeschlossen wird und die Letztentscheidung damit bei der politisch verantwortlichen Stelle bleibt (S. 12 des Urteilsabdrucks). Das im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangende Landespersonalvertretungsrecht überschreitet somit keineswegs die Grenzen, die das Bundespersonalvertretungsgesetz für die Mitbestimmung der Personalräte in Bund und Ländern gezogen hat.
c) Neue Fragen von grundsätzlicher Bedeutung wirft die vorliegende Sache weiter nicht mit Blick auf die Konkretisierung des Demokratieprinzips auf, die für den Bereich des Personalvertretungsrechts durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 – (BVerfGE 93, 37) erfolgt ist.
Wie das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen klargestellt hat, will es den stattgebenden Beschlußtenor dahin verstanden wissen, daß es das Mitbestimmungsrecht des Personalrates in Fällen wie dem vorliegenden nicht schon von vornherein als durch § 94 Abs. 3 RhPPersVG ausgeschlossen betrachtet (S. 9 des Beschlußabdrucks). Dabei ist das Berufungsgericht ersichtlich davon ausgegangen, daß sich unter den mit der Bezeichnung „Vorbefehl” bzw. „Einsatzbefehl” zusammengefaßten polizeilichen Maßnahmen solche finden, die von Mitbestimmungstatbeständen erfaßt werden, welche mit Blick auf die vorbezeichnete, auch im angefochtenen Beschluß zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich unbedenklich sind (vgl. S. 12 des Beschlußabdrucks). Diese Annahme des Berufungsgerichts trifft offensichtlich zu, so daß für eine Klärung im Revisionsverfahren kein Raum ist.
Aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ist ersichtlich, daß von den fraglichen Vorbefehlen bzw. Einsatzbefehlen auch solche Einzelmaßnahmen erfaßt werden, die nach der Typeneinteilung der personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmungstatbestände zu den – im weiteren Sinne – sozialen Angelegenheiten zählen (vgl. etwa § 80 Abs. 1 Nr. 5, 6, 13, 14 RhPPersVG bzw. § 75 Abs. 3 Nr. 1, 3, 15 BPersVG). Jedenfalls bei solchen Angelegenheiten, die in ihrem Schwerpunkt die Beschäftigten in ihrem Beschäftigungsverhältnis betreffen, typischerweise aber nicht oder nur unerheblich die Wahrnehmung von Amtsaufgaben gegenüber dem Bürger berühren, gestattet das Demokratieprinzip eine weitgehende Mitbestimmung der Beschäftigten; soweit im Einzelfall Entscheidungen wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwohl wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt sind, genügt das Letztentscheidungsrecht des parlamentarisch verantwortlichen Amtsträgers (BVerfG, a.a.O. S. 71). Letzteres ist hier ohnehin gewahrt, wie bereits erwähnt wurde.
Aber auch wenn es um innerdienstliche Maßnahmen geht, die schwerpunktmäßig die Erledigung von Amtsaufgaben betreffen und dabei unvermeidlich die Interessen der Beschäftigten berühren, ist dem demokratischen Prinzip Genüge getan, wenn das Personalvertretungsrecht wie hier das Letztentscheidungsrecht der parlamentarisch verantwortlichen Regierung vorsieht, die Entscheidung der Einigungsstelle somit nur den Charakter einer Empfehlung an die zuständige Dienstbehörde hat (BVerfG, a.a.O. S. 72 f.). Darüber hinaus verlangt das demokratische Prinzip freilich Sicherungen für die zeitgerechte Herstellung der Bedingungen einer ordnungsgemäßen Erfüllung der Amtsaufgaben (BVerfG, a.a.O. S. 74). Dem ist jedoch im vorliegenden Zusammenhang einfachgesetzlich bereits durch Regelungen wie § 94 Abs. 3 RhPPersVG bzw. § 85 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a BPersVG sowie die dazu ergangene Rechtsprechung des Senats und auch des Berufungsgerichts Rechnung getragen, nach welcher die zeitlichen Aspekte polizeilicher Aufgabenerfüllung für die Auslegung des personalvertretungsrechtlichen Einsatzbegriffs maßgeblich sind. Dagegen verbietet es das demokratische Prinzip nicht, die im Rahmen eines polizeilichen Großeinsatzes der hier in Rede stehenden Art durchzuführenden Einzelmaßnahmen personalvertretungsrechtlich nach Art und zeitlicher Dringlichkeit unterschiedlich zu behandeln. Auch verlangt es nicht, von der Mitbestimmungspflichtigkeit ganz abzusehen, weil in solchen Fällen damit zu rechnen ist, daß eingeleitete Mitbestimmungsverfahren unter Umständen aus Gründen zeitgerechter polizeilicher Aufgabenerfüllung abgebrochen werden müssen. Anhaltspunkte dafür, daß bei polizeilichen Einsätzen der hier in Rede stehenden Art eine Mitbestimmung des Personalrates von vornherein ausgeschlossen sein soll, enthält der zitierte Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nicht. Daß die mit dem Einsatz verfolgte polizeiliche Amtsaufgabe durch die Mitbestimmung keineswegs gefährdet sein darf, hat das Berufungsgericht bereits im Wege der einfachen Gesetzesauslegung des § 94 Abs. 3 RhPPersVG gefolgert.
2. Die Abweichungsrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO greift ebenfalls nicht durch. Sie kann nicht mit Erfolg auf den Senatsbeschluß vom 20. Dezember 1988 – BVerwG 6 P 16.85 – (BVerwGE 81, 122) gestützt werden.
Von einer Abweichung im Sinne der vorbezeichneten Vorschrift ist nur auszugehen, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist (stRspr, siehe etwa Beschluß vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9). In jedem Falle erfolglos bleibt die Divergenzrüge, wenn die abweichende Entscheidung eine Vorschrift des nichtrevisiblen Rechts betrifft, und zwar auch dann, wenn dieses mit dem revisiblen Recht inhaltsgleich sein sollte (Beschluß vom 16. Februar 1976 – BVerwG 7 B 18.76 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 143). So liegt es hier. Das angefochtene Urteil ist zu § 94 Abs. 3 RhPPersVG ergangen, welches – wie ausgeführt – zum irrevisiblen Landesrecht zählt. Auf den zitierten Senatsbeschluß vom 20. Dezember 1988 kann die Abweichungsrüge daher selbst dann nicht gestützt werden, wenn die dort behandelte Vorschrift des § 85 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a BPersVG mit § 94 Abs. 3 RhPPersVG inhaltsgleich sein sollte.
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht daraus, daß im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde nach § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2, § 92 a Satz 1 ArbGG nach ständiger Senatsrechtsprechung wörtlich übereinstimmende Vorschriften des Bundes- und des Landesrechts für eine Divergenz grundsätzlich in Betracht kommen (Beschluß vom 18. April 1995 – BVerwG 6 PB 1.95 – mit weiteren Nachweisen; Beschluß vom 14. Januar 1999 – BVerwG 6 PB 10.98 –). Es handelt sich hierbei nämlich um Verfahren, in denen das Bundespersonalvertretungsgesetz (§ 83 Abs. 2) oder das jeweilige Landespersonalvertretungsgesetz – anders als hier dasjenige des Landes Rheinland-Pfalz – die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlußverfahren für entsprechend anwendbar erklärt. Insofern handelt es sich um ein anderes Regelwerk als dasjenige, welches für das Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision nach der Verwaltungsgerichtsordnung gilt. Namentlich geht der Prüfungsmaßstab in § 93 Abs. 1 ArbGG, als welcher grundsätzlich jede Rechtsnorm in Betracht zu ziehen ist, über den Umfang des revisiblen Rechts nach § 137 Abs. 1 VwGO hinaus.
Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß er in den Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Auslegung des Begriffs „Einsatz” in § 94 Abs. 3 RhPPersVG keinen ins Gewicht fallenden sachlichen Unterschied zum zitierten Senatsurteil vom 20. Dezember 1988 zu erkennen vermag. Vielmehr hat sich das Berufungsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe ausdrücklich an jener Senatsentscheidung orientiert. Wenn es dabei auf die Wahrung der Funktionsfähigkeit der Polizei abgestellt und unter „Einsatz” nur über die Regelung des täglich wiederkehrenden Dienstes hinausgehende, nicht vorhersehbare Lagen bzw. konkret eilbedürftige, so nicht planbare Maßnahmen verstanden hat, so handelt es sich um Gesichtspunkte, die wörtlich oder sinngemäß auch im zitierten Senatsurteil als entscheidungserheblich für die Auslegung des entsprechenden § 85 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a BPersVG anerkannt worden sind. Dies hat der Senat im übrigen bereits im Beschluß vom 29. Juni 1992 – BVerwG 6 PB 5.92 – (Buchholz 251.8 § 88 RhPersVG Nr. 1) bestätigt, mit welchem er die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluß des Berufungsgerichts zurückgewiesen hat, in welchem dieses bereits seine Rechtsauffassung zum personalvertretungsrechtlichen Begriff des polizeilichen Einsatzes im Falle der „Hexennacht” begründet hatte.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Henkel, Eckertz-Höfer, Büge
Fundstellen
NVwZ-RR 1999, 374 |
PersR 1999, 305 |
DVBl. 1999, 930 |