Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 04.10.2012; Aktenzeichen 9 S 859/11) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die staatliche Anerkennung eines von ihr geführten Berufskollegs für Grafikdesign als Ersatzschule (§ 10 Abs. 1 PSchG BW). Das Verwaltungsgericht hat ihre hierauf gerichtete Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 17. März 2011 die Berufung zugelassen. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Empfangsbekenntnis am 24. März 2011 zugestellt worden. Mit am 4. Mai 2011 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie habe die Berufungsbegründungsfrist unverschuldet versäumt. Im Büro ihres Prozessbevollmächtigten sei für die Notierung und Berechnung von Fristen ein zuverlässiges System hintereinander geschalteter Kontrollen eingerichtet worden; Fristberechnung und Notierung würden bei Posteingang auf einer ersten Stufe durch Auszubildende erfolgen; auf weiteren Stufen würden hinsichtlich der eingehenden Post Kontrollen durch verschiedene Rechtsanwaltsfachangestellte stattfinden; der Prozessbevollmächtigte kontrolliere persönlich im Vorfeld eigener Abwesenheiten stichprobenartig die Ordnungsgemäßheit von Fristenerfassung und -kontrolle. Im vorliegenden Fall sei bei Eingang des Beschlusses über die Berufungszulassung im Büro des Prozessbevollmächtigten die Erfassung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender durch einmalige Fehler mehrerer ansonsten zuverlässig arbeitender Mitarbeiterinnen unterblieben.
Rz. 2
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung als unzulässig verworfen. Sie sei nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründet worden; die Begründungsfrist habe mit Ablauf des 26. April 2011 geendet. Der Klägerin werde keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Sie sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, die Frist einzuhalten. Ihr sei insoweit das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nach § 173 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Dieser wäre verpflichtet gewesen, die Frist selbst zu berechnen; es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass es sich bei verwaltungsgerichtlichen Berufungsverfahren um eine Routineangelegenheit seiner Kanzlei gehandelt habe, bei der er die Fristberechnung Mitarbeitern hätte überlassen dürfen. Unabhängig hiervon liege ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten darin, dass das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und zurückgesandt worden sei, ohne dass in der Handakte die Berufungsbegründungsfrist und der Eintrag dieser Frist in den Fristenkalender vermerkt gewesen seien.
Rz. 3
Mit ihrer vorliegenden Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 4
Die auf den Revisionsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 5
1. Die Klägerin macht rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) in Bezug auf die vorinstanzlich ausgesprochene Annahme geltend, ein schuldhaftes Verhalten ihres Prozessbevollmächtigten liege unter anderem deshalb vor, weil die Unterzeichnung und Zurücksendung des Empfangsbekenntnisses erfolgt seien, obwohl die Berufungsbegründungsfrist in den Handakten nicht festgehalten und dort nicht vermerkt worden sei, dass diese Frist im Fristenkalender notiert sei (S. 9 f. Beschwerdebegründung).
Rz. 6
Die Beschwerde zeigt hiermit keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Dass ein Empfangsbekenntnis über fristauslösende gerichtliche Entscheidungen wie den Beschluss über die Berufungszulassung im Sinne von § 124a Abs. 5 Satz 1 VwGO grundsätzlich – zur Vermeidung eines Vorwurfs der Sorgfaltswidrigkeit – erst unterzeichnet und zurückgesandt werden darf, wenn in den Handakten des Prozessbevollmächtigten die Frist festgehalten und dort vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist, ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt (vgl. Beschlüsse vom 23. Juni 2011 – BVerwG 1 B 7.11 – juris Rn. 5 f., vom 29. Dezember 2003 – BVerwG 5 B 218.02 – juris Rn. 3 und vom 3. Dezember 2002 – BVerwG 1 B 429.02 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 24 S. 27; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2010 – VI ZB 64.09 – FamRZ 2010, 550, vom 30. März 2006 – III ZR 6/05 – FamRZ 2006, 856 ≪857≫, vom 14. Juni 2004 – II ZB 9/03 – FamRZ 2004, 1551 ≪1552≫ und vom 5. November 2002 – VI ZR 399/01 – NJW 2003, 435 ≪436≫; vgl. auch BAG, Urteil vom 10. Januar 2003 – 1 AZR 70/02 – AP Nr. 80 zu § 233 ZPO 1977 Bl. 1321). Es ist nicht zu erkennen, inwiefern Bedarf für eine Änderung bzw. Fortentwicklung dieser Rechtsprechung bestehen würde. Der Auffassung der Klägerin, sie sei nicht mit dem anerkannten Grundsatz zu vereinbaren, wonach Fristenerfassung und -verwaltung zuverlässigem Büropersonal überlassen werden und sich der Rechtsanwalt auf stichprobenartige Kontrollen beschränken dürfe, vermag der beschließende Senat nicht zu folgen. Die Zulässigkeit der Einbindung von Hilfspersonen in Aufgaben der Fristenerfassung und -verwaltung steht nicht in Widerspruch zu der den dargelegten höchstrichterlichen Maßgaben zugrundeliegenden Wertung, bei der Erfassung und Verwaltung von Rechtsmittel- bzw. Rechtsmittelbegründungsfristen sei zusätzlich ein bestimmtes Maß an persönlicher Aufmerksamkeit auf Seiten des Rechtsanwalts geboten. Mit diesen Maßgaben werden keine überzogenen Anforderungen an die rechtsanwaltliche Prozessführung gestellt.
Rz. 7
Auch die in der Grundsatzrüge sinngemäß enthaltene Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) versagt habe, greift bei Zugrundelegung der genannten Rechtsprechung nicht durch. Nach den von der Klägerin nicht angegriffenen Feststellungen im angefochtenen Beschluss war in der Handakte des Prozessbevollmächtigten weder die Berufungsbegründungsfrist festgehalten noch vermerkt worden, dass diese Frist im Fristenkalender notiert wurde. Das – im vorliegenden Fall tatsächliche eingetretene – Risiko, dass innerhalb der Kanzlei versehentlich die Fristnotierung gänzlich unterbleibt und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird, hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin abwenden können, wenn er vor Rückgabe des Empfangsbekenntnisses in den internen Geschäftsbetrieb der Kanzlei die entsprechenden Eintragungen in die Handakte sowie in den Fristenkalender selbst vorgenommen oder zumindest durch besondere Einzelweisungen gegenüber dem Büropersonal die Vornahme solcher Eintragungen angeordnet hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 30. November 1994 – XII ZB 197/94 – juris Rn. 9). Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags (Bl. 27 ff. GA) geht nicht hervor, dass der Prozessbevollmächtigte eine solche Weisung erteilt hätte. Die Frage, ob sie entbehrlich gewesen wäre, wenn die Nachholung der erforderlichen Eintragungen nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch ausreichende büroorganisatorische Vorkehrungen sichergestellt worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – I ZR 45/04 – juris Rn. 12), kann dahingestellt bleiben. Denn die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags legt die Existenz entsprechender Vorkehrungen nicht dar, sondern zeigt lediglich Sicherungsmechanismen auf, die im Stadium des Posteingangs greifen. Da die Darlegungen der Klägerin im Wiedereinsetzungsantrag nicht erkennbar unklar oder ergänzungsbedürftig sind, besteht in diesem Punkt kein Anlass für Rückfragen an die Klägerin (vgl. Urteil vom 22. März 2012 – BVerwG 3 C 21.11 – juris Rn. 25).
Rz. 8
2. Die beiden weiteren von der Klägerin erhobenen Grundsatzrügen (Beschwerdebegründung S. 6, S. 10) bedürfen keiner Prüfung, da die Annahme, wonach der Prozessbevollmächtigte bereits im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses über den Beschluss vom 17. März 2011 nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet habe, die vorinstanzliche Entscheidung selbständig trägt und gegen diese Annahme nach dem Vorgesagten (Ziff. 1) ein durchgreifender Revisionsgrund nicht angebracht ist.
Rz. 9
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Neumann, Büge, Prof. Dr. Hecker
Fundstellen