Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 17.12.2008; Aktenzeichen 6 K 27/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 17. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 451,68 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
Rz. 2
1. Die Revision ist nicht wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn sich das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat (stRspr; vgl. z.B. Beschluss vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
Rz. 3
Die Beschwerde trägt vor, das Verwaltungsgericht sei von dem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2006 – BVerwG 3 C 39.05 – (BVerwGE 127, 56) aufgestellten Rechtssatz abgewichen, dass
“der Wahrnehmung herausgehobener Funktionen in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, zumal wenn sie über einen längeren Zeitraum und im Sinne der Partei beanstandungsfrei ausgeübt worden sind, regelmäßig eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG” zukomme, so dass “etwa bei einem Gauleiter oder einem führenden Funktionär auf Reichsebene in der Regel der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt sein” werde, dass aber “ehrenamtlich ausgeübte Parteiämter … auf der Kreisebene der NSDAP … nicht die für eine solche Indizwirkung erforderliche Bedeutung” hätten.
Rz. 4
Ob dieses Vorbringen den an die Darlegung einer Abweichung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) zu stellenden Anforderungen genügt oder damit lediglich im Gewande der Divergenzrüge die einzelfallbezogene Anwendung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG angegriffen wird, kann dahingestellt bleiben. Denn im Hinblick auf die von der Beschwerde angegriffenen Ausführungen zur Indizwirkung von Parteiämtern besteht schon deswegen keine Abweichung, weil sich die von der Beschwerde aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts herangezogene, vermeintlich abweichende Begründung,
“dass bereits die ‘engagierte Erfüllung von Parteiämtern und -funktionen’ den Tatbestand des erheblichen Vorschubleistens im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt, auch wenn die ehrenamtliche Parteifunktion auf Ortsgruppenebene angesiedelt ist”,
nicht zu der Frage eines allein durch eine formale Stellung indizierten erheblichen Vorschubleistens verhält. Auch sonst weicht das Verwaltungsgericht im rechtlichen Ansatz nicht von der herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Anders als es die Beschwerdebegründung (S. 5) darstellt, hat das Verwaltungsgericht in der von ihr verkürzt in Bezug genommenen Passage des Urteils (UA S. 8) ausgeführt:
“Der Umstand aber, dass ein ‘konkretes’ Tun oder Unterlassen des im Rahmen von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zu Beurteilenden in den Archivunterlagen nicht belegt ist, hindert entgegen der Ansicht des Klägers nicht den Schluss, dass in der durch Archivunterlagen belegten engagierten Erfüllung von Parteiämtern und -funktionen ein erhebliches Vorschubleisten der Ziele der NSDAP zu sehen ist.”
Rz. 5
Diesen Satz hat das Verwaltungsgericht sodann – in sachlicher Übereinstimmung mit der von ihm auch ausdrücklich herangezogenen genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – dahin erläutert, dass
“auf der Ebene der NSDAP-Ortsgruppenleitung zwar das alleinige Innehaben einer Funktion nicht die genannte Indizwirkung entfalten”
könne. Daran hat es – weiter erläuternd – den Satz angeschlossen:
“Beim Hinzutreten einer nachweisbar aktiven Ausübung des Parteiamts steht die hier in Rede stehende Ebene der Parteihierarchie der Annahme eines erheblichen Vorschubleistens indes nicht im Wege”.
Rz. 6
Der Sache nach rügt die Beschwerde allenfalls eine fehlerhafte Anwendung der von dem Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze im Einzelfall. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass dann, wenn die Innehabung von Parteiämtern auf Kreisebene (wie des Vorsitzenden des NSDAP-Kreisgerichts) oder von Ämtern auf kommunaler Ebene (als Stadtrat bzw. Stadtverordneter) weder eine Indizwirkung rechtfertige noch dazu ausreiche, allein von der Innehabung eines dieser Ämter auf die Unwürdigkeit im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zu schließen, es für die Frage, ob der Betreffende durch die Ausübung eines solchen Amtes dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet habe, entscheidend sei, “wie” der Betreffende dieses Amt ausgeübt habe (Urteil vom 19. Oktober 2006, a.a.O. Rn. 34). Hierauf stellt auch das Verwaltungsgericht ab, wenn es die “nachweisbar aktive Ausübung” des in Rede stehenden Parteiamtes betont und dazu im Einzelnen Feststellungen trifft; diese sind nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen worden und geeignet, den vom Verwaltungsgericht zutreffend zu Grunde gelegten Begriff des erheblichen Vorschubleistens auszufüllen. Ob die fallbezogene Bewertung der aus den ermittelten Unterlagen gewonnenen Erkenntnisse auch im Ergebnis zutrifft, ist als Frage der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall im Rahmen der Divergenzrüge nicht zu prüfen.
Rz. 7
Soweit die Beschwerde im Zusammenhang mit ihrer Divergenzrüge weitere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zitiert, hat sie eine Abweichung durch das verwaltungsgerichtliche Urteil schon insofern nicht bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), als sie insoweit keine abstrakten Rechtssätze nennt und gegenüberstellt, sondern nur das Ergebnis der Entscheidungen in kurzer Form wiedergibt.
Rz. 8
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Ein solcher ist nicht hinreichend dargelegt und liegt auch in der Sache nicht vor.
Rz. 9
Mit der Rüge, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verstoßen, weil es eine “Überraschungsentscheidung” getroffen habe, dringt die Beschwerde nicht durch. Als unzulässiges “Überraschungsurteil” stellt sich eine Entscheidung nur dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 – BVerwG 8 C 106.89 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235 und Beschluss vom 23. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 80.91 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241; s.a. Beschluss vom 4. August 2008 – BVerwG 1 B 3.08 –). So lag es hier nicht.
Rz. 10
Zwar hat das Verwaltungsgericht mit Schreiben des Berichterstatters vom 18. September 2008 dem Beklagten aufgegeben, binnen drei Wochen mitzuteilen, ob er den vom Kläger angefochtenen Bescheid
“auch im Lichte der seit 2005 ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum erheblichen Vorschubleisten i.S.v. § 1 Abs. 4 AusglLeistG”
aufrecht erhält. An der damit zum Ausdruck gebrachten vorläufigen Rechtsauffassung zu den Erfolgsaussichten der Klage hat es jedoch nicht festgehalten, sondern den Kläger – was nicht nur aus der Sitzungsniederschrift hervorgeht, sondern auch von der Beschwerde ausdrücklich zugestanden wird – in der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2008 darauf hingewiesen, dass es an dieser Bewertung nicht mehr festhalte, sondern nunmehr von mangelnden Erfolgsaussichten der Klage ausgehe. Aufgrund dieser Klarstellung kann keine Rede davon sein, dass der Kläger von dem im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündeten Urteil überrascht wurde.
Rz. 11
Ein Gehörsverstoß lag entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht darin, dass das Gericht den Kläger nicht bereits vor der mündlichen Verhandlung auf eine etwaige Änderung seiner Bewertung der Sach- und Rechtslage schriftlich hingewiesen hat, um ihm wiederum Gelegenheit zu geben, hierzu schriftlich Stellung zu nehmen. Eine derartige Verpflichtung kann hier aus dem Grundsatz rechtlichen Gehörs nicht abgeleitet werden. Jedenfalls durch den Hinweis auf die Änderung seiner (vorläufigen) Auffassung zu den Erfolgsaussichten der Klage im Rahmen der ausführlichen Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht diesem Grundsatz Rechnung getragen. Wird ein Beteiligter in der Verhandlung erstmals mit einer Rechtsauffassung konfrontiert, zu der er nicht aus dem Stand sachgerecht Stellung zu nehmen vermag, so eröffnet ihm das Prozessrecht verschiedene Möglichkeiten, um seine Belange zur Geltung zu bringen und zu verhindern, dass seine Rechtsverfolgung beeinträchtigt wird (s. Beschluss vom 29. Februar 2000 – BVerwG 4 B 13.00 –, Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 29). Der anwaltlich vertretene Kläger hat weder dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass er im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu der geänderten Ansicht des Verwaltungsgerichts zu äußern, noch hat er dargetan, dass er ohne Erfolg von den ihm zur Wahrung seiner Interessen eröffneten prozessualen Möglichkeiten (z.B. eines Antrags auf Vertagung der Verhandlung), Gebrauch gemacht habe. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat auch der Kläger persönlich erklärt, trotz des gerichtlichen Hinweises über die voraussichtlich mangelnde Erfolgsaussicht der Klage das Verfahren streitig fortführen zu wollen.
Rz. 12
Unabhängig davon fehlt es schließlich auch deshalb an einer hinreichenden Darlegung der Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil die Beschwerde nicht substantiiert vorbringt, mit welchem weiteren Vortrag der Kläger – wenn ihm das Verwaltungsgericht eine Frist zur ergänzenden (schriftlichen) Stellungnahme eingeräumt hätte – zur Klärung welcher konkreten Fragen hätte beitragen können. Die Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt, erfordert jedoch regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (Beschlüsse vom 19. März 1991 – BVerwG 9 B 56.91 – Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25; vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26). Die Beschwerde behauptet lediglich, der Kläger hätte, sofern ihm Gelegenheit zur (weiteren) schriftlichen Äußerung gegeben worden wäre, das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass dessen Rechtsauffassung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweiche. Dies trifft indes – wie oben (2.) zur Divergenzrüge ausgeführt – nicht zu.
Rz. 13
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 14
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Hund, Prof. Dr. Berlit, Dr. Störmer
Fundstellen