Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 19.10.1998; Aktenzeichen 15 B 97.337) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimißt.
Zur Klärung der unter den Ziffern 3 und 5 aufgeworfenen Rechtsfrage, ob aufgrund des nunmehr allgemein für alle besonderen Befreiungsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 BauGB geltenden Merkmals der „Grundzüge der Planung” und der Streichung des „Einzelfallerfordernisses” durch die Neufassung nach dem BauROG eine strukturelle Änderung des Befreiungstatbestandes nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB eingetreten ist, bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Beschwerde legt dar, daß der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans vom Merkmal der Atypik abhängig gemacht hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Juli 1972 – BVerwG 4 C 69.70 – BVerwGE 40, 268 und vom 9. Juni 1978 – BVerwG 4 C 54.75 – BVerwGE 56, 71; Beschluß vom 20. November 1989 – BVerwG 4 B 163.89 – Buchholz 406.11 § 31 BBauG/BauGB Nr. 29). Das Berufungsgericht steht auf dem Standpunkt, daß an diesem Erfordernis weiterhin festzuhalten ist. Diese Ansicht bedarf nach Auffassung der Beschwerde der Überprüfung, nachdem der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 31 Abs. 2 BauGB das Tatbestandsmerkmal des „Einzelfalls” erklärtermaßen mit der Absicht gestrichen hat, daß „eine 'Atypik' im Sinne der bisherigen Rechtsprechung … nicht mehr vorliegen” muß (vgl. BTDrucks 13/6392, S. 56).
Es ist nicht zu verkennen, daß es das gesetzgeberische Ziel war, dem § 31 Abs. 2 BauGB einen im Vergleich zum früheren Rechtszustand weiteren Anwendungsbereich zu erschließen. Indes bedarf es nicht eigens der Zulassung der Revision, um festzustellen, daß die mit der Novellierung verbundene strukturelle Änderung der Befreiungsregelung das bereits in der früheren Fassung enthaltene Tatbestandsmerkmal der „Grundzüge der Planung” unberührt gelassen hat. Der Gesetzgeber hat sich insoweit lediglich veranlaßt gesehen, das Erfordernis, daß die Grundzüge der Planung nicht berührt werden dürfen, das nach altem Recht formal nur bei der Tatbestandsalternative der Nr. 2 eine Rolle spielte, gleichsam vor die Klammer zu ziehen und zur allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzung zu erheben, die für alle Befreiungsfälle Geltung beansprucht. Damit hat er klargestellt, daß unabhängig davon, wie die weiteren Tatbestandsmerkmale im einzelnen auszulegen sein mögen, eine Befreiung jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn hierdurch die Grundzüge der Planung berührt werden.
Zur Frage, wann davon die Rede sein kann, daß die Grundzüge der Planung berührt werden, hat der Senat in der Vergangenheit bereits wiederholt Stellung genommen. Hieran läßt sich auch nach der Neufassung des § 31 Abs. 2 BauGB ohne weiteres anknüpfen. Der Bebauungsplan, der nach § 10 Abs. 1 BauGB als Satzung zu beschließen ist, hat Rechtsnormcharakter (vgl. BVerwG, Beschluß vom 20. November 1989 – BVerwG 4 B 163.89 – a.a.O.; vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 14. Mai 1985 – 2 BvR 397/82 u.a. – BVerfGE 70, 35 ≪54≫). Die Festsetzungen sind für das Baugenehmigungsverfahren grundsätzlich strikt verbindlich. Der Gesetzgeber stellt mit § 31 Abs. 2 BauGB ein Instrument zur Verfügung, das trotz dieser Rechtsbindung im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Wahrung der Verhältnismäßigkeit für Vorhaben, die den Festsetzungen zwar widersprechen, sich mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen lassen, ein Mindestmaß an Flexibilität schafft (vgl. BVerwG, Beschluß vom 20. November 1989 – BVerwG 4 B 163.89 – a.a.O.). Er knüpft die Befreiung indes an genau umschriebene Voraussetzungen. Durch das Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung stellt er sicher, daß die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beliebig durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt werden. Die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 Abs. 4 BauGB unverändert der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde. Hierfür ist in den §§ 3 und 4 BauGB ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter den in § 13 BauGB genannten Voraussetzungen abgesehen werden kann. Diese Regelung darf weiterhin nicht durch eine großzügige Befreiungspraxis aus den Angeln gehoben werden.
Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluß auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1978 – BVerwG 4 C 54.75 – a.a.O.). Die Befreiung kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Sie darf – jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind – nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 8. Mai 1989 – BVerwG 4 B 78.89 – Buchholz 406.11 § 31 BBauG/BauGB Nr. 27).
Das Berufungsgericht hat sich ersichtlich an dieser Rechtsprechung orientiert. Es hat dem einschlägigen Bebauungsplan entnommen, daß aus planerischen Erwägungen die Geländeverhältnisse im Plangebiet möglichst unangetastet bleiben sollen. Die Bebauung hat sich, soweit dies irgend möglich ist, der vorhandenen Topographie anzupassen. Nach der Einschätzung des Berufungsgerichts gehört die Erhaltung des Bodenreliefs zu den tragenden Planungszielen. Das Verbot, die Geländeverhältnisse zu verändern, soll dazu beitragen, dem Plangebiet einen bestimmten städtebaulichen Charakter zu erhalten. Ein Abrücken von diesem Konzept im Einzelfall hätte nach der Darstellung des Berufungsgerichts wegen der vergleichbaren städtebaulichen Situation auf fast allen Grundstücken im überplanten Bereich weitreichende Folgen. Auf der Grundlage dieser tatrichterlichen Feststellungen läßt sich die Folgerung, daß eine Mißachtung der planerischen Zielsetzung auf eine Beeinträchtigung der Grundzüge der Planung hinausliefe, rechtlich nicht beanstanden.
Die Beschwerde weist die Darstellung des Berufungsgerichts freilich entschieden zurück. Sie stellt in Abrede, daß die Beigeladene sich von den Erwägungen habe leiten lassen, die ihr im Berufungsurteil bescheinigt werden. Mit diesem Vorbringen zeigt sie indes keinen Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Der Bebauungsplan, von dessen Festsetzungen der Kläger eine Befreiung begehrt, gehört dem irrevisiblen Landesrecht an. Die Auslegung und die Anwendung dieses Rechts ist in letzter Instanz dem Berufungsgericht vorbehalten, an dessen Entscheidung der Senat in einem Revisionsverfahren gebunden wäre (vgl. § 562 ZPO i.V.m. § 173 VwGO). Hinzu kommt, daß die Frage nach dem Stellenwert einer einzelnen Festsetzung im planerischen Konzept der Beigeladenen keinen Bedeutungsgehalt aufweist, der über das anhängige Verfahren hinausreicht.
Auch die zu den übrigen Tatbestandsmerkmalen des § 31 Abs. 2 BauGB n.F. formulierten Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Sie sind nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat sich mit sämtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des neugefaßten § 31 Abs. 2 BauGB sachlich auseinandergesetzt. Nach seiner Auffassung kommt eine Befreiung nicht in Betracht, weil die Grundzüge der Planung berührt werden, Gründe des Allgemeinwohls die Befreiung nicht erfordern, die Abweichung städtebaulich unvertretbar ist, die Durchführung des Bebauungsplans zu keiner Härte führt, die Abweichung mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar ist und überdies dem Kriterium der Atypik nicht genügt wird. Dies bedarf hier keiner Klärung. Nach der Struktur des § 31 Abs. 2 BauGB ist für eine Befreiung auf der Grundlage dieser Bestimmung nur dann Raum, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, alternativ einer der unter den Nummern 1 bis 3 genannten Gründe vorliegt und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Fehlt es an einem der Elemente des dreigliedrigen Tatbestandes, so erübrigt sich die Prüfung, ob die anderen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Besteht unter diesem Blickwinkel der von der Beschwerde angesprochenen Grundzüge der Planung kein Klärungsbedarf, so scheitert die Zulassung der Revision unabhängig davon, ob die zu den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB aufgeworfenen Fragen den Anforderungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gerecht werden oder nicht.
2. Die Divergenzrüge ist unzulässig. Sie genügt nicht den formellen Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Der Beschwerdebegründung läßt sich nicht entnehmen, von welcher höchstrichterlichen Entscheidung das Berufungsgericht abgewichen sein soll.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Halama
Fundstellen
Haufe-Index 1392577 |
BauR 1999, 1280 |
NVwZ 1999, 1110 |
ZfBR 1999, 283 |
BRS 2000, 452 |
KomVerw 2000, 176 |
FuBW 2000, 336 |
FuHe 2000, 499 |
FuNds 2000, 530 |