Leitsatz (amtlich)
Gegen friedliche Versammlungen darf nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands eingeschritten werden. Ein solches Einschreiten kommt in Betracht, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Versammlungsbehörde wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und gegebenenfalls trotz Heranziehung externer Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre (stRspr des Bundesverfassungsgerichts).
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 24.09.2019; Aktenzeichen 15 A 3186/17) |
VG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 24.10.2017; Aktenzeichen 14 K 1040/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. September 2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Die Klägerin, eine rechtsgerichtete Partei, führte in Dortmund eine angemeldete Standkundgebung in unmittelbarer Nähe zu einer linksgerichteten Versammlung durch. Gegen Ende der Standkundgebung meldete sie gegenüber dem Einsatzleiter der Polizei einen Aufzug zum Hauptbahnhof an, der im Anschluss durchgeführt werden sollte. Der Beklagte löste den Aufzug auf, da mit Angriffen linksgerichteter Gruppen zu rechnen sei. Die Teilnehmer der Standkundgebung der Klägerin wurden ohne Durchführung eines Aufzuges von der Polizei zum Bahnhof geleitet.
Rz. 2
Die dagegen erhobene Klage ist in der Berufungsinstanz erfolglos geblieben. Der Beklagte habe gemäß § 15 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 VersammlG den Aufzug auflösen dürfen, weil eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gegeben gewesen sei. Es hätten hinreichende Anhaltspunkte vorgelegen, dass der Aufzug auf eine nicht unerhebliche Anzahl linker Gegendemonstranten treffen und es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen würde, sollte sich die Versammlung der Klägerin als Aufzug zum Hauptbahnhof bewegen. Zur Sicherung des Aufzuges hätten nicht ausreichend Polizeikräfte zur Verfügung gestanden. Mildere Mittel wie etwa Auflagen, um ein zügiges Voranschreiten des Aufzuges abzusichern, wären zur Gefahrenabwehr wegen der auch in diesem Fall zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht ebenso geeignet gewesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.
Rz. 3
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht. Sie erachtet die Klärung der Voraussetzungen für die Annahme eines polizeilichen Notstands und der Prüfung eines milderen Mittels an Stelle eines Versammlungsverbots als rechtsgrundsätzlich bedeutsam.
II
Rz. 4
Die allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Rz. 5
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann und die Beschwerde keine neuen, bislang nicht behandelten Gesichtspunkte aufzeigt (stRspr; BVerwG, Beschlüsse vom 13. Dezember 2019 - 6 B 30.19 [ECLI:DE:BVerwG:2019:131219B6B30.19.0] - juris Rn. 6 und vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8).
Rz. 6
1. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind die Voraussetzungen, unter denen eine Versammlung verboten oder aufgelöst werden kann, geklärt.
Rz. 7
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Dieser Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 Rn. 16 m.w.N.). Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, wie sie in § 15 VersammlG zu finden ist. Nach § 15 Abs. 3 VersammlG kann eine Versammlung oder ein Aufzug aufgelöst werden, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwider gehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 und 2 gegeben sind. Gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei deren Durchführung unmittelbar gefährdet ist.
Rz. 8
Im Rahmen verfassungskonformer Anwendung kommen ein Verbot und die Auflösung einer Versammlung nur zur Abwehr von Gefahren elementarer Rechtsgüter in Betracht. Sie setzen als ultima ratio voraus, dass das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft ist (stRspr; vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 ≪353 f.≫ und vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 - NJW 2001, 2069 ≪2071≫ jeweils m.w.N.). Die Gefahrenprognose muss auf erkennbaren Umständen beruhen. Erforderlich hierfür sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 ≪353 f.≫, vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 - NJW 2010, 141 Rn. 9, vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 - BVerfGK 17, 303 ≪307≫ und vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 Rn. 17).
Rz. 9
Wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht durch die Versammlung, sondern durch Gegendemonstranten oder Dritte unmittelbar gefährdet, müssen sich behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer richten, um die Durchführung der Versammlung zu ermöglichen. Drohen Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen, so ist es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung der Versammlungsfreiheit für alle Grundrechtsträger hinzuwirken. Gegen die Versammlung selbst darf nur unter den besonderen Voraussetzungen des so genannten polizeilichen Notstands eingeschritten werden (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 ≪360 f.≫, vom 10. Mai 2006 - 1 BvQ 14/06 - BVerfGK 8, 79 ≪80 f.≫, vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 - BVerfGK 17, 303 ≪308≫ und vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 Rn. 17 jeweils m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16 Rn. 5).
Rz. 10
Die Annahme des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Verwaltungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die gefährdeten Rechtsgüter wirksam zu schützen (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2006 - 1 BvQ 14/06 - BVerfGK 8, 79 ≪80 f.≫; BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16 Rn. 5). Eine Beschränkung der angemeldeten Versammlung durch eine Verbotsverfügung kommt hiernach in Betracht, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Versammlungsbehörde wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und gegebenenfalls trotz Heranziehung externer Polizeikräfte zum Schutz der angemeldeten Versammlung nicht in der Lage wäre; eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht allerdings nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 - NJW 2001, 2069 ≪2072≫, vom 10. Mai 2006 - 1 BvQ 14/06 - BVerfGK 8, 79 ≪81 f.≫ und vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 Rn. 17; wohl enger noch im Sinne einer hohen Wahrscheinlichkeit: BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315 ≪362≫; BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 6 B 53.08 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 16 Rn. 5 m.w.N. aus der früheren Rechtsprechung).
Rz. 11
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot liegt bei der Behörde (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 - NVwZ 2013, 570 Rn. 17 m.w.N.).
Rz. 12
2. Am Maßstab dieser Rechtsprechung rechtfertigen die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen nicht die Revisionszulassung.
Rz. 13
a) Die Klägerin erachtet die Frage für klärungsbedürftig, ob ein hinreichender Anhaltspunkt für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands bei einer Versammlung unter freiem Himmel vorliegt, wenn die Polizei nur einen einzigen unbestimmten Hinweis einer namentlich nicht genannten Person über das Auftreten von angeblich gewaltbereiten Gegendemonstranten erhalten und zeitgleich die Folgen einer einzigen Gewalttätigkeit eines Gegendemonstranten bereits beseitigt hat.
Rz. 14
Diese Frage ist keiner grundsätzlichen Klärung fähig. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung beruht die Gefahrenprognose auf Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen im Einzelfall. Behörden und Gerichte müssen prüfen, ob die der Gefahrenprognose zugrundeliegenden Tatsachenfeststellungen die Würdigung zulassen, dass die Voraussetzungen für eine Auflösung der Versammlung wegen polizeilichen Notstands gegeben sind. Dies kann nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles geprüft werden und ist nicht verallgemeinerungsfähig.
Rz. 15
Darüber hinaus würde sich die von der Klägerin aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil sie mit den vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen, an die der Senat in dem erstrebten Revisionsverfahren gebunden wäre (§ 137 Abs. 2 VwGO), nicht im Einklang steht. Entgegen der Beschwerde hat das Berufungsgericht seine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Versammlungsauflösung nicht auf die Feststellung gestützt, dass nach einem Hinweis einer nicht näher benannten Person 200 gewaltbereite Gegendemonstranten aufgetreten seien. Vielmehr hat es die Zeugenaussagen und die Einträge im STABOS-Bericht dahingehend gewürdigt, dass sich zum maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung die "Ballung von 200 Linken im Hafengebiet" nicht hat verifizieren lassen, jedoch im Umfeld der Standkundgebung der Klägerin an verschiedenen Orten mehrere Gruppen mit einer Größe von jeweils 30 bis 40 linksgerichteten, teilweise vermummten Personen unterwegs waren. Zudem hat es festgestellt, dass die Standkundgebung der Klägerin im linken Spektrum aufgrund von Ankündigungen im Internet bekannt war und eine der Gruppen versuchte, zur Standkundgebung der Klägerin durchzubrechen. Diese Anhaltspunkte ließen in ihrer Gesamtheit auf eine Gewaltbereitschaft der linksgerichteten Gruppen, die Begehung von Körperverletzungsdelikten (§§ 223 ff. StGB) sowie Gefahren für die Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließen.
Rz. 16
Ebenso wenig hat das Berufungsgericht entgegen der Beschwerde festgestellt, dass die Polizeikräfte vor Ort bei Erlass der Verfügung die Folgen einer einzigen Gewalttätigkeit eines Gegendemonstranten bereits beseitigt hatten und deshalb Polizeikräfte in ausreichender Zahl zur Sicherung des Aufzuges zur Verfügung gestanden hätten. Es hat vielmehr ausgeführt, dass die verfügbaren Einsatzkräfte reduziert waren, da der Urheber des Angriffs mit einem Laserpointer ermittelt und sichergestellt werden musste, dass sich derartige Angriffe nicht wiederholen. Zwar sei die Einsatzlage für die angemeldete Standkundgebung der Klägerin auch wegen deren räumlicher Trennung zu der linksgerichteten Versammlung für die eingesetzten 75 bis 80 Polizeibeamten kontrollier- und überschaubar gewesen, aber diese Einsatzlage hätte sich jedoch durch einen Aufzug der Klägerin wesentlich geändert. Die Polizeikräfte hätten insbesondere nicht das gesamte unübersichtliche Umfeld des Aufzugswegs überblicken und nicht hinreichend sicher einschätzen können, mit welcher Anzahl von gewaltbereiten linken Gegendemonstranten sie konfrontiert sein würden. Der Aufzug, auch wenn er nur aus 34 Teilnehmern bestanden hätte, hätte nicht mit hinreichender Sicherheit vor konkret zu erwartenden Angriffen geschützt werden können. Ausreichend Polizeikräfte seien nicht verfügbar gewesen. Eine erhebliche Anzahl habe zur weiteren Sicherung der linksgerichteten Versammlung eingesetzt werden müssen. Einzelne Einsatzkräfte seien im Umfeld unterwegs gewesen, um Störer zu binden. In der kurzen Zeitspanne von der Anmeldung bis zum geplanten Beginn des Aufzuges sei es nicht möglich gewesen, effektiv Verstärkung anzufordern und bereitzustellen. Weitere Beamte seien aber erforderlich gewesen, da die Sicherung und Lenkung eines Aufzuges generell mehr Kräfte als eine Standkundgebung erfordere. Der Aufzug hätte zu dieser Tageszeit noch stark befahrene Verkehrswege überquert. Aufgrund der Nähe des geplanten Aufzuges zur Feuerwache hätten Wege für Feuerwehrfahrzeuge freigehalten werden müssen. Auf dieser Tatsachengrundlage hat das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen für den polizeilichen Notstand als gegeben erachtet.
Rz. 17
Soweit die Klägerin einzelne dieser Tatsachenfeststellungen abweichend vom Berufungsgericht gewürdigt wissen will, liegt darin weder ein Fall grundsätzlicher Bedeutung noch in der Sache aus verfahrensrechtlicher Sicht die Geltendmachung einer Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. Dezember 2019 - 6 B 58.19 [ECLI:DE:BVerwG:2019:161219B6B58.19.0] - juris Rn. 17 und vom 25. Januar 2018 - 6 B 36.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:250118B6B36.17.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 432 Rn. 12).
Rz. 18
b) Auch die weitere, als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage der Klägerin, ob ein hinreichender Anhaltspunkt für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands bei einer Versammlung unter freiem Himmel vorliegt, wenn die Polizei davon ausgeht, dass sie in der Lage ist, den Rückweg der Teilnehmer einer friedlichen stationären Versammlung vor gewalttätigen Gegendemonstranten schützen zu können, einen auf derselben Wegstrecke verlaufenden Aufzug der friedlichen Demonstranten dagegen nicht, führt nicht zur Revisionszulassung.
Rz. 19
Ihre Beantwortung hängt ebenfalls von den Umständen des Einzelfalles ab. Soweit die Klägerin meint, die vorhandenen Polizeikräfte hätten ausgereicht, den geplanten Aufzug der Klägerin als "wandernden Kessel" zu schützen, zumal die linksgerichteten Störer sich unabhängig vom Auftritt der Teilnehmer des Aufzuges provoziert fühlen würden, setzt sie ihre eigene Würdigung des Lagebildes derjenigen des Berufungsgerichts entgegen. Damit zeigt sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht auf.
Rz. 20
c) Die Revision ist auch nicht zur Beantwortung der Frage zuzulassen, ob es ein milderes Mittel gegenüber einem Totalverbot für eine Versammlung unter freiem Himmel darstellt, wenn die Polizei dem friedlichen Aufzug Auflagen des Inhalts erteilt, dass der Aufzug zügig zum Ziel geht und jegliche Provokation gegen die gewaltbereiten Gegendemonstrationen zu unterbleiben hat.
Rz. 21
Aus der unter II. 1. dargestellten Rechtsprechung folgt, dass das Verbot oder die Auflösung einer Versammlung in Ansehung der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit nur in Betracht kommt, wenn die zuständige Behörde die unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht durch Auflagen in gleichermaßen geeigneter Weise abwehren kann. Insoweit gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vom Verbot oder von der Auflösung einer Versammlung nur als letztes Mittel Gebrauch zu machen. Ob in diesem Sinne ein Aufzug unter den von der Klägerin bezeichneten Auflagen ein milderes Mittel darstellt, ist eine Frage der Würdigung der Tatsachen im Einzelfall; sie ist keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich.
Rz. 22
Einen über die bestehende Rechtsprechung hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Klägerin mit ihrer Beschwerde im Übrigen nicht auf. Sie erachtet die Durchführung des Aufzuges unter Auflagen mit den verfügbaren Polizeikräften als ebenso geeignetes Mittel zur Abwehr der durch die linksgerichteten Störer zu erwartenden Gefahren. Damit weicht sie von der gerichtlichen Würdigung der zum maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umstände ab und kann die Zulassung der Revision nicht erreichen.
Rz. 23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstellen
NJW 2020, 11 |
DÖV 2020, 639 |
JZ 2020, 285 |
NWVBl. 2020, 282 |