Entscheidungsstichwort (Thema)
Bayerische Biergärten-NutzungszeitenV. Normenkontrollverfahren. Vorlage nach § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Geräusch- einwirkungen von Schank- und Speisewirtschaften. Rechtsverordnung nach § 23 BImSchG. nichtgenehmigungsbedürftige Anlage nach den §§ 22 ff. BImSchG. Anwendbarkeit immissionsschutzrechtlicher Vorschriften auf Schank- und Speisewirtschaften. Konkretisierung des Begriffs der “schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes” in § 4 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG
Leitsatz (amtlich)
Die Begrenzung der von Schank- und Speisewirtschaften ausgehenden Geräuscheinwirkungen auf die Umgebung kann Gegenstand von Rechtsverordnungen nach § 23 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – BImSchG – sein.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 5 S. 1 Nr. 1; BImSchG § 3 Abs. 1-2, 5, §§ 22, 23 Abs. 1, 2 S. 1, § 25 Abs. 2; GastG § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 Nr. 3; 4. BImSchV § 1 und Anhang; Bayerische Biergärten-NutzungszeitenV
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 14.02.1996; Aktenzeichen 22 N 95.3398) |
Tenor
Die Begrenzung der von Schank- und Speisewirtschaften ausgehenden Geräuscheinwirkungen auf die Umgebung kann Gegenstand von Rechtsverordnungen nach § 23 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – BImSchG – sein.
Tatbestand
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen die Gültigkeit der Verordnung der Bayerischen Staatsregierung zur Regelung der Nutzungszeiten in Biergärten (Bayerische Biergärten-NutzungszeitenV) vom 27. Juni 1995 (GVBl S. 311).
Die Antragsteller sind Eigentümer von Hausgrundstücken in einem reinen Wohngebiet. In ihrer Nachbarschaft befindet sich ein Gaststättenbetrieb mit einem Wirtschaftsgarten, in dem regelmäßig Jazzmusik dargeboten wird. Einige der Antragsteller klagen seit 1993 wegen des von der Gaststätte ausgehenden Lärms auf Aufhebung der für den Betrieb des Wirtschaftsgartens zuletzt erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnisse sowie auf die Anordnung von Betriebsbeschränkungen. Während dieser Klageverfahren, die inzwischen beim Berufungsgericht anhängig sind, hat die Bayerische Staatsregierung die Biergärten-Nutzungszeiten-Verordnung erlassen. Sie hat folgenden Wortlaut:
Aufgrund des § 23 Abs. 2 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. Mai 1990 (BGBl I S. 880), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes vom 23. November 1994 (BGBl I S. 3486), erläßt die Bayerische Staatsregierung folgende Verordnung:
§ 1
Anwendungsbereich
Die Verordnung regelt die Nutzungszeiten von Biergärten in der Nachbarschaft von Wohnbebauung, soweit nicht weitergehende Regelungen bestehen.
§ 2
Nutzungszeiten
Von Biergärten einschließlich des ihnen zurechenbaren Straßenverkehrs gehen keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG aus, wenn spätestens
– Musikdarbietungen um 22.00 Uhr enden,
– die Verabreichung von Getränken und Speisen um 22.30 Uhr endet und
– die Betriebszeit so endet, daß der zurechenbare Straßenverkehr bis 23.00 Uhr abgewickelt ist.
§ 3
Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 30. Juni 1995 in Kraft.
Ihre dagegen gerichteten Normenkontrollanträge begründen die Antragsteller wie folgt: Die Verordnung finde im Bundes-Immissionsschutzgesetz keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage, weil § 23 BImSchG keine Regelungen zulasse, die das gesetzliche Schutzniveau verschlechterten oder gar das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzten, indem Unzumutbares im Wege der Fiktion als zumutbar dekretiert werde. Durch die Kollision mit den Maßstäben des Bundes-Immissionsschutzgesetzes stehe die Verordnung zwangsläufig auch im Widerspruch mit den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 sowie § 5 Abs. 1 Nr. 3 des Gaststättengesetzes – GastG.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtssache dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung der Frage vorgelegt,
“ob die Zulässigkeit der von Schank- und Speisewirtschaften (§ 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2 GastG) ausgehenden Geräuscheinwirkungen auf die Umgebung (§ 4 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG) Gegenstand von Rechtsverordnungen nach § 23 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 BImSchG sein kann”.
Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu im wesentlichen aus: Nach herrschender Auffassung fänden auf Gaststätten neben dem Gaststättenrecht auch die §§ 22 ff. BImSchG in vollem Umfang, wenngleich subsidiär, Anwendung. Die Verordnungsermächtigung des § 23 BImSchG werde durch das Gaststättengesetz nicht verdrängt. Die Spezialität von § 4 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG beschränke sich relativ eindeutig auf die in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 sowie § 25 Abs. 2 BImSchG getroffenen Regelungen; nur sie enthielten verbindliche Festlegungen gegen schädliche Umwelteinwirkungen auf gesetzlicher Ebene. Hinzu komme die tatbestandliche Selbständigkeit des § 23 gegenüber § 22 BImSchG, die sich von dem Verhältnis des § 7 zu § 5 BImSchG unterscheide. Deshalb führe die teilweise Verdrängung des § 22 BImSchG durch das Gaststättenrecht nicht zu einer entsprechenden Subsidiarität des § 23 BImSchG. Sie wäre auch wenig sinnvoll. § 4 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG enthielten zudem in ihrer Verweisung auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz keine endgültige Festlegung dessen, was in diesem Sinn unzulässige schädliche Umwelteinwirkungen seien. Die Allgemeinheit der gesetzlichen Vorgabe fordere zu ihrem Vollzug präzisierende Regelungen, die entweder durch Rechtsverordnung oder durch Verwaltungsvorschrift getroffen werden könnten. Vor dem Hintergrund dieser Alternative sei eine Gesetzesauslegung vorzuziehen, die es dem Verordnungsgeber ermögliche einzugreifen. Eine Verdrängung des § 23 BImSchG ergebe sich auch nicht im Gegenschluß aus der Vielzahl spezieller gaststättenrechtlicher Verordnungsermächtigungen. Diese beträfen durchweg andere Fragenkreise. Selbst die in § 18 Abs. 1 GastG enthaltene Ermächtigung zu Sperrzeitenregelungen verdränge § 23 BImSchG nicht. Die Festsetzung solcher Zeiten diene der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; dieses Anliegen decke sich mit dem der Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen nur sehr beschränkt. Der Gesetzgeber habe auch keine Veranlassung gehabt, zur Präzisierung der einschlägigen Anforderungen nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG eine entsprechende Verordnungsermächtigung in das Gaststättengesetz aufzunehmen. Erst das Bundes-Immissionsschutzgesetz habe jene Bestimmungen um diese Anforderungen ergänzt. Die gleichzeitig geschaffene Verordnungsermächtigung nach § 23 BImSchG habe dem Gesetzgeber dabei gegenwärtig sein müssen. Daß er sie für das Gaststättengesetz in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich wiederholt habe, erlaube jedenfalls nicht den Gegenschluß, er habe ihre Geltung im Rahmen des Gaststättenrechts ausschließen wollen. Unbeschadet dessen sei die Frage des Verhältnisses von § 4 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG zu § 23 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 BImSchG grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO und damit dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Vorlage ist nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die von ihm formulierte Rechtsfrage als grundsätzlich im Sinne der genannten Bestimmung angesehen. In den Gründen seines Beschlusses führt er allerdings aus, die Auffassung, § 23 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) sei auf Gaststätten generell unanwendbar, werde nirgendwo vertreten. Das legt die Annahme, daß insoweit ein Bedarf an höchstrichterlicher Klärung bestehe, nicht eben nahe. Offenbar aus diesem Grunde gehen die Antragsteller in ihrer Stellungnahme zu dem Vorlagebeschluß wie selbstverständlich davon aus, daß die zur Entscheidung des Senats gestellte Rechtsfrage sich auf die Reichweite der Ermächtigung des § 23 BImSchG im Blick auf die hier in Rede stehende Verordnung beziehe, in der Sache also gefragt werde, ob das in dieser Verordnung festgelegte Niveau des nachbarschaftlichen Immissionsschutzes von der genannten Vorschrift gedeckt sei. Daran ist zutreffend, daß sich der Verwaltungsgerichtshof bei der Bejahung dieser Frage im Ausgangspunkt von der Erwägung hat leiten lassen, § 23 BImSchG berechtige den Verordnungsgeber auch zu einer Absenkung des in § 22 BImSchG für nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen vorgeschriebenen Schutzniveaus. Hierbei konnte er sich allerdings auf eine herrschende Auffassung nicht berufen und hat dies auch nicht getan; er hat vielmehr diese von ihm für zutreffend angesehene Auslegung des § 23 BImSchG erst in eingehender Auseinandersetzung mit dem insoweit abweichenden Schrifttum gewonnen. Das ändert jedoch nichts daran, daß der Verwaltungsgerichtshof diese Frage dem Bundesverwaltungsgericht nicht vorgelegt hat, weil er sie “mit hinreichender Eindeutigkeit durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften” für beantwortbar hielt. Dagegen hat er die tatsächlich gestellte Frage, ob sich die Ermächtigung des § 23 BImSchG grundsätzlich auch auf Gaststättenbetriebe erstrecke, für “nicht durch bloße Auslegung unschwer eindeutig beantwortbar” und aus diesem Grunde für “immerhin vorlagewürdig” gehalten. Dieses Vorgehen mag die Annahme nahelegen, daß hier vom Verwaltungsgerichtshof – was den Klärungsbedarf angeht – gewissermaßen mit zweierlei Maß gemessen worden ist. Das berechtigt jedoch den beschließenden Senat nicht, die Vorlagefrage durch eine andere zu ersetzen, sondern kann ihm allenfalls Veranlassung zu der Prüfung geben, ob der Verwaltungsgerichtshof die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit einer unhaltbaren Begründung bejaht hat. Diese Grenze sieht der Senat noch nicht als überschritten an.
2. Die Vorlagefrage ist in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgerichtshof dahin zu beantworten, daß die Begrenzung der von Schank- und Speisewirtschaften ausgehenden Geräuscheinwirkungen auf die Umgebung Gegenstand von Rechtsverordnungen nach § 23 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 BImSchG sein kann. Solche Betriebe fallen als ortsfeste Einrichtungen nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG unter den Begriff der Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Da sie nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i.V.m. § 1 der 4. BImSchV und dem Anhang zu dieser Verordnung keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen, gelten für sie grundsätzlich die Vorschriften des 2. Abschnitts des Bundes-Immissionsschutzgesetzes über nicht genehmigungsbedürftige Anlagen, solange keine vorrangigen Spezialnormen eingreifen. § 23 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BImSchG ermächtigt die Bundesregierung und – falls sie von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch macht – die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, daß die Errichtung, die Beschaffenheit und der Betrieb solcher Anlagen bestimmten Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen sowie zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen genügen müssen. Zu diesen schädlichen Umwelteinwirkungen, vor denen solche Verordnungen schützen und denen sie vorbeugen sollen, zählen nach § 3 Abs. 1 und 2 BImSchG auch erheblich belästigende Geräusche, und zwar auch solche, die von Schank- und Speisewirtschaften ausgehen; denn das Gaststättenrecht schließt für seinen Regelungsbereich die Anwendung des § 23 BImSchG nicht aus. Es enthält insoweit weder spezielle Ermächtigungsnormen, noch ist erkennbar, daß seine Vorschriften die Anforderungen, welche die §§ 22 ff. BImSchG an nicht genehmigungsbedürftige Anlagen stellen, generell verdrängen sollen. Vielmehr läßt sich der ausdrücklichen Verwendung des Begriffs der “schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes” in § 4 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG ohne weiteres entnehmen, daß das Gaststättenrecht Verordnungen nach § 23 BImSchG, die diesen Begriff durch die in ihnen geregelten Anforderungen konkretisieren, in seinen Anwendungsbereich einbezieht. Der Verwaltungsgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang überdies zu Recht auf die Entstehungsgeschichte dieser begrifflichen Verweisung, die ebenfalls den sicheren Schluß zuläßt, daß diese Auslegung dem Willen des Gesetzgebers entspricht.
Mit der Bejahung der Vorlagefrage ist nichts darüber ausgesagt, ob § 23 BImSchG die Landesregierung auch zum Erlaß einer Verordnung ermächtigt, in der die von einer Gaststätte bestimmten Charakters ausgehenden Geräusche unabhängig von Art, Ausmaß oder Dauer (§ 3 Abs. 1 BImschG) innerhalb bestimmter zeitlicher Grenzen generell für unschädlich erklärt werden. Hierzu kann der Senat nicht Stellung nehmen, weil er an die ihm unterbreitete Vorlagefrage gebunden ist.
Unterschriften
Dr. Franßen, Dr. Bardenhewer, Kley, Herbert, Dr. Brunn
Fundstellen