Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionszulassung. grundsätzliche Bedeutung. höchstrichterlicher Klärungsbedarf. Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts. Flurbereinigung. Verkehrswert. landwirtschaftliche Nutzfläche. Straßenverkehrsfläche. Straßentrasse. Werterhöhung. Vorwirkung der Enteignung. Beweiserhebung. sachverständige Besetzung des Flurbereinigungsgerichts. eigene Sachkunde
Leitsatz (amtlich)
- Ein höchstrichterlicher Klärungsbedarf i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann auch dann zu verneinen sein, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage (hier: Bewertung einer Straßentrassenfläche im Rahmen der Flurbereinigung) durch die Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts geklärt ist, das sich aufgrund seiner originären Zuständigkeit mit dieser oder mit einer gleich gelagerten Rechtsfrage bereits befasst hat (hier: Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bewertung von Grundstücken im Rahmen der Enteignungsentschädigung).
- Auch im Rahmen der Wertermittlung im Flurbereinigungsrecht gilt, dass einem bislang landwirtschaftlich genutzten Grundstück, das nach den Festsetzungen eines Bebauungsplans zukünftig als Straßenverkehrsfläche vorgesehen ist, kein höherer Verkehrswert beizumessen ist, als ihm nach den Grundsätzen der Vorwirkung der Enteignung bislang zukam.
Normenkette
VwGO § 132 Abs. 2 Nrn. 1, 3; FlurbG § 29 Abs. 2, § 44 Abs. 1, § 139 Abs. 2 S. 2, Abs. 3; BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 11, § 85 Abs. 1 Nr. 1, § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 194
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20.07.2005; Aktenzeichen 9 C 10023/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz – Flurbereinigungsgericht für Rheinland-Pfalz und das Saarland – vom 20. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 167 144,75 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Beschwerde sieht einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) darin, dass das Flurbereinigungsgericht den Beweisantrag des Klägers, ein Sachverständigengutachten zur Höhe der von ihm befürchteten Pachtminderung und der Wertminderung seines Abfindungsgrundstücks im Falle eines Verkaufs einzuholen, abgelehnt und statt dessen aufgrund eigener Schätzung dem Kläger gemäß § 44 Abs. 3 Satz 2 FlurbG einen zusätzlichen Ausgleichsbetrag von 1 000 € für die Wertdifferenz zwischen dem Einlage- und dem Abfindungsgrundstück zuerkannt hat. Das ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Das Flurbereinigungsgesetz hat durch die in § 139 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 FlurbG vorgeschriebene besondere Besetzung des Flurbereinigungsgerichts mit sachverständigen Richtern Sorge dafür getragen, dass eine sachverständige Würdigung der im Rahmen der Flurbereinigung zu beurteilenden Sachverhalte regelmäßig gewährleistet ist. Danach ist das Flurbereinigungsgericht nur unter besonderen Umständen gehalten, Sachverständige hinzuzuziehen, etwa in Fällen, die schwierig gelagert und besondere Spezialkenntnisse erfordern (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1973 – BVerwG V C 98.72 – Buchholz 424.01 § 139 FlurbG Nr. 6, Beschlüsse vom 3. April 1986 – BVerwG 5 B 113.83 – Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 47 und vom 3. September 1992 – BVerwG 11 B 2.92 – Buchholz 424.01 § 50 FlurbG Nr. 6 = NVwZ-RR 1993, 164; ferner Seehusen/Schwede, FlurbG, 7. Aufl. 1997, § 139 Rn. 9, jeweils m.w.N.). Dass in diesem Sinne außergewöhnliche, den Lebens- und Erkenntnisbereich des Gerichts überschreitende Umstände hier vorgelegen hätten, ist mit der Beschwerde nicht dargetan. Die Beurteilung von Fragen wie die vom Kläger geltend gemachte Pacht- bzw. Verkaufswertminderung, namentlich wegen der von ihm befürchteten geringeren Rentabilität wegen des ungünstigen Zuschnitts des Grundstücks, auch unter dem Einfluss europarechtlicher Fördervorgaben, gehören zu den ständigen Aufgaben des Flurbereinigungsgerichts, das regelmäßig befugt ist, darüber in eigener Sachkunde zu entscheiden.
2. Der Rechtssache kommt auch nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Die Beschwerde hält es (sinngemäß) für grundsätzlich klärungsbedürftig,
wie das Kriterium des im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielenden Preises i.S.v. § 29 Abs. 2 FlurbG bei einem Einlagegrundstück auszulegen ist, das einerseits aus landwirtschaftlichen Nutzflächen, andererseits aus in einem Bebauungsplan als Straßentrasse festgesetzten Flächen besteht.
Diese Frage rechtfertigt nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sie sich ohne weiteres aus dem Gesetz und anhand vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung beantworten lässt. Zwar liegt zu der aufgeworfenen Frage keine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, doch kann ein höchstrichterlicher Klärungsbedarf auch dann zu verneinen sein, wenn die Frage durch die Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts geklärt ist, das sich aufgrund seiner originären Zuständigkeit mit dieser oder mit einer gleich gelagerten Rechtsfrage bereits befasst hat, und das angerufene oberste Bundesgericht dieser Rechtsprechung folgt. Denn anders als die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht rechtswegbezogen. Demgemäß kann im vorliegenden Fall zur Beantwortung der von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage die vorhandene umfangreiche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bewertung von Grundstücken im Rahmen der Enteignungsentschädigung (vgl. Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG) herangezogen werden.
Nach § 29 Abs. 2 FlurbG wird im Rahmen der Flurbereinigung der Verkehrswert eines Einlage- oder Abfindungsgrundstücks durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Dem entspricht – mit kleineren, aber in der Sache keinen Unterschied bedeutenden Abweichungen in der Formulierung – der Begriff des Verkehrswerts in § 194 BauGB, der bei Enteignungen nach den §§ 85 ff., 93 ff. BauGB zur Anwendung kommt. Von daher kann auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu diesen Vorschriften zurückgegriffen werden. Insoweit entspricht es gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass es für Grundstücksflächen, die in einem Bebauungsplan als Flächen für den Gemeinbedarf, z.B. als Straßenverkehrsflächen, ausgewiesen sind, zwar keinen “freien Markt” gibt, wie dies für einen gewöhnlichen Geschäftsverkehr i.S.v. § 95 Abs. 1, § 194 BauGB eigentlich Voraussetzung ist; denn Grundstücke für Zwecke des öffentlichen Verkehrs werden nur von der öffentlichen Hand erworben. Daraus darf allerdings, wie der Bundesgerichtshof betont und auch das Flurbereinigungsgericht nicht verkannt hat, nicht geschlossen werden, dass solchen Grundstücken ein realer wirtschaftlicher Wert nicht beizumessen sei; vielmehr muss der Wert in derartigen Fällen unter Berücksichtigung aller Umstände nach § 287 ZPO geschätzt werden (stRspr, vgl. BGH, Urteile vom 2. Februar 1978 – III ZR 90/76 – NJW 1978, 941 ≪943≫ und vom 6. April 1995 – III ZR 27/94 – NJW-RR 1995, 911 ≪912≫ m.w.N.). Dem entsprechend bestimmt sich auch die Qualität einer erst noch als Verkehrsfläche auszubauenden, aber planungsrechtlich bereits in dieser Weise festgesetzten Grundstücksfläche, die der Straßenbaulastträger gegebenenfalls durch Enteignung erwerben müsste. Maßgebend ist die Qualität, die das betreffende Grundstück zu dem Zeitpunkt hatte, als es endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurde, also bevor es durch den Bebauungsplan als Gemeinbedarfsfläche ausgewiesen wurde. Gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 BauGB, der eine positivrechtliche Ausprägung des Grundsatzes der Vorwirkung der Enteignung ist, bleiben Wertänderungen, die infolge der bevorstehenden Enteignung eintreten, unberücksichtigt. Das gilt auch bei Wertänderungen, die auf Festsetzungen eines Bebauungsplans für Zwecke der Allgemeinheit beruhen, mithin auch für Straßenverkehrsflächen. Solchen Gemeinbedarfsflächen kommt kein besonderer über den bisherigen Nutzungswert hinausgehender Verkehrswert zu (vgl. bereits BGH, Urteil vom 22. Mai 1967 – III ZR 121/66 – NJW 1967, 2306 ≪2307≫ [Universitätssportgelände]; BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 1975 – BVerwG V CB 54.73 – n.v. [gemeindlicher Friedhof]; VGH Mannheim, Urteil vom 31. Januar 1996 – 7 S 1450/95 – RdL 1996, 320 ≪322 f.≫ [gemeindliche Erd- und Bauschuttdeponie]; Seehusen/Schwede, a.a.O., § 29 Rn. 25 ff. m.w.N.). Dem Ansinnen, insoweit einen “Quasi-Verkehrswert” und einen “Teilmarkt” von höher zu bewertenden Flächen anzuerkennen, weil der in Betracht kommende Erwerber (in der Regel allein die öffentliche Hand) aufgrund seines Interesses an einem schnellen und reibungslosen Eigentumserwerb erfahrungsgemäß bereit sein würde, auch einen höheren (d.h. überhöhten) Kaufpreis zu zahlen, hat der Bundesgerichtshof eine Absage erteilt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2002 – III ZR 41/02 – NJW-RR 2003, 374 ≪375≫). Dies seien ungewöhnliche und persönliche besondere Umstände i.S.v. § 29 Abs. 2 FlurbG, § 194 BauGB, die bei der Ermittlung des Verkehrswerts nicht zu berücksichtigen seien (vgl. zum Ganzen Schmidt-Aßmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Bd. II, Stand: 15. April 2005, § 95 Rn. 40 ff., 79 ff., Bd. IV § 194, Rn. 145 ff.; Reisnecker, in: Brügelmann, BauGB, Bd. 4, Stand: September 2005, § 95 Rn. 91 ff., 148 ff., jeweils m.w.N.). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass über die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinausgehender Bedarf an höchstrichterlicher Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht besteht.
b) Soweit die Beschwerde weiter die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig hält,
ob die Grundsätze der enteignungsrechtlichen Vorwirkung i.S.v. § 95 Abs. 2 Nr. 2 BauGB auch dann zur Anwendung kommen können, wenn im konkreten Fall aufgrund der Verfahrensgestaltung eine Enteignung nicht möglich ist, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Insoweit erscheint schon fraglich, ob die Beschwerde, indem sie auf Umstände des konkreten Falls abstellt, überhaupt eine über den Einzelfall hinausgehende verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage aufzeigt. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang zur Begründung ausführt, der Zweck der vorliegenden Flurbereinigung sei nicht, die Durchschneidungsschäden zu beseitigen, die durch die im Bebauungsplan “Westumgehung Hechtsheim (He 113)” vorgesehene Straßenplanung entstehen, sondern der Beigeladenen zu 2 überhaupt erst den Besitz der für die Trassenführung erforderlichen Flächen zu verschaffen, so dass richtigerweise ein Enteignungsverfahren unter den dafür maßgeblichen Voraussetzungen einzuleiten gewesen wäre, unterstellt die Beschwerde einen Sachverhalt, der in den tatsächlichen Feststellungen des Flurbereinigungsgerichts keine Grundlage findet und schon deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht zugrunde gelegt werden könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 bis 3 GKG und folgt den Erwägungen der Streitwertfestsetzung des Flurbereinigungsgerichts (abzüglich des von diesem dem Kläger zuerkannten zusätzlichen Geldausgleichs von 1 000 €).
Unterschriften
Hien, Prof. Dr. Eichberger, Domgörgen
Fundstellen
Haufe-Index 1497675 |
BauR 2006, 1027 |
ZAP 2006, 796 |
DÖV 2007, 84 |
VR 2006, 251 |
BayVBl. 2007, 472 |
FuB 2006, 192 |