Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 06.11.2008; Aktenzeichen 1 A 4159/06) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. November 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 623,15 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Klägerin, eine Mutter von vier Kindern, war von 1995 bis 2001 als Richterin am Landgericht Bonn tätig. Seit Oktober 1995 war sie mit der Hälfte der Arbeitszeit teilzeitbeschäftigt und erhielt den Familienzuschlag nur zur Hälfte. 2005 stellte der Beklagte fest, dass der kinderbezogene Anteil dieses Zuschlags nicht um die Hälfte hätte gekürzt werden dürfen, zahlte den Betrag ab 1. Januar 2002 nach und erhob für die Zeit davor die Einrede der Verjährung. Die auf Nachzahlung auch des restlichen Betrages gerichtete Klage hat das Berufungsgericht abgewiesen. Es hat ein Hinausschieben des Verjährungsbeginns nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verneint, weil die Unkenntnis der Klägerin von der Minderzahlung auf grober Fahrlässigkeit beruht habe.
Rz. 2
Die auf alle Zulassungsgründe gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Rz. 3
1. Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), ob jede Änderung besoldungsrelevanter Umstände zu einer besonders sorgfältigen Prüfungspflicht des Beamten führe bzw. ob dieser gehalten sei, trotz eines das Vertrauen in die richtige ungekürzte Zahlung des kinderbezogenen Familienzuschlags erweckenden Hinweises des Dienstherrn, die Bezügemitteilung mit der Anlage V zum Bundesbesoldungsgesetz zu vergleichen. Die Klägerin meint zugleich, dass das Berufungsgericht mit seinen entsprechenden Ausführungen eine Regel aufgestellt habe, die von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweiche. Danach hängt der Fahrlässigkeitsvorwurf von einer Einzelfallprüfung anhand der individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des jeweiligen Beamten ab (Urteile vom 9. Mai 2006 – BVerwG 2 C 12.05 – Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 37, vom 28. Februar 1985 – BVerwG 2 C 16.84 – BVerwGE 71, 77 = Buchholz 235 § 40 BBesG Nr. 6 und vom 21. Dezember 1960 – BVerwG 8 C 84.59 – Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 6).
Rz. 4
Diese Ausführungen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Der Bedeutungsgehalt dieses Begriffs und des darauf aufbauenden Rechtsbegriffs der groben Fahrlässigkeit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts übereinstimmt, hinreichend geklärt:
Rz. 5
Der Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht (vgl. Urteile vom 17. September 1964 – BVerwG 2 C 147.61 – BVerwGE 19, 243 ≪248≫ und vom 17. Februar 1993 – BVerwG 11 C 47.92 – BVerwGE 92, 81 ≪84≫; Beschlüsse vom 22. November 2006 – BVerwG 2 B 47.06 – juris Rn. 4 und vom 12. Dezember 2007 – BVerwG 2 B 93.07 – Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 120 = juris Rn. 6; BSG, Urteil vom 20. September 1977 – 8/12 RKg. 8/76 – Der Betrieb 1978, 307 ≪308≫; BGH, Urteile vom 30. Januar 2001 – VI ZR 49/00 – NJW 2001, 2092 ≪2093≫ und vom 29. Januar 2003 – IV ZR 173/01 – NJW 2003, 1118 ≪1119≫; stRspr).
Rz. 6
Ob Fahrlässigkeit als einfach oder grob zu bewerten ist, hängt vom Ergebnis der Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln. Die Abwägung ist Sache der tatrichterlichen Würdigung und mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob in der Tatsacheninstanz der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit grundlegend verkannt worden ist oder beim Bewerten des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht geblieben sind (vgl. Urteil vom 17. September 1964 a.a.O., Beschluss vom 12. Dezember 2007 a.a.O.; BGH, Urteile vom 8. Februar 1989 – IVa ZR 57/88 – NJW 1989, 1354 und vom 29. Januar 2003 a.a.O.; stRspr).
Rz. 7
Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Die Beantwortung der Fragen der Klägerin hängt von der Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab. Allgemeine Rechtsgrundsätze für die Nachprüfung von Bezügemitteilungen lassen sich dem Fahrlässigkeitsmaßstab nicht entnehmen.
Rz. 8
Nach alledem liegt auch die von der Klägerin behauptete Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor. Das Berufungsgericht hat den Fahrlässigkeitsbegriff, wie er in der Rechtsprechung der Bundesgerichte entwickelt worden ist, seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Rz. 9
2. Die Klägerin rügt eine weitere Divergenz zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 1985 – BVerwG 2 C 31.84 – (DÖV 1985, 873 ff.). Hiernach obliege dem Dienstherrn die Pflicht, die Bezügemitteilungen klar und eindeutig abzufassen und mit entsprechenden Merkblättern von vornherein eine korrekte Abrechnung des kinderbezogenen Familienzuschlags weitgehend sicherzustellen. Demgegenüber verlagere das Berufungsgericht das Risiko einer Fehlberechnung in die Sphäre des Beamten, indem es diesem eine Pflicht zur besonders sorgfältigen Kontrolle der Bezügemitteilungen auferlege. Der Beklagte habe durch die Gestaltung der Bezügemitteilung den Eindruck erweckt, die Klägerin erhalte den Zuschlag ungekürzt. Hierauf habe sie vertrauen dürfen, sodass ihr keine der Kenntnis gleichzustellende grob fahrlässige Unkenntnis vom Berufungsgericht hätte unterstellt werden dürfen.
Rz. 10
Mit diesen Ausführungen wird eine Divergenz ebenfalls nicht dargelegt. In dem vom Senat entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob ein Beamter einen zuviel gezahlten Ortszuschlag zurückzahlen musste, weil er der verschärften Haftung nach § 820 Abs. 1 Satz 2, § 818 Abs. 4 BGB unterlag. In dem Urteil vom 28. Februar 1985 a.a.O. heißt es:
Die Umstände “rechtfertigen es nicht, dass sich das Risiko eines Fehlers bei Gewährung des ehegattenbezogenen Anteils des Ortszuschlages aufgrund der komplexen, nicht ohne weiteres für jeden Beamten überschaubaren gesetzlichen Regelung durch Annahme eines gesetzlichen Vorbehalts stets zu Lasten des Beamten auswirkt. Die tatsächliche Kenntnis der für eine Änderung der Berechtigung maßgebenden Vorgänge nach Maßgabe des § 40 Abs. 5 und 7 BBesG sich zu verschaffen, kann im übrigen für einen Dienstherrn aufgrund entsprechender Vergleichsmitteilungen nicht schwieriger sein als für den Beamten. Hat der Beamte derartige Kenntnisse oder hätte er sie aufgrund konkreter Anhaltspunkte haben müssen, so führt die Regelung des § 12 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BBesG in Verbindung mit § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB grundsätzlich zu vertretbaren Ergebnissen. Der Dienstherr hat es in der Hand, auch durch eine klare und eindeutige Abfassung von Fragebögen, die der jeweilige Beamte gemäß seinen Dienstpflichten zur Vermeidung einer Haftung gemäß § 78 BBG wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten hat (vgl. hierzu u.a. Urteil vom 29. August 1977 – BVerwG 6 C 68.72 – ≪Buchholz 232 § 78 BBG Nr. 23≫), und durch entsprechende Merkblätter von vornherein eine doppelte Auszahlung des ehegattenbezogenen Anteils des Ortszuschlages weitgehend auszuschließen.”
Rz. 11
Daraus wird deutlich, dass der Senat den von der Klägerin behaupteten abstrakten Rechtssatz zum notwendigen Inhalt von Bezügemitteilungen nicht aufgestellt hat. Vielmehr hat sich der Senat mit dem Zusammenhang zwischen dem Inhalt von Fragebögen und Merkblättern und der verschärften Haftung befasst.
Rz. 12
3. Schließlich rügt die Klägerin, das Berufungsgericht habe die Berufung nicht als fristgerecht ansehen dürfen, weil die Berufungsschrift keinen Antrag enthalte (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts gehe aus der Berufungsschrift auch nicht mit notwendiger Deutlichkeit das Begehren des Beklagten auf uneingeschränkte Klagabweisung hervor, da auf deren Seite 2 nach Zeiträumen differenziert werde, die das Jahr 1998 nicht umfassten.
Rz. 13
Auch hiermit kann die Beschwerde nicht durchdringen. Dem Erfordernis, dass die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten muss, ist auch Genüge getan, wenn ein solcher Antrag zwar nicht ausdrücklich formuliert worden ist, sich aber das Ziel der Berufung aus dem fristgerecht eingereichten Schriftsatz deutlich ergibt (vgl. Beschluss vom 17. Mai 2006 – BVerwG 1 B 13.06 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 32 m.w.N.). Das ist hier der Fall. Die Berufungsbegründung beginnt mit der Behauptung, das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts sei rechtsfehlerhaft, die Klägerin habe entgegen dessen Auffassung keinen Anspruch auf weitere Besoldung für den streitgegenständlichen Zeitraum. Sie schließt mit einer Bezugnahme auf den Antrag auf Zulassung der Berufung. Damit ist das Ziel des Berufungsverfahrens eindeutig, nämlich die Klage – insgesamt – abzuweisen. Deshalb ist es hier auch unschädlich, wenn der Beklagte in seiner Begründung das Jahr 1998 ausgelassen hat, da dieses im Zulassungsantrag enthalten war, auf das sich die Berufungsbegründung zudem ausdrücklich bezieht.
Rz. 14
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 52 Abs. 1 und Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Herbert, Dr. Heitz, Thomsen
Fundstellen