Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 07.12.2004; Aktenzeichen 10 UE 2253/04) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 72 650,62 € (entspricht 142 092,26 DM) festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die Revision kann nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen werden.
Die Beschwerde will die rechtsgrundsätzliche Bedeutung daraus herleiten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs “eine Berufung bereits vor der Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts begründet werden kann”. Es kann auf sich beruhen, ob allein damit der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in einer dem Formerfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt ist; denn die Voraussetzungen einer Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung sind hier jedenfalls der Sache nach nicht erfüllt.
Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat bereits durch Urteil vom 30. Juni 1998 – BVerwG 9 C 6.98 – (BVerwGE 107, 117 ≪121 f.≫) unter ausdrücklicher Aufgabe seiner im Beschluss vom 25. August 1997 – BVerwG 9 B 690.97 – (DVBl 1997, 1325) geäußerten gegenteiligen Auffassung entschieden, dass der Rechtsmittelführer nach Zulassung der Berufung in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen muss und dass es deshalb nicht schon genügt, wenn sich die Begründung und der Antrag dem Vorbringen im Zulassungsverfahren entnehmen lassen. Dem ist der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 8. März 2004 – BVerwG 4 C 6.03 – (Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 26) gefolgt; er hat hierbei im Anschluss an das Urteil des 9. Senats ausdrücklich klargestellt, dass zwar eine Bezugnahme auf das Zulassungsvorbringen im Begründungsschriftsatz zulässig ist und – je nach den Umständen des Einzelfalles – für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung ausreichen kann, sofern der Berufungsführer innerhalb der Berufungsbegründungsfrist durch einen gesonderten Schriftsatz erkennbar zum Ausdruck bringt, dass er die Berufung durchführen will und weshalb er sie für begründet hält. Damit ist revisionsgerichtlich geklärt, dass “eine Berufung bereits vor der Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts begründet werden kann” und dies unter bestimmten, auch einzelfallabhängigen Voraussetzungen zur Erfüllung des Begründungserfordernisses aus § 124a Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 VwGO ausreicht. Dass und worin ein weiterer revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf bestehe, wird von der Beschwerde nicht dargelegt.
Allerdings ist einzuräumen, dass in dem von der Beschwerde in Bezug genommenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 2004 – IV ZR 140/03 – (FamRZ 2004, 1567 = NJW 2004, 2981) keine derartigen zusätzlichen Voraussetzungen – insbesondere nicht das Erfordernis einer rechtzeitigen Bezugnahme in einem gesonderten Schriftsatz – erwähnt sind. Die Beschwerde belässt es jedoch bei dem Hinweis auf jenes Urteil, ohne darzulegen, ob und gegebenenfalls in welcher Hinsicht es zu einer erneuten Befassung des Bundesverwaltungsgerichts mit den hier in Rede stehenden Fragen Veranlassung geben könnte. Aus einer Divergenz zwischen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts, die nach dem Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe rechtfertigte oder erlaubte, folgte dies schon wegen der im Einzelnen unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung nicht; namentlich ist § 551 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Einreichung der Revisionsbegründung offener formuliert als § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO für die Begründung der nach Absatz 5 zugelassenen Berufung. Eine Rechtsgrundsätzlichkeit begründende Rechtsprechungsdivergenz besteht im Übrigen auch deswegen nicht, weil der Bundesgerichtshof einen Schriftsatz zu beurteilen hatte, der die Überschrift trug “Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision”, während in den vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen die Rechtsmittelführer mit dem Schriftsatz zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zugleich auch schon ihr Rechtsmittel in der Hauptsache begründet hatten (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998, a.a.O., S. 118, 122, Urteil vom 8. März 2004, a.a.O.). So liegt der Fall auch hier: Der Beklagte hatte zugleich mit der Beantragung der Berufungszulassung zwar einen Berufungsantrag gestellt (Schriftsatz vom 23. Januar 2003), bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (und vor der Berufungszulassung) jedoch nur den Antrag auf Zulassung der Berufung begründet (Schriftsatz vom 26. Februar 2003).
2. Die Revision kann auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden. Insbesondere trifft die Verwerfung der Berufung des Beklagten wegen Fehlens einer rechtzeitigen Berufungsbegründung ihn nicht als Überraschungsentscheidung. Zwar beruft die Beschwerde sich auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 17. März 1998 – 13 UE 3558/97.A –), wonach eine im Zulassungsantrag enthaltene hinreichende Berufungsbegründung dem Begründungserfordernis des § 124a Abs. 3 VwGO genüge. Diese Rechtsprechung war jedoch nicht geeignet, ein Vertrauen des Beklagten darauf zu begründen, dass er auch im vorliegenden Rechtsstreit mit der Begründung des Zulassungsantrags zugleich dem Begründungszwang für die Berufung genügt habe. Zum einen enthält die Rechtsmittelbelehrung des Zulassungsbeschlusses den Hinweis, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen sei. Zum anderen war die genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs infolge der entgegengesetzten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überholt. Aus denselben Gründen folgt auch, dass dem Beklagten nicht verfahrensfehlerhaft Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwehrt worden ist; angesichts der auch in der Kommentarliteratur nachgewiesenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, aber auch anderer Oberverwaltungsgerichte sowie der ausdrücklichen Belehrung durfte sich der Beklagte jedenfalls nicht ohne weitere Überprüfung auf die von ihm herangezogene Entscheidung stützen; dies gilt umso mehr, als die Regelungen zur Berufungszulassung und -begründung durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987) nochmals im Detail umgestaltet worden waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Rothkegel, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen