Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 21.10.1997; Aktenzeichen 13 L 2611/97) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1997 wird dieser Beschluß aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 477,77 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten ist begründet. Zwar kommt der Rechtssache weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch weicht der angefochtene Beschluß von der angegebenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO); es liegt aber der von der Beschwerde bezeichnete Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das führt zu deren Aufhebung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das Berufungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO).
1. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,
„ob auch bezüglich der Eigentümer ererbter Ferienwohnungen die Vermutung gilt, daß sie diese Wohnungen zur eigenen Erholung oder zur Erholung ihrer Angehörigen vorhalten bzw. ob und ab wann diese vermutete Wirkung eintritt, wenn eine nachgewiesene Vermietungs- oder Verkaufsabsicht nicht innerhalb einer bestimmten Zeit realisiert wird”,
sind nicht klärungsbedürftig und vermitteln der Rechtssache deshalb keine grundsätzliche Bedeutung. Ihre Beantwortung ergibt sich ohne weiteres auf der Grundlage der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Bundesverwaltungsgericht hat mehrfach entschieden (vgl. Urteile vom 10. Oktober 1995 – BVerwG 8 C 40.93 – BVerwGE 99, 303 ff. und vom 6. Dezember 1996 – BVerwG 8 C 49.95 – Buchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 12 S. 15 ff.), daß die im Begriff der Aufwandsteuer gemäß Art. 105 Abs. 2 a GG angelegte Abgrenzung zur zweitwohnungssteuerfreien reinen Kapitalanlage von Verfassungs wegen eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls erfordert. Der Zweitwohnungssteuertatbestand setzt deshalb voraus, daß der Steuerpflichtige nach dem Ergebnis dieser gebotenen Gesamtwürdigung die Zweitwohnung nicht als reine Geld- oder Vermögensanlage, sondern auch für den persönlichen Lebensbedarf nutzt oder vorhält; dabei kann die steuererhebende Gemeinde von der tatsächlichen Vermutung der Vorhaltung einer Zweitwohnung (auch) für Zwecke der persönlichen Lebensführung ausgehen, solange der Zweitwohnungsinhaber keine Umstände vorträgt oder keine derartigen Umstände ersichtlich sind, die diese tatsächliche Vermutung erschüttern (vgl. Urteil vom 10. Oktober 1995, a.a.O., S. 307). Diese Anforderungen gelten – ohne daß aufgrund des Vorbringens der Beschwerde weitere Begründungen veranlaßt wären – in gleicher Weise für solche Zweitwohnungsinhaber, die im Wege des Erbfalls Eigentümer geworden sind. Auch in solchen Fallkonstellationen kommt es auf die nach außen in Erscheinung tretenden, nachprüfbaren Indizien für eine entsprechende subjektive Zweckbestimmung durch den (gegenwärtigen) Wohnungseigentümer an. Daß der Verwendungszweck, den der verstorbene Erblasser der Zweitwohnung zunächst gegeben hat, nicht ohne weiteres auf den oder die Erben übertragen werden kann, liegt auf der Hand. Das gilt entgegen der Ansicht der Beschwerde auch für eine mit dem Erbfall zwangsläufig verbundene Zeitspanne der Unsicherheit oder Unschlüssigkeit über die endgültige Verwendung der geerbten Wohnung. Soweit das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluß für derartige Erbfallkonstellationen die Anwendbarkeit der dargelegten Grundsätze zur Abgrenzung reiner Kapitalanlagen von aufwandsteuerpflichtigen Zweitwohnungen in Zweifel gezogen hat, greifen diese – die Entscheidung nicht tragenden – Bedenken nicht durch.
2. Der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichts weicht nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 1995 (a.a.O.) ab. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt die widersprüchliche Beantwortung eines abstrakten entscheidungstragenden Rechtssatzes in Anwendung derselben Rechtsvorschrift voraus (stRspr, vgl. Beschluß vom 21. Juli 1988 – BVerwG 1 B 44.88 – Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 S. 4). Einen derartigen Rechtssatzwiderspruch zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht geht vielmehr in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht von der Maßgeblichkeit des gesamten objektiven Sachverhalts für die Ermittlung der subjektiven Zweckbestimmung der veranlagten Zweitwohnung aus (Beschlußabdruck S. 4 f.). Ob die Entscheidung des Berufungsgerichts im konkreten Einzelfall den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung durchweg entspricht, insbesondere die vorgenommene einzelfallbestimmte Sachverhaltswürdigung zu überzeugen vermag, ist für die Zulassung der Revision wegen Divergenz unerheblich (Beschluß vom 31. März 1988 – BVerwG 7 B 46.88 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 260 S. 7).
3. Die Verfahrensrüge der Beklagten hat jedoch Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die ihm von Amts wegen obliegende Pflicht zur vollständigen Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt. Dabei ist von der materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts auszugehen; diese stimmt im Grundsatz – wie dargelegt – mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung überein. Danach ist zur Ermittlung der – die Steuerpflicht begründenden – subjektiven Zweckbestimmung der Wohnung im Sinne ihrer Vorhaltung zu Zwecken der persönlichen Lebensführung der gesamte objektive Sachverhalt zu würdigen. Die Aussage des Wohnungsinhabers über seine inneren Absichten genügt allein für die Annahme einer reinen Kapitalanlage nicht, wenn die Zweitwohnung objektiv für eine persönliche Nutzung zur Verfügung steht und die dadurch begründete tatsächliche Vermutung einer Verwendung (auch) für Zwecke der persönlichen Lebensführung nicht durch entgegenstehende, nachprüfbare äußere Umstände erschüttert wird. Die bisherige persönliche Nutzung der Ferienwohnung durch den Erblasser und der längere Leerstand nach dem Erbfall sprechen jedenfalls zumindest nicht ohne weiteres für die Verwendung der in einem Feriengebiet gelegenen Zweitwohnung als reine Kapitalanlage, schließen eine derartige Annahme allerdings auch – insbesondere in Zusammenhang mit einem Erbfall – nicht aus. Bei derartigen „offenen” Sachverhalten kann das Tatsachengericht eine Beweisanregung der Beklagten, die bestrittene Nutzung der leerstehenden ehemaligen Ferienwohnung durch Einsichtnahme in die Unterlagen über den Strom- und Wasserverbrauch während des nicht unerheblichen Leerstands zu überprüfen, nicht allein mit dem Hinweis übergehen, „die Klägerin habe unwidersprochen vorgetragen, die fragliche Wohnung nicht benutzt zu haben”, zumal die Beklagte mit diesem Einwand der Sache nach die Behauptung der Klägerin in Zweifel gezogen hat (vgl. Schriftsatz vom 29. November 1996). Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts hätte sich vielmehr insbesondere dann von Amts wegen aufdrängen müssen, wenn – wie hier – die Klägerin die behaupteten und den Leerstand wirtschaftlich rechtfertigenden Verkaufs- oder Verpachtungsbemühungen trotz Aufforderung nicht nachgewiesen hat und deshalb die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen ist, daß sie von der wirtschaftlichen Verwertung der geerbten Immobilie Abstand genommen hat.
Der angefochtene Beschluß kann auch auf dem Verfahrensmangel beruhen; denn es ist nicht ausgeschlossen, daß das Berufungsgericht unter den gegebenen Umständen zu einer anderen Beurteilung der Zweckbestimmung gekommen wäre, wenn sich aus den Abrechnungsbescheiden über den Energie- und Wasserverbrauch Anhaltspunkte für eine persönliche Nutzung durch die Klägerin im Veranlagungszeitraum ergeben hätten.
Der Senat hat im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch gemacht, den angefochtenen Beschluß ohne vorherige Zulassung der Revision aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Sailer, Krauß, Golze
Fundstellen