Entscheidungsstichwort (Thema)
Meldung eines FFH-Gebietes. Rechtsschutz. Vogelschutzgebiet
Leitsatz (amtlich)
Zum Rechtsschutz von Grundstückseigentümern gegen die Meldung eines FFH-Gebietes (Beschwerdeentscheidung zu OVG Bremen, NuR 2005, 654).
Normenkette
VwGO § 42 Abs. 1, § 43 Abs. 1, § 47; RL 92/43/EWG; RL 79/409/EWG; BNatSchG § 33
Verfahrensgang
OVG der Freien Hansestadt Bremen (Urteil vom 31.05.2005; Aktenzeichen 1 A 346/02) |
VG Bremen (Entscheidung vom 06.08.2002; Aktenzeichen 8 K 1243/00) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 31. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Viertel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 32 000 € festgesetzt.
Gründe
1. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr).
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt. So liegt es hier. Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht ausschlaggebend darauf an, dass das Verwaltungsgericht die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen hat. Die Zulassung bindet nach § 124a Abs. 1 Satz 2 VwGO nur das Oberverwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde anhand des § 132 Abs. 2 VwGO darüber zu befinden, ob ein Zulassungsgrund gegeben ist.
1.1 Die Kläger werfen die Fragen auf,
(1) Ist Verwaltungsrechtsschutz gegen die FFH-Gebietsauswahl zulässig? Welche Klageart ist statthaft?
(2) Ist im Rahmen von inzidentem Rechtsschutz gegen mitgliedstaatliche Umsetzungsmaßnahmen des NATURA 2000 – Schutzregimes (Verwaltungsakte, Verordnungen) die Auswahlentscheidung der Mitgliedstaaten in vollem Umfange durch mitgliedstaatliche Gerichte überprüfbar? Ist die Listung nach Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 3 FFH-RL durch die nationalen Gerichte in vollem Umfang überprüfbar?
(3) Bezieht sich die Prüfung auch auf die komparativen Kriterien aus Anhang III FFH-RL? Wie weit reicht die Prüfung dann; sind in Deutschland die Bundesländer, das gesamte Gebiet der Bundesrepublik oder sind die biogeographischen Regionen, ihr deutscher Anteil oder übernational maßgeblich?
Aus diesen Fragen ergibt sich jedoch nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Weitgehend kommt es auf die formulierten Fragen nämlich nicht an. Außerdem werfen sie gleichsam lehrbuchartig abstrakte Grundsätze auf, deren Klärung nicht Aufgabe eines Revisionsverfahrens ist.
Das Oberverwaltungsgericht (NuR 2005, 654) ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die im April 2000 erfolgte Meldung bestimmter Flächen des Landes Bremen, auf denen die Kläger Landwirtschaft betreiben, kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen den Klägern und der Beklagten begründe. Daher sei die Feststellungsklage unzulässig. Zugunsten der Kläger kann unterstellt werden, dass in ihrer Fragestellung unter (1) die Frage enthalten ist, ob durch die Meldung eines Gebietes nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-RL) an die Europäische Kommission ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis begründet wird, das zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden kann. Nur in diesem Umfang käme es in einem Revisionsverfahren auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage an. Allerdings wäre die Frage weiter dahingehend einzuschränken, dass sie sich nur auf einen Fall bezieht, in dem wie vorliegend das betroffene Gebiet bereits in die von der Kommission nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL aufzustellende Liste aufgenommen worden ist (vgl. Entscheidung vom 7. Dezember 2004, Abl. EG vom 29. Dezember 2004, L 387 S. 11) und die Kläger schon nach innerstaatlichem Recht Beschränkungen zu beachten haben, da die von ihnen bewirtschafteten Grundstücke im Bereich einer Landschaftsschutzverordnung aus dem Jahr 1968 liegen. Die Kläger machen selbst nicht geltend, dass bereits durch die Meldung als FFH-Gebiet zusätzliche Bewirtschaftungshindernisse aufgerichtet worden seien. Jedenfalls vor diesem Hintergrund weist die verbleibende Fragestellung keine grundsätzliche Bedeutung auf, die es gebieten würde, sie in einem Revisionsverfahren zu klären. Denn die Auswahl des Gebietes durch das beklagte Bundesland nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG, die zur Benennung durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit an die Kommission nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG geführt hat, stellt sich jedenfalls nunmehr nach Erstellung der Kommissionsliste als ein in der Vergangenheit liegender vorbereitender verwaltungsinterner Akt dar, der keine über mögliche Wirkungen der Veröffentlichung der Kommissionsliste hinausreichenden Rechtswirkungen herbeiführt. Daher ist auch ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zu verneinen.
Es ist Sache des Europäischen Gerichts, die Entscheidungen der Kommission gerichtlich zu überprüfen, falls durch diese unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Kläger entstehen sollten. In seinem Beschluss vom 5. Juli 2005 hat der Präsident des Gerichts in einer Parallelsache (Rs. T-117/05 R-ZUR 2005, 589) den Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen fehlender Dringlichkeit abgelehnt und in diesem Zusammenhang Zweifel an der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit von Grundstückseigentümern geäußert. Diese Frage wird im Verfahren zu klären sein, das die Kläger vor dem Europäischen Gericht (Rs. T-80/05) eingeleitet haben. Im Hinblick auf diese Rechtsschutzmöglichkeit besteht auch kein Anlass zu einer Vorlage nach Art. 234 Abs. 1 EG. Es ist auch nicht geboten, im vorliegenden Verfahren die von der Beschwerde abstrakt aufgeworfenen Fragen nach dem Kontrollmaßstab zu klären und gegebenenfalls zum Gegenstand einer Vorlage zu machen.
Im weiteren Ablauf ist es Sache der zuständigen nationalen Behörden, insbesondere der Beklagten, zu entscheiden, welche Formen der (weiteren) Erklärung zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft nach § 33 Abs. 2 i.V.m. § 22 Abs. 1 BNatSchG vorliegend geboten sind. In diesem Zusammenhang kommt, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend darlegt, eine abstrakte oder eine inzidente Normenkontrolle in Betracht. In derartigen Verfahren mögen die von der Beschwerde zur Reichweite der gerichtlichen Prüfung aufgeworfenen Fragen zu klären sein. Auch kommt dann eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bzw. das Europäische Gericht erster Instanz nach Art. 234 Abs. 1b EG in Betracht. Danach entscheidet der Gerichtshof über die Gültigkeit der Handlungen der Organe. Aus der bloßen Möglichkeit, dass künftig die Regelungen in der vorhandenen Landschaftsschutzverordnung verändert oder ein weitergehender Schutzstatus normiert werden könnte, lässt sich jedoch kein gegenwärtiges Rechtsverhältnis begründen.
1.2 Auch aus den zur Richtlinie 79/409/EWG über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutz-RL) gestellten Fragen ergibt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht. Die Kläger formulieren hierzu die Fragen:
(1) Kann eine Landschaftsschutzverordnung aus dem Jahr 1968 ein Europäisches Vogelschutzgebiet erklären?
(2) Welchen materiellen Anforderungen muss eine Schutzerklärung entsprechen.
(3) In welcher Form muss eine Schutzerklärung ergehen?
(4) Erlischt mit der Erklärung eines Europäischen Vogelschutzgebietes das faktische Schutzregime? Wenn ja, in welchem Umfang?
(5) Ist Verwaltungsrechtsschutz gegen das faktische Vogelschutzregime zulässig, wenn es an einem individuell-konkreten, einem generell-konkreten oder einem generell-abstrakten Umsetzungsakt fehlt? Wenn ja, welche Klageart ist statthaft?
(6) Ist Verwaltungsrechtsschutz gegen die Erklärung zum Europäischen Vogelschutzgebiet zulässig? Welche Klageart ist statthaft?
Das Oberverwaltungsgericht hat den von den Klägern gestellten Antrag als nicht eindeutig angesehen. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, falls die Kläger die Feststellung erreichen wollten, dass ihre Grundstücke nicht dem Schutzregime der Vogelschutz-RL unterlägen, könne nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass es sich beim entsprechenden Gebiet um ein Europäisches Vogelschutzgebiet handele. Bei dieser Auslegung des Antrags ergibt sich aus den von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen kein Klärungsbedarf. In der Rechtsprechung des Senats ist bereits geklärt, dass die Gebietsmeldung nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG eine reine Informationsfunktion hat (vgl. Urteil vom 1. April 2004 – BVerwG 4 C 2.03 – BVerwGE 120, 276 ≪286≫). Die Gebietsausweisung erfolgt nach § 33 Abs. 2 BNatSchG durch Erklärung zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft. Dabei besteht kein Zweifel und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass auch auf eine bereits erfolgte Ausweisung zurückgegriffen werden kann, wie dies hier mit dem Landschaftsschutzgebiet erfolgt ist. Die von der Beschwerde formulierten Fragen geben keinen Anlass zu weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung. Auf die “materiellen Anforderungen” kam es für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht an. Auch Fragen, die sich bei einem faktischen Vogelschutzgebiet stellen mögen, sind vorliegend nicht erheblich, da sowohl eine Schutzerklärung als auch eine Gebietsmeldung erfolgt sind.
Für den Fall, dass die Kläger mit ihrem Antrag darüber hinaus bereits jetzt mögliche zukünftige Schutzmaßnahmen abwehren wollten, ist das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es ihnen an einem qualifizierten Rechtsschutzinteresse für einen vorbeugenden Rechtsschutz fehle. Dabei unterstellt das Gericht, dass es in Zukunft zu einer “Nachbesserung” der Landschaftsschutzverordnung kommen könne. Die von der Beschwerde gestellten Fragen ergeben auch insoweit nicht, dass ein Bedarf an weiterer höchstrichterlicher Klärung besteht. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Kläger im Falle einer Änderung der Landschaftsschutzverordnung im Wege der abstrakten oder inzidenten Normenkontrolle Rechtsschutz erlangen können. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht sie auf diesen Weg verwiesen.
2. Auch die Divergenzrüge bleibt ohne Erfolg. Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr). Die Beschwerde führt zwar das Urteil des Senats vom 1. April 2004 – BVerwG 4 C 2.03 – (a.a.O.) an. Sie legt jedoch nicht dar, welche Rechtssätze zueinander im Widerspruch stehen könnten. Das Oberverwaltungsgericht hat auf eine vorhandene und somit rechtlich wirksame Landschaftsschutzverordnung Bezug genommen. Eine derartige Situation lag der Entscheidung des Senats jedoch nicht zugrunde.
3. Auch die Verfahrensrügen bleiben erfolglos. Soweit die Beschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend macht und “überzogene Anforderungen” an die Sachprüfung der Zulässigkeit rügt, kritisiert sie die rechtliche Würdigung der Vorinstanz zu den angesprochenen Zulässigkeitsfragen. Damit kann eine Verfahrensrüge nicht wirksam erhoben werden. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht hätte die Rechtssache an den Europäischen Gerichtshof vorlegen müssen, greift schon deshalb nicht durch, weil die Vorinstanz sich zur Begründung ihrer Entscheidung nicht auf eine Frage des Europarechts gestützt hat, die der Klärung durch eine Vorabentscheidung nach Art. 234 EG bedurft hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Halama, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen
Haufe-Index 1511287 |
BauR 2007, 438 |
NuR 2006, 572 |
GV/RP 2007, 638 |
Städtetag 2006, 49 |
UPR 2006, 351 |
ZfW 2008, 94 |
FuBW 2007, 84 |
FuHe 2007, 287 |
FuNds 2007, 236 |