Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 05.03.2003; Aktenzeichen 13 LB 4075/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. März 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen je die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Gründe
1. Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen verleihen der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
aa) Die Kläger halten die Frage für klärungsbedürftig, “ob und inwieweit der Staat mit Rücksicht auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG befugt ist, anstelle des religiösen Verständnisses bestimmter Figuren, Zeichen und Praktiken durch die davon unmittelbar Betroffenen seine eigene Interpretation zu setzen und den Betroffenen das Vorliegen einer “Überinterpretation” vorzuhalten, so dass sie bei “richtiger Betrachtung” überhaupt keine Gewissensnot leiden müssten”. Damit wollen sie die allgemeinere Problematik aufzeigen, “wem die Interpretationshoheit über Symbole und Figuren zusteht, die ihren Ursprung in anderen Religionen, der Esoterik oder gar des Okkultismus haben, aber zum Teil in anderem Bedeutungszusammenhang verwendet werden”. Diese Frage ist, soweit sie sich allgemein in Bezug auf die Problematik der Schulpflicht beurteilen lässt, dahin zu beantworten, dass die Befassung mit Figuren, Zeichen und Praktiken in der verpflichtend zu besuchenden Schule legitimiert ist, soweit sie zu den allgemeinen kulturellen Gegebenheiten der Gesellschaft gehören und im allgemeinen Verständnis keinen Glaubensbezug haben und ihnen ein solcher im Unterricht auch nicht beigelegt wird. Dadurch, dass solche Gegebenheiten mit einem – abwehrenden – Glaubensbezug belegt werden, erhalten sie noch keine religiöse Prägung. Dazu ist in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die auch derjenigen des beschließenden Senats zugrunde liegt, geklärt, dass eine Schule, die Raum für eine sachliche Auseinandersetzung mit allen weltanschaulichen-religiösen Auffassungen bietet, Eltern und Kinder nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubens- und Gewissenskonflikt führt, da für die elterliche Erziehung genügend Raum für die Vermittlung des individuell als richtig erkannten Weges zu Glaubens- und Gewissensbindungen oder deren Verneinung bleibt (vgl. BVerfGE 41, 29 ≪52≫). In diesem Sinn ist es vom Staat zu verantwortender Inhalt des verpflichtenden Unterrichts, dass außerhalb des Religions- bzw. Weltanschauungsunterrichts Figuren, Zeichen und Praktiken nicht mit einem religiös oder weltanschaulich zu verstehenden Inhalt verwendet werden. Das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 GG enthaltene Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht schließt das Recht ein, Kinder von Glaubensüberzeugungen fern zu halten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen können (BVerfGE 93, 1 ≪17≫). Art. 6 Abs. 2 GG enthält aber keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus (zuletzt BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 – Rn. 45). Werden Figuren, Zeichen und Praktiken im Schulunterricht ohne religiösen oder weltanschaulichen Bezug verwendet, so enthält sich der Staat gerade einer “Interpretationshoheit” und überlässt es den Erziehungsbemühungen der Eltern, einen von ihnen darin gesehenen religiösen oder weltanschaulichen Bezug deutlich zu machen und die Kinder auf den von ihnen für richtig gehaltenen Weg zu lenken. Soweit die Frage auf die Formulierung des angefochtenen Urteils zielt, zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht seinerseits die umstrittenen Figuren, Zeichen und Praktiken auf religiöse oder weltanschauliche Inhalte hin interpretiert hätte. Das Gericht hat, möglicherweise missverständlich, gerade zum Ausdruck gebracht, dass die Kläger im Rahmen ihres Erziehungsauftrags befugt sind, die im Unterricht verwendeten Figuren, Zeichen und Praktiken zu “interpretieren” und ihren schulpflichtigen Kindern ihre Glaubenssicht zu vermitteln. Die Wendung “Überinterpretation” bewertet nicht die Sicht der Kläger, sondern will nach dem Zusammenhang nur verdeutlichen, dass die Figuren, Zeichen und Praktiken von Seiten der Schule gerade nicht mit dem von den Klägern besorgten Bedeutungsinhalt verwendet werden.
bb) Die Frage, “ob die Kläger aufgrund ihrer Grundrechte … einen Anspruch besitzen, dass die Beklagte von der nach dem einschlägigen Landesrecht bestehenden Möglichkeit einer Befreiung von der Schulbesuchspflicht Gebrauch macht, und den Klägern unter Befreiung von der Schulbesuchspflicht jedenfalls für die Dauer der Grundschulzeit die Erteilung gleichwertigen Heimunterrichts gestattet werden muss” kleidet lediglich den von den Klägern geltend gemachten Klageanspruch in eine Frageform. Damit kann eine Rechtsfrage von grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt werden.
cc) Die Frage, “ob die positive Glaubens- und Gewissensfreiheit den Klägern einen Anspruch auf Befreiung ihrer Kinder von einem Sexualkundeunterricht und damit – weil dieser aufgrund seiner fächerübergreifenden Natur nicht von anderen Fächern und Unterrichtsinhalten separierbar ist – von der Schulbesuchspflicht überhaupt gibt, wenn die Sexualerziehung an den staatlichen Schulen infolge (richtig:) ihrer ausschließlichen Ausrichtung an der negativen Glaubens- und Gewissensfreiheit anderer nicht die religiös determinierten Werthaltungen vermitteln kann und darf, die die Kläger für sich und ihre Kinder als absolut verbindlich empfinden” geben die Kläger eine fallübergreifende Ausrichtung, indem sie das Problem aufwerfen, “welches Gewicht dem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gegenüber dem staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG zukommt, welches Ausmaß an Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit den Eltern und Schülern sonach zur Durchsetzung der allgemeinen Schul- und Grundschulbesuchspflicht zugemutet werden kann, bzw. wann und unter welchen Voraussetzungen die allgemeine Schulbesuchspflicht hinter der Glaubens- und Gewissensfreiheit zurückzustehen hat”. Diese Problematik ist in der den Senat gemäß § 31 BVerfGG bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, so dass sie nicht in einem Revisionsverfahren behandelt werden muss.
Der Konflikt zwischen dem Recht der Eltern, ihren Kindern ihre Glaubensüberzeugungen zu vermitteln und sie von für falsch oder schädlich gehaltenen Glaubensüberzeugungen fern zu halten, und dem korrespondierenden Recht der Kinder, entsprechend erzogen zu werden, einerseits sowie dem dem elterlichen Erziehungsrecht gleichgeordneten staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG andererseits ist, worauf die Kläger mit Recht hinweisen, nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu lösen (BVerfGE 93, 1 ≪21≫; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. April 2003 – 1 BvR 436/03 – DVBl 2003, 999 = NVwZ 2003, 1113). Dieser Grundsatz fordert, dass nicht eine der zwangsläufig widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Dem trägt vor allem hinsichtlich des Sexualkundeunterrichts in Niedersachsen der vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommene § 96 Abs. 4 NSchG Rechnung. Danach sind die Erziehungsberechtigten insbesondere über Ziel, Inhalt und Gestaltung der Sexualerziehung rechtzeitig zu unterrichten, damit die Erziehung im Elternhaus und die Erziehung in der Schule sich soweit wie möglich ergänzen. Die Sexualerziehung soll die Schülerinnen und Schüler mit den Fragen der Sexualität altersgemäß vertraut machen, ihr Verständnis für Partnerschaft, insbesondere in Ehe und Familie, entwickeln und ihr Verantwortungsbewusstsein stärken. Dabei sind ihr Persönlichkeitsrecht und das Erziehungsrecht der Eltern zu achten. Zurückhaltung, Offenheit und Toleranz gegenüber verschiedenen Wertvorstellungen in diesem Bereich sind geboten. Mit dieser Regelung mildert das Landesrecht die Schwere der möglichen Beeinträchtigung der Kläger und ihrer Kinder so weit ab, dass die Unzumutbarkeitsschwelle für Eltern wie für Schüler nicht überschritten wird. Damit ist sichergestellt, dass eine Indoktrinierung der Schüler auf dem Gebiet der Sexualerziehung nicht erfolgt, und zwar auch nicht in der von den Klägern befürchteten Weise. Mit dieser Bestimmung hat das Land von der ihm vom Grundgesetz gegebenen Gestaltungsfreiheit (BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, a.a.O., Rn. 47) in einer das Gebot praktischer Konkordanz achtenden Weise Gebrauch gemacht. Der Grundsatz der praktischen Konkordanz gebietet nicht, dass die Kläger ihre Auffassung in der Weise “maximal” durchsetzen, dass der staatliche Erziehungsauftrag in vollem Umfang zurücktritt. Eine weitere Klärung ist von einem Revisionsverfahren auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Kritik der Beschwerdeführer an dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2003 nicht zu erwarten, dessen Ausführungen sich der Senat unbeschadet einer fehlenden Bindung nach § 31 BVerfGG zu Eigen macht.
b) Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung von der Rechtsprechung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte ist ebenfalls nicht gegeben. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgerückt ist. Dabei müssen die Rechtssätze sich grundsätzlich auf dieselbe Rechtsnorm beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der genannten Weise widersprechenden Rechtssatz gestützt hat. Daran fehlt es.
Die Beschwerde führt aus, das angefochtene Urteil beruhe auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE104, 337 ≪354≫), der-zufolge sich der Staat in Bezug auf das Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft oder Glaubensrichtung einer Bewertung der Glaubenserkenntnis zu enthalten habe und es ihm verwehrt sei, Glaubensüberzeugungen seiner Bürger für richtig oder falsch zu bewerten oder gar zu bezeichnen (BVerfGE 33, 23 ≪30≫). Das angefochtene Urteil habe zu dem von den Klägern angeführten Themenkomplex “Esoterik/Okkultismus” ausgeführt, dass die Kläger insoweit einer “Überinterpretation der Auswirkungen in religiöser Hinsicht (unterlägen), die z.B. aus dem bloßen Behandeln von Märchenfiguren nicht hergeleitet werden (könnten)”. Mit dieser Gegenüberstellung kann eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan werden. Sie zeigt allenfalls auf, dass das Oberverwaltungsgericht eine fehlerhafte Rechtsauffassung vertreten hat, nicht jedoch einen abstrakten Rechtssatz des Berufungsurteils, der in Widerspruch zu den Rechtssätzen des Bundesverfassungsgerichts steht.
c) Die Beschwerde macht Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) für den Fall geltend, dass das Berufungsurteil in bestimmter Weise zu verstehen sei. Die angegriffene Entscheidung beruht nicht auf den dargelegten Verfahrensverstößen.
aa) Die mit Verfahrensrügen angegriffene Wendung des Urteils, der Vortrag der Kläger bezüglich Entspannungsübungen/Okkultismus scheine sich nicht am Unterricht an niedersächsischen Grundschulen zu orientieren, trägt das angefochtene Urteil nicht. Dieses beruht, wie aus dem nachfolgenden Satz (UA S. 18) folgt, insoweit allein auf der Erwägung, dass die Kläger hier “einer Überinterpretation der Auswirkungen in religiöser Hinsicht” unterlägen.
bb) Die Verfahrensrügen hinsichtlich der Überlegung, es könne “schon fraglich sein, ob der Sexualkundeunterricht an der … Grundschule V. … tatsächlich so weit von den Vorstellungen der Kläger entfernt wäre …” betrifft ebenfalls keine die Entscheidung tragende Begründungserwägung. Das folgt wiederum daraus, dass nach der daran anschließenden Wendung “jedenfalls” der geltend gemachte Anspruch aus anderen Gründen scheitert.
d) Die Kläger rügen eingangs ihrer Beschwerdebegründung, dass das angefochtene Urteil auf “logisch in sich widersprüchlichen Ausführungen” beruhe, legen insoweit aber keinen Verfahrensverstoß dar. Sie machen nicht deutlich, ob sie einen logischen Widerspruch in der Würdigung der tatsächlichen Umstände oder in der rechtlichen Beurteilung sehen. Sie zeigen auch nicht auf, dass ein Mangel der Logik nicht, wie regelmäßig, das materielle Recht betrifft, sondern auf einen Verfahrensfehler führt.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Vormeier
Fundstellen
Haufe-Index 1058300 |
SchuR 2004, 214 |