Verfahrensgang
VG Leipzig (Urteil vom 29.04.2003; Aktenzeichen 7 K 2016/99) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 29. April 2003 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Kläger beanspruchen die Feststellung ihrer Berechtigung nach § 16 Abs. 1 InVorG für ein Grundstück, das im Jahr 1968 auf der Grundlage des Aufbaugesetzes in Anspruch genommen wurde. Die Beklagte lehnte den Rückübertragungsantrag ab und stellte die Entschädigungsberechtigung der aus den Klägern zu 1 bis 6 bestehenden Erbengemeinschaft hinsichtlich der von den DDR-Stellen registrierten Entschädigungsforderung fest. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage abgewiesen, weil das Grundstück nicht von einer Schädigungsmaßnahme betroffen gewesen sei. Es hat die Revision nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass das angegriffene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird.
Die Beschwerde rügt zu Recht einen Verfahrensfehler durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO). Sie macht geltend, dass den Klägern Aktenvorgänge, die die Beklagte dem Verwaltungsgericht im Lauf des Verwaltungsprozesses übermittelt hatte, nicht zur Kenntnis gegeben worden seien. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil auf einen Beschluss des Rats der Stadt Leipzig vom 31. Mai 1960 zu den höchstzulässigen Bodenwerten im Stadtgebiet Bezug genommen. Dieses Dokument befindet sich bei den die Inanspruchnahme des Grundstücks betreffenden Aktenvorgängen, die die Beklagte mit Schriftsatz vom 30. November 2000 an das Verwaltungsgericht “zur Originalakte nachgereicht” hat. Aus den Akten des Verwaltungsgerichts ergibt sich nicht, dass den Klägern von der Übersendung dieser Vorgänge Kenntnis gegeben wurde. Die von der Beklagten vorgelegten Akten waren zwar, wie es am Ende des Tatbestands des angegriffenen Urteils heißt, Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die Kläger, deren Bevollmächtigte die Akten im Lauf des Widerspruchsverfahrens eingesehen hatte, hätten deshalb Akteneinsicht nehmen und sich dadurch das ihnen versagte rechtliche Gehör verschaffen können. Dazu hatten sie aber keinen Anlass, weil sie mit einer nachträglichen Ergänzung der Verwaltungsvorgänge nicht rechnen mussten. Das Verwaltungsgericht hätte sie spätestens in der mündlichen Verhandlung darauf hinweisen müssen, dass die Beklagte weitere Verwaltungsakten vorgelegt hatte. Aus dem Verhandlungsprotokoll ist nicht ersichtlich, dass dies geschehen ist.
Die unterlassene Mitteilung vom Eingang weiterer Verwaltungsakten verletzt den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör und stellt damit einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S. des § 138 Nr. 3 VwGO dar. Der Gehörsverstoß betrifft das angegriffene Urteil in seiner Gesamtheit und nicht nur eine einzelne für die Entscheidung unerhebliche Tatsachenfeststellung. Das hat zur Folge, dass das Urteil ohne weiteres als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist. Die Entscheidung ist auf Tatsachen gestützt, die sich aus dem den Klägern nicht zur Kenntnis gegebenen Beschluss des Rats der Stadt Leipzig vom 31. Mai 1960 ergeben. Das Verwaltungsgericht hat die Voraussetzungen des Schädigungstatbestands des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG mit der Begründung verneint, die Festsetzung eines Bodenwerts für das in Rede stehende Grundstück von 50 M/m(2) beruhe nicht auf diskriminierenden Entschädigungsbestimmungen, die den Zugriff auf das Eigentum hätten erleichtern oder erst ermöglichen sollen. Der Beschluss vom 31. Mai 1960 habe die Höchstgrenzen bestimmt, die in Leipzig für die Festsetzung des Bodenwerts zum Zweck der Entschädigung maßgebend gewesen seien. Aus ihm ergebe sich, dass das Grundstück in einem Stadtgebiet liege, für das die höchstzulässigen Bodenwerte auf 70 M/m(2) festgelegt worden seien. Die Beschwerde tritt den entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts entgegen. Ihr Vorbringen genügt den Anforderungen an die Darlegung der Umstände, aus denen sich ergibt, dass das angegriffene Urteil auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann. Es lässt erkennen, dass sich die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs auf Feststellungen bezieht, die nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich waren.
Der Senat nimmt den dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Kley, Herbert
Fundstellen