Entscheidungsstichwort (Thema)
Personalvertretungsrecht. Fragebogenaktion des Personalrats. Ermittlung der Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz. Gefährdungsanalyse der Dienststelle gemäß § 5 Abs. 1 ArbSchG. Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit
Leitsatz (amtlich)
Aufgrund des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BlnPersVG ist dem Personalrat eine Fragebogenaktion, mit der die Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz ermittelt werden soll, verwehrt, wenn die Dienststelle ihrerseits eine Gefährdungsanalyse gemäß § 5 Abs. 1 ArbSchG vorbereitet.
Normenkette
BlnPersVG § 2 Abs. 1, § 77 Abs. 2; BPersVG § 107; ArbSchG § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 09.02.2012; Aktenzeichen 60 PV 7.11) |
VG Berlin (Entscheidung vom 07.01.2011; Aktenzeichen 61 K 20.10 PVL) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg – Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes Berlin – vom 9. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 91 Abs. 2 BlnPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Die geltend gemachten Grundsatzrügen gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greifen nicht durch.
Rz. 3
a. Der Sache nach sieht der Antragsteller (S. 14 f. der Beschwerdebegründung) zum einen als klärungsbedürftige Rechtsfrage im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG an, ob eine vom Personalrat gegen den Willen der Dienststelle veranlasste Fragebogenaktion unter Bediensteten, mit der die Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz ermittelt werden soll, unzulässig ist, wenn die Dienststelle ihrerseits eine Gefährdungsanalyse gemäß § 5 ArbSchG vorbereitet. Diese Frage ist mit dem Oberverwaltungsgericht auf Grundlage bereits vorliegender Senatsrechtsprechung eindeutig zu bejahen, so dass es hierzu der Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht bedarf. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht ausgesprochen, dass unter den genannten Umständen der Personalrat aufgrund des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BlnPersVG nicht das Recht hat, im Wege einer Fragebogenaktion von sich aus entsprechende Ermittlungen aufzunehmen, und dass demzufolge die von der Dienststelle gegenüber den Bediensteten ausgesprochene Untersagung der Teilnahme an einer solchen Aktion keine gemäß § 107 BPersVG unzulässige Behinderung der Personalratstätigkeit darstellt.
Rz. 4
aa. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BlnPersVG soll sicherstellen, dass Dienststelle und Personalrat nicht gegeneinander, sondern miteinander zum Wohl der Bediensteten und zur Erfüllung der der Dienststelle obliegenden Aufgaben tätig werden. Das Gesetz will keine einseitige Interessenvertretung, sondern unterstreicht mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit die Gemeinsamkeit der Aufgaben (vgl. Beschluss vom 6. Dezember 1978 – BVerwG 6 P 2.78 – BVerwGE 57, 151 ≪156≫ = Buchholz 238.3A § 75 BPersVG Nr. 6 S. 41). Jede Seite soll die Erfüllung von der anderen Seite obliegenden Aufgaben ermöglichen und den jeweiligen Aufgabenbereich des anderen respektieren. Dazu gehört auch das Bemühen, Meinungsverschiedenheiten zu bereinigen und möglichst einvernehmliche Lösungen zu finden (vgl. Beschluss vom 11. April 1991 – BVerwG 6 P 9.89 – BVerwGE 88, 103 ≪107≫ = Buchholz 250 § 69 BPersVG Nr. 22 S. 25 f.). Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit als die Dienststellenverfassung beherrschender Grundsatz ist nicht nur bei der Auslegung der im Personalvertretungsrecht konkret normierten Verhaltensvorschriften und Beteiligungsbefugnisse zu beachten, sondern enthält ein allgemeines Verhaltensgebot für den Dienststellenleiter wie für den Personalrat (vgl. Beschlüsse vom 23. Mai 1986 – BVerwG 6 P 23.83 – Buchholz 238.32 § 47 BlnPersVG Nr. 1 S. 2, vom 9. März 1990 – BVerwG 6 P 15.88 – BVerwGE 85, 36 ≪40≫ = Buchholz 251.8 § 68 RhPPersVG Nr. 2 S. 3 und vom 12. November 2002 – BVerwG 6 P 2.02 – Buchholz 251.4 § 100 HmbPersVG Nr. 2 S. 2 f.).
Rz. 5
bb. Die Frage, unter welchen allgemeinen Voraussetzungen dem Personalrat nach dem Personalvertretungsgesetz des Landes Berlin Fragebogenaktionen als Instrumente zur Selbstinformation zur Verfügung stehen, kann auf sich beruhen. Jedenfalls ist dem Personalrat aufgrund des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BlnPersVG eine solche Aktion speziell dann verwehrt, wenn – was vorliegend das Oberverwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt hat (BA S. 14) – die Dienststelle bereits in Anwendung von § 5 Abs. 1 ArbSchG eine auf das gleiche Erkenntnisziel bezogene Informationserhebung vorbereitet. In diesem Fall würde die Durchführung einer Fragebogenaktion zu einer Beanspruchung dienstlicher Ressourcen – namentlich in Gestalt der Arbeitszeit von Bediensteten – führen, obwohl erwartet werden kann, dass der mit ihr erstrebte informatorische Ertrag ohnehin demnächst aufgrund der vorgesehenen Erhebung der Dienststelle erzielt wird; letztere wird durch vorangehende Ermittlungen des Personalrats auch nicht etwa überflüssig, denn die Dienststelle ist aufgrund von § 5 Abs. 1 ArbSchG in jedem Fall gehalten, selbst eine Gefährdungsanalyse durchzuführen, und kann sich dieser Verantwortung nicht entledigen.
Rz. 6
Eine Fragebogenaktion des Personalrats hätte somit unausweichlich den Charakter einer Konkurrenzerhebung, der aus objektiver Betrachtersicht die Bewertung innewohnt, die Bemühungen der Dienststelle seien unzulänglich oder bedürften zumindest eines Korrektivs. Dies wiegt gerade dann besonders schwer, wenn – wie im vorliegenden Fall – diese Bemühungen einen so sensiblen Bereich wie denjenigen des Gesundheitsschutzes der Bediensteten betreffen. Mit einer solchermaßen konfrontativen Vorgehensweise würde der Personalrat die aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit fließende Vorgabe eines kooperativen Miteinander und eines Bemühens um gemeinsame Lösungen zum Wohle der Beschäftigten verfehlen. Diese Vorgabe verlangt hier von ihm, die Ermittlungen der Dienststelle abzuwarten. § 77 Abs. 2 BlnPersVG stellt ihm die notwendigen Befugnisse zur Verfügung, um sich über deren Zuschnitt bereits im Vorfeld zu informieren bzw. eigene Vorschläge zu ihrer Gestaltung einzubringen; der Personalrat hat zudem personalvertretungsrechtliche Mittel an der Hand, im Nachhinein eine etwaige von ihm angenommene Mangelhaftigkeit der Gefährdungsanalyse geltend zu machen (vgl. hierzu, bezogen auf die parallele Vorschrift des § 81 Abs. 2 BPersVG: Beschlüsse vom 14. Oktober 2002 – BVerwG 6 P 7.01 – Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 104 S. 34 ff. und vom 5. März 2012 – BVerwG 6 PB 25.11 – juris Rn. 6). Das Gebot, in einem Fall wie dem vorliegenden die Ermittlungen der Dienststelle abzuwarten, statt eigene Ermittlungen zu initiieren, korrespondiert mit der in anderem Zusammenhang vom Senat entschiedenen, hierbei gleichfalls aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit abgeleiteten Maßgabe, dass der Personalrat, sofern er weitergehende Informationsansprüche geltend machen will, zunächst alle Möglichkeiten einer Unterrichtung durch die Dienststelle selbst auszuschöpfen hat (Beschluss vom 8. November 1989 – BVerwG 6 P 7.87 – BVerwGE 84, 58 ≪65≫ = Buchholz 251.0 § 68 BaWüPersVG Nr. 3 S. 9).
Rz. 7
Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers (S. 14 f. Beschwerdebegründung) lässt sich die Zulässigkeit der Fragebogenaktion unter den gegebenen Umständen auch nicht damit begründen, dass diese auf die Erlangung “allgemeiner Informationen” statt auf die Erlangung “spezieller Informationen bezogen auf Einzelarbeitsplätze”, wie es im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 Abs. 1 ArbSchG der Fall wäre, gerichtet wäre. Es mag dahinstehen, inwiefern diese Unterscheidung vom Ansatz her überhaupt tragfähig ist. Jedenfalls steht aufgrund der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts außer Frage, dass zwischen beiden Erhebungen Überschneidungen zu erwarten waren. Das Oberverwaltungsgericht hat in Bezug auf mehrere Aspekte des Fragenkatalogs ausgeführt, dass sie in eine Gefährdungsanalyse nach § 5 Abs. 1 ArbSchG gehören würden (BA S. 12).
Rz. 8
b. Der Antragsteller sieht der Sache nach weiter als klärungsbedürftig im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG an, ob Gefährdungsanalysen der hier in Rede stehenden Art wegen der Aufgabenzuweisung in § 5 Abs. 1 ArbSchG an die Dienststelle dem Personalrat schlechthin verwehrt sind (S. 6 der Beschwerdebegründung). Diese Frage, die das Oberverwaltungsgericht bejaht hat (BA S. 10), ist nicht entscheidungserheblich, weil der angefochtene Beschluss davon nicht abhängt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Unzulässigkeit der Fragebogenaktion selbständig tragend auch auf die (unter a. behandelte) Annahme gestützt, dass diese Aktion jedenfalls dann, wenn ohnehin eine Gefährdungsanalyse der Dienststelle in Vorbereitung sei, gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoße (BA S. 14). Auf die allgemeinere Frage, ob die fraglichen Gefährdungsanalysen in der ausschließlichen Zuständigkeit der Dienststelle liegen, käme es demzufolge in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht an. Der Senat sieht sich gleichwohl zu dem Hinweis veranlasst, dass in Anbetracht der bereits umfassend ausgestalteten personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsmöglichkeiten im Bereich des Arbeitsschutzes (siehe die Beschlüsse vom 14. Oktober 2002 und vom 5. März 2012, jeweils a.a.O.) allenfalls in engen Ausnahmefällen Raum für entsprechende eigene Untersuchungsaktivitäten der Personalvertretung gegeben sein kann. Der Gesetzgeber des Personalvertretungsgesetzes im Land Berlin ist ersichtlich davon ausgegangen, dass die Aktivitäten zum Arbeitsschutz sowohl in der Vorbereitungs- als auch in der Entscheidungsphase primär in der Hand der Dienststelle liegen; gerade deshalb hat er dem Personalrat in beiden Phasen Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet.
Rz. 9
c. Die vom Antragsteller weiter der Sache nach als klärungsbedürftig angesehene Frage, ob ein fehlender Sachverstand des Personalrats eigene Gefährdungsanalysen der hier in Rede stehenden Art ausschließt (S. 13 Beschwerdebegründung), führt gleichfalls nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Die diesbezügliche (bejahende) Annahme des Oberverwaltungsgerichts (BA S. 12) ist nicht selbständig entscheidungstragend, sondern dient nur als zusätzliches Begründungselement seiner – wie soeben dargelegt (oben b.) – ihrerseits nicht entscheidungstragenden Annahme, wonach solche Gefährdungsanalysen dem Personalrat schlechthin verwehrt seien.
Rz. 10
2. Die vom Antragsteller behauptete (S. 9 Beschwerdebegründung) Divergenz zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 8. Februar 1977 – 1 ABR 82/74 – (AP Nr. 10 zu § 80 BetrVG 1972) liegt nicht vor, so dass eine darauf gestützte Grundsatzrüge nicht zum Zuge kommt (vgl. in diesem Zusammenhang Beschluss vom 13. Januar 1999 – BVerwG 6 PB 16.98 – juris Rn. 2). Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Beschluss ausgesprochen, dass Betriebsrat und Jugendvertretung grundsätzlich zur Informationsbeschaffung das Mittel einer Fragebogenaktion zur Verfügung steht. Hiervon weicht das Oberverwaltungsgericht mit seinem angefochtenen Beschluss schon deshalb nicht ab, weil es die Frage der Zulässigkeit von Fragebogenaktionen des Personalrats nicht verneint, sondern ausdrücklich offen gelassen hat (BA S. 9). Zu den – jeweils selbständig – entscheidungstragenden Annahmen des Oberverwaltungsgerichts, Ermittlungen von Arbeitsschutzbedarf seien der Dienststelle vorbehalten bzw. entsprechende Ermittlungen seien dem Personalrat dann verwehrt, wenn die Dienststelle eine Gefährdungsanalyse nach § 5 ArbSchG vorbereite, verhält sich der genannte Beschluss des Bundesarbeitsgerichts nicht.
Rz. 11
3. Die vom Antragsteller erhobene Rüge des Fehlens einer Begründung im Zusammenhang mit der Behandlung des Antrags zu 2. führt gleichfalls nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Revisionsgrund des § 547 Nr. 6 ZPO vom Verweis in § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG nicht erfasst ist. Der geltend gemachte Rechtsfehler liegt aber auch nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat die Unbegründetheit des Antrags zu 2. aus der Unbegründetheit des Antrags zu 1. gefolgert (“erst recht” – BA S. 14) und hiermit hinreichend (und zutreffend) begründet. Angesichts dessen kommt auch eine Gehörsrüge, die bei Mängeln der Entscheidungsgründe in Betracht kommen kann, nicht zum Zuge (vgl. Beschluss vom 2. Dezember 2009 – BVerwG 6 PB 33.09 – Buchholz 250 § 76 BPersVG Nr. 41 Rn. 3 ff.).
Unterschriften
Neumann, Büge, Prof. Dr. Hecker
Fundstellen
ZTR 2012, 602 |
DÖV 2013, 78 |
LKV 2012, 460 |
PersR 2012, 461 |
PersR 2012, 6 |
PersV 2012, 472 |
öAT 2012, 236 |
NPA 2013 |